Blätter für deutsche und internationale Politik
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»Blätter« 5/2014

Chaos und Hegemonie

Ungeachtet der krisenhaften Lage in vielen Regionen der Welt bleibt die
hegemoniale Stellung der USA unangetastet. Den Grund dafür sieht Mohssen
Massarrat, Professor em. für Wirtschaft und Politik, in der unangefochtenen
Rolle des US-Dollars als globaler Leitwährung - über die nicht zuletzt auch
der Handel mit Öl, dem Treibstoff der Weltwirtschaft, abgewickelt wird.
Seine These: Um die Macht des Dollars und damit die Hegemonie der USA zu
verteidigen, setzen diese speziell im Nahen und Mittleren Osten auf eine
Strategie der gezielten Destabilisierung

VON MOHSSEN MASSARRAT*

Mit den Kongresswahlen im Herbst tritt die „Ära“ Barack Obamas in ihre
letzte Phase ein. Bereits kurz nach seinem Machtantritt hatte der neue
US-Präsident für gewaltiges Aufsehen gesorgt, als er das neue pazifische
Jahrhundert ausrief. Doch inzwischen, gut zwei Jahre vor dem Ende seiner
zweiten Amtszeit, sehen wir klarer. In erster Linie diente die Ankündigung
einer angeblichen Neuorientierung in Richtung Pazifik dem Zweck, Europa und
speziell Deutschland unter Druck zu setzen, die scheinbar entstehende
Sicherheitslücke zu füllen.[1]

Faktisch jedoch steht nach wie vor nicht der Pazifik, aber auch nicht -
trotz der Krimkrise - die „Alte (europäische) Welt“ im Mittelpunkt der
geostrategischen Interessen der Vereinigten Staaten, sondern der Nahe und
Mittlere Osten. Denn mit dessen Schicksal steht und fällt die Zukunft der
amerikanischen Hegemonie.

Amerikas Interesse an dieser Region ist so alt wie die riesigen Ölfunde dort
- jedoch gerade nicht, wie fälschlicherweise gemeinhin angenommen wird,
wegen der eigenen Ölversorgung. Die USA waren dank ihrer immensen heimischen
Energieressourcen bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts von Ölimporten
unabhängig, und gegenwärtig sind sie im Begriff, durch die flächendeckende
Anwendung der Fracking-Technik erneut zu Selbstversorgern zu werden. Als
neue Hegemonialmacht nach dem Zweiten Weltkrieg erkannten die Amerikaner
jedoch rasch, dass sie rivalisierende Weltmächte von sich abhängig machen
können, wenn sie den Mittleren Osten mit seinen ungeheuren Ölreserven - und
damit den Treibstoff der Weltwirtschaft - kontrollieren. Ursprünglich
etablierten die USA zusammen mit Saudi-Arabien, ihrem Hauptverbündeten in
der Region, ein globales Ölversorgungsregime, das dem Westen, China und
allen BRICS-Staaten Energiesicherheit gewähren sollte. In diesem Regime
sorgte Saudi-Arabien für eine ständige Überproduktion. Dank dieses durch die
USA politisch gesteuerten Systems erfreuten sich sowohl die westlichen
Verbündeten als auch die Rivalen der USA einer störungsfreien Ölversorgung
zu niedrigen Preisen - und dies trotz zahlreicher politischer Turbulenzen
während der gesamten zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Gleichzeitig
fungierte der an den Ölpreis gekoppelte US-Dollar als die globale
Leitwährung. 

Doch als die neuen ökonomischen Riesen China und Indien Anfang des 21.
Jahrhunderts mit ihrem schier unerschöpflichen Energiehunger begannen, ihre
Versorgung selbst in die Hand zu nehmen, brach das US-beherrschte Ölregime
zusammen. Die Ölmärkte richteten sich fortan nach den Gesetzen der
Preisbildung bei erschöpfbaren Gütern; die Ölpreise stiegen daher drastisch
an und orientieren sich seither an den Marktmechanismen.[2]

Die Ironie der Geschichte: Haben die USA mit dem Verlust ihrer Möglichkeit,
den Ölpreis zu steuern, einen ihrer zentralen politischen Hebel verloren, so
konnten sie gerade durch die neuen, am Weltmarkt herausgebildeten Preise
ihre Hegemonie auf andere Weise drastisch stärken. Denn die hohen Ölpreise
haben den prozentualen Anteil des Ölhandels am Welthandel vervielfacht und
bewirkt, dass auch die Nachfrage nach Dollars und US-Staatsanleihen massiv
angestiegen ist - der Dollar wird somit als Leitwährung auf absehbare Zeit
unschlagbar bleiben.

