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Tobias Wimbauer
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literaturkritik.de » Nr. 9, September 2004 » Politik und Geschichte  

"Da habe ich den Leser überschätzt"

Der dritte Band des "Luminars" stellt Jüngers Capriccio-Technik, seine 
Burgunderszene und das Friedensschrift-Chaos auf den Prüfstand
Von Jörg Sader


Widerspruch, verstanden als Widersprüchliches, noch Aufzulösendes, doch auch 
als Einspruch und kritische Entgegnung auf ein Werk, dessen Bedeutung wie im 
Falle Jüngers außer Frage steht - dieser (programmatisch bereits im Titel 
dieses Bandes verankerte) Doppelsinn des 'Widerspruchs' bestimmt die meisten 
der hier versammelten "Neuen Beiträge zu Werk und Leben der Gebrüder Jünger" 
(u. a. Thomas Rohkrämer, Wojciech Kunicki, Helmut Lethen, Tobias Wimbauer, Piet 
Tommissen) in ihrer Intention, den Verrätselungen und Stilisierungen, den 
Camouflagen und Vexierbildern im Werk auf den (Sprach-)Leib zu rücken: diesen 
mitunter subtilen Nebelkerzen, die Jünger liebte und ein Leben lang warf ...

Ernst Jünger, wohlgemerkt - denn anders, als es Unter- und Reihentitel 
nahelegen, ist von Bruder Friedrich Georg genau genommen lediglich in zwei 
Beiträgen die Rede. Immerhin eröffnet sein sehr atmosphärisches, bisher 
ungedrucktes Prosastück den facettenreichen Band: "Besatzung 1945", ein Kapitel 
aus den Nachkriegswirren am Bodensee, das die bedrückende, wenig 'charmante' 
Willkür der französischen Truppen schildert, das Chaos der Einquartierungen, 
Plünderungen und Internierungen, doch auch Kurioses, etwa die Balance 
verlierenden, "radfahrenden Kongoneger", nicht ausspart.

Der Beitrag von Peter Bahn leuchtet Friedrich Georg Jüngers freundschaftliche, 
nicht spannungsfreie Beziehung zu dem Publizisten und NS-Gegner Friedrich 
Hielscher aus, der im Erinnerungsbuch "Spiegel der Jahre" als Helmer auftritt. 
Der eigenwillige Theologe und spätere Gründer der "Unabhängigen Freikirche" 
hatte vor allem mit seinem Buch "Das Reich" für eine Erneuerung aus dem 
Religiösen geworben und damit Ernst Niekischs Kritik auf den Plan gerufen, der 
sich FGJ bald scharf und unmissverständlich anschloss. Hielschers Ideen sorgten 
unter den Nationalrevolutionären nicht nur für Krisen und Neuorientierungen, 
sondern bewirkten indirekt, wie Bahn zeigt, den Wechsel vom nationalstaatlichen 
zum universalen Weltbild.

Demgegenüber geht Thomas Rohkrämer zu den Anfängen Weimars zurück, zur 
Sinnkrise, die der Erste Weltkrieg hinterließ - ein gewissermaßen 
nihilistischer Nullpunkt, den Ernst Jünger als Chance begriff, sein vom Willen 
zur Macht geprägtes Ideal eines militaristischen und autoritären Staat zu 
propagieren und zu realisieren - "aus einem ewigen Deutschtum heraus", d. h. 
gegen die Ideen der Aufklärung. Rohkrämer ersetzt den Begriff der 
"Konservativen Revolution" durch den geeigneteren des "Neuen Nationalismus" 
(Panajotis Kondylis) und stellt fest: Jünger habe alles gefehlt, Märtyrer, 
dramatische Entwicklung, vor allem die wahre Revolution: "Ihre Idee ist die 
völkische", schreibt er 1923, "ihr Banner das Hakenkreuz, ihre Ausdrucksform 
die Konzentration des Willens in einem einzigen Punkt - die Diktatur!"

