work. Die Zeitung der Gewerkschaft
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21.08.2014

«Die Bevölkerungsexplosion ist abgesagt»

Ecopop-Initiative: Die Abrechnung von Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli 
mit grün-braunen Umweltschützern und «Überbevölkerungs»-Hysterikern, auch in 
den eigenen Reihen

INTERVIEW: OLIVER FAHRNI 

work: Herr Glättli, was ist «peak child»?

Balthasar Glättli: Das ist die Tatsache, dass die Zahl der Kinder weltweit 
nicht mehr wächst. Schon seit mehr als 10 Jahren ist die Zahl der bis 
15-Jährigen stabil.

Die globale «Bevölkerungsexplosion» ist also abgesagt?

So ist es. Die Weltbevölkerung wächst global nur noch, weil wir älter werden. 
In einigen Jahrzehnten wird sich die Zahl der Menschen auf dem Raumschiff Erde 
stabilisieren.

Erstaunlich, dabei wird uns seit Jahrzehnten eingebleut, die 
«Bevölkerungsbombe» sei das grösste Problem der Menschheit. Man präsentiert 
Horrorszenarien von 30 Milliarden Menschen, warnt vor Hungersnöten und 
ökologischen Katastrophen ...

Die bevölkerungspolitische Frage wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von einer 
ganzen Lobby gepusht, die unter anderem von der Rockefeller-Stiftung finanziert 
wurde und ihren Durchbruch in der US-Regierung und auch bei der Uno in den 
1960er Jahren hatte. Interessant ist, dass dabei von Anfang an viele Anhänger 
der eugenischen Bewegung aktiv waren, die wertes von unwertem Leben 
unterscheidet. Dass die Weltbevölkerung in jener Zeit tatsächlich sehr rasch 
wuchs, trug zur Glaubwürdigkeit dieser Kassandrarufe bei, die bereits für die 
1970er Jahre globale Hungerkatastrophen prophezeiten. In der wachsenden 
Ökobewegung fand das Thema ebenfalls Widerhall - wobei schon damals bekannte 
US-Ökologen Paul Ehrlich [1] kritisierten, dass man nicht im Namen der Ökologie 
eine staatliche Kontrolle der Fortpflanzung fordern dürfe.

Ein Grüner relativiert Umweltprobleme?

Im Gegenteil. Die ökologischen Probleme waren und sind immens und drängend. 
Darum kämpfen wir Grüne auch für den Umbau hin zu einer grünen Wirtschaft, für 
bessere Raumplanung und für Kulturlandschutz. Wir schlagen für die konkreten 
Probleme machbare Lösungen vor. Wichtig zu verstehen ist: Umweltverschmutzung, 
Klimawandel, Hunger sind die Folge unserer Art, wie wir wirtschaften, der 
Ausbeutung ganzer Kontinente, des ungleich verteilten Wohlstandes, des 
ungebremsten Verbrauchs von Ressourcen. Aber gewiss nicht die Folge des 
angeblich explodierenden Bevölkerungswachstums. Zehn Menschen in Niger belasten 
im Schnitt die Umwelt weniger als ein einzelner Schweizer oder ein halber 
US-Amerikaner. Das blendet Ecopop [2] aus. Wer als einzige Ursache die Zahl der 
Menschen angibt und als einzige Lösung ihre Begrenzung, ist ein 
Finsternishändler.

Und doch stimmen wir im November über eine Initiative [3] der Ecopop ab, die im 
Namen des Umweltschutzes zwei Dinge will: das gesamte Wachstum der Schweizer 
Bevölkerung auf 0,2 Prozent drücken und dafür die Zuwanderung mit drakonischen 
Mitteln stoppen. Und sie schreibt vor, Entwicklungshilfegelder dafür zu 
verwenden, die Geburten in armen Ländern zu beschränken.

Diese Initiative ist absurd und gefährlich. In ihr stecken die beiden Elemente 
rechter Ökologie: Fremde ausgrenzen, um den eigenen «Lebensraum» 
sauberzuhalten. Und die Armen dazu bringen, keine Kinder zu zeugen, weil die ja 
Anspruch auf ihren Anteil an den natürlichen Ressourcen anmelden könnten. 
Weniger Menschen, weniger Umweltprobleme, das ist das Ecopop-Mantra. Daran ist 
alles falsch, was falsch sein kann. Werden Treibhausgase in Bayern in die Luft 
geblasen statt in Zürich, verringert das die Klimakatastrophe nicht. Nicht 
Ausländer schaffen ökologische Probleme, sondern unsere Lebensweise.

Rechte, fremdenfeindliche Ökologen? Das tönt widersinnig.

Auch wenn mir Ecopop-Sekretär Andy Thommen [4], ein Mitglied der Grünen, mit 
rechtlichen Schritten drohen sollte, so wiederhole ich es gerne: In der 
ökologischen Bewegung gibt es eine dunkle Seite, ihre grün-braune Tradition.

