Liebe Jünger-Freunde, hier der Artikel aus der FAZ (Dank an KB!) herzliche Grüße rundum, TW
-- Tobias Wimbauer / Wimbauer Buchversand Waldhof Tiefendorf Tiefendorfer Str. 66 58093 Hagen-Berchum http://www.waldgaenger.de/tiefendorf.JPG unsere Angebote (Amazon und Booklooker) finden Sie hier: http://www.waldgaenger.de/wimbauerbuchversand.html einen Büchergruß an TW senden: http://www.amazon.de/exec/obidos/registry/IBSBOT1B05VN/ref=wl_em_to Der Tiger maskiert das Lämmchen Wie Ernst Jünger eine Liebesaffäre aus den Pariser Jahren in den Tagebüchern verfremdete / Von Felix Johannes Krömer Im literarischen Werk Ernst Jüngers kommt den Tagebüchern besondere Bedeutung zu. Als literarische Diarien geben sie nicht unbedingt unmittelbar Erlebtes des Verfassers wieder. Unser Autor beschreibt am Beispiel einer Pariser Liebesaffäre mit der Kinderärztin Sophie Ravoux, wie Jünger in den verschiedenen Fassungen seiner Tagebücher konkrete Erlebnisse verfremdete und fiktionalisierte, bevor sie veröffentlicht wurden. Aufschlußreich ist dabei vor allem der Blick in die von der Forschung wenig beachteten handschriftlich geführten Tagebücher Jüngers, die sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befinden. Der Briefwechsel mit Sophie Ravoux ist noch gesperrt. Am 1. Mai 1941 geht der Wehrmachtshauptmann Ernst Jünger, damals 46 Jahre alt, mit einer sehr jungen Kontoristin in Frankreich ins Kino. Später wird er notieren, er habe ihr im Dunkeln an die Brust gefaßt. Seine Frau Gretha (1906 bis 1960) wartet derweil im deutschen Kirchhorst. Dorthin kehrt der Autor und Soldat 1944 nach mehr als dreijähriger Stationierung in Paris zurück. Im Jahr 1949 publiziert Jünger seine Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg unter dem Titel Strahlungen. In ihnen unterbreitet der Autor seinen Lesern eine Fülle von erotischen Anekdoten und Träumen aus der nationalsozialistisch besetzten Stadt der Liebe. Meist beschränkt sich Ernst Jünger auf unpersönlich-aphoristische Wendungen, zum Beispiel: In der Umarmung hält der Mann die Frau so wie der Tiger das Lamm, und sie ihn, wie die Spinne die Fliege hält. Betrachtungen wie diese webt der Autor als gleichrangig in historische, politische, ästhetische und philosophische Reflexionen ein. Die geschlechtliche Anziehung ist eines der kosmischen Ordnungsprinzipien, so lautet Jüngers Botschaft. Das Spiel der Geschlechter freilich vollzieht sich bei ihm vornehmlich als Überwältigung. Insbesondere begleitet Eros den Krieg. Das ist schon in Jüngers Erstling von 1920 In Stahlgewittern so und setzt sich in den Strahlungen fort. Während Jünger sich im Kino mit der Kontoristin vergnügt, flimmert über die Leinwand die Wochenschau mit Bildern angreifender Panzer. Der bloße Anblick der Vernichtungsmittel, so Jünger, löst im Publikum Schreie der Furcht aus. Zeugung und Tötung werden zu simultanen Vorgängen: etwa in der Umarmung von Spinnen-Frau und Tiger-Mann oder wenn Paris gleich einem Blütenkelche daliegt, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird, wie es in dem wohl berühmtesten Jünger-Notat vom 27. Mai 1941 heißt. Zur Erotisierung der Weltkriegstagebücher dürfte nicht wenig ein geheimes Liebesverhältnis Ernst Jüngers beigetragen haben. Er unterhielt es mit der in Paris lebenden deutschstämmigen und ebenfalls verheirateten Kinderärztin Sophie Ravoux (1906 bis 2001). Der Germanist Tobias Wimbauer hat 1999 in seinem Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers darauf hingewiesen, daß die Ärztin unter mehreren Decknamen in den Strahlungen auftritt, zumeist als Doctoresse, aber auch als Madame Dankart beziehungsweise als Madame Dancart, Madame dArmenonville, Charmille oder Camilla. Ihr wahrer Name fällt dagegen nicht. Durch diesen Kunstgriff gelingt es Jünger, der als Tagebuchautor sein Privatleben eher ver- als enthüllte, den Topos von Eros und Krieg in seiner Selbststilisierung aufzugreifen, ohne allzu Intimes preiszugeben. Ernst Jüngers Frau allerdings wußte von der Affäre mit der Ärztin. Wie Wimbauer im vergangenen Jahr mit Hilfe eines nachgelassenen Briefes Gretha Jüngers an Sophie Ravoux offenbart