Hierauf aber gründet sich nach wie vor die eigentliche Dominanz der
Vereinigten Staaten: Mit dem Mittel der unbegrenzten Geldneuschöpfung des
Dollars als globaler Leitwährung verfügen die USA als einzige Ökonomie der
Welt über die Möglichkeit, mehrere Megaprojekte - wie etwa die
Verstaatlichung der Banken und gigantische Rüstungsausgaben - gleichzeitig
zu finanzieren, nämlich durch Staatsverschuldung und die Ausgabe von
Staatsanleihen. Keine andere Volkswirtschaft hätte nach dem Crash von 2008
die Bankenkrise ohne gravierende Folgen aus eigener Kraft bewältigen können.
Doch die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC), deren Finanzbasis im
Wesentlichen eben die Staatsanleihen des US-Finanzministeriums sind,
lieferte den USA das nötige Kapital. Die FDIC ist eine vom US-Kongress
speziell geschaffene Institution, „um Stabilität und öffentliches Vertrauen
in das nationale Finanzsystem herzustellen“. Tatsächlich haben die
Vereinigten Staaten so bereits 2009 sämtliche marode Banken erfolgreich
verstaatlicht, um ihre Schulden abzustoßen und sie anschließend wieder zu
privatisieren, während in der EU aus der Bankenkrise inzwischen längst eine
Staatsschuldenkrise geworden ist.

Dabei sind die globalen Wirtschaftsdaten der USA alles andere als rosig: Die
US-Handelsbilanz weist seit 1987 ungebrochen Defizite auf, die in diesen 26
Jahren angehäufte Defizitsumme beträgt 9627 Mrd. US-Dollar. Ursächlich dafür
ist, dass die US-Ökonomie in Teilen gegenüber ihren Hauptkonkurrenten - der
Europäischen Union, China und Japan - längst nicht mehr wettbewerbsfähig
ist. Hinzu kommen chronisch wachsende Haushaltsdefizite, die aus drastisch
steigenden Rüstungsausgaben resultieren. Mit der seit Jahrzehnten
praktizierten Vergabe von Staatsanleihen und ihrer Geldschöpfung „lösen“ die
diversen US-Regierungen beide Probleme - ihre Leistungsbilanzdefizite und
die folglich immer weiter wachsenden Haushaltsdefizite.

Technisch werden diese beiden Ziele wie folgt umgesetzt: Um die laufenden
Staatsausgaben zu tätigen, tauscht das US-Finanzministerium Staatsanleihen
bei der FED gegen von dieser frisch gedruckte Dollars um - allein in 2013
wurden so 1100 Mrd. Dollar in Umlauf gebracht. Die FED wiederum vermarktet
die Staatsanleihen auf dem Weltmarkt und lenkt so ständig neues Kapital in
die US-Ökonomie, das für den Ausgleich von Leistungsbilanzdefiziten sorgt.
Der Preis für diese Geldschöpfungspolitik ist die gigantische
Staatsverschuldung der USA, die zwischen 2003 und 2013 von 6731 auf 17556
Mrd. Dollar kletterte. Die Staatsquote stieg damit im selben Zeitraum von 60
auf 108 Prozent (zum Vergleich: die der EU von 60 auf „lediglich“ 87
Prozent).

Kein Wunder, dass eine derart unter Leistungsbilanz- und
Haushaltsbilanzdefiziten leidende Wirtschaft sich in eine konsumtive
Überschussökonomie verwandelt hat - mit der größten Staatsverschuldung aller
Zeiten. Diese Konsumüberschüsse betrugen allein zwischen 2001 und 2013
insgesamt 11550 Mrd. Dollar. Im Klartext heißt das: Im Schnitt floss
jährlich mit realen Wirtschaftsleistungen korrespondierendes Kapital aus der
ganzen Welt im Wert von 962,5 Mrd. Dollar in die USA, während Letztere sich
darauf beschränkten, neues Geld zu drucken und in Umlauf zu bringen.

