DIE ZEIT
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WIRTSCHAFT | PLASTIKMÜLL IM MEER

Der Mann und der Müll

Zweimal durchkreuzte der Segler Ivan Macfadyen den Pazifik. Beim ersten Mal gab 
es dort Fische und Vögel im Überfluss. Zehn Jahre später waren sie verschwunden

Von Greg Ray

DIE ZEIT Nº 18/2014 6. Mai 2014  

Es war die Stille, die diese Segeltour von allen anderen unterschied, die Ivan 
Macfadyen [1] zuvor unternommen hatte. Es war keine Stille im Sinne einer 
totalen Abwesenheit von Geräuschen. Der Wind peitschte gegen die Segel und 
pfiff durch die Takelage. Auch konnte Macfadyen nach wie vor die Wellen hören, 
die gegen den Fiberglasrumpf seines Schiffes schlugen. Was fehlte, waren die 
Rufe der Seevögel, die früher bei Fahrten über den Pazifischen Ozean die 
leuchtend gelbe Hochsee-Rennjacht mit dem Namen Funnel Web umkreist hatten. Die 
Vögel fehlten, denn es gab keine Fische.

Stattdessen begleiteten neue Geräusche den Segler, es waren gedämpfte Schläge 
und ein wiederkehrendes Kratzen, wenn sein Boot gegen treibenden Müll stieß.

Macfadyen war auf einem Segeltörn, den wenige Menschen machen, durchquerte 
Gebiete, aus denen selten Berichte in die westliche Welt gelangen. Seine Route 
führte den australischen Sportsegler von Melbourne durch den südöstlichen 
Pazifik bis nach Osaka und weiter über Hawaii bis ans amerikanische Festland.

Genau zehn Jahre zuvor war Macfadyen auf der exakt gleichen Route gesegelt. 
Damals habe er nur eine Köderleine auswerfen müssen, sagt er, um zwischen 
Melbourne und Osaka einen Fisch aus dem Ozean zu ziehen. Damals gab es "während 
der 28 Tage auf diesem Abschnitt der Reise nicht einen Tag, an dem wir nicht 
einen stattlichen Fisch fingen, kochten und mit etwas Reis zusammen aßen", sagt 
Macfadyen. Dieses Mal fing er gerade mal zwei.

Wo keine Fische sind, leben auch keine Vögel. "In den vergangenen Jahren hatte 
ich mich an all die Vögel und ihre Geräusche gewöhnt", sagt Macfadyen. "Sie 
haben das Boot verfolgt und sich manchmal auf dem Mast ausgeruht, bevor sie 
wieder losflogen. In der Ferne konnte man ganze Schwärme dabei beobachten, wie 
sie über den Wellen schwebten und Sardinen fingen."

Aber im März und April dieses Jahres umgaben Stille und Trostlosigkeit die 
Funnel Web, während sie über die Oberfläche des geisterhaften Ozeans schoss.

Als Macfadyen den Äquator überquert und Neuguinea hinter sich gelassen hatte, 
bemerkte er eines Tages einen riesigen Fischtrawler, der sich in der Ferne an 
einem Riff zu schaffen machte. "Er war den ganzen Tag dort und zog seine Spur, 
auf und ab das Riff entlang. Es war ein großes Schiff", sagt er. Auch nachts 
arbeitete es unter grellem Flutlicht weiter.

Am nächsten Morgen wurde Macfadyen von dringlichen Rufen seines Teamkameraden 
Will Parbury geweckt. Von dem anderen Schiff aus war ein Schnellboot gestartet. 
"Natürlich war ich beunruhigt. Wir waren unbewaffnet, und Piraten waren in 
diesen Gewässern ein echter Grund zur Sorge. Ich dachte mir, wenn diese Leute 
Waffen hätten, steckten wir in großen Schwierigkeiten."

Aber es waren keine Piraten, zumindest nicht im üblichen Sinne. Das Speedboot 
kam längsseits, und die melanesischen Männer an Bord überreichten Früchte, 
Marmeladengläser und Eingemachtes als Geschenke.

"Und sie gaben uns fünf große Säcke voller Fisch", sagt Macfadyen. "Da waren 
gute, große Fische aller Art darunter. Einige waren frisch, andere hatten 
offenbar längere Zeit über in der Sonne gelegen."

"Wir erklärten ihnen, dass wir unmöglich den ganzen Fisch gebrauchen konnten. 
Wir waren nur zu zweit und hatten auch keine Möglichkeit, so viel zu verstauen 
und zu lagern. Sie zuckten mit den Achseln und meinten, wir sollten den Rest 
einfach über Bord werfen. Das hätten sie ohnehin damit gemacht, verrieten sie 
uns", erinnert sich der Sportsegler. "Sie erzählten uns, dass dies nur ein 
kleiner Teil ihres täglichen Beifangs war. Sie interessierten sich 
ausschließlich für Thunfisch, alles andere war für sie wertlos, es wurde alles 
getötet und wieder über Bord geworfen. Sie fuhren einfach mit ihren 
Schleppnetzen das Riff entlang, bis dort nichts Lebendiges mehr übrig war."

Macfadyen zerriss es das Herz, sagt er. Denn er wusste, dies war nur ein 
Fangschiff von wer weiß wie vielen, die hinter dem Horizont ihrer Arbeit 
nachgingen. Viele arbeiteten dabei auf die gleiche Weise, und Macfadyen dachte 
sich: Kein Wunder, dass das Meer tot ist, kein Wunder, dass ich mit meinen 
Köderleinen nichts fange. Da war nichts mehr.

