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11.04.2014

ÖKOSTROMREFORM

Gabriel lässt Mieter im Regen stehen

Von der Solarförderung profitieren bislang nur die Eigenheimbesitzer. Dank
neuer Geschäftsmodelle sollen auch Mieter kassieren. Doch die geplante
EEG-Reform könnte die ungerechte Verteilung zementieren

von Dana Heide

DÜSSELDORF. Es waren entschlossene Worte, die der Bundeswirtschafts- und
Energieminister Sigmar Gabriel in seinem ihm eigenen Sprachduktus noch vor
zwei Jahren den Deutschen entgegen rief: „Rauf damit auf die Mietskasernen,
damit auch sie ihren eigenen Strom produzieren können“, sagte er. Gemeint
hatte er damit Solaranlagen.

Denn immer wieder zeigen Studien, dass von der Solarförderung bisher vor
allem Eigenheimbesitzer profitieren - wer zur Miete wohnt, geht leer aus.
Zugespitzt ausgedrückt: Die Häuslebauer kassieren die Solarförderung, die
Mieter bezahlen die Zeche über ihre Stromrechnung. Das ist ungerecht, fand
der SPD-Chef, damals noch in der Opposition. Doch die von ihm als Minister
maßgeblich gestaltete Energiereform droht jetzt, diese Ungerechtigkeit noch
zu zementieren.

Denn mit der am Dienstag von der Regierung beschlossenen Novellierung des
EEG-Gesetzes zur Förderung von Solarkraft und Co. sollen Mieter, die den
Strom von der Solaranlage auf dem Dach ihres Mietshauses kaufen, kräftig zur
Kasse gebeten werden. Schon jetzt müssen sie 4,3 Cent EEG-Umlage statt der
vollen 6,24 Cent bezahlen, eine Ermäßigung von rund 2 Cent gewährte ihnen
den Gesetzgeber also immerhin. Damit soll jetzt Schluss sein.
Energieminister Gabriel will, dass Mieter für den Solarstrom auf dem Dach
ihres Mietshauses die volle EEG-Umlage zahlen.

Zwar will die Regierung auch Eigenheim-Besitzer stärker zur Kasse bitten.
Sie sollen jedoch nur 50 Prozent statt 100 Prozent der Umlage zahlen müssen.
Kleinstanlagen bleiben sogar ganz von der Zahlung der Ökostromsubvention
befreit.

Die beschlossene volle Einbeziehung des Mietermodells in die Verpflichtung
zur Zahlung der EEG-Umlage könnte gerade in Gang kommende Geschäftsmodelle
im Keim ersticken. Die Solarindustrie und Verbraucherschützer laufen Sturm.
Ein von ihnen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kann zu dem Ergebnis,
dass die neue Regelung zum Eigenstromverbrauch gegen den
Gleichheitsgrundsatz in der deutschen Verfassung verstoße. Denn
Industrieunternehmen, die ihren eigenen Strom produzieren, sollen nach dem
Willen der Bundesregierung ganz von der neuen Eigenstromregelung ausgenommen
werden.

Der Mieterbund bekräftigte gegenüber Handelsblatt Online seine
grundsätzliche Forderung, den Mietersolarstrom mit dem Solarstrom, den
Eigenheimbesitzer für den eigenen Bedarf erzeugen, gleichzusetzen.

Entlastung der EEG-Kasse durch Mieterstrom

„Eine Familie, die zur Miete wohnt, zahlt nach den Regierungsplänen pro Jahr
bis zu 150 Euro mehr für Solarstrom vom Dach als eine Familie, die sich ein
Eigenheim leisten kann“, kritisiert Lichtblick-Geschäftsführer Gero Lücking
die EEG-Reform. Der deutschlandweit größte Ökostromanbieter ist eines der
ersten Unternehmen, die aus dem Vermieter-/Mieter-Solarstrom ein
Geschäftsmodell gemacht haben. Seit Anfang März bietet Lichtblick im
Berliner Stadtteil Hellersdorf gemeinsam mit der
Stadt-und-Land-Wohnbauten-Gesellschaft 1000 Mietparteien in 50 Mietshäusern
Solarstrom von ihrem eigenen Dach an.

Auch der Düsseldorfer Ökostrompionier Naturstrom hat das Geschäftsmodell vor
kurzem für sich entdeckt und bietet 100 Mietern in der Nähe von Heidelberg
an, Strom von einer Solaranlage auf ihrem Dach zu beziehen. Der Preis dafür
liege sogar unter dem Kilowattpreis des örtlichen Standardversorgers, heißt
es vom Unternehmen.

Die jetzt beschlossene Benachteiligung des Vermieter-/Mieter-Modells könnte
diese Geschäftsmodelle jedoch unrentabel machen. Und damit eine eigentlich
gewünschte Entwicklung abwürgen: Die dezentralere Stromversorgung und die
Loslösung der Erneuerbaren Energien vom Subventionstopf.

„Wenn der Kabinettsbeschluss umgesetzt wird, bedeutet das das Aus für viele
Mieterstrom-Projekte“ warnt Lichtblick-Geschäftsführer Gero Lücking
gegenüber Handelsblatt Online. Dabei entlaste allein das erste Projekt in
Berlin-Hellersdorf die EEG-Kasse um 200.000 Euro pro Jahr, weil der
Solarstrom nicht ins Netz eingespeist wird und somit auch keine Subventionen
erhält. In dieser Rechnung berücksichtigt sei dabei auch schon die
Reduzierung des Topfes dadurch, dass die Eigenstromverbraucher nur eine
verminderte EEG-Umlage zahlen müssen.

