Re: Begriffe / was: [rohrpost] Zukunft der transparenten Gesellschaft / “Terror von rechts”

2011-11-16 Diskussionsfäden Bernd Brincken

Hallo Krystian,

gut, also reden wir darüber, wie man den Begriff Transparenz verstehen will.

On 15.11.2011 11:49, Krystian Woznicki wrote:
...

Wenn ich hier von Transparenz spreche, dann im Kontext der digitalen
Revolution - ein Prozess, in dem Firmen wie Facebook mit dem Staat um das
Monopol auf asymetrische Transparenz (allumfassendes Wissen über die Bürger)
konkurrieren.


Der Begriff macht IMHO Sinn nur im Bezug auf gestaltete (soziale) Prozesse, wo 
dann die Wege und Motive für Struktur oder Entscheidungen offener gelegt 
werden sollen. Das bedingt auch, sie _liessen_ sich wirklich offen legen und 
es sei dann nur eine Frage Von Politik, oder Macht, oder Organisation, wieweit 
das geschieht.


All dies gilt für Menschen nicht, sie können zwar auf konkrete Fragen hin 
Gründe für ihr Handeln formulieren, aber die Vielzahl von Rollen, 
Identifikationen, Motiven nicht (selbst) abstrahieren, und die genannten 
Gründe sind dann immer nur Ausschnitte.
Anders gesagt, die Komplexität von Mensch und den von ihm betriebenen Gebilden 
(sozialen Systemen, Gesellschaft) ist zu groß, um - selbst beim besten Willen 
(oder mit aller Macht) - einen Menschen transparent zu machen, ihn also 
komplett zu durchschauen.
Es gibt daher nie ein allumfassendes Wissen über Menschen, und auch nicht 
über Bürger, sondern immer nur Ausschnitte, Aspekte, Bezüge.
Das denke ich mal haben auch jene begriffen, welche Daten sammeln, Facebook 
hier, der Staat dort - und daher wird der Wunsch nach einem transparenten 
Konsumenten oder  transparenten Bürger dort auch nicht formuliert.


Umso wichtiger ist IMO, klar zu formulieren, welche Interessen diese Stellen 
denn tatsächlich haben, ohne zu überzeichnen.
Es reicht dabei aus, dass dort Daten gesammelt werden, woraus eine Änderung 
des Verhaltens der Betreffenden entsteht, allein weil sie wissen, dass ihre 
Aktionen irgendwo verfolgt, aggregiert, interpretiert werden. Diese 
Verhaltensänderung ist eine (erst einmal selbst-) Einschränkung von Freiheit - 
und für den Erhalt solcher Freiheit geht es bei Datenschutz und Bürgerrechten.


Wenn man dagegen immer nach der großen Mission fragt - Totale Transparenz, 
Totale Sicherheit, Totale Irgendwas - dann kommt man in ein Fahrwasser des 
Totalen, siehe auch Post Privacy etc., und das ist nicht gut.



Nach Terror richtet sich der Verdacht normalerweise gegen die Bevölkerung.


Sorry, das kann man doch so auch nicht sagen, der Verdacht richtet sich doch 
gegen (unbekannte) Terroristen. Ein einzelner Bürger, der zB in eine 
Raster-Kontrolle gerät, der steht dann ggf. unter Verdacht, aber keine 
Bevölkerung.



.. erlöst die Gesellschaft nicht davon, selber in den Mittelpunkt
des Verdachts zu geraten. ...


Sorry, wie kann Gesellschaft in Verdacht geraten? Gesellschaft als Analogie 
zu Bürger macht IMO keinen Sinn, daher gibt es da auch nichts zu verdächtigen.


Die tatsächliche Frage lautet im Kontext von Terrorismus (und anderen 
Verbrechen) stets, wieviel Freiheit man für mehr Sicherheit opfern will. Gut, 
diese Frage wurde ja seit der RAF-Zeit immer wieder gestellt, und 
unterschiedlich beantwortet.



