Artikel erschienen am Mi, 11. Januar 2006   DIE WELT
        
                
Cary Grant sah auf dem Trip Babys
LSD-Erfinder Albert Hofmann wird 100 Jahre alt. Seine Droge inspirierte nicht 
nur die Beatles und Ernst Jünger

von Matthias Heine

Es ist gewiß nur ein Zufall, daß die zwei bekanntesten Protagonisten des LSD so 
alt geworden sind: Ernst Jünger starb 1998 mit 102 Jahren, und sein Freund 
Albert Hofmann, der rüstige Erfinder der Droge, begeht heute seinen 100. 
Geburtstag. In jenen Kreisen, wo man LSD immer noch viel Gutes zutraut, wird 
das als Beweis für dessen gesundheitsfördernde Kraft gedeutet. Vielleicht wirkt 
bei den Drogenpionieren aber eher derselbe Effekt, der auch Mönche, die ein 
Dasein in mystischer Versenkung führen, häufig so lange leben läßt.

Denn der Kult ums LSD hatte immer Züge einer Religion. In der von Rolf-Dieter 
Brinkmann 1969 herausgegeben Anthologie "Acid. Neue amerikanische Szene" kommt 
ein Hippie zu Wort, der seinesgleichen von der älteren Beat-Generation um 
Kerouac und Ginsberg abgrenzt: "Die Hippies sind sehr religiös. Die Beats sagen 
noch: Gott ist tot. Und ich kenne keinen Hippie, der so etwas sagen würde." Die 
Erfahrung der Ich-Auflösung, die alle Probanden der Droge mal euphorisch, mal 
ängstlich erleben, ähnelt dem von Freud in "Das Unbehagen in der Kultur" 
beschriebenen "ozeanischen Gefühl", das die Grundlage jeder Mystik sein soll. 
Der umstrittenste Prophet der chemisch fundierten LSD-Kirche ist sogar gen 
Himmel gefahren: Timothy Leary, der große Demokratisierer des 
Lysergsäurediäthylamid, ließ die Urne mit seinen sterblichen Überresten ins 
Weltall schießen.

Einer Bekehrungsgeschichte, wie der von Luthers Blitzschlag oder Buddhas Baum, 
gleicth auch Albert Hofmanns Bericht über seine Entdeckung der halluzinogenen 
Wirkung des LSD am 16. April 1943. Der Schweizer, der fünf Jahre zuvor den 
Wirkstoff des seit alters her bekannten Mutterkornpilzes isoliert und chemisch 
modifiziert hatte, träufelte sich zufällig etwas davon auf Haut. Danach 
bemerkte eine erleuchtete Stimmung bei sich.

Drei Tage später macht er einen Selbstversuch mit einer erhöhten Dosis, die er 
sich oral verabreichte - und kommt auf den ersten LSD-Horrortrip der 
Geschichte. "17 Uhr: Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Lähmungen, Lachreiz", 
notiert er. Was dann passiert, steht in seinen Memoiren "LSD, mein Sorgenkind": 
"Alles im Raum drehte sich, und die vertrauten Gegenstände nahmen groteske, 
meist bedrohliche Formen an. Die Nachbarsfrau, die mir Milch brachte, erkannte 
ich kaum wieder. Das war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, 
heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze." Bald darauf wird LSD als 
Lockerungsmittel in der Psychotherapie eingesetzt.

LSD bleibt als Medizin im Gebrauch, bis die USA es 1966 verbieten. Der 
berühmteste aller Patienten weiß nur Gutes über das Mittel zu berichten: Cary 
Grant ging unter Aufsicht seines Psychiaters Oscar Janiger auf fast 100 Trips. 
Sie halfen ihm, Kindheitstraumata und Potenzprobleme zu überwinden. Seine 72. 
Drogenerfahrung im April 1962 beschreibt der Filmstar so: "Ich merkte, wie das 
Licht im Raum intensiver wurde, und in kurzen Abständen, erschienen mir 
Visionen, jedesmal, wenn ich meine Augen schloß. Ich schien in einer Welt 
gesunder, rundlicher kleiner Babybeine in Windeln versetzt. Blut war 
verschmiert, eine Art genereller Menstruationsaktivität fand statt. Davor 
ekelte ich mich aber nicht so wie sonst."

