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* 26. 04. 2014

28 Jahre nach Tschernobyl

Fitte Vögel dank Radioaktivität

Sie sind größer und haben weniger Gendefekte. Das haben Biologen bei Vögeln
in Tschernobyl festgestellt. Ihre Ergebnisse lassen Raum für Zweifel

PATRICK LOEWENSTEIN

BERLIN taz | Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl liegt 28 Jahre zurück.
Ihre Folgen für Flora und Fauna sind noch immer spürbar. Pünktlich zum
Jahrestag haben Wissenschaftler eine Studie mit positiven Effekten auf
einige Vogelarten veröffentlicht. Die Ergebnisse der Studie sind allerdings
hochumstritten.

Biologen der Universität Paris-Süd haben in und nahe der radioaktiv
verseuchten Sperrzone Vögel untersucht. Die Tiere seien größer und hätten
weniger genetische Schäden, als solche in weniger belasteten Gebieten,
berichten sie im Fachjournal Functional Ecology [1].

Das Team um Ismael Galván hat 150 Vögel gefangen, die 16 verschiedenen Arten
angehören, darunter Amseln, Rauchschwalben und Kohlmeisen. Dann wurden
Blut-, Sperma und Federproben untersucht, dabei zeigte sich, dass Tiere, die
an stärker belasteten Orten gefangen wurden, fitter sind. Neben der erhöhten
Körpergröße wiesen sie eine größere Konzentration eines sogenannten
Antioxidans auf, das im Organismus zur Abmilderung von Strahlenschäden
zuständig ist. Das könnte die Ursache für die geringeren Strahlenschäden an
der DNS der Vögel sein, folgern die Wissenschaftler.

Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass sich zumindest manche Wildtiere an
eine erhöhte Strahlenbelastung anpassen können, schreiben die Forscher.
Möglicherweise vererbten die Vögel ihren angepassten Stoffwechsel sogar
ihrem Nachwuchs. „Diese Ergebnisse geben uns einen Einblick, welche
unterschiedlichen Möglichkeiten verschiedene Spezies haben, um sich
Herausforderungen wie Tschernobyl oder Fukushima zu stellen“, sagt Galván.

Das sehen viele Wissenschaftler ganz anders. So hält Bernd Grosche vom
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Methode der Datenerhebung für
unzulässig, das gilt auch für viele der getroffenen Aussagen und
Schlussfolgerungen.

Mangelhaftes Versuchsdesign

Hauptkritikpunkt ist das Versuchsdesign: Die Vögel wurden an einem
bestimmten Standort mit Netzen eingefangen. Dort wurde dann mit einem
Dosimeter die Strahlenbelastung der Umgebung gemessen. Daraus einen
Rückschluss auf Dauer und Stärke der Strahlenbelastung der Tiere zu ziehen,
erscheint sehr gewagt. Grosche weist darauf hin, dass unklar ist, wo sich
die Vögel bis zum Zeitpunkt des Fangs aufgehalten haben und wie stark dort
die Radioaktivität war. Gleiches gelte für die Belastung der aufgenommenen
Nahrung.

Als Beleg für die Wertigkeit ihres Dosimetrieverfahrens, also der
Übertragbarkeit von extern gemessener Strahlung auf die interne Belastung
der Vögel, führen die Autoren ein von ihnen verfasstes, aber
unveröffentlichtes Mausskript an. Ein sehr unübliches Verfahren im
Wissenschaftsbetrieb. 

Galván und seine Co-Autoren Mousseau und Møller wurden bereits vor Jahren
wegen methodischer Fehler und, daraus resultierend, nicht zulässiger
Folgerungen von Kollegen international kritisiert [2]. Die Darstellung der
Autoren, dass die Antioxidantien sich durch Radioaktivität vermehrt würden,
kommentiert Grosche so: „Das ist eine Lehrmeinung, die ich bisher so noch
nicht gehört habe.“

Strahlung und Abwesenheit von Menschen

Die beiden wesentlichen Faktoren, die die Flora und Fauna um Tschernobyl
beeinflussen, sind die Strahlenbelastung und die Abwesenheit von Menschen.
Die positiven und negativen Wirkungen der beiden Faktoren überlagern sich.
Die Reduktion der Anpassungseffekte bei den untersuchten Vögeln auf die
Strahlung ist wenig sinnvoll, so Grosche.

Er weist darauf hin, dass man die Messergebnisse auch ganz anders
interpretieren könne: Die Vögel leben in einer von Menschen ungestörten
Umgebung. Das verringert den Stress für die Tiere deutlich. Auch so könnte
sich die Größenzunahme erklären lassen. Ein Effekt, der auch auf ehemaligen
Truppenübungsplätzen zu beobachten ist, die nicht radioaktiv belastet sind.

Martin Steiner, Leiter der AG Radioökologie am BfS, hat eine ähnliche Studie
durchgeführt, bei der es um die radioaktive Belastung von Wildschweinen in
Deutschland ging. Bei seinem deutlich aufwändigeren Versuchsdesign wurden
die Tiere mit Sendern ausgestattet. So konnten Bewegungsprofile erstellt
werden. Auch der Mageninhalt der Wildschweine wurde analysiert, sodass man
die Strahlenbelastung der Nahrung ableiten konnte. Mit einer analogen
Methode hätten Galván und seine Kollegen belastbare Daten erheben können. So
bleibt es bei einer nur auf den ersten Blick spektakulären Studie.

1 http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2435.12283/abstract
2 http://www.biology.ualberta.ca/palmer/pubs/05MollerComm/MollerExchange.htm




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