Um es noch anschaulicher zu machen: In 2012 machte die in die Vereinigten
Staaten geflossene Kapitalmasse von 1250 Mrd. Dollar 7,9 Prozent des
US-amerikanischen BIP aus. Dieser zusätzlich in die Wirtschaft geflossene
Kapitalstock erklärt auch, dass die Sparquote der USA in diesem Zeitraum
dramatisch abgesunken ist. Die Amerikaner konsumierten nahezu ihre gesamten
selbst produzierten Waren und Dienstleistungen, während der Rest der Welt
für die Investitionen aufkam, um Amerikas Wirtschaft am Laufen zu halten.

Im Grunde ähneln die USA immer mehr den arabischen Rentierstaaten. Statt Öl
benutzen die USA jedoch den Dollar, die internationale Leitwährung, als
Hebel zur Aneignung der globalen Kaufkraft. Während Saudi-Arabien immerhin
Öl gegen Leistungen anderer Nationen exportiert, pumpen die USA lediglich
Papier in den globalen Geldkreislauf.

Der Dollar als Hebel

Der Grund dafür: Der bei weitem größte Teil des Welthandels wird immer noch
in Dollar abgewickelt. Deshalb ist die weltweite Nachfrage nach Dollars
ungeheuer groß, und sie wächst in dem Maße, wie der Welthandel wächst.
Deshalb können die USA auch mit Hilfe der FED laufend Dollars in Umlauf
bringen und damit ihre Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite mitfinanzieren
(und letztlich auch ihre ständig steigende Staatsverschuldung). Daher macht
sich Wirtschaftsnobelpreisträger Roger B. Myerson wegen der Schulden der USA
auch keine Sorgen. Denn, so Myerson: „Die US-Schulden sind in Dollar und die
USA können Dollars drucken. [...] Wir werden vielleicht Inflation haben.
Aber wir werden die Schulden sicher zurückzahlen.“

Dass aber, entgegen Myersons Behauptung, die USA ihre Schulden tatsächlich
nie zurückzahlen werden, wusste der US-Ökonom Michael Hudson bereits in den
70er Jahren: „Da diese Anleihen des Finanzministeriums in die monetäre Basis
der Weltwirtschaft eingebaut sind, müssen sie nicht zurückgezahlt werden,
sondern werden unbegrenzt erneuert. Auf dieser unendlichen Umschuldung
beruht die finanzielle Freifahrt der Vereinigten Staaten, eine Steuer, die
der ganzen Welt auferlegt wird.“[3]

Faktisch können die USA die in der ganzen Welt geschaffene überschüssige
Kaufkraft einfach schlucken. All das funktioniert jedoch nur so lange, wie
der Ölhandel in Dollar abgewickelt und der Status der US-Währung nicht durch
andere potentielle Leitwährungen - wie den Euro oder Chinas Renminbi -
gefährdet wird. Denn nach dem Zusammenbruch des BrettonWoods-Systems 1973
ist an die Stelle der Golddeckung beinahe unbemerkt die Öldeckung des
Dollars getreten: Öl wurde von allen Staaten - mit Ausnahme der Ölexporteure
- immer stärker nachgefragt; es ist ein homogenes und knappes Gut mit
steigenden Preisen. So stieg der Anteil des Ölhandels am Welthandel
kontinuierlich von 1,7 Prozent in 1970 auf 6 Prozent in 2001 und auf 12
Prozent in 2011 - mit der Folge einer drastisch steigenden Dollar-Nachfrage.
Zudem befreite die Öldeckung des Dollars Amerika von allen Fesseln des
Bretton-Woods-Abkommens - das Land konnte fortan noch hemmungsloser als
bisher neue Staatsschulden anhäufen.