hat, hatte die Betrogene bis 1948 dreimal von dem Verhältnis erfahren und der Rivalin daraufhin sogar die Scheidung angeboten. Neben künstlerischen Erwägungen dürfte für Jünger Rücksichtnahme auf seine Frau eine Rolle gespielt haben, als er alle eindeutigen Spuren der Affäre für die Veröffentlichung aus den Aufzeichnungen getilgt hat. In seinen Pariser Manuskripten allerdings schreibt Jünger noch unverschlüsselt über das Verhältnis zu Sophie Ravoux. Die Lektüre des Originaltextes zeigt, daß die Strahlungen nicht nur ein Kriegstagebuch, sondern auch die Chronik einer geheimen Liebschaft sind. Von der Jünger-Forschung sind diese Handschriften bislang weitgehend ignoriert worden. Sie befinden sich im Nachlaß des 1998 verstorbenen Autors im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Hier liegt auch der Briefwechsel Ernst Jüngers mit Sophie Ravoux aufbewahrt; er befindet sich jedoch noch unter Verschluß. Bei den originalen Diarien handelt es sich insbesondere um ein vollständiges Manuskript auf Büttenpapier: die Journale. Ihnen liegen Rohfassungen zugrunde, die Jünger in Kladden den sogenannten Tagebüchern notiert hat. Die Sophie Ravoux betreffenden Aufzeichnungen sind von Jünger mehrfach überarbeitet worden. Zuletzt hat er bei der Revision der Journale den Namen Sophie durch die Decknamen ersetzt. Ernst Jüngers schriftstellerischer Umgang mit der Affäre ist aufschlußreich für die Bewertung der Strahlungen als literarisches Tagebuch. Daß es sich bei Jüngers Weltkriegs-Diarium um ein solches handelt, ist allgemein anerkannt. Für Leser, die es sich nicht so einfach machen, literarische Tagebücher als gänzlich fiktiv zu betrachten, ist jedoch die Schwierigkeit geblieben, zu beurteilen, inwieweit Jüngers Notaten ein dokumentarischer Wert zugesprochen werden kann beziehungsweise inwieweit sie als Fiktionen anzusehen sind. Tobias Wimbauer etwa hat unter gehöriger interpretatorischer Anstrengung die obenzitierte Beschreibung eines Fliegerangriffs auf Paris als Fiktion und Chiffre für das Verhältnis Jünger/Ravoux gedeutet. Während ihm für diese These jedoch der Beweis fehlt, kann durch die Untersuchung der Pariser Handschriften Jüngers die Fiktionalität eines Strahlungen-Notats erstmals eindeutig nachgewiesen werden. Dort hat der Autor zweifelsfrei sein Liebesverhältnis chiffriert. Die Spur legt Jünger in den Strahlungen mit einem belanglos erscheinenden Eintrag. Unter dem 6. Dezember 1941 notiert er: Besuchte Madame Dankart, von der ich zum Abendessen eingeladen war. Wir tranken dazu eine Flasche Pommard, um deren Hals ein bunter Erntekranz gebunden war. Im Journal dagegen schreibt Jünger unter dem gleichen Datum: Besuch bei Madame R., von der ich zum Abendessen eingeladen worden war. Wir tranken dazu ein Glas Pommard, um deren Hals ein buntes Kränzlein prangte, dann Pommery. Auf das Etikett schrieb ich die Prophezeiung: Chère amie, vous aurez une cuite , die sich bewahrheitete. Saßen im Traumstuhl, als ich dann um 11 Uhr die letzte Métro erreichen wollte, setzte draußen gleich ein Wolkenbruch ein, der mich zu bleiben zwang. Bei der Revision nimmt der Autor einige Streichungen und Änderungen im Manuskript vor. Er ersetzt unter anderem das Glas durch eine Flasche Pommard, tilgt den Pommery aus der Getränkeliste und verwandelt Madame R. in die Doctoresse. Vor allem jedoch und frappierenderweise verkehrt Ernst Jünger den Ausklang des Abends in sein Gegenteil; er formuliert nun: Inmitten eines Wolkenbruches erreichte ich die letzte Bahn. Doch trotz der Retuschen entschließt sich der Tagebuchschreiber gegen eine Veröffentlichung der pikanten Textstelle. Daß Ernst Jünger in Wahrheit den Regen gescheut und die Nacht mit der Ärztin verbracht hat, legt noch unter dem gleichen Datum der folgende Abschnitt im Journal nahe: Als ich in der Nacht erwachte, fühlte ich, wie Sophie mit ganz zarten, schlanken Fingerspitzen mich abtastete. Sie zog zuerst die Hände nach, jeden Finger einzeln, besonders dort, wo die Nägel ansetzen. Wie die mit roter Tinte abgefaßten Notizen auf der Manuskriptseite zeigen, entscheidet der Autor bei der Revision, diese Sätze für