Lieber Florian,
super, lass es krachen. Ich habe zwar keine Zeit, weil ich so eifrig am Medienkunst produzieren bin, moechte aber dennoch meinen Senf dazugeben .... -------- Man könnte sehr grob zwei Traditionslinien der "Medienkunst" abstecken, eine künstlerisch experimentelle Low Tech-Tradition, die auf die japanische Gutai-Bewegung, das Black Mountain College und Fluxus zurückgeht und sich in Netzkunst und künstlerischer Hackerkultur fortschreibt, sowie eine ingenieurwissenschaftlich-akademische, oft industrienahe High Tech-Tradition universitärer oder privatwirtschaftlicher Elektronikstudios und Laboratorien von den Bell Labs bis zum IRCAM und dem MIT Media Lab. -------- grobe Vereinfachungen mögen zwar manchmal okay sein aber diese hier bricht die Dinge auf eine allzu vereinfachte Scheingegensaetzlichkeit herunter. Der kuenstlerisch experimentellen Low-Tech Tradition fuehle ich mich zwar sehr verhaftet, aber man kann das nicht einfach so stehen lassen. man merkt halt dass du von der Medienkunst der achtziger Jahre, in der sich dieser Begriff eigentlich erst gebildet hat, voellig unbeleckt geblieben bist. Eine solche Unterscheidung laesst sich auch wirklich erst im Nachinein, also aus der Sicht von 2008 treffen. Auch wundert es mich, dass du als Literaturwissenschaftler einerseits so stark mit der Materialitaet argumentierst, andererseits historisch-soziologisch. Gutai, Black Mountain und Fluxus sind High-Brow Konzepte, auf die sich wohl nur die wenigsten Low-Tech Kuenstler explizit bezogen haben. Erst heute im Zeitalter der Historisierung werden solche Referenzen hervorgeholt. Das mag in einzelnen Faellen stimmen, wirkt aber of aufgepappt. Oder, um es weniger angriffig zu formulieren, was eigentlich meine Absicht war, kannst du diese Genealogie belegen, sie auf einzelne Beispiele wie z.B. wichtige Stroemungen und Kuenstler der Gegenwart beziehen? Wenn man eine - nennen wir es vorerst weiterhin - Medienkunst etwas systematischer aufarbeiten moechte, dann kann man die kuenstlerische Intentionalität und damit ästhetische und politische Motivationen nicht aussen vor lassen. In den achtziger Jahren, die man nicht unterschaetzen sollte, gab es zwei ganz wichtige Stroemungen (neben anderen), eine, die von einem gegen- und subkulturellen Impuls getragen war und wobei es darum ging, dem 'System' eigene Medieninhalte entgegenzusetzen. Als Vertreter dieser Richtung zaehlen etwa Rabotnik TV, Van Gogh TV, Radio Subcom u.v.a. Eine zweite Richtung kam von einer ganz anderen Seite und arbeitete an einem erweiterten Skulpturbegriff. Zeuge davon ist die Videoinstallationskunst zum Unterschied von der Videokunst, mit z.B. Graf und Zyx, Brigitte Kowanz, Franz Xaver und anderen. Dabei gab es wiederum einen Split naemlich zwischen denen, die bald die Videos sein ließen und nur mehr Skulpturen mit neuen Materialien machten und es sich im Galerienbetrieb gemuetlich machten (auch nicht schlecht), und anderen, die wie Franz Xaver als echte Vorlaeufer eine dezentrale und interaktive Echtzeit-Skulptur anstrebten. Beide Richtungen arbeiteten mit Low-tech und DIY Methoden, zum Teil als Wahlentscheidung, zum Teil einfach weil sie mussten. Low-tech ist also Teil der Methodik und vielleicht einfach ein Merkmal unter mehreren aber nicht das einzige. Eine weitere ganz wichtige Methode war die Appropriation. Diese ging viele Wege, von der Appropriation von audiovisuellen Inhalten bis hin zur Appropriation von Materialien und Gegenstaenden, jaja Duchamp, als Versuchen eine philosophisch reflexive Doppelboedigkeit einzuarbeiten, etwa wenn Wolfgang Staehle den Sony Videowalkman in einen Schraubstock einzwaengte. Ein weiterer Ansatz hieß eigentlich eher Multimedia und lagerte sich irgendwo zwischen New Wave, New Romantic Pop, Andy Warhol, General Idea, Throbbing Gristle's IBM und dem Nam June Paik von ca. 1974 mit seinem Global Groove Manifesto. Als letzte aktive Vertreter dessen kann man Station Rose ansehen. Aber alle diese Stroemungen gehen weiter, tauchen wieder auf, geben neue Impulse. Wenn man so will, kann man deutlich eine romantische Stroemung in der Medienkunst verorten, eine Landschaftsmalerei des Informationszeitalters, aber auch eine revolutionaere Romantik und eine emotional affektive Kunst zum Unterschied von einer analytischen. Es geht also darum, wenn man aufarbeitet, entlang welcher Begrifflichkeiten. Nur was geschehen ist war, dass ploetzlich Linux und das Internet auf dem Plan erschienen und das hat die Spielregeln fundamental veraendert. Da tauchte dann die Netzkunst auf doch die war nie mehr als ein Joke wie doch Shulgin richtig bemerkte. Von der Netzkunst spricht doch schon lange niemand mehr waehrend die Medienkunst, wie man an diesen Diskussionen sieht, ziemlich 'alive and kicking' ist. Insofern kam nach 1995 die babylonische Verwirrung und da koennte ich provokant sein und sagen, der Versuch, eine Softwarekunst zusammenzuzimmern, war doch wohl auch eher provisorisch, belegt aber sehr gut, dass wir es inzwischen tatsaechlich mit den Medienkünsten in der Mehrzahl zu tun haben und nicht mit einer monolithischen Medienkunst was in meinem demnaechst erscheinenden Essay zur Ausstellung Waves in Dortmund auch nur ein bisschen abgehandelt wird, waehrend wir noch gar nicht begonnen haben uns der Frage zu naehern, was die Kunst mit der allgemeinen wirtschaftlich-industriellen Dynamik zu tun hat. da gab es naemlich einmal den Anspruch, dass die Kunst frei nach Burnham in die Richtungsentscheidungen ueber die Zukunft der Technologieentwicklung eingreift. Mag sein, dass manche der so gescholtenen MIT-Kuenstler eine solche Motivation hatten und sich sagten, ich arbeite lieber im Bauch des Boesen, weil ich da was beeinflussen kann, als an der Peripherie. Mit der Netzkutur und FOSS haben sich die Spielregeln geaendert und Innovation kann dezentral erfolgen aber die Referenz zur Kunst faellt weg. Diese noch offenen Entwicklungen und Ebenen des emergierenden Neuen nenne ich www.thenextlayer.org Schoenen Tag noch Armin
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