Militär als Mittel

Um jedoch die Abwicklung des globalen Ölhandels in Dollar für weitere
Jahrzehnte zu sichern, bedarf es eines Mittleren Ostens, der von den USA
möglichst vollständig kontrolliert wird - und zwar durch Regimewechsel
überall dort, wo dies nötig erscheint, um eventuelle Anti-Dollar-Allianzen
im Keim zu ersticken. Das neokonservative „Project for the New American
Century“ (PNAC) zielte daher von Beginn an in diese Richtung, mit seinem
Willen zur Schaffung eines weitestgehend den USA untergeordneten Greater
Middle East. Von der Herstellung der Bedingungen für Frieden ist in den
Dokumenten des PNAC an keiner einzigen Stelle die Rede, umso mehr jedoch von
Kriegen, vom Ausbau der Militärstützpunkte in der ganzen Welt, von
militärischer Überlegenheit zu Lande, zu Wasser und in der Luft, von
nuklearen Verteidigungsschilden in der Erdatmosphäre und vor allem von der
weiteren Erhöhung der Rüstungsausgaben.

In der letzten Dekade haben die USA mit einem Verteidigungshaushalt von
jährlich 500 bis 800 Mrd. Dollar so viel für Rüstung ausgegeben wie der Rest
der Welt zusammen. Jede andere Volkswirtschaft wäre unter derart großen
unproduktiven Ausgaben längst zusammengebrochen. Tatsächlich hat das
Wettrüsten im Kalten Krieg zum Niedergang der Sowjetunion geführt. Die USA
hingegen steigerten nach dem Ende der Blockkonfrontation ihre

Rüstungsausgaben exponentiell, nämlich von 150 Mrd. Dollar in 1990 auf die
astronomische Summe von 739 Mrd. Dollar in 2011. Der Anteil von
Rüstungsausgaben am BIP der USA beträgt derzeit vier Prozent, mehr als
doppelt so viel wie bei anderen westlichen Industrieländern - der aktuellen,
erstmaligen Kürzungsabsicht des Militärbudgets zum Trotz. Die Opposition,
die bei Erhöhungen anderer Haushaltstitel mit der Regierungspolitik streng
ins Gericht geht, hält sich beim Militärhaushalt grundsätzlich mit Kritik
zurück, es sei denn, die Steigerungen fallen zu gering aus. Und auch in den
Medien und in der Gesellschaft ist die immense Rüstungsquote nicht
Gegenstand substanzieller Debatten. Wie aber sind diese enormen
Rüstungsausgaben zu erklären und wie werden sie vor der Bevölkerung
gerechtfertigt? Letztlich nur dadurch, dass die USA auch ihre
Rüstungsausgaben mittels Staatsverschuldung und Gelddruck decken. Denn eine
Finanzierung der Kriegskosten durch direkte Steuern würde die Bevölkerung
gegen jeden Krieg mobilisieren. So haben nicht nur Europas Regierungen die
beiden Weltkriege durch Staatsverschuldung finanziert, sondern auch alle
US-Regierungen. Durch die Kontinuität von Kriegen, vor allem seit dem Ersten
Weltkrieg, ist die Staatsverschuldung der USA folglich immer weiter
angewachsen.

Das faktische Monopol am Weltgeld erklärt jedoch, wieso eine Volkswirtschaft
wie die der USA, die in vielen Bereichen nicht wettbewerbsfähig ist und
chronisch defizitäre Handelsbilanzen aufweist, nicht nur derartige
Megaprojekte wie den militärisch-industriellen Komplex und mehrere sehr
kostenträchtige Kriege finanzieren kann, sondern auch einen relativ stabilen
Finanzsektor aufweist und eine Währung besitzt, die wie ein Magnet
Kapitalüberschüsse aus der ganzen Welt an sich zieht.

Welt ohne Ordnung und Chaos als Chance - für die USA

Um ihre Hegemonie aufrechtzuerhalten, müssen die Vereinigten Staaten das
Aufkommen konkurrierender Mächte unbedingt verhindern und gegenwärtigen wie
zukünftigen Bedrohungen, die von Ölstaaten ausgehen könnten, präventiv
vorbeugen. Der Idealzustand, um die eigenen Ziele zu geringen Kosten
durchzusetzen, wäre die Zersplitterung von widerstrebenden Machtzentren
durch ethnische und religiöse Konflikte, Bürgerkriege, Chaos und tiefes
Misstrauen im Mittleren Osten - immer nach der bewährten Devise „Teile und
herrsche“. Auf diese Weise wäre auf Jahrzehnte keine Macht in der Lage,
überhaupt nur zu erwägen, den Ölhandel in einer anderen Währung als in
Dollar abzuwickeln. Hinzu kommt: Da sämtliche Kontrahenten Petrodollars
benötigen, um sich Waffen zu besorgen, sprudeln die Ölquellen munter weiter
- wie man gegenwärtig im von täglichen Terroranschlägen und Chaos gelähmten
Irak beobachten kann.