Sie haben diese Tradition jetzt in einem Buch erforscht, zusammen mit Co-Autor 
Pierre-Alain Niklaus und diversen Gastautoren. Als Titel haben Sie «Die 
unheimlichen Ökologen» gewählt. Worauf sind Sie bei Ihren Recherchen gestossen?

Wir haben in Abgründe geschaut. Ecopop steht, auch wenn sich ihre Köpfe empört 
dagegen verwahren, in einer langen Reihe von rassistischen Denkern, von 
Theoretikern des werten und des unwerten Lebens, von Bevölkerungspolitikern und 
Lebensraum-Ideologen. In ihrer unmittelbaren Entstehungsgeschichte als Verein 
in der Schweiz haben Fremdenfeinde wie Valentin Oehen [5] eine entscheidende 
Rolle gespielt. Schliesslich kam die Initiative überhaupt nur zustande, weil 
Rechtsaussenpolitiker wie Ulrich Schlüer [6] (ex-SVP-Nationalrat und früherer 
Generalsekretär von James Schwarzenbach [7]) und die Schweizer Demokraten [8] 
viele Unterschriften organisierten.

Aussen grün, innen braun?

Ich würde nie behaupten, die Ecopop-Leute seien allesamt Rassisten oder 
Faschisten! Darum ging es uns nicht. Wir wollten wissen, welches Menschenbild 
sie haben und woher es stammt. Wie ticken Leute, die Ökologie als Kampf von 
Volk gegen Volk sehen? Die Nation und Ökologie gegen die Menschen stellen? Die 
den Menschen nicht als gesellschaftliches Wesen sehen, das sich anders 
organisieren kann, sondern als halbwegs intelligentes Tier? Und vor allem hat 
uns interessiert, wie eine solche Ideologie, die alle ökologischen Problem 
durch Fremdenfeindlichkeit und die Reduktion der Zahl der Menschen lösen will, 
in der Schweiz potenziell mehrheitsfähig geworden ist.

Benno Büeler von Ecopop warnt vor einer Schweiz mit 11 Millionen Menschen. 
Damit trifft er doch die Angst vieler?

In der Schweiz hat es Platz für 11 Millionen Menschen, die vernünftig leben. 
Aber es hat keinen Platz für auch nur 5 Millionen, die alle in einer Villa 
sitzen mit dem Offroader vor der Tür.

So wie mancher Ecopop-Verantwortliche? Der starke Mann bei Ecopop, Andreas 
Thommen, bewohnt im Aargau ein Haus mit einem Umschwung von der Grösse eines 
Fussballfeldes.

Ich möchte nicht auf den Mann spielen. Diskutieren wir lieber das Prinzip. Hier 
wird Ecopop zu Egopop: Man spricht den anderen ab, was man selbst hat. Das 
nährt den Verdacht, dass es nicht um Ökologie geht, sondern darum, die eigenen 
Privilegien zu schützen, indem man die Zahl der Menschen begrenzt. Grenzen zu 
und Präservative für die Dritte Welt: Das ist gewiss nicht die Ökologie, die 
wir Grüne wollen.

Im Initiativtext steht, Ecopop wolle mit einer tieferen Einwohnerzahl «die 
natürlichen Lebensgrundlagen sicherstellen». Das wäre eine Form von 
Antiökologie: Bevölkerungspolitik und Ausgrenzung, um seinen privilegierten 
verschwenderischen Lebenswandel weiterzuführen?

Klar ist: Wird Ecopop angenommen, ist das für den Umweltschutz ein Knieschuss. 
Denn für alle Probleme gäbe es ja den einen grossen Hebel: die Bevölkerung 
reduzieren. Nur löst das in Wahrheit kein einziges ökologisches Problem. Ganz 
abgesehen von den wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen 
Verwerfungen, die Ecopop auslösen würde. Von normalen Beziehungen mit Europa 
und Bilateralen wäre dann keine Rede mehr. Aber ich will jetzt gar nicht von 
Arbeitslosigkeit, Lohndumping und zerstörten Sozialversicherungen reden. Das 
könnt ihr von den Gewerkschaften besser.

Der direkte Zusammenhang zwischen Ökonomie und Ökologie, Wohlstand und 
Ressourcen ist offensichtlich. Ein Freund hat das so formuliert: «Wenn die 
ganze Welt so viel Auto fährt wie wir, so viel konsumiert wie wir, so viel 
Energie verbraucht wie wir, begeht die Menschheit ökologischen Selbstmord.»

Da ist der Punkt. Wie lösen wir das Problem? Indem wir die Menschen, die heute 
weniger haben, dazu zwingen, weniger Kinder zu zeugen und auf eine Entwicklung 
zu verzichten? Indem wir für 200 Millionen Entwicklungsgeld Kondome über Afrika 
abwerfen? Lösen wir das Problem mit Bevölkerungspolitik, Egoismus und Eugenik? 
Sagen wir den Chinesen und Inderinnen und auch unseren Tieflöhnerinnen: Ihr 
seid es nicht wert, so zu leben wie wir? Manche bei Ecopop denken so. Und 
manche Ecopop-Anhänger denken es zwar nicht, aber verhalten sich so.

