Schwerhoeren So wie Herbie Flowers Basslauf Lou Reed gehoert
[Vorabversion, Richtigversion im n0name newsletter #152 (glaube ich)] "Das Problem, das ich" mit Heavy Listening und Drone "habe ist", dass es so Mark Rothko ist. Bist Du Tuerkei oder wenigstens schwul?, kann man hier oder anderswo lesen. Aber Gendertheorien und Migrationsdiskurse (mit Betonung auf Kurse) greifen da nicht. Der globale Sound einer Global City, die eine neu(kultur)reiche, das bedeutet neuglobale City ist, weht her von der neu aufgemachten, nach der Eroeffnung sofort brummenden Kneipe mit DJ, direkt an Deiner Strassenecke, wo sich die Natives aus den Billigfliegern treffen, oder vom Flohmarkt mit integriertem Livemusikprogramm. Gemasht selbstverstaendlich mit dem Droenen dieser zahlenden Gaeste, die auf gebrochenen perfektem English ein Bier nach dem anderen bestellen muessen, vor der Kulisse des hippen Viertels. O, Amsterdam, o, Prag. Dann sitzen, im Auto voller Subwoofer, den tiefen tiefen Klang der Motoren usw. hoeren, nein spueren. Und man sitzt wie vor Farbfeldern waehrend die tiefe Egopositionierung geschieht, wie auf dem kommoden Sofa in der Tate Modern. Oder der Schlagzeuger sitzt, schon wieder, aber naeher an die Produktion gerueckt, im Proberaum und hoert den anderen an ihren Tretmienen zu, macht sich zu, international, kann aber nichts mehr spielen, weil die Automaten uebernommen haben sollen. Nichts tun, spielen lassen. Keine Jukebox der Interaktion. Man darf den Klangraum auch verlassen, wenn es zu laut ist, was aber uncool waere. Der jetzt oder auch ohnehin arbeitslose Schlagzeuger, frueher fuer jeden Krach zu haben, ja dafuer sogar zustaendig, schaut betreten zu. Organisation von Stille-sein. Der Krach und Laerm -- es gibt einen Unterschied -- meint so apolitisch soziale Resonanz statt Verhalten, wie schwer es doch ist, es zu hoeren, wie die Boersendaten auch ohne Data Visualization rattern. Sicher, es wird eine "DIY-Philosphie" heruntergebetet -- siehe den Film _Noise and Resistance_ von u.a. Julia Ostertag & Francesca Araiza Andrade -- im engeren Sinn eine Weltanschauung, innerhalb derer Noise politisch in Stellung gebracht und zum Motor der revolutionaeren "Osmose" fuer eine Alternative gemacht wird, oder aber auch, Kropotkin gelesen habend, fuer die anarchische Veraenderung der Welt ohne Machtuebernahme. Nur argumentieren die Filmemacherinnen auf Bildebene mit den gleichen oeden, das Medium nicht reflektierenden Dokumitteln. Damit setzen sie nur die fuer sie richtigen Inhalte und Botschaften, ganz wie in der von ihren Protagonisten geschaetzten Musik, Hardcore, in die uebliche Inszenierung ein: In den Interviews sind die Interviewten brave Antworterinnen oder Predigende, obwohl Prediger ja rot/schwarz-geflaggt abgelehnt werden, die Gaertnerin und ehemalige Crass-Illustratorin Gee Vaucher kommt um die Ecke, wo die Kamera wartet, und sprengt Gewaechshauspflanzen mit Wasser, die Fotografie ist klar und deutlich und scharf gestellt draufhaltend, garnicht so Punk, d.h. die buergerlichen optischen Werte unterlaufend. Krach mit Attituede muss noch pogobar sein, Gitarrengriffe sind noch Gitarrengriffe, sogar von Maedchen erlernbar. Alle so unbestimmt freiheitlichen Vorstellungen eines gerechteren Systems werden dabei, rituell tradiert, der Abweisung des Kuenstlichen und Unnaturellen unterstellt, dort wo die selbermachende, machende, machende Transition-Kultur auf sich selbstverteidigende Hausbesetzer trifft. Immerhin, einer von der Band Seein Red spricht davon, dass Anarchowiderstand in die Institutionen des Sozialen (Arbeitsstelle, Familie usw.) getragen werden muesse, soll er nicht im Schweiss der Party verpuffen. Bei den aktuellen Debatten um die Bildung einer bewussten Arbeiterpartei eventuell eine Schnittmenge. Der Vorwurf, dass im und beim reinen Droenen Bedeutungsebenen nun nicht mehr zaehlen und wir ein