Es wurde noch schlimmer. Der zweite Abschnitt der langen Reise führte Macfadyen 
vom japanischen Osaka nach San Francisco, und für die meiste Zeit dieser 
Überfahrt, sagt er, empfand er ein Gefühl von Trostlosigkeit, gepaart mit Ekel, 
Entsetzen und Furcht. "Nachdem wir Japan verlassen hatten, beschlich uns ein 
Gefühl, als wäre der Ozean selbst tot", sagt er. "Wir begegneten kaum mehr 
einem Lebewesen. Einmal sahen wir einen Wal, wie er sich hilflos auf der 
Wasseroberfläche drehte, mit etwas, was aussah wie ein riesiges Geschwür auf 
dem Kopf. Es war wirklich entsetzlich." Und weiter: "Ich bin in meinem Leben 
viel auf dem Ozean unterwegs gewesen und war es gewohnt, Schildkröten, Delfine, 
Haie und große Vogelschwärme beim Fressen zu beobachten. Aber dieses Mal gab es 
auf 3.000 Seemeilen praktisch nichts Lebendiges zu sehen." 

Anstelle des fehlenden Lebens sah Macfadyen Müll in einer ganz erstaunlichen 
Menge. "Ein Teil davon waren offenbar Hinterlassenschaften des Tsunamis, der 
Japan einige Jahre zuvor getroffen hatte. Die Welle war über das Land gerollt 
und hatte eine unglaubliche Menge Material mit aufs Meer hinausgerissen. Dort 
draußen treibt es noch immer, wohin man schaut." Er sah unter anderem Hunderte 
hölzerner Strommasten auf dem Ozean schwimmen. Abgerissen von der Killerwelle, 
hätten sie auf hoher See noch immer ihre Leitungen hinter sich hergezogen, sagt 
Ivan Macfadyen.

Ivans Bruder Glenn, der in Hawaii für die Fahrt in die Vereinigten Staaten 
zustieg, staunte über Tausende und Abertausende gelber Plastikbojen, ein 
riesiges Gewirr synthetischer Seile, Angelschnüre und Netze. Millionen von 
Styroporteilen. Und überall sahen sie Schlieren aus Öl und Benzin.

"Wenn du in den vergangenen Jahren in eine Flaute gerietest, startetest du 
einfach deinen Motor", sagt Macfadyen. Nicht dieses Mal. "An vielen Stellen 
trauten wir uns nicht, unseren Motor anzulassen, aus Angst, die Schiffsschraube 
könnte sich in dem Gewirr aus Seilen und Kabeln verfangen. So etwas hatten wir 
weit draußen auf dem Ozean bisher noch nie erlebt."

Mehr noch, unter der Oberfläche sah es oftmals nicht besser aus. "Vom Bug aus 
konnte man in den Gewässern vor Hawaii geradewegs bis in die Tiefe schauen. Ich 
sah, dass der Müll nicht nur an der Oberfläche trieb, er reichte bis ganz 
hinunter. Es gab Teile in jeglicher Größe, von einer Flasche bis hin zu Stücken 
von der Größe eines Autos oder Lastwagens."

Plastik war allgegenwärtig. Flaschen, Tüten und jede nur vorstellbare Art von 
weggeworfenen Haushaltsgegenständen, von kaputten Stühlen über Kehrschaufeln zu 
Spielsachen und sonstigen Gebrauchsgegenständen.

"Wir sahen den Schornstein einer Fabrik aus dem Wasser ragen, mit einer Art 
Boiler, der unter der Wasseroberfläche noch immer daran befestigt war. Wir 
sahen auch etwas Großes, Containerartiges, das von den Wellen wieder und wieder 
herumgewälzt wurde."

Macfadyen fasst im Rückblick zusammen: "Wir schlängelten uns zwischen 
Trümmerteilen hindurch. Es war, als würden wir durch eine Müllhalde segeln. 
Unter Deck konnte man wieder und wieder hören, wie etwas gegen den Rumpf 
schlug. Man hatte ständig die Angst, einmal auf etwas wirklich Großes zu 
treffen. Der Schiffsrumpf war am Ende übersät mit Kratzern und Dellen von 
Zusammenstößen."

Die lebendige gelbe Farbe des Bootes, der weder Sonne noch Meerwasser in den 
vergangenen Jahren etwas anhaben konnten, reagierte mit etwas im Wasser vor 
Japan und verlor ihren Glanz auf eine seltsame und für Macfadyen beispiellose 
Art.

Nach seiner Rückkehr ins australische Newcastle versuchte Macfadyen, den Schock 
und das Grauen dieser Reise zu verarbeiten. "Der Ozean ist zerstört", sagt er 
und schüttelt fassungslos den Kopf.

Seither versucht er, bei Regierungsmitgliedern Lobbyarbeit zu betreiben, in der 
Hoffnung, diese könnten helfen.

Er bemüht sich, die Organisatoren der wichtigsten australischen Hochseeregatten 
dafür zu gewinnen, dass die Segler die Müllansammlungen und das maritime Leben 
beobachten und dokumentieren.

ÜBERSETZUNG: MATTHIAS DWORAK

Nachdruck aus der australischen Zeitung "Newcastle Herald" [2]  

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[1] http://www.yachtfunnelweb.com/
[2] http://www.theherald.com.au/story/1848433/the-ocean-is-broken/




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