Tatsächlich erleben wir gegenwärtig gewaltige Veränderungen in Richtung
eines derart chaotischen Zustands. Inzwischen haben in Afghanistan, im Irak
und in Libyen Regimewechsel stattgefunden. In allen diesen Ländern herrschen
Zwietracht und Misstrauen, Stammeskonflikte, territoriale Abspaltungen
entlang ethnischer Grenzen und gegenseitiger Terror - speziell von Sunniten
gegen Schiiten. Doch ist damit das Regime-Change-Projekt keineswegs
abgeschlossen. Nun befinden sich Syrien und Iran im Visier: Die US-Neocons
scheuen keine Mühen, um die laufenden Genfer Verhandlungen zu torpedieren.
Und Al Qaida - nach offizieller Lesart der Hauptgrund für Amerikas „Kampf
gegen den Terror“ - hat derweil eine noch nie da gewesene Stärke erreicht.
Eine Stärke, die wiederum die beste Legitimationsgrundlage für den
militärisch-industriellen Komplex der USA darstellt.

Der alte militärisch-industrielle Komplex

Auf diese Weise treffen gegenwärtig alle Stränge des „Dollar-Imperialismus“
zusammen: Öl, Dollar, Militär. Der militärisch-industrielle Komplex ist
Hauptprofiteur von „Amerikas neuem Jahrhundert“ der Neuen Kriege. Speziell
im Mittleren Osten findet ein nukleares wie konventionelles Wettrüsten
statt, das jenes der 1970er Jahre mit drei daraus resultierenden Golfkriegen
zunehmend in den Schatten stellt. Während mit dem Recycling von Petrodollars
gegen Waffen ein gefährlicher Teufelskreis im Gange ist, der jederzeit einen
Flächenbrand in der ganzen Region auslösen könnte, kann der
US-Rüstungssektor zuversichtlich bleiben: Alle US-Regierungen werden,
unabhängig von ihrer politischen Couleur, ihre Politik der
Staatsverschuldung ungestraft fortsetzen und das Militärbudget weiter
finanzieren können. Dank steigender Dollarnachfrage und dem fortwährenden
Gelddrucken durch die FED (übrigens auch unter neuer Führung von Janet
Yellen) verfügt das US-Bankensystem über derart umfangreiche Geldquellen,
dass die politisch gefährliche Rüstungsindustrie der USA spielend finanziert
werden kann.

Doch im Grunde ist der „Dollar-Imperialismus“ eine höchst instabile
Konstruktion, die zudem schwer vorstellbare Absurditäten hervorbringt. Zum
einen hält sie einen gigantischen Gewaltapparat in den USA am Leben - zu
Lasten (und letztlich finanziert von) der gesamten Menschheit. Und zum
anderen stützt sich diese Konstruktion auf Chaos, Gewalt und Bürgerkriege,
insbesondere in den ölreichen Regionen, die deshalb auch jederzeit
zusammenbrechen und die Welt in schwerwiegende Krisen stürzen könnten.
Kurzum: Was könnte absurder sein als die Tatsache, dass wir alle mit unserem
Geld einen Industriesektor mitfinanzieren, dessen Fortbestand in letzter
Instanz verlangt, dass Frieden auf dem Planeten niemals zustande kommen
darf? Auch der NSA-Skandal - dank Edward Snowden enthüllt - erscheint vor
dem Hintergrund des herrschenden Dollar-Imperialismus in einem neuen, sehr
speziellen Licht. Denn natürlich erzeugt diese höchst labile Konstruktion
eine schier unerschöpfliche Gier nach umfangreichsten Kontrollen aller
Kommunikationsverbindungen, einschließlich des Ausspähens der Spitzen
sämtlicher Regierungen, auch jener befreundeter Staaten. Trotz weltweiter
Empörung hat Barack Obama denn auch bei seiner Rede am 17. Januar 2014
unterstrichen, dass die USA weiterhin „Informationen über die Absichten
fremder Regierungen“ sammeln werden.

