Hallo rohrpostler,
Das BG-Projekt 2022 After Extractivism (zu Deutsch: Nach dem
Extraktivismus) lanciert seine Intervention in einem kritischen
Augenblick: zwei dringende Übergänge werden gegenwärtig miteinander
verknüpft, nämlich der Übergang von der pandemischen Notlage hin zur
post-pandemischen sozio-ökonomischen „Erholung“ sowie jener vom
klimaschädlichen hin zum klimaneutralen Wirtschaften. Das BG-Projekt
lokalisiert die gemeinsamen Ursachen für beide Notstände im
ökologisch-ökonomischen Komplex und schlägt vor, aus der letzten großen
Transition – dem Übergang vom „Kommunismus“ zum Kapitalismus nach dem
Kalten Krieg – zu lernen und die Frage nach Gerechtigkeit in diesem
Zusammenhang zu stellen. Transition justice (zu Deutsch:
Übergangsgerechtigkeit) zu fordern, bedeutet hier nicht zuletzt, sich
mit all dem auseinanderzusetzen, was in den offiziellen Darstellungen
der Übergänge nach 1989 in der Regel ausgeblendet oder geleugnet wird:
die Klassenkämpfe und die immensen, lang anhaltenden politischen,
sozialen und letztlich auch ökologischen Kosten dieser Transitionen.
Ein dergestalt kritischer Ansatz erscheint heute umso notwendiger
angesichts eines fehlgeleiteten, wenn nicht gar korrumpierten
Übergangsmanagements: Wenn offiziell anerkannt wird, dass die Bereiche
Ökologie und Ökonomie auf immer verheerendere Weise ineinandergreifen
(Stichwort: ökologisch-ökonomischer Komplex), werben Regierungen und
Unternehmen für angeblich „nachhaltige“, setzen in Wirklichkeit aber
meist Varianten der dominanten Wirtschaftsweise als Lösungen für dieses
Problem ein. Übergänge zu imaginieren und planen, sollte jedoch mit
einer grundsätzlichen Infragestellung der vorherrschenden
Wirtschaftsweise verbunden sein. Diese beruht auf dem Streben nach
endlosem Wachstum, auf energieverschwenderischem Profitzwang und nicht
zuletzt auf ressourcenverschlingendem Extraktivismus – all dies Ausdruck
einer jahrhundertealten Konstellation von Machtstrukturen, die die
Klimakatastrophe als transgenerationales Problem hervorgebracht haben.
Mit anderen Worten: Wenn die seit der Moderne dominanten
Wirtschaftsweisen das Problem sind, dann verstärkt und verstetigt ihr
Einsatz als Teil der vermeintlichen Lösung nur die katastrophalen
Tendenzen.
Das BG-Projekt 2022 setzt den Begriff transition justice als
konzeptionelle Weiterentwicklung der Idee der just transition ein. Das
in den letzten Jahren von der Gewerkschaftsbewegung entwickelte Konzept
der just transition stellt Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit im
Zusammenhang mit der Anpassung an die Klimakatastrophe und fordert
Interventionen, die die Rechte und den Lebensunterhalt der
Arbeitnehmer*innen sichern, wenn sich, wie etwa in kohleabhängigen
Entwicklungsregionen, die Wirtschaft von fossilen Brennstoffen auf
andere Energieträger umgestellt wird. Das Konzept der transition justice
schlägt vor, einen Schritt weiter zu gehen und dabei auch Forderungen
der Bewegung für Umweltgerechtigkeit (environmental justice)
einzubeziehen: das wären in erster Linie ethische, rechtliche und
politische Fragen der Rechenschaftspflicht und Verantwortung für die
Konsequenzen der langsamen Gewalt ökologischer Verwüstungen, die seit
der sogenannten europäischen Expansion im Zuge von Kolonisierung und
Industrialisierung verursacht worden sind und noch immer nachhallen.
Kurz gesagt: das BG-Projekt 2022 schlägt vor, Forderungen nach einer
just transition mit Forderungen nach Umweltgerechtigkeit zu verbinden.
Als Kombination und Weiterentwicklung dieser beiden Konzepte greift
transition justice nicht zuletzt indigene Anliegen auf und schafft Raum
für die Interessen von Arbeiter*innen, die (noch) nicht von
Gewerkschaften vertreten werden, z.B. Wanderarbeiter*innen oder
Arbeiter*innen in Bereichen der sozialen Reproduktion.
Die Frage nach transition justice angesichts menschengemachter
Naturkatastrophen (wie einer Pandemie oder des Klimakollaps) und
grüngewaschener neoliberaler Antworten darauf zu stellen, bedeutet
folglich, Rechenschaft und Verantwortung für ökologische Zerstörung
einzufordern und darüber hinaus zu fordern, dass Übergangsmaßnahmen
nicht bestehende Machtstrukturen (die die Gefährdung und Zerstörung von
Lebenswelten überhaupt erst verursacht haben) reproduzieren, sondern
neue Wege in eine gerechte Welt freilegen müssen. Um diese
Machtstrukturen beispielsweise bei der Energiewende und anderen
Maßnahmen zur Anpassung an die Klimakatastrophe aufzulösen, ist es
notwendig, die Klimaproduktion zu dekolonisieren und dem Zugriff der
dominanten Wirtschaftsweise zu entziehen. Das BG-Projekt After
Extractivism lädt Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und
Kulturschaffende dazu ein, zu erforschen, zu überlegen und zu
imaginieren, wie wir dies in Solidarität tun können. Zugespitzt
formuliert: Wie können wir unsere Zukunft auf dem Erbe und den
Ansprüchen derer bauen, die – gestern wie heute – durch den
ökologisch-ökonomischen Komplex in existenzielle Notlagen geraten sind?
Und wie können wir ihre Kämpfe zu