die Veröffentlichung einem anderen Datum zuzuordnen. Er merkt zunächst den 12. Dezember 1941 vor, wählt aber später den 8. Dezember. Tatsächlich findet sich unter diesem Datum in den Strahlungen eine sehr ähnliche, doch entscheidend modifizierte Passage: Im Traume fühlte ich, wie Dorothea, aus alten Kinderzeiten wiederkehrend, mich anflog und mit ganz zarten, schlanken Fingerspitzen abtastete. Sie zog zuerst die Hände nach, jeden Finger einzeln, besonders dort, wo die Nägel ansetzen. Indem Jünger die Zärtlichkeiten der Geliebten in die Traumsphäre verlegt, ein neues Datum und mit Dorothea aus alten Kinderzeiten neues Personal einsetzt, beschreibt er sie als unverfänglich. Doch verfaßt er nun keinen dokumentarischen, sondern einen fiktionalen Text. Nach der Nacht bei Madame R. durchziehen Abendessen, Frühstücke und Spaziergänge mit der Doctoresse beziehungsweise Sophie Jüngers Pariser Tagebuchaufzeichnungen bis ins Frühjahr 1943. Daß zu diesem Zeitpunkt die Frau des Autors einschreitet und ihn vor die Wahl zwischen ihr und der Geliebten stellt, läßt sich in der Urfassung in einer der Kladden nachlesen. Dort trägt Jünger unter dem 6. März 1943 ein: Dann mit S. in einem Bistro an der Sorbonne, zur zweiten Aussprache. Meine Rolle in diesem Konflikt ähnelt der des Richters beim salomonischen Urteil, doch bin ich auch das Kind zugleich. Ich muß mich der zusprechen, die mich nicht teilen will. Damit kehre ich auch zur Gerechtigkeit zurück, die meinem Leben bis hierher mangelte. In den Journalen und Strahlungen vermerkt der Autor die entscheidende Begegnung zwar, jedoch nicht mehr als Aussprache. Er schreibt nun neutral: Ich aß dann mit Sophie in einem Bistro nahe der Sorbonne. Die Reflexion über seine Rolle im Dreiecksverhältnis mit Sophie Ravoux und Gretha Jünger formuliert der Autor um zu einem allgemeingültigen Ratschlag an seine Leser: Unter uns Männern. Zwischen zwei Frauen kann unsere Lage der des Richters beim salomonischen Urteil ähneln doch sind wir das Kind zugleich. Wir müssen uns der zusprechen, die uns nicht teilen will. Die Sentenz erscheint erst am Ende des Eintrags. Der Autor hat sie von ihm durch mehrere Absätze getrennt, der Zusammenhang mit der Bistro-Szene ist dadurch aufgelöst. Allerdings ergänzt den Abschnitt im Journal ein kurzer, vermutlich persönlich gewendeter, später nicht gedruckter Satz. Er ist leider nicht zu entziffern. Den Ausgang der Entscheidung hat Ernst Jünger aus den Tagebüchern nicht in die späteren Fassungen übernommen. Unter dem Datum des Folgetags der Aussprache, des 7. März 1943, heißt es: Über meine Veränderung gegenüber S. Wie plötzlich und überraschend, es leuchteten auf dem Grunde Heilsfragen auf, die auf dem Spiele stehen. Das gibt mir Kraft, und ich fühle, daß meine Entschlüsse wohltätig sind. Die starken Anrufe Ps , die bis zum Grunde gingen, nehmen die Schleier von den Dingen fort. An einer der Seinebrücken, doch nicht an der, an der ich den Ring ins Wasser geschleudert habe, gab S. mir ihren Abschiedsbrief. Aber die Trennung von der Geliebten war nicht von Dauer. Bereits vom April 1943 an verzeichnet Ernst Jünger in seinem Diarium wieder Begegnungen mit der Ärztin. Mitte August 1944 muß er Paris auf dem Rückzug vor den Alliierten verlassen. Sein letzter Eintrag gilt dem Abschied von einer gewissen Madame dArmenonville; so zumindest lautet ihr Name im Journal und in den Strahlungen. Im Tagebuch nennt der Autor sie Ch., also Charmille. Die Affäre scheint noch einige Jahre eine Fortsetzung erfahren zu haben. In Ernst Jüngers Diarien taucht Sophie Ravoux allerdings erst 1972, im zweiten Band von Siebzig Verweht, erneut auf. Inzwischen ist der Autor nach dem Tod Gretha Jüngers ein zweites Mal verheiratet. Aus der Pariser Ärztin ist eine gute Freundin geworden: Sie darf nun unter ihrem richtigen Namen im veröffentlichten Tagebuch erscheinen. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.01.2006 Seite 35 _______________________________________________________________ SMS schreiben mit WEB.DE FreeMail - einfach, schnell und kostenguenstig. 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