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Klimaretter.info - 18.05.2012

 "Technologische Lösungen allein reichen nicht"

Vor einigen Tagen hat eine Projektgruppe [1] der Enquete-Kommission "Wachstum, 
Wohlstand, Lebensqualität" ihren Zwischenbericht [2] vorgestellt. Ihre Aufgabe: 
herauszufinden, ob sich Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln 
lassen. Der Abgeordnete Hermann Ott (Bündnis 90/Die Grünen) ist Vorsitzender 
der Projektgruppe.

Interview: Eva Mahnke

klimaretter.info: Herr Ott, Aufgabe Ihrer Projektgruppe war es herauszufinden, 
ob sich Wachstum und Wohlstand vom Ressourcen- und Umweltverbrauch entkoppeln 
lassen. Ein Bruttoinlandsprodukt mit verheißungsvoll steigenden Wachstumsraten 
bei gleichzeitiger drastischer Senkung des Ressourcenverbrauch - geht das?

Hermann Ott: Ja, prinzipiell ist das möglich. Allerdings nicht auf die Art und 
Weise, wie wir das bisher gemacht haben. Eine der wesentlichen Erkenntnisse 
unserer Projektgruppe ist, dass wir das über rein technologische Lösungen nicht 
hinbekommen. Es gibt keinen einzigen Fall der erfolgreichen Reduktion des 
Ressourcen- oder Energieverbrauchs ausschließlich durch technologische 
Maßnahmen.

klimaretter.info: Geben Sie uns ein Beispiel.

Ott: Das griffigste Beispiel ist der durchschnittliche Verbrauch von Autos. 
Zwar ist die Technologie hier ungeheuer vorangeschritten und steht in keinem 
Vergleich mehr zu den Dinosauriern, die noch vor 40 Jahren auf den Straßen 
fuhren. Der Durchschnittsverbrauch aber ist trotz enormer Effizienzfortschritte 
kaum gesunken.

klimaretter.info: Wie lässt sich das erklären?

Ott: Die Autos sind eben nicht nur effizienter, sondern auch schneller, 
stärker, bequemer und schwerer geworden sind. Das frisst die Einsparungen 
wieder auf. Diesen Effekt hat der Ökonom und Philosoph William Stanley Jevons 
schon 1865 beschrieben. Das Jevons-Paradox [3] besagt, dass eine erhöhte 
Effizienz bei gleichbleibenden Preisen nicht zu einem sinkenden Verbrauch 
führt. Das ist mir und vielen anderen Mitgliedern der Projektgruppe so in aller 
Deutlichkeit erst jetzt klar geworden. Da muss man von liebgewordenen 
Überzeugungen Abschied nehmen.

klimaretter.info: Das Jevons-Paradox wird heute unter dem Begriff 
Rebound-Effekt diskutiert. Wie kann die Politik gegen das Phänomen vorgehen?

Ott: Wie schon gesagt, technologische Maßnahmen allein reichen niemals aus. Sie 
müssen von politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Maßnahmen 
flankiert werden. Die effektivste dieser Maßnahme sind Obergrenzen. Das heißt, 
entweder darf nur eine bestimmte Menge an Ressourcen verbraucht werden oder die 
Produktion von Abfallstoffen darf eine vorgegebene Menge pro Einheit eines 
Produkts nicht überschreiten.

klimaretter.info: Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Ott: Man kann auch über die Gestaltung der Preise gehen. Die Auflösung des 
Jevons-Paradox geht so: Wenn man die Preise in gleichem Maße erhöht, wie die 
Effizienz steigt, hat man dieselben Ausgaben wie zuvor und gerät nicht in 
Versuchung, das, was man gespart hat, wieder rauszufeuern. Etwa könnte man eine 
Ökosteuer parallel zu den Effizienzsteigerungen ansteigen lassen.

Und es gibt noch eine dritte sehr wirksame Maßnahme: die Streichung von 
Subventionen umwelt- und klimaschädlicher Aktivitäten. Laut Umweltbundesamt 
belaufen sich die direkten und indirekten Subventionen in Deutschland auf 48 
Milliarden Euro pro Jahr.

klimaretter.info: Der Endbericht Ihrer Projektgruppe wird im September 
erscheinen. Stehen alle Mitglieder hinter diesen Vorschlägen?

Ott: Wir werden wahrscheinlich keine Einigkeit darüber erlangen, welche 
konkreten Maßnahmen die Politik zum Schutz einer bestimmten Ressource ergreifen 
soll. Unser Endbericht wird aber auf jeden Fall eine Art "Instrumentenkasten" 
enthalten, der Auskunft darüber gibt, was sich in der Praxis gut bewährt hat 
und welche Maßnahme wie ausgestaltet werden kann.

