Süddeutsche Zeitung
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18. Oktober 2017

Forscher belegen Insektensterben

Dramatischer Insektenschwund in Deutschland

Seit 1989 ist die Masse der Insekten in Deutschland dramatisch geschrumpft, 
belegt eine langjährige Untersuchung. An 63 Orten im Bundesgebiet - allesamt 
Naturschutzgebiete - verzeichneten Forscher einen Rückgang um durchschnittlich 
76 Prozent. Experten sprechen von einem "Beleg dafür, dass wirklich ein 
größerflächiges Phänomen vorliegt". Eine Ursache für das Massensterben könnten 
Stickstoffverbindungen sein, die als Düngemittel in der Landwirtschaft 
eingesetzt werden

VON TINA BAIER

Bislang war es nicht viel mehr als ein ungutes Gefühl, das allerdings immer 
mehr Menschen beschlich. Gab es früher nicht weitaus mehr Schmetterlinge, 
Fliegen, Hummeln, Käfer und auch Mücken? Sterben in Deutschland etwa nicht nur 
die Bienen, sondern ist alles noch viel schlimmer? Gibt es ein allgemeines 
Insektensterben?

Eine Studie [1], die niederländische, deutsche und britische Wissenschaftler 
jetzt in der Fachzeitschrift Plos one veröffentlicht haben, belegt nun 
erstmals, dass die Wahrnehmung, dass sich etwas verändert hat in der Welt der 
Insekten, richtig ist: In weiten Teilen Deutschlands hat die Zahl der 
fliegenden Insekten tatsächlich dramatisch abgenommen. Zu diesem Schluss kommen 
die Studienautoren, nachdem sie den Inhalt von Insektenfallen gründlich 
analysiert haben.

Die ehrenamtlichen Mitglieder des Entomologischen Vereins Krefeld hatten in den 
vergangenen 27 Jahren an insgesamt 63 verschiedenen Orten in 
Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz Fallen aufgestellt. Darin 
verfingen sich über die Jahre Millionen Fliegen und Falter, Käfer, Wespen, 
Bienen und alle möglichen anderen fliegenden Insekten, die von den Forschern 
gewogen wurden. Das erschreckende Ergebnis: Seit 1989 ist die Masse der 
Insekten um durchschnittlich 76 Prozent zurückgegangen. "Mitten im Sommer, wenn 
viele Insekten ihren Höhepunkt erreichen, war sogar ein Rückgang von 82 Prozent 
in den untersuchten Gebieten zu verzeichnen", schreiben die Autoren.

"Wir warten schon lange auf diese Arbeit"

"Die Publikation liefert nun den Beleg dafür, dass wirklich ein größerflächiges 
Phänomen vorliegt", sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für 
Umweltforschung in Halle. Drastischer ausgedrückt: Das Insektensterben ist 
jetzt nicht mehr nur ein vages ungutes Gefühl, sondern wissenschaftlich 
erwiesene Realität - zumindest für die Teile Deutschlands, in denen die 
Untersuchung gemacht wurde. "Wir warten schon lange auf diese Arbeit", sagt 
Wolfgang Wägele, Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig 
in Bonn. "Es ist das erste Mal, dass ein Datensatz dieser Qualität erhoben 
worden ist." Dass die Insekten tatsächlich weniger werden, kann nämlich nur 
mithilfe von Langzeitbeobachtungen wie der jetzt vorliegenden Arbeit 
nachgewiesen werden, da starke Schwankungen von einem Jahr auf das andere bei 
Insekten ganz normal sind und noch keinen Trend belegen.

Noch erschreckender wird das Ergebnis der aktuellen Studie, wenn man weiß, dass 
die Proben, die den drastischen Rückgang belegen, allesamt aus 
Naturschutzgebieten stammen - aus Regionen also, von denen man annehmen würde, 
dass die Natur dort zumindest noch halbwegs intakt ist. "Wenn die Biomasse an 
Insekten bereits an geschützten Standorten so drastisch zurückgeht, ist klar, 
dass die Entwicklung in nicht geschützten Ökosystemen mindestens genauso 
gravierend ist - vermutlich sogar gravierender", sagt Johannes Steidle, 
Tierökologe an der Universität Hohenheim in Stuttgart.