Und manchmal argumentieren sogar westliche Delegationen bei internationalen 
Umweltkonferenzen ähnlich.

Sauberes Wasser, Luft zum Atmen, Boden, Rohstoffe sind Gemeingüter [9]. Sie 
gehören grundsätzlich allen. Der französische grüne Denker Alain Lipietz [10] 
sagt: «Gemeingüter sind keine Dinge, sondern gesellschaftliche Verhältnisse.» 
Es geht darum, sie gemeinsam so zu nutzen, dass sie erstens nicht zerstört 
werden und zweitens möglichst vielen zugute kommen. Das ist das Prinzip 
politischer Ökologie [11]. Und die einzige mögliche Lösung. Ökologisch, aber 
auch, um Kriege zu verhindern und die Lebensqualität zu verbessern.

Der amerikanische Biologe Garrett Hardin [12] sieht noch zwei andere 
Möglichkeiten: totale Privatisierung der Gemeingüter oder die ökologische 
Weltdiktatur.

Beides führt in die Barbarei. Wollen wir das? Für mich ist klar, dass die 
Ausbeutung der Natur und die Ausbeutung des Menschen zusammengehören, und man 
kann sie auch nur zusammen bekämpfen. Sie können nicht gegeneinander 
ausgespielt oder unabhängig voneinander beendet werden. Und die Begrenzungen, 
die wir uns bei der Nutzung der Natur auferlegen, um den Blauen Planeten zu 
retten, gelingen nur, wenn wir sie mit einem Gerechtigkeitsprinzip verbinden: 
Alle sollen einen fairen Zugang zu den Gemeingütern und Chancen haben.

Schliessen wir den Kreis: Das heisst, dass wir in der reichen Welt unseren 
Lebensstandard dimmen müssten?

Ja, aber nicht unsere Lebensqualität. Meine These ist: Ringen wir mit neuen 
Entwicklungspfaden und nachhaltiger Wirtschaft um die Lösung des 
Ökologieproblems und gleichzeitig um mehr Gerechtigkeit, werden wir unsere 
Lebensqualität steigern. Derzeit werden solche Lösungen überall gelebt, 
entworfen, in Politik gegossen. Aber das bleibt den Egopop-Leuten, in der 
Mehrheit pensionierte Ingenieure und Naturwissenschafter, verborgen.

Sie machen Wachstumskritik [13]? Da werden Sie bei den Gewerkschaften wenig 
Zustimmung finden.

Nicht sicher. Klar ist es Kernaufgabe der Gewerkschaften, dafür zu sorgen, dass 
ein anständiger Teil des Mehrwerts in die Taschen der Arbeitenden fliesst. Aber 
ihr eigentliches Ziel ist die Befreiung des Menschen aus den Abhängigkeiten. 
Das teilen wir. Zum Beispiel bei der Zeitautonomie: Es ist doch eine schöne 
alte Forderung der Gewerkschaften, die Arbeitszeit zu verkürzen. Für mich ist 
das ein wesentliches Element eines ökologischen Umbaus.

BALTHASAR GLÄTTLI [14], 42, ist Nationalrat der Grünen und arbeitet als 
Kleinunternehmer für Kampagnen und Webdesign. Er hat Philosophie studiert. 
Glättli ist Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, der 
Staatspolitischen Kommission und Vizepräsident des Mieterinnen- und 
Mieterverbandes.

Balthasar Glättli, Pierre-Alain Niklaus: 
Die unheimlichen Ökologen. Sind zu viele Menschen das Problem? [15]
Mit Beiträgen von Geert van Dok, Marcel Hänggi, Shalini Randeria, Annemarie 
Sancar, Leena Schmitter, Peter Schneider
Rotpunktverlag, Zürich 2014 
172 Seiten, Fr. 25.- [19,90 Euro]. Als E-Book: Fr. 15.- [16]
Auch über: www.unheimliche-oekologen.ch

Links:

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_R._Ehrlich
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Ecopop
[3] http://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis406.html
[4] http://www.aargauerzeitung.ch/aargau/-127479614
[5] http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6457.php
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Schlüer 
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/James_Schwarzenbach
[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Schweizer_Demokraten
[9] http://www.bpb.de/apuz/33201/gemeingueter
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Alain_Lipietz
[11] http://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Ökologie
[12] http://de.wikipedia.org/wiki/Garrett_Hardin
[13] http://de.wikipedia.org/wiki/Wachstumskritik
[14] http://de.wikipedia.org/wiki/Balthasar_Glättli 
[15] http://www.rotpunktverlag.ch/617/
[16] http://www.unheimliche-oekologen.ch/




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