Als Legitimationsgrundlage des immensen US-Sicherheitsapparats dienen -
früher wie heute - ausschließlich nationale Interessen. Als die NSA 1952
gegründet wurde, war von Al Qaida und 9/11 noch keine Rede, umso mehr aber
von den Vorteilen und Interessen einer aufstrebenden Hegemonialmacht. Heute
geht es der NSA vor allen Dingen auch darum, sämtliche Schritte und
Bewegungen in der Welt, die den gegenwärtigen Status der US-Währung
gefährden könnten, rechtzeitig zu erkennen und mit allen Mitteln im Keim zu
ersticken. Damit handelt sie im Interesse der einflussreichen Allianz aus
militärisch-industriellem Komplex und US-Finanzsektor, die um der eigenen
Existenz willen auf derartige Kenntnisse angewiesen ist.

Auf der anderen Seite stellt die NSA, wie sich herausgestellt hat, auch die
größte Gefahr für die Demokratie in Amerika und im Westen insgesamt dar -
und zwar in einer Weise, wie sich US-Präsident Dwight Eisenhower dies noch
gar nicht vorstellen konnte, als er bei seiner Abschiedsrede am 17. Januar
1961 vor dem militärisch-industriellen Komplex warnte:

„Diese Kombination eines gewaltigen militärischen Establishments und einer
mächtigen Rüstungsindustrie ist neu in der amerikanischen Geschichte. […] In
den Gremien der Regierung müssen wir der Ausweitung, ob aktiv oder passiv,
des unbefugten Einflusses des militärisch-industriellen Komplexes vorbeugen.
Das Potential für einen verheerenden Anstieg der Macht an falschen Stellen
besteht und wird bestehen bleiben. Wir dürfen niemals zulassen, dass diese
einflussreiche Allianz unsere Freiheiten und demokratischen Prozesse
gefährdet.“

Gut 50 Jahre nach Eisenhowers Warnung sind die USA einen großen Schritt
„voran“ gekommen. Dabei ringt dieser mächtige Komplex seit dem Ende der
Blockkonfrontation um seine Fortexistenz und setzt alles in Bewegung, um
Amerikas Hegemonie dauerhaft zu festigen. Tatsächlich ist die Welt seit 1989
nicht, wie man sehnsüchtig erwartet hatte, sicherer und friedlicher
geworden, sondern - wie bereits zu Anfang des letzten Jahrhunderts -
unsicherer und kriegerischer. Umso dringender ist es, dass sich die
Weltgemeinschaft endlich - und vielleicht doch noch rechtzeitig - gegen
diese höchst gefährliche Entwicklung zur Wehr setzt.

Die Alternative: Globale Energiewende und Vielfalt von Leitwährungen

Auf die weltpolitische Agenda gehört daher unbedingt die Frage der
Demokratisierung der Weltwirtschaft durch die Abschaffung des US-Monopols am
Weltgeld. Dieses Ziel kann langfristig und am wirksamsten durch eine globale
Energiewende erreicht werden - weg vom fossilen Pfad und hin zum umfassenden
Ausbau der erneuerbaren Energien. Kurzfristig kann und muss eine Vielfalt
von Leitwährungen etabliert werden, die endlich den tatsächlichen
ökonomischen Kräfteverhältnissen Rechnung trägt.[4]

Eine solche Alternative würde auch den langfristigen Interessen der
Amerikaner dienen, trüge sie doch dazu bei, dass die USA die parasitären und
letztlich unproduktiven Teile ihrer Ökonomie - nämlich die Allianz von
Finanz und Militär - endlich abstoßen. Andererseits zeigt das Beispiel
Barack Obamas, der von fast allen seinen guten Reformansätzen abrücken
musste, dass die USA allein und aus eigenen Kräften kaum in der Lage sind,
diese übermächtige Allianz, einschließlich der sie unterstützenden
politischen Kräfte, zurückzudrängen.