Über diesen "Instrumentenkasten" wollen wir mit allen Fraktionen einen Konsens 
hinkriegen. Wenn den alle unterschreiben, werden die Vorschläge in die Parteien 
und in die Gesellschaft hineinwirken. Ich bin optimistisch, dass wir das 
schaffen, weil alle hier in der Gruppe in hohem Maß von Kooperation und 
Erkenntnisinteresse geprägt sind.

klimaretter.info: Sie haben ein eigenes Gutachten zum Rebound-Effekt in Auftrag 
gegeben. Hier findet sich der Satz: Diese festen Obergrenzen für den 
Ressourcenverbrauch "würden sich möglicherweise negativ auf das 
Wirtschaftswachstum auswirken." Sind sich alle Mitglieder der Projektgruppe 
einig, dass man zugunsten von mehr Ressourcen- und Umweltschutz auf Wachstum 
verzichten muss?

Ott: Ich persönlich und wohl die meisten aus der Opposition würden das so 
formulieren, und auch einige aus der Koaltion. Wir müssen natürlich alles dafür 
tun, zum Beispiel die Reduktion von Treibhausgasen so wohlstandsfreundlich wie 
möglich zu gestalten. Wenn diese Reduktion aber negative Auswirkungen auf 
unsere Wirtschaft hat, werden wir den Rückgang des Wachstums hinnehmen müssen.

Ich vermute allerdings, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zunächst sogar 
wachsen könnte, weil wir mit der sozial-ökologischen Transformation unserer 
Wirtschaft das größte Infrastrukturprojekt vor uns haben, das die Welt je 
gesehen hat. Es geht ja um die komplette Erneuerung unserer Energieversorgung, 
des Gebäudebestandes, der Industrie. Das wird zunächst sogar dazu führen, dass 
wir mehr Energie und andere Ressourcen verbrauchen. Das sollte uns aber auch 
nicht schrecken, weil die Belastung mittel- und langfristig stark zurückgehen 
wird.

Wichtig ist meiner Ansicht nach, dass wir uns davon lösen, immer nur auf die 
Dichotomie Wachstum - Schrumpfung zu starren, die ich als ungeheuer fruchtlos 
empfinde. Wenn man sich auf diese Ebene begibt, gerät man gleich in ein 
ungeheures ideologische Kampfgetümmel. Man kann einen Fetisch nicht mit einem 
Anti-Fetisch bekämpfen. Wir müssen unsere sozialen, ökologischen und sonstigen 
Ziele verfolgen - etwa die Verhinderung der Klimakatastrophe. Wie sich das auf 
das BIP auswirkt, interessiert erst im Nachgang. 

klimaretter.info: Die Übernutzung von Ressourcen ist ein globales Problem. 
Macht ein nationaler Alleingang Deutschlands überhaupt Sinn?

Ott: Diese Frage ist ein wichtiger Streitpunkt in der Projektgruppe. Ein 
Gutachten des Ökonomen Joachim Weimann [4], das zu dieser Frage in Auftrag 
gegeben wurde, kommt vor dem Hintergrund einer sehr neoliberalen Weltsicht zu 
dem Schluss, dass Länder, die international eine Vorreiterrolle einnehmen, 
ökonomisch bestraft werden. Diese Überzeugung teile ich persönlich nicht.

Allerdings sagt selbst Weimann, dass es ethische Gründe für diese 
Vorreiterrolle geben kann. Wenn man also - trotz ökonomischer Nachteile - 
Vorreiter sein will, muss man sich mit möglichst vielen zusammen tun, die 
genauso denken. Das fällt mit meiner Analyse der Klimaverhandlungen zusammen. 
Hier bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir nicht darauf warten dürfen, bis 
alle mitmachen. Wir brauchen eine Klimapolitik der unterschiedlichen 
Geschwindigkeiten. Und Deutschland sollte auf jeden Fall zu den Vorreitern 
gehören.

klimaretter.info: Und dann hofft man darauf, dass die anderen Staaten sich 
ebenfalls in ihrem Ressourcen- und Umweltverbrauch beschränken?

Ott: Ja, darauf muss man dann hoffen. Man kann aber bestimmte Maßnahmen 
treffen, wie die Erhebung von Einfuhrzöllen für Staaten, die sich nicht 
beteiligen, oder bevorzugte Handelsbedingungen für beteiligte Vorreiterstaaten.

klimaretter.info: Und wie steht der Rest Ihrer Projektgruppe zur Frage, ob die 
Pionierrolle Deutschlands dem Land ökonomisch schaden würde?

Ott: Wie wir uns positionieren werden, ist derzeit noch offen. Es kann sein, 
dass wir hier beide Ansichten gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen.

Im Text verwendete Links:

1. 
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/gremien/enquete/wachstum/projekt/gruppe_3
 
2. 
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/gremien/enquete/wachstum/drucksachen/81_zwischenbericht_pg3.pdf
 
3. http://de.wikipedia.org/wiki/Jevons-Paradoxon 
4. http://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Weimann 

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