Displayproblem haben (kannn nicht sehen wie ers macht), markiert jedoch vielleicht nur die relationale Unsicherheit von epistemischen sowie Trend-Anspruechen, um/ueberspielt mit der wohligen Noise-Sicherheit, gegessen schon vor 50 Jahren mit Fluxus und Stockhausen, der La Monte Young minimalistisch dazu bewegt, der Pate fuer Lou Reed ("We who have so much to you who have so little") zu werden, 'dessen' wilder a-symetrischer Doppel-E- und Double Basslauf, bekannterweise vom Stueckgutstudiobassisten Herbie Flowers geliefert, Tantiemen bis heute liefert. Das treibt nun Ulrich Krieger und uns in die Krise der Neuen Musik und das Displayproblem (also: wie Neue Musik vermittelbar und verstehbar machen) -- Laptop auf, Laptop zu -- bleibt. Diese Verweigerung jeglicher referentieller Mission im unpolitischen Krach, nichts direkt anschliessen zu lassen ans Gesellschafts_politische_, ist das Politikum, da es die Praktiken wieder in die Subjektivitaet der intersubjektiven Erfahrung einschliesst. Droenen wie Ritzen. Angst vorm sozialen Realistischen? Wenn, dann auf beiden Seiten. Der Kunst-Industrial kommt gerade in den subventionierten Konzerthaeusern an. Der Ritual-Hardcore langweilt das Wochenendpublikum. Darum nun Schwerhoeren als marktbalancierender Gegenentwurf bis zur Hoerigkeit. WAS? Das Ganze transkribieren (Score) und HD-verfilmen aber aussehen lassen wie 35-mm. Das Diktum Satres (?), dass die Melodien den Massen vorbehalten bleiben, waehrend die Elite mit Kunstmusik vorlieb nehmen muss, ist gedreht. Edgar Reitz liess bereits seinen musikstudentischen Laiendarsteller in Koeln sagen, wie die konzeptionellen Sgt. Peppers-Beatles so viel naeher ("live nicht reproduzierbar") an allen sind als alles Konzept. Aber warum sollte man Partitur bauen aus Tonbandmaterial? Ginge es darum etwas historisch aufzuschliessen oder den unnachspielbaren Speicher auf Traegermedium (nochmal Reed: "It can't be done") doch noch spielbar zu machen, zur Errettung der lebendigen Spielbarkeit? Als ludditische Aktion, jedoch in Absprache mit dem Autor einer artistischen Klang-Industrialisierung? So als wuerde der Patron am Tisch gemeinsam mit seinen Halbleibeigenen speisen? Die Antwort, es sei die Rache der haendisch aufschreibbaren Musik an den Dilettanten, klingt plausibler. Noch plausibler aber klingelt die Erklaerung, Dilettanten koennten nun vom Blatt spielen. Hier liegt ein Schichtenspezifikum. Studierte, Menschen mit Bildungszugang, oder wie, haben die laengste Zeit die Moden der Unterklassen erfolgreicher als diese selbst nachgebaut. Jetzt kommen sie wieder oben bei sich an. Dorthin kann es jeder schaffen und sich jeden Scheiss aneignen. Da verlaeuft auch die letzte Verteidigungslinie der authentischen Authentizisten des Hardcore. Aber, wer ausser Studenten und Joblosen, hat schon Zeit Mittwoch nachts ins Haus zu gehen, zu saufen, sich Toxoscheiss anzuhoeren, durchzutanzen, auszuschlafen? Touristen, der Feind. Denn noch naeher aber als die Beatles und die weltweite BBC im Satelliten-gestuetzten Summer of 1967 sind die in Deine Stadt, Deine Strasse eindringen, die Dir und nur Dir gehoeren sollte, aber nicht gehoert. Sie gehoert den Eindringligen ebenso nicht, hoerst Du das denn nicht? Der Transfair etwa des Chaos Computer Club waere nun der, den Arbeiter und echten Autor Herbie Flowers nach all den Jahren endlich auszuzahlen, und zugleich den Patron Reed an den Tisch zu bitten. Aber, man weiss es laengst, Flowers wurde ja bereits entlohnt. Jede Nachzahlung, bei allem Ruhm, fuer die wirkliche kreative Leistung, bestaetigt nur den Preis als Prinzip und die regulatorischen Fantasien fuer gerechten Lohn, welcher nie existierte und nie existieren kann, sonst waere er kein Lohn. Denn Lohn muss immer Unterbezahlung sein. Die Bereicherung, zumindest auf Geldebene gedacht, faende sonst nicht statt. Mikro-a-tonale Grenzen sollen