Liebe Jünger-Freunde,

Lutz Hagestedt hat in Rostock das Theaterstück "Borges  tötet Jünger" besucht. 
Seine Rezension anbei.
Herzliche Grüße rundum, Ihr/Euer tw





Aus Liebe zum Thrill


Borges tötet Jünger scheinbar ohne Motiv


Von Lutz Hagestedt


 


„Wilflingen, 27. Oktober 1982 


Wir hatten die Freude und Ehre, Jorge Luis Borges hier zu bewirten – die 
Begegnung mit einem Dichter ist fast so selten geworden wie jene mit einem 
beinahe ausgestorbenen oder sogar mythischen Tier, dem Einhorn etwa.


Borges ist seit Jahren fast völlig erblindet; er kam begleitet von einem jungen 
Mann, der ihm vom Auswärtigen Amt attachiert worden war, und von seiner 
Betreuerin. Die wenigen Stunden hier im Hause ließen uns ermessen, daß sie 
nicht nur eine unschätzbare Hilfe für den Blinden, sondern zu seinem anderen 
Ich geworden ist. Sie führte ihm die Hand zum Glase, wenn er trinken wollte, 
und zu einem Stück Kuchen, bevor er darum bat, und wirkte in jeder Hinsicht wie 
ein ihm zugeordnetes Organ.


Die Unterhaltung zwischen uns Fünfen, die wir in der Bibliothek saßen, war 
polyglott; deutsche, spanische, französische und englische Sätze durchkreuzten 
sich. Borges rezitierte auf deutsch Angelus Silesius, auch altenglische Verse; 
dabei wurde seine Sprache deutlicher, als ob er auf seine Jugend zurückgriffe. 
Ich bedauerte, daß ich nicht Spanisch gelernt hätte, um Cervantes und Quevedo 
im Urtext lesen zu können – natürlich auch Borges.“ (191 f.)


 


Es gab realiter nur eine Begegnung zwischen dem großen argentinischen Dichter 
und dem Weltkriegsveteranen Ernst Jünger, dessen Erstling „In Stahlgewittern“ 
(1920) Anfang der zwanziger Jahre im Auftrag der argentinischen Armee ins 
Spanische übersetzt worden war und den damals 23jährigen Borges begeistert 
hatte: „Das war für mich eine vulkanische Eruption.“


Mittlerweile gibt es eine zweite, genuin fiktive Begegnung der beiden – 
inzwischen uralten – Kempen: Die Komödie „Borges tötet Jünger scheinbar ohne 
Motiv“ des Chilenen Omar Saavedra Santis (Jahrgang 1944) nimmt Jüngers 111. 
Geburtstag zum Anlass, die beiden Dichter erneut in Wilflingen 
zusammenzuführen. Am 10. Mai 2006 stellten Autor Saavedra und Regisseur 
Alejando Quintana (Jahrgang 1951) das zweite („Der Peyotl-Trip“) und das achte 
(und letzte) Bild („Jüngers Euphorie“) der Komödie in einer beinahe szenischen 
Lesung vor – und es war mehr als ein Heiterkeitserfolg, insofern die über weite 
Strecken pathetische Komik der alten Männer immer wieder ins Gespenstische lief.


Die Ausgangssituation: Beide, Borges wie Jünger, leben in der abwegigen 
Vorstellung, auf den Nobelpreis hoffen zu dürfen. Nun will Borges seinen 
Mitkonkurrenten um die höchsten literarischen Weihen ausschalten – das fehlende 
Motiv? Er hat dem erfahrenen Drogenkonsumenten einen mexikanischen 
halluzinogenen Kaktus mitgebracht und den „Peyotl“ mit dem Gift des 
Kugelfisches versetzt. Ein herrlicher Dialog spinnt sich an – wiederum in der 
Wilflinger Bibliothek, wiederum in einem Sprachgemisch, in dem neben den fünf 
Weltsprachen auch die typengerechten Jargons zum Ausdruck kommen. Jünger, der 
Borges als „Kamerad“, „compañero“ oder „compadre“ anspricht und den 
unverbesserlichen Militaristen raushängen lässt, karikiert sich dabei nicht, 
sondern ist gelebte Karikatur:


„Haben Sie mein letztes Buch gelesen?“ – Borges, seit 1955 vollständig 
erblindet: „Aus technischen Gründen nicht.“ – „Das schränkt unsere 
Kommunikation ein.“ 


Borges hingegen, der sich ständig über die Welt lustig macht, scheitert 
permanent mit seinen – nicht unbedingt witzigen – Bonmots und Anekdoten.


Omar Saavedra setzt bewusst und gezielt auf Clichés, besser: auf Topoi der 
Jünger- und Borges-Kritik und erschafft hinreißend stimmige Karikaturen alter 
Männer, die man selbst dann sofort begreift, wenn man noch nie etwas von Jünger 
oder Borges gehört oder gelesen hat. Am Ende läuft sein Stück rasant in die 
Zielgerade ein: Jünger schwadroniert Walser-Worte (Auschwitz als „Drohroutine“ 
und „Dauerrepräsentation unserer Schande“), Borges träumt von einer 
„Neger-Enzyklopädie“ („der Neger ist aber, wenn’s hochkommt, erst in 
fünftausend Jahren soweit“) und wundert sich, weshalb der tödliche Pilz noch 
immer nicht wirkt: „Natur kann manches Mal unschlüssig sein.“


Die „geistige Konkordanz“ der beiden überfälligen Existenzen endet, ganz nach 
alter Schule, in der edelmütigen Bezeugung gegenseitigen Respekts: „Wissen Sie, 
Kamerad, es ist mir eine Ehre, von Ihnen vergiftet zu werden. – „Maestro, die 
Ehre ist ganz meinerseits.“


Eine Fülle köstlicher Bonmots hat den geistigen Horizont der Herren Jünger 
(„Ich war nur ein Waldgänger in einer Zeit, als die Wälder schwanden.“) und 
Borges