Doch nicht solche unappetitlichen Bewußtseinserweiterungen einer sauberen 
Hollywood-Ikone brachten LSD in Mißkredit, sondern sensationelle Fälle, bei 
denen Menschen im Rausch aus dem Fenster sprangen, weil sie glaubten, fliegen 
zu können. Das war eine Folge seiner Popularität bei den Hippies. Dafür 
verantwortlich war Leary. Er bestellte 1961 eine Million LSD-Einheiten bei 
Hofmann um flächendeckend das Bewußtsein der Amerikaner zu erweitern. Und er 
predigte, daß jeder sich mit der Droge von der Krankheit der Zivilisation 
kurieren könnte. Die junge Popkultur hört auf ihn: Die Beatles besangen LSD in 
"Lucy in the Sky with Diamonds" und The Grateful Dead improvisierten endlos, 
weil die Droge das Zeitgefühl verändert. Vor allem versuchten Grafiker, 
Architekten und Designer die optischen Visionen eines Trips nachzubilden. Ohne 
Hofmanns Erfindung hätte es Lavalampen und Prilblumen nie gegeben.

Doch Leary war Albert Hofmann und erst recht dem Geistesaristokraten Ernst 
Jünger immer verdächtig, weil zu hemdsärmelig-amerikanisch. Der Unterschied 
zwischen ihnen und Leary war so groß wie der zwischen zwei Mysterienpriestern, 
die ihr Geheimwissen auf Eingeweihte begrenzen wollten, und einem wüsten 
Laienprediger, der in Las Vegas auf Wunsch Heiratswillige auch in 
Alien-Verkleidung traut. Dagegen schrieb Jünger in seinem großen Essay 
"Annäherungen. Drogen und Rausch", "Ochsenhändlern" vermöge der Rausch ohnehin 
nur "Herden von Schlachtvieh" vorzugaukeln und Sekretärinnen erschauten 
vermutlich nur "Berge von Schlagsahne".

In demselben Buch protokolliert Jünger einen Trip, auf den er und Albert 
Hofmann am 7. Februar 1970 gingen: "10.25 Keine Feile zum Öffnen der Ampullen; 
sie mußte im Dorf besorgt werden." Die Herren hörten Mozarts Konzert für Harfe 
und Flöte in C-Dur dabei, waren aber enttäuscht, weil ihnen die Musik immer nur 
"wie das Drehen von Porzellansfiguren" erschien. Dabei gehört doch der 
synästhetische Effekt, daß man Töne plötzlich sehen kann, zu den immer wieder 
beschriebenen schönsten LDS-Sensationen. Auf ihren früheren Trips hatten die 
beiden Männer auch schon dergleichen erlebt.

Im Drogenrausch Mozart zu hören, scheint heute irgendwie unpassend. Doch 
Jünger, Hofmann und die Hippies trieb - bei allen Unterschieden - eine 
altmodische Sehnsucht nach mystischen Erfahrungen. An die Stelle der kraftlos 
werdenden alten Religion war im 19. Jahrhundert bei den gebildeten Schichten 
zunächst die Kunstreligion getreten. Und Mozart war einer von deren Göttern.

Dann beschrieb Hugo Friedrich "leere Transzendenz" als eines der Wesensmerkmale 
moderner Lyrik. Mit Hilfe seines Buches über Rimbaud, Baudelaire, Apollinaire & 
Co kann man aber auch die Songtexte von den Doors und Jefferson Airplane besser 
verstehen. Denn die psychedelischen Drogen schienen am Ende eines 200jährigen 
Säkularisierungsprozesses ein letztes Mal Spiritualität zu ermöglichen. Die 
Pforten der Wahrnehmung waren die Flügel eines Klappaltars, der eine bunte 
Pop-Postkarte des Himmelreichs zeigte. Kein Wunder, daß LSD heute keine Rolle 
mehr spielt. Denn Drogen nimmt man nur noch, um länger Sex zu haben und länger 
tanzen zu können.


        

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