... Wenn ich also
von Terror als Auslöser für Forderungen nach Sicherheit spreche, die qua
Überwachung garantiert werden soll, dann wird im Zuge dessen mehr Transparenz
hergestellt.


Sorry, nein, ganz konkret wurde ja durch die Rasterfahndung der 1970er viel 
Material gesammelt, das nutzlos war, und auch bei 9/11 war die Vielzahl von 
Sicherheits- und Geheimdiensten in den USA nach allem was man erfuhr eher ein 
Hindernis für die Erkennung der Terrorpläne.
Bei den Sicherheitsdiensten ist offenbar stets auch Fantasie, Projektion, 
Verantwortungsdiffusion, Datenmüll oder Arbeitsbeschaffung im Spiel - also ist 
mitnichten klar, dass im Ergebnis mehr Durchschaubarkeit von Irgendwas entsteht.


Gruß /
--
Bernd Brincken - Berlin
http://public-process.de

-- 
rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze
Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost 
http://post.in-mind.de/pipermail/rohrpost/
Ent/Subskribieren: http://post.in-mind.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/

Re: Begriffe / was: [rohrpost] Zukunft der transparenten Gesellschaft / “Terror von rechts”

2011-11-15 Diskussionsfäden Krystian Woznicki

Lieber Bernd,

On 14.11.2011 16:37, Bernd Brincken wrote:
Da scheinen mir einige Begriffe klärungsbedürftig.

ich möchte zunächst zwei Mißverständnisse ausräumen. Du beziehst dich 
u.a. auf den Teaser (als wäre er Teil des Texts) und den WikiPedia-Link: 
der Link ist an der falschen Stelle gesetzt; der Teaser, der 
redaktionell/kollaborativ entstanden ist, soll neugierig machen / Fragen 
triggern, die im Text selbst erörtert werden.

http://berlinergazette.de/rechtsterrorismus-transparenz/

Wenn ich hier von Transparenz spreche, dann im Kontext der digitalen 
Revolution - ein Prozess, in dem Firmen wie Facebook mit dem Staat um 
das Monopol auf asymetrische Transparenz (allumfassendes Wissen über die 
Bürger) konkurrieren.


Nach Terror richtet sich der Verdacht normalerweise gegen die 
Bevölkerung. Im Augenblick richtet sich ein Teil-Verdacht gegen den 
Verfassungsschutz. Aber dieser Verdacht erlöst die Gesellschaft nicht 
davon, selber in den Mittelpunkt des Verdachts zu geraten. Die 
asymetrische Konstellation bleibt: Wenn ich also von Terror als Auslöser 
für Forderungen nach Sicherheit spreche, die qua Überwachung garantiert 
werden soll, dann wird im Zuge dessen mehr Transparenz hergestellt. Die 
Bürger sollen durchsichtiger werden.


All dies hatte ich im Text schon mehr oder weniger so geschrieben bzw. 
teils vorausgesetzt. Deine Fragen haben mich dazu inspiriert, einige 
Details im Text zu modifizieren/ergänzen. Ich korrigiere jetzt auch den 
eingangs erwähnten Link.


Ich  hoffe, diese Klärung bereitet den Weg um sich den eigentlichen 
Fragen und Problemen zu nähern.


Viele Grüße,

Krystian

On 14.11.2011 16:37, Bernd Brincken wrote:

Lieber Krystian,

On 14.11.2011 15:17, Krystian Woznicki wrote:

http://berlinergazette.de/rechtsterrorismus-transparenz/


Da scheinen mir einige Begriffe klärungsbedürftig.
So schreibst du:
Auf Terror folgen üblicherweise Forderungen nach mehr Sicherheit und 
Transparenz.
Mehr Sicherheit ja, aber Transparenz - wird gefordert wo? Von wem? 
Beispiele?


Doch ist das landläufige Transparenz-Modell überhaupt für eine 
Demokratie gemacht?

Was ist denn das landläufige Modell von Transparenz?
Du führst selber Wikipedia an, da ist der Begriff eindeutig der 
Politik zugeordnet, also geht es um Transparenz politischer 
Organisationen und Entscheidungen, also eine Forderung des Bürgers 
gegenüber der staatlichen Organisation.