Ernst Jüngers Welt- und Geschichtsbild untersucht auch Wojciech Kunicki in 
seinem bereits 1992 entstandenen, inzwischen durchgesehenem Beitrag, allerdings 
in einem umfassenderen Sinne. Dass er zu Beginn wohltuend mit einer 
Jünger'schen Attitüde aufräumt, nur nebenbei: Jüngers "prätentiös und im Stil 
der rhetorischen ex-kathedra-Rede" sich gebende "glatte, klassische 
Verbindlichkeit" mache, sagt er, den Leser "dialogunfähig." Unzufriedenheit mit 
dem Erreichten und/oder Bearbeitungsmanie hin und her, ihr Ursprung liege, 
diagnostiziert Kunicki erfrischend, in einer "fundamentalen [...] Unsicherheit 
an dem sprachlichen Ausdruck." Das heißt nun freilich nicht, die Erfahrungen 
des Dichter-Historikers zu ignorieren. Scheiterte Jünger früh mit der 
apokalyptisch-voluntaristischen Absicht, den Frontsoldaten, der er selbst war, 
zum politischen Kämpfer im Sinne des Neuen Nationalismus zu machen, so musste 
er später akzeptieren, dass die Wirklichkeit, die er in der "Totalen 
Mobilmachung" wie im "Arbeiter" beschrieben hatte, sich als längst global 
gewordene nicht mehr auf Staat beziehen ließ. Das hatte Folgen für die 
Wahrnehmung im Zweiten Weltkrieg: der "titanisch-mythologischen Dimension" der 
neuen Waffentechnik ist der Einzelne hilflos ausgeliefert; Jünger macht ihn 
mehr und mehr zum Träger anarchischer Freiheit, zum Beobachter, der im 
"Bilderstrom immer stärker die Raster der historischen Wahrnehmung verliert." 
Kunicki zeigt die Diagnosen dieses Prozesses des Verlustes, der "Weißungen" 
zugunsten abstrakter Zeitbezogenheit auf, der Jünger schließlich zu der 
Vorstellung einer Welt außerhalb der Zeit führt, in Bereiche des 
Nachhistorischen, die - wie in "Eumeswil" und "Aladins Problem" ablesbar - von 
einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, vom konfliktlosen Nebeneinander 
der Zeitebenen geprägt sind.

Auf den Skandal eines unbegreiflichen Nebeneinanders in der NS-Zeit - etwa 
Swingbewegung und Rosenberg-Propaganda, Faulkner-Lektüre und Massenaufmärsche - 
macht Helmut Lethen in seiner mikroskopisch präzisen Analyse der "Kaukasischen 
Aufzeichnungen" aufmerksam, die wahrlich Maßstäbe setzt. Mit hart gefügten, 
auch von surrealistischer Wahrnehmung inspirierten Bildsequenzen trägt Jünger 
diesen Formen des gespaltenes Bewusstsein (und der Überlebenssicherung in der 
Diktatur) im Tagebuch Rechnung; er will den Skandal des Nebeneinander 
überbieten, ohne ihn zu thematisieren. Aber Lethen vergleicht auch Jüngers 
'Wahrnehmungsprogramm' im besetzten Paris - der kalte Blick: die Kunst des 
grausamen Sehens als Verkehrsform der "satisfaktionsfähigen Gesellschaft" 
(Norbert Elias) - mit den 'Bildern', die er an der Ostfront vorfindet, und die 
ihn sogleich zurückschrecken lassen: die Kälte des Massentods, des Kollektivs 
toter Leiber ist in gewohnter Weise in die Aufzeichnungen, die nach Lethen dem 
Schema des deutschen Entwicklungsromans folgen, nicht zu integrieren. Noch in 
Paris hatte sich Jünger von dieser mit unterschiedlicher Begründung 
angetretenen Inspektionsreise neue Capriccios erhofft, nun, vor Ort, muss er 
feststellen, dass das u. a. von Callot und Goya herrührende Capriccio - eine 
Kombination aus präziser Beobachtung, naturalistischer Detailtreue und der 
Beschwörung der Mächte der Finsternis - versagt. Zu erdrückend sind die 
Verbrechen, als dass sie sich, etwa als das Nicht-Mitteilbare, das Jünger aus 
der archaischen Tiefe seiner Träume destilliert, um es dann im Notat spekulativ 
zu stilisieren, vorausahnen ließen, es sind Katastrophen, die, wenn überhaupt, 
nur auf den 'Oberflächen' von Photographie und Film zu zeigen sind. Hatte 
Jünger einst, man erinnere sich, dem kalten Blick des Kameraauges das Wort 
geredet, so beklagt er jetzt, es nehme ihm die Freiheit der Einbildungskraft.