Was passieren könnte, wenn die Zahl der Insekten noch weiter zurückgeht, ist 
kaum absehbar. Klar ist, dass etwa 80 Prozent der wild wachsenden Pflanzen von 
Insekten bestäubt werden. Bleiben die Insekten weg, können sich auch die 
Pflanzen nicht mehr vermehren. Außerdem sind Insekten eine wichtige 
Nahrungsquelle für viele andere Tiere, zum Beispiel ernähren sich etwa 60 
Prozent aller Vogelarten von ihnen. Vor diesem Hintergrund ließen die 
Ergebnisse der aktuellen Untersuchung auch die andernorts beobachteten 
Rückgänge insektenfressender Vogel- und Säugetierarten in einem neuen Licht 
erscheinen, sagt Hans de Kroon, einer der Studienautoren von der 
Radboud-Universität im niederländischen Nijmegen.

Pestizide und Stickstoffverbindungen könnten den Insekten zusetzen

Was genau die Ursachen für das Insektensterben sind, können die Autoren 
allerdings nicht sagen. Sie haben aber versucht, mithilfe statistischer 
Methoden zumindest einige Faktoren auszuschließen. Demnach hat sich zwar die 
Landschaft und damit auch das Spektrum der Pflanzen in den meisten der 
untersuchten Gebiete im Laufe der vergangenen 30 Jahre verändert. Doch beides 
kann nach Auffassung der Wissenschaftler die dramatischen Rückgänge nicht 
erklären. Genauso wenig wie der Klimawandel. "Ein Anstieg der Temperaturen 
müsste ja im Gegenteil eher zu einer stärkeren Vermehrung der Insekten führen", 
sagt Wägele. Schließlich entwickeln sich die meisten Kerbtiere bei Wärme besser 
als bei Kälte. Das sei aber offensichtlich nicht der Fall. Settele sieht diesen 
Teil der Arbeit kritischer: "Die Autoren konnten nicht alle klimatisch 
relevanten Faktoren einschließen", sagt er. Daher könne das Klima als wichtiger 
Faktor nicht ausgeschlossen werden.

Doch was setzt den Insekten dann derart zu? Die Tatsache, dass der Schwund 
nicht lokal begrenzt ist und dass außerdem nicht nur bestimmte Arten leiden, 
sondern alle, deutet nach Ansicht der Autoren auf Verursacher hin, die 
großflächig in die Natur eingreifen. Infrage kommen ihrer Ansicht nach die 
allgegenwärtigen Stickstoffverbindungen, die teils aus Düngemitteln stammen, 
die in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Weniger bekannt ist, dass auch 
durch Abgase aus Autos und Fabriken Unmengen von Stickstoffverbindungen in die 
Umwelt gelangen. Gegen diese Substanzen helfen auch keine Naturschutzgebiete, 
da sie mit Luftströmungen nahezu überallhin gelangen und als saurer Regen in 
die Böden eindringen. Dort verändern sie zunächst die Vegetation: Pflanzen, die 
auf stickstoffarmen Böden gedeihen, werden von Allerweltsarten wie Brennnessel 
und Löwenzahn verdrängt, und mit ihnen auch die Insekten, die auf diese 
Pflanzen zum Überleben angewiesen sind.

Mindestens genauso verdächtig sind Pestizide im Allgemeinen und speziell die so 
genannten Neonicotinoide. "Diese Substanzen sind hochgiftig", sagt Wägele. 
"Wenn beispielsweise eine Schnecke ein solches Pestizid frisst und anschließend 
von einem Käfer gefressen wird, stirbt der Käfer." Hinzu kommt, dass 
Neonicotinoide nicht spezifisch bestimmte Schädlinge töten, sondern auch viele 
andere Insekten-Arten. Sie greifen nämlich das Nervensystem der Tiere an, eine 
zentrale Stelle also, die für alle Insekten gleichermaßen überlebenswichtig 
ist. Doch auch wenn der Verdacht naheliegt: Dass diese Substanzen wirklich der 
Grund für das Sterben der Insekten sind, konnten auch die Autoren der aktuellen 
Studie nicht beweisen. Und das ist vielleicht die erschreckendste Erkenntnis: 
Solange man nicht weiß, was die Ursache ist, kann man auch nur wenig tun, um 
den Schwund der Insekten zu stoppen.

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[1] http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0185809




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