Im Kontext der braunen Zelle kann man Transparenz vielleicht für die 
Arbeit der Sicherheits-Dienste fordern - Polizei, BKA, 
Verfassungsschutz - weil ja erstaunlich ist, dass diese Leute so viele 
Jahre unbehelligt agieren konnten. Die aktuelle Debatte scheint mir 
eher dahin zu gehen, dass man diesen Diensten unterstellt, auf dem 
rechten Auge schlecht zu sehen. Dann wäre Transparenz eher ein 
Euphemismus für Tendenz.


So oder so, eine Anwendung des Begriffes auf a) Gesellschaft oder b) 
soziale Systeme oder c) Individuen wäre etwas ganz anderes - und ich 
habe diese Forderung auch in der öffentlichen Debatte nicht gehört, 
oder in den Sozialwissenschaften (aber ich bin gern bereit zu lernen).


 'Wir' .. steht für eine Mehrheitsgesellschaft, deren Interessen 
deckungsgleich sind mit den Interessen des Staates.


Gesellschaft ist ein Begriff der Soziologie. Was soll 
Mehrheitsgesellschaft sein? Es wird in Gesellschaft ja nicht 
gezählt, abgestimmt o.ä. Ist das eine Teilmenge der (ganzen) 
Gesellschaft?

Und deren Interessen sind dann deckungsgleich mit denen des Staates?

Gruß /


-- 
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Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost 
http://post.in-mind.de/pipermail/rohrpost/
Ent/Subskribieren: http://post.in-mind.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/

Begriffe / was: [rohrpost] Zukunft der transparenten Gesellschaft / “Terror von rechts”

2011-11-14 Diskussionsfäden Bernd Brincken

Lieber Krystian,

On 14.11.2011 15:17, Krystian Woznicki wrote:

http://berlinergazette.de/rechtsterrorismus-transparenz/


Da scheinen mir einige Begriffe klärungsbedürftig.
So schreibst du:
Auf Terror folgen üblicherweise Forderungen nach mehr Sicherheit und 
Transparenz.

Mehr Sicherheit ja, aber Transparenz - wird gefordert wo? Von wem? Beispiele?

Doch ist das landläufige Transparenz-Modell überhaupt für eine Demokratie 
gemacht?

Was ist denn das landläufige Modell von Transparenz?
Du führst selber Wikipedia an, da ist der Begriff eindeutig der Politik 
zugeordnet, also geht es um Transparenz politischer Organisationen und 
Entscheidungen, also eine Forderung des Bürgers gegenüber der staatlichen 
Organisation.


Im Kontext der braunen Zelle kann man Transparenz vielleicht für die Arbeit 
der Sicherheits-Dienste fordern - Polizei, BKA, Verfassungsschutz - weil ja 
erstaunlich ist, dass diese Leute so viele Jahre unbehelligt agieren konnten. 
Die aktuelle Debatte scheint mir eher dahin zu gehen, dass man diesen Diensten 
unterstellt, auf dem rechten Auge schlecht zu sehen. Dann wäre Transparenz 
eher ein Euphemismus für Tendenz.


So oder so, eine Anwendung des Begriffes auf a) Gesellschaft oder b) soziale 
Systeme oder c) Individuen wäre etwas ganz anderes - und ich habe diese 
Forderung auch in der öffentlichen Debatte nicht gehört, oder in den 
Sozialwissenschaften (aber ich bin gern bereit zu lernen).


 'Wir' .. steht für eine Mehrheitsgesellschaft, deren Interessen 
deckungsgleich sind mit den Interessen des Staates.


Gesellschaft ist ein Begriff der Soziologie. Was soll Mehrheitsgesellschaft 
sein? Es wird in Gesellschaft ja nicht gezählt, abgestimmt o.ä. Ist das eine 
Teilmenge der (ganzen) Gesellschaft?

Und deren Interessen sind dann deckungsgleich mit denen des Staates?

Gruß /
--
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