Der allerdings hat Jünger, meint Tobias Wimbauer, reichlich gefrönt, als er den 
inzwischen meistzitierten Passus seines Werks, die umstrittene Burgunderszene, 
niederschrieb - ihren Status aber später in der Schwebe gehalten. Blieb ihm die 
Brisanz der Szene, gar die Empörungssucht seiner Gegner, die sie großzügig 
bediente, verborgen - oder ist das wieder nur eine seiner Nebelkerzen? Noch 
1987 beharrt er auf ihr - als bare Münze, erlebte Realität: in einem Brief an 
Henri Plard, den wichtigen, kürzlich verstorbenen Übersetzer, stilisiert Jünger 
seinen Unmut über die "Untugend", den Autor eines Werks von mehreren tausend 
Seiten mit zwei, drei problematischen Sätze "festzunageln"; das Wort vom 
"Ausrutscher" fällt (in einfacher Anführung!) - "etwas, das man besser für sich 
behalten hätte" -, bevor diese 'abgespeckte' Version folgt: "Zu meinen 
Erfahrungen zählt das Glas Burgunder" [im Original-Brief: "Sekt"!] "auf dem 
Dach des 'Raphael' als einsamer Gruß an den Tod, während die Bomber darüber 
hinwegflogen. Da habe ich den Leser überschätzt".

Dass seit den 90er Jahren in diesem Punkt eine Art interpretatorischer 
Schubumkehr zu beobachten ist, eine auffällige Verfeinerung philologischer 
Erkenntniskunst, der es eine Lust war (und ist), die denunziatorischen 
Vorbehalte Jünger gegenüber zu kassieren, dürfte vor allem dem ungebrochenen 
Provokationspotenzial dieser Szene zu verdanken sein. Davon profitierte noch 
die erst wenige Wochen alte Rezeptionsgeschichte dieses Bandes, die einsetzte, 
als dieser noch gar nicht auf dem Markt war. Eine ausführliche Vorab-Rezension 
des Wimbauer-Beitrags "Kelche sind Körper" (FAZ 10. April) hatte Jünger-Leser 
bewogen (FAZ, Junge Freiheit), den Thesen des Autors mit Hinweisen 
beizuspringen (darunter der für die Argumentation so bedeutende einer 
Zeitzeugin, es habe an jenem berühmten 27. Mai 1944, anders als Jünger 
stilisierend insinuiert, keinen zweiten Fliegerangriff auf Paris gegeben, oder 
der auf Stendhal und seine ästhetisch erhabenen, eben imaginären 
Katastrophenbilder des Brandes von Moskau; FAZ 28. Juli).

Nun hat es wohl mancher geahnt: der Wahrheitsgehalt der Burgunderszene ist 
nicht sonderlich hoch - sie ist pure, lustvolle Stilisierung, ein artifizielles 
Vexierbild, und als solches weder auf Gefühlskälte, ästhetizistisch-barbarische 
Schaulust und dandyesken Untergangsgenuss zu reduzieren noch erschöpfend als 
inhumane Kriegsverherrlichung oder mythisierende Todesfeier zu verstehen. 
Zuviele Implikate deuten - dieser Einsicht haben bereits Martin Meyer und 
Wolfgang Brandes, vor allem jedoch François Poncet vorgearbeitet - auf eine 
hochkomplexe Literarizität: auf ein (tag)traumähnliches, per Imagination und 
Fabulation 'konstruiertes' Gebilde, das sich gängiger Motive aus Literatur, 
Bildender Kunst, selbst der Bibel bedient. Wimbauer schlüsselt sie umsichtig 
auf - von der sexuellen Symbolik der Erdbeere in Boschs "Garten der Lüste", bei 
Villon, Bürger und Thomas Mann, der christlichen Fisch- und Schlangensymbolik 
bzw. der Bedeutung des Weins, der Kelter als Zorn Gottes, über die Bilder der 
Apokalypse und die Opferhandlungen bei Zosimos von Panopolis bis hin zu den als 
literarische Prätexte nachgewiesenen einschlägigen Passagen bei E. T. A. 
Hoffmann, Proust (Fliegerangriffe und Walkürenritt) oder Oscar Wilde 
(Burgunderglas). Dieses alles als 'Humus' Jünger'scher Imagination und 
'Traumarbeit' nachzuweisen, ist eine erstaunliche Rechercheleistung.