das nun ja vermeiden helfen. So als Dienstleistung bei Indienstnahme der Ohren. Hoer, dies ist nur noch Schall und keine Interpretierbarkeit mehr -- Rezipient. Ulbrichts "Yeah Yeah Yeah" und die Dekandenz, der kopierte Dreck aus dem fernen Osten und Schluss machen in Monotonie. Reset, Anfang fuer weitere Verhandlungen. Haette ich mich zu entscheiden zwischen Schwerhoeren, schwerhoerend und schwerhoerig, demnach zwischen Tun, passivem Aktivsein und Zustand, fiele meine Wahl aufs erstere. Weil, das geht vorbei. Wenn die Vaeter verlernt haben, sprichwoertlich ihr Gehirn um- oder abgebaut haben beim jahrelangen Nicht-Zuhoeren und Monologisieren, erscheint das wie das Analogon fuer den Drone, dessen Vielwegekommunikation immer erst nach dem Geraeusch zustandekommen kann, dann wenn das Schwerhoeren vorbei ist. Ist das Heavy Listening zur Anti-Ware gegen das Einfache konzipiert, zerfaellt diese Nicht-Kommunikation in ein Gelingen ausserhalb der Setzung und Haltung ("Kein Ton mehr!", wie oft hat man das als Schueler schon gejodelt, gekreischt, gekotzt, gefluestert von Lehrern gehoert?). Drone-Diktatur oder freizeitparkiges Brummen. Die Freizeit der einen im Park ist zuforderst mal die Arbeitszeit der anderen, die gerne im Park liegen wuerden, der ihnen gnaedigst von der herrschenden, nichtarbeitenden Klasse geoeffnet wurde. Was genau wollen die zahlenden Gaeste aber sehen und hoeren, erfahren? Die schier unbeschreibbaren Sensationen wie Schwaene auf dem Wasser, wild geklebte Plakate, andere zahlende Gaeste, nicht-zahlenden Gaeste, eine wildplakatierte Jugendkultur mit wiederum zahlenden Gaesten, doch, ja, auch die Denkmaeler und dann die Absetzung davon ins nur Anti-Pittoreske, ein wenig roter, oder neuer, post-femischer pinker (!) Stern. Diese, in allen Kleinsteilen und Dimensionen unbeschreibbaren Empfindungen, die Wahrnehmungen und ihre Herstellung bleiben nun uebrig, ohne einen Begriff davon zu haben. Solche Begriffslosigkeit ist nicht so leicht und die Sensitivitaet abzueglich des Gross(deutschland)veranstaltungs-Bummsfallera kommt in karnevalesker Wochenend-Trans-Verkleidung, die nun auch tagsueber getragen werden darf. Aber nochmal zurueck zu allem. Der ehemalige Crass-Schlagzeuger Penny Rimbaud zieht in_Noise and Resistance_ die Nachkriegszeit, in der er geboren wurde, heran, um auf die Notwendigkeit des Selbermachens fuers Proletariat in Krisenzeiten hinzuweisen. Das macht er genauso schulmeistlerich wies hier steht. Wenn nichts da ist, mach es selbst! zeigt aber an, wie es mit der organischen Zusammensetzung der Gesellschaft aussieht. Seine Kenntnisse was das Selber bei Problemen mit dem Computer angeht sind, wie er offen zugibt, dann beendet. Dass blasierte deutsche Bands wie Tocotronic an dieser Stelle nur Wohlstandshobby kritisieren koennen ("Macht es nicht selbst") und die DIYler ueberall Ungleichverteilung sehen und sich vom Kleinstbuergerlichen Leben zu verabschieden suchen, findet Entsprechung im standorttragenden Drone der Heavy Listening Sounddesignergruppe mit einem org hintendran: "Coming to Berlin Neukoelln". Doch, aber, nein, nicht der Bass macht mehr den Beat, der Herzschlag des Wettbewerbs macht den Bass. Kommunismus oder Communismus, Kommunisten oder Anarchisten, diese Oeffentlichkeitsmache gehoert jetzt schon VW. So wie Herbie Flowers Basslauf Lou Reed gehoert und das Stadion des Stadionrock nicht der M a s s e n k l a s s e -- ein anderes Thema. Ach ja, wie uebersetzt man doch gleich das in Hochschulkreisen momentan angesagte "empowerment", mit "Mitwirkungsmoeglichkeit" = Gewerkschaft, mit Aktivierung = DIY, oder mit Bemaechtigung = KP? Letzteres meint der FAZische-Marxist Dietmar Dath, wenn er "DJ" schreibt. Matze Schmidt -- NEU: FreePhone - kostenlos mobil telefonieren! Jetzt informieren: http://www.gmx.net/de/go/freephone
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