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Die WELT, 8. Mai 2004 Demos heißt die Kanaille Sie waren die Deutschen Meister im Ressentiment: Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Gerhard Nebel von Wolf Lepenies In einigen rauschhaften Tagen", schreibt ein Kölner Lehrer im Juni 1938 an Ernst Jünger, habe er einen Essay über ihn verfasst. Er bittet Jünger um sein Urteil und schließt den Brief mit dem Wunsch, den Autor bald kennen zu lernen und mit ihm "dem Herrn Dionysos ein Trankopfer darzubringen". So beginnt ein Briefwechsel, der in weiten Teilen zu einem mythenschweren Besäufnis wird. Regelmäßig ist in dieser Korrespondenz, die bis 1974, dem Todesjahr Nebels, reicht, von Rauch- und Trankopfern die Rede. Im Klartext: Es wird gesoffen und gequalmt, dass es eine Art hat. "Erwartungsvoller Durst" steht am Anfang jeder Begegnung und ein Kater oft genug an ihrem Ende. Die Dauer von Besuchen wird nach "Flaschenlängen" gezählt. Eine 37er Johannisberger Trockenbeeren-Auslese wird zum Spanferkel geleert, zwischen zwei Flaschen Burgunder wird Whisky gekippt, und zur Not muss Rübenschnaps herhalten, um "delische Tiefen" zu erreichen. Nebels Besuch in badischen Weinbergen endet 1949 mit dem Absingen alter Soldatenlieder: "Siegreich wolln wir Frankreich schlagen" - wie neun Jahre zuvor. Dieses fast 1000 Seiten umfassende Buch - auf jede Briefseite kommt eine Seite Kommentar - verlangt allerdings eine nüchterne Lektüre. Der Briefwechsel nach Kriegsende erinnert den heutigen Leser daran, wie schwer die zweite deutsche Republik es hatte, sich gegen das Ressentiment derer zu behaupten, die schon die Weimarer Republik bekämpft hatten. 1947 schrieb Hans Paeschke, der Herausgeber des neu gegründeten "Merkur", an Nebel: "Junge! Junge! Wenn Ihr so weitermacht, seid Ihr übermorgen beim neuen Widerstand, und der tote Adolf kann sich freuen." Diese Mahnung führt auf eine falsche Fährte. Die Korrespondenz zwischen Jünger und Nebel ist nicht das Dokument eines auf Revanche zielenden Neofaschismus. Wie unter Schock schwören beide Briefpartner unmittelbar nach dem Krieg der "Vaterländerei" ab; selbst eine "angelsächsische Weltorganisation" wird zur Not hingenommen. Jünger wie Nebel sind anarchische Temperamente, die versuchen, geistiges Terrain wiederzugewinnen. Im Rückblick auf die Nazizeit sehen sie sich im "inneren Widerstand". Attacken gegen die Weimarer Republik empfinden sie immer noch als ehrenhaft. Zum Haltepunkt inmitten allgemeiner Orientierungslosigkeit wird für sie das Ressentiment gegen die neu entstehende Demokratie. Der Demos - das ist die Kanaille. Mit Jünger und Nebel treffen ein Anarchist und ein Vagabund aufeinander. Gerhard Nebel jagte am Viktoriasee und arbeitete als Barkeeper in Tanganjika, wurde im Weltergewicht deutscher Meister im Hochschulboxen und promovierte in Heidelberg über "Plotins Kategorien der intelligiblen Welt". Er wurde als Leser und Lehrer zu einem glühenden Verehrer der Antike - und blieb ein Außenseiter der philologischen Zunft. In Nebels Heimatstadt Koblenz war Joseph Breitbach, dessen Schwester er beinahe geheiratet hätte, sein Mitschüler; zu den Studienfreunden zählten der Philosoph Hans Jonas und die Soziologen Siegfried Landshut und Talcott Parsons; Heinrich Böll erinnerte sich an ihn als einen Lieblingslehrer, und Karl Jaspers war des Lobes voll über Nebels Tagebücher, die er denen Jüngers vorzog. Nebel war erst Mitglied der SPD und der Sozialistischen Arbeiterpartei und später der NSDAP. Nach dem Krieg wurde er schnell entnazifiziert. Sein Lieblingstier war das Chamäleon - aber Nebel war kein Anpasser. 1939, als es noch gefährlich war, nannte er Carl Schmitt eine "Hure der jeweiligen politischen Macht", und 1946, als es wieder gefährlich war, schrieb Nebel an Jünger, er habe Carl Schmitt schätzen gelernt. Nebel verabscheute das Militär und vor allem den deutschen Generalstab. Der Hauptmann Jünger duldete Nebel, das typische "Etappenschwein", dennoch, weil dieser den Krieg als "Elementarereignis" bejahte. Zur Entfremdung zwischen ihnen kam es, weil Nebel, der "Lautsprecher Europas", wie Jüngers Sekretär Armin Mohler ihn verspottete, seinen Mund nicht halten konnte. Klatsch und Tratsch zogen ihn magisch an. "Abenteuer des Geistes" hatte Nebel sein 1949 erschienenes Buch über Jünger genannt. Er pries Jünger als den größten "lebenden Mythologen" und prophezeite ihm den Nobelpreis. Zugleich wollte Nebel kein Eckermann sein; er war mutig genug, nicht nur Jüngers Bibelinterpretation, sondern auch seine falschen Partizipialkonstruktionen zu kritisieren. Ernst Jünger konterte: Auch Goethe habe Fehler gemacht. Nebel wie Jünger wussten, dass ihre Briefe einmal publiziert würden. Charakteristisch ist deren hoher Ton; wann immer es geht, streben die Briefschreiber ins Mythische und verlieren sich dann oft in eine Stil- und Geschmacksgrenzen missachtende folie à deux. Der Briefwechsel zwischen Jünger und Nebel - bekennende Karnevalisten alle beide - wirkt oft unfreiwillig komisch. Ihre Briefe sind zugleich Zeugnisse einer Gefahr, die der neu entstehenden Republik drohte. Als der Schock der Niederlage nachlässt und Westdeutschland seine Staatlichkeit wiedergewinnt, macht die heimatlos gewordene Rechte mobil und versucht, ihre versprengten Bataillone zu sammeln. Nebel wie Jünger mühen sich, ein "Konsilium" zu bilden, das in der jungen Republik die Deutungshoheit an sich reißen soll. Heidegger und Heisenberg, der General Speidel und Carl Schmitt würden dazugehören. Ein politisches Programm wird dabei nicht sichtbar - nur ein fast körperliches Unbehagen in der Republik. Das Grundgesetz der "Bonner Würstchen" wird verspottet, der Reichsadler soll bald wieder fliegen, eine neue Hymne muss gedichtet werden. Nebel wie Jünger vertrauten der Maxime Carl Schmitts, die Obskurität schütze besser als das Gesetz und gebe größere Sicherheit als die Unschuld. Obskurität schützte sie - und verhinderte zugleich die wirksame Gruppenbildung ihrer Sympathisanten. Auch war der Demos vernünftiger als die rechten Mythologen. Das "Konsilium" kam nicht zustande. Aus dem aufgeregten Ressentiment der Einzelgänger wurde keine Bewegung. Bonn wurde nicht Weimar. Ernst Jünger, Gerhard Nebel: Briefe 1938-1974 Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Ulrich Fröschle und Michael Neumann. Klett-Cotta, Stuttgart. 989 S., 49 EUR.