Da aber die meisten Bedeutungsschichten auf ein erotisch-sexuelles Zentrum 
gravitieren, lag für Wimbauer der Schluss nahe, in der Burgunderszene arbeite - 
und das ist nun wahrlich neu! - eine Bewältigungstechnik, die in privateste 
Bereiche der Jünger'schen Biographie hinabsteigt: daher könne sie auch (nicht 
müsse!) "ganz anders" gelesen werden, als intime Chiffrierung nämlich, als 
"metaphorisiert-verschleierte Schilderung einer eskalierten Liebes-Affäre", die 
Jünger tatsächlich zu der (im Tagebuch unter fünf Decknamen auftretenden) 
deutschen Kinderärztin Sophie Ravoux in Paris unterhielt, und die nach 
Trennungen im Mai 1944 erneut auflebte. Man reibt sich die Augen: hier schreibt 
ein Mann zwischen zwei Frauen, dem es nicht (oder nicht ausschließlich) um die 
vielgeliebte 'Kriegstheatralik' geht, der sich - darüber berichten die 
"Strahlungen" vielfach - von (Hotel-) Dächern bequem beiwohnen ließ, sondern um 
eigene Emotionen, die ihn von der ohnehin fernen Ehefrau in die Arme der 
Geliebten treiben. Um die These (von "hoher Wahrscheinlichkeit") zu halten, 
werden die in den späteren Ausgaben der "Strahlungen" getilgten Hinweise auf 
die Affäre mit den entsprechenden Tagebuchblättern der Ehefrau Jüngers 
verglichen, auch Textpassagen aus Sartres "Huis clos" herangezogen (die 
Uraufführung fiel just auf den 27. Mai 1944) wie schließlich Jüngers Notate vom 
Vor- bzw. folgenden Tag des 27. Mai selbst, die unvermutete Bezüge aufzeigen - 
etwa Jüngers Klage über das auf Dauer zu anstrengende moralische Verhältnisses 
zu anderen bzw. die infame Rolle des Bürgers, der, obwohl nicht einbezogen, 
immer moralisch urteile, wie schließlich der Traum vom 'ejakulierenden' Fisch 
oder die Lektüre der Offenbarung des Johannes. "Alles nur Zufälle?", fragt 
Wimbauer.

Wie im Rausch nimmt man dies alles zur Kenntnis, man möchte in jedem einzelnen 
Punkt zustimmen - aber das Paradox der "tödliche Befruchtung"? Die 
unglückselige Metapher steht im Raum wie ein erratischer Block und will nicht 
weichen. Wimbauer holt weit aus, um die Konnotationsreihe 'Blüte und Frucht' / 
'Becher und Wein' / 'Blütenkelche = Kelche = weiblicher Körper' / 'Paris als 
Freundin und geliebte Stadt' im Werk nachzuweisen. Die "tödliche Befruchtung" 
wäre demnach Sinnbild einer verbotenen, einer ausweglosen Liebe? Das wird so 
nicht gesagt; dafür nutzt Wimbauer den als Blüten- bzw. "Erdbeerstecher" (!) 
bekannten Käfer namens 'Anthonomus rubi', der ihm zu Hilfe eilt, und den Jünger 
natürlich von der 'subtilen Jagd' her kannte. Der pflanze sich fort, indem das 
Weibchen Knospen ansteche und in dem Loch ein Ei ablege, worauf die fußlose 
Larve die Blütenblätter benage und schließlich zum Absterben bringe. Angesichts 
der sexuellen Symbolik der Erdbeere und Jüngers Gleichsetzung von Blütenkelchen 
"mit Körpern respektive Frauen" ist, vermutet Wimbauer, "die Verbindung von 
Erdbeeren-Blütenkelchen im Zusammenhang mit der 'tödlichen Befruchtung' 
vielleicht doch kein unlösbares Paradox mehr."

Widersprüche wieder anderer Art begegnen uns mit der "Friedensschrift", von der 
Jünger höchst Unterschiedliches streute. Geplant im Augenblick "der größten 
Ausdehnung der deutschen Front", sei ihr Zweck "rein persönlich" gewesen; 
"gewissermaßen als 'Übung in der Gerechtigkeit'." Warum dann, zitiert Piet 
Tommissen Gerhard Loose, "die Form des europäischen oder gar weltweiten 
Aufrufs?" Drei Jahre zuvor, 1946, hatte Jünger noch in einem (hier nicht 
erwähnten) Brief an Werner Milch von einem "bestimmten politischen Plan" 
gesprochen, von einer "außenpolitischen Mitgift für die den 20. Juli 
vorbereitenden Kräfte". Tommissens erste, akribisch vollständige Dokumentation 
der Entstehung, Drucklegung und Verbreitung der "Friedensschrift" räumt nicht 
nur mit unhaltbaren Legenden auf, sie berücksichtigt auch abwegig erscheinende 
Vermutungen: so könnte die Schrift z. B. auch "unter den Auspizien einer 
deutschen Hegemonie in Europa", etwa der 'Großraum-Ordnung' des 
SS-Intellektuellen und Jünger-Vertrauten Werner Best, konzipiert worden sein, 
wogegen Tommissen den umgekehrten Schluss in Erwägung zieht: "warum nicht [...] 
den mit der Großraumtheorie Carl Schmitts vertrauten Ernst Jünger als Ahnherrn 
von Bests Konzept betrachten"?