Wegen der Schwankungen bei der Solarstromproduktion bezögen die Mieter
ohnehin weiter 50 bis 70 Prozent ihres Stroms aus dem normalen Netz - worauf
sie die volle EEG-Umlage und alle weiteren Abgaben und Steuern zahlen wie
jeder andere Bürger in Deutschland auch.

Das Argument der Bundesregierung für die Kürzung der
Eigenverbrauchs-Privilegien ist, dass mehr Stromverbraucher in den EEG-Topf
einzahlen sollen und somit die Last der Kosten für die Energiewende auf mehr
Schultern verteilt wird.

Die Verbraucherzentrale hat jedoch ausgerechnet, dass die nun beschlossenen
verschärften Regeln zum Eigenverbrauch von Ökoenergie den normalen
Stromkunden kaum entlasten werden. 2015 könnte ein durchschnittlicher
Haushalt pro Jahr dann gerade einmal 20 Cent sparen, bis 2018 sollen es
maximal 55 Cent sein. Die 100-Prozent-Regel für den Mieterstrom dürfte sich
in einer ähnlichen Größenordnung bewegen.

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Beschlüsse zu Ökostromgesetz und Industrierabatten

Ausbau-Ziele

Der Ökostrom-Ausbau soll gezielter gesteuert werden: Bis 2025 soll er einen
Anteil von 40 bis 45 Prozent am Verbrauch erreichen, bis 2035 von 55 bis 60
Prozent. Jährlich sollen maximal 2500 Megawatt Solar- und Windenergie an
Land neu gebaut werden, sonst greifen Extra-Förderkürzungen. Beim Wind darf
zusätzlich Ersatz für abgerissene Windräder installiert werden. Der Bau von
Biogas-Anlagen soll drastisch auf 100 Megawatt begrenzt werden, da diese als
teuer gelten und Mais-Monokulturen fördern. Mais ist Rohstoff für Biogas.

Wind auf See

Bis 2020 sollen 6,5 Gigawatt installiert und bis 2030 dann 15 Gigawatt in
Nord- und Ostsee gebaut werden. Dies ist weniger als früher vorgesehen.
Dafür wurden aber die Förderkonditionen noch einmal vor allem auf Druck der
Küstenländer leicht verbessert.

Förderhöhe

Die Fördersätze für Strom aus Neuanlagen sollen - bis auf Solar - überall
nochmals gekürzt werden. Bei Windenergie an guten Standorten, vor allem der
Küste, soll der garantierte Abnahmepreis um 10 bis 20 Prozent schrumpfen.
Bei Biogas wird eine Reihe von Zuschlägen gestrichen.

Ökostrom-Vermarktung

Bislang verkaufen die Netzbetreiber die Energie an der Börse für die
Anlagenbetreiber, diese erhalten wiederum auf 20 Jahre festgelegte
Abnahmepreise. Künftig muss Strom aus allen größeren Anlagen selbst verkauft
werden. Dazu gibt es eine Prämie, die die Lücke zu den garantierten Tarifen
schließt. Ab 2017 soll die Prämie vorab als Aufschlag auf den Marktpreis per
Auktion für Investoren festgelegt werden. Wer die geringste Prämie verlangt,
bekommt den Zuschlag zum Bau eines Windparks oder einer
Solar-Freiflächenanlage. Der Investor hat nun das Risiko sinkender und die
Chance steigender Börsenpreise.

Industrie-Rabatte

Die EU hatte die Rabatte der Industrie von über fünf Milliarden Euro auf die
Umlage der Verbraucher, mit der die Ökostrom-Förderung bezahlt wird, als
verbotene Beihilfe angegriffen. Die jetzt erreichte Einigung wird im Mai
verankert: Für 65 energieintensive Branchen werden 15 Prozent der Umlage
fällig, aber nur bis zu einer Obergrenze von vier Prozent gemessen an der
Bruttowertschöpfung des jeweiligen Unternehmens. Bei besonders großen
Verbrauchern - etwa Aluminium- oder Stahlbetrieben - kann die Grenze bis auf
0,5 Prozent sinken. Unternehmen, die schon vor 2012 Rabatte bekommen hatten,
aber nun nicht mehr unter die Kriterien fallen, müssen 20 Prozent der Umlage
zahlen.

Rabatt-Rückzahlungen

Dass Unternehmen, die in den vergangenen Jahren in den Genuss der Rabatte
gekommen sind, zu Rückzahlungen verpflichtet werden, konnte die
Bundesregierung verhindern. Zudem sollen Übergangsregelungen für die neuen
EU-Bedingungen möglich sein, die sich bis 2018 erstrecken dürfen.

Eigenstrom

Von der Industrie selbst erzeugter Strom bleibt von der Umlage komplett
befreit. Neue Anlagen werden bei Handel und Gewerbe mit der Hälfte und bei
der übrigen Industrie mit maximal 15 Prozent belastet. Ein Viertel des
Industriestroms erzeugen die Betriebe selbst.

Die Deutsche Bahn als größter deutscher Stromverbraucher muss nach
Sonderregeln nun 20 Prozent der Umlage zahlen. Der Konzern hatte
angekündigt, Belastungen auf die Ticketpreise umzulegen.

Bahn

Die Regierung macht nach den Reformen keine Hoffnung auf sinkende
Strompreise, will die Umlage zur Ökostrom-Förderung auf den Rechnungen aber
zumindest stabil halten. Da die Industrie unterm Strich sich nach dem
EU-Kompromiss nicht mehr an der Umlage beteiligt, wird dies den
Privatverbraucher auch nicht entlasten. Die Umlage beträgt 6,24 Cent pro
Kilowattstunde oder gut 200 Euro im Jahr für den Durchschnittshaushalt.

Strompreise für Haushalte

Zeitplan

Das Gesetz soll bis Ende Juni den Bundestag passieren und im Juli den
Bundesrat. Damit soll es Anfang August in Kraft treten.




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