Umso mehr sind Europa und Asien in der Pflicht: Nur eine neue
Leitwährungsvielfalt - vorangetrieben durch die EU und China - könnte den
USA helfen, den bisherigen Pfad der Wohlstandsvermehrung durch
imperialistische Methoden zu verlassen, zugunsten ihrer eigenen,
unermesslichen produktiven Potentiale. Man stelle sich nur einmal vor, der
Dollar wäre nicht länger die einzige Weltwährung und er hätte seine
Stabilität notwendigerweise im schwungvollen internationalen Wettbewerb mit
Euro und Renminbi eingebüßt. Das überschüssige internationale Kapital würde
dann im beträchtlichen Umfang von den USA abgezogen und in der Euro- oder
Renminbi-Zone investiert. Die bisherige US-Politik der Staatsverschuldung
durch die Ausgabe von Staatsanleihen geriete ins Stocken, das im
überfraktionellen Konsens bestehende Tabu, an den Militärausgaben nicht zu
rütteln, verlöre seine Gültigkeit. Dann bliebe den US-Regierungen keine
andere Wahl, als das unverhältnismäßig hohe Militärbudget noch erheblich
drastischer zu senken, um ihre chronischen Haushaltsdefizite abzubauen.

Wie würde sich diese neue Lage aber auf die Hegemonialmacht USA auswirken?
Innerhalb der Vereinigten Staaten würde - endlich - eine heftige Debatte
über Sinn und Unsinn der Rüstungsausgaben und der weltweiten
Militärkapazitäten (einschließlich der über 800 Stützpunkte) stattfinden -
mit der Aussicht, die USA auf ein Maß zu entmilitarisieren, das ihrer
tatsächlichen ökonomischen Stärke entspräche. So wären die USA nicht länger
die „einzig verbliebene Weltmacht“, sondern nur noch eine von mehreren
Weltmächten. Dadurch würden völlig neuartige globale Machtstrukturen und
-gleichgewichte denkbar: Die asiatische Region wie aber auch der Mittlere
Osten, Südamerika, Afrika und auch Europa hätten echte Chancen, sich in
regional kooperativen und gemeinsamen Sicherheitsarchitekturen zusammen
zufinden. Gleichzeitig verlören auch nationalistische und rassistische
Ressentiments und Konflikte stark an Zugkraft. Vielleicht würde durch
internationale Kooperation endlich auch der Finanzsektor auf ein sinnvolles
Maß geschrumpft werden - und sich damit auch die Chance auf eine gerechtere
Verteilung des Einkommens deutlich erhöhen.

Kurzum, wir hätten endlich die Aussicht auf eine Welt mit mehr
Gerechtigkeit, weniger Finanzspekulation - eine Welt, die demokratischer und
auch friedlicher wäre. Die Verlierer eines solchen Szenarios wären
allerdings der militärisch-industrielle Komplex, der Finanzsektor und ihre
Profiteure, an der Spitze die Neokonservativen. Deshalb ist mit heftiger
Gegenwehr zu rechnen. Im Interesse einer gerechteren und friedlicheren Welt
ist dieser Kampf jedoch unausweichlich.

Fußnoten

[1] Dass diese Aufforderung erfolgreich war, zeigt das Bekenntnis des
deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zu größerer Verantwortung in der
Welt - ganz im Einklang mit den Kabinettsmitgliedern Frank-Walter Steinmeier
und Ursula von der Leyen. Noch grundsätzlicher formuliert die deutsche
Antwort auf Amerikas Anforderungen das Dokument „Neue Macht. Neue
Verantwortung“ - eine gemeinsame Produktion der Stiftung Wissenschaft und
Politik sowie des 'German Marshall Fund of the United States', 2013.
http://swp-berlin.org/de/projekte/neue-macht-neue-verantwortung/das-papier

[2] Ausführlicher dazu Mohssen Massarrat, Rätsel Ölpreis, in: „Blätter“,
10/2008, S. 83-94. 
http://www.iphpbb.com/board/ftopic-93510334nx17659-270.html

[3] Zit. nach David Graeber, Schulden, Stuttgart 2012, S. 384f.
http://de.wikipedia.org/wiki/Schulden:_Die_ersten_5000_Jahre

[4] Zwar verfügten die USA 2012 mit einem Inlandsprodukt von 15684 Mrd.
Dollar brutto über eine sehr mächtige Volkswirtschaft; mit 12785 Mrd. Dollar
lag die EU jedoch nur geringfügig dahinter.

--

* Quelle: Mohssen Massarrat
http://tinyurl.com/pnml5w2

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Original der Langversion des Textes mit historischer und empirischer
Untermauerung der zentralen Gedanken:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20279




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