"Hinter mir geht der Rekrut", heißt es in "Das Wäldchen 125", "der heute morgen 
noch schnell die Maschinengewehrsalve abgab [...]". Dieser Rekrut, der 
Gefechtsläufer Wilhelm Marquardt im 73. Füsilier-Regiment, hatte bereits 1934 
in Zeitungsartikeln seine Kriegserlebnisse mit Jünger an der Westfront 
geschildert; 1980 vertiefte er sie, wobei er 'zur Auffrischung' seiner 
Erinnerungen Jüngers frühe Kriegsbücher konsultierte und 'gegenlas'. Sein 
überaus positives Porträt des Vorgesetzten (hier erstmals veröffentlicht) wäre 
nach der Lektüre des Buchs von John King womöglich anders ausgefallen. Dies 
gilt auch für die Texte Franz Schauweckers und Ludwig Alwens' (erstmals 1926 
bzw. 1932 gedruckt), die es an Bewunderung für den soldatischen Jünger nicht 
fehlen lassen. Schauwecker, der den Krieg als "förderndes Schicksalselement" 
unumwunden bejaht, stilisiert den Stoßtruppführer, den Leser der großen 
Franzosen und Deutschen und Autor von "Feuer und Blut" ("das bedeutendste 
Buch") zum "notwendigen Menschen" der nationalistischen Bewegung: 
"Persönlichkeit ist Schicksal!" Alwens' "Gespräch im Botanischen Garten" ist im 
Grunde ein Monolog Jüngers zur Lage der 'Revolution', die sich anders vollziehe 
"als alles, was man bisher unter Revolutionen verstand". Der soeben 
abgeschlossenen "Arbeiter"-Essay, den "ganz einfache Gemüter [...] mit Nutzen 
lesen können", wird kommentiert und paraphrasiert. Er habe versucht, "eine 
kleine Kampfmaschine zu konstruieren. Es kommt nun darauf an, daß sie anwendbar 
ist." Jünger fordert von einer "Neue Aufklärung" die Überwindung der 
"gesinnungs- und weltanschauungsmäßigen" Zusammenhänge (welches Deutsch!) 
zugunsten "rassemäßiger" Sachlichkeit im Sinne des Arbeitsdienstes, und zieht 
medientheoretische Überlegungen ins Kalkül: es bedürfe "einer neuen Art zu 
sehen", um die Terminologien von Entwicklung und des Fortschritts zu entlarven 
- auch einer "revolutionären" Photographie.

Einen gänzlich anderen Aspekt des Sehens thematisiert das Prosastück "Ortners 
Erzählung", eine Binnenerzählung aus dem Roman "Heliopolis" (1949), die Jünger 
gern separat erscheinen ließ. Tobias Wimbauer geht den Bezügen und 
(biographischen) Hintergründen der in sich geschlossenen Parabel auf die 
"grundlegende Dualität der Menschheit, 'die Toren und die Wissenden'", nach und 
deutet sie im Lichte aktueller Forschungserkenntnisse aus.

Dass er sich gleichwohl nicht zu schade ist, auch weniger attraktive Arbeit zu 
leisten, sei hier wenigstens vermerkt. So lässt er seinem "Personenregister der 
Tagebücher Ernst Jüngers", das an dieser Stelle nicht nur Würdigung erfuhr, in 
diesem Band ein verdienstvolles zweites folgen - zu "Autor und Autorschaft" 
(Sämtliche Werke, Band 19). Alles, was zu entschlüsseln war, enthalte es, heißt 
es in der Vorbemerkung. Vollständigkeit ist nicht zu haben, vielleicht aber 
Annäherungen an sie - durch künftige Hinweise aus der Leserschaft.

Tobias Wimbauer (Hg.): Anarch im Widerspruch. Neue Beiträge zu Werk und Leben 
der Gebrüder Jünger. Das Luminar. Schriften zu Ernst und Friedrich Georg 
Jünger. Bd. 3.
Edition Antaios, Albersroda 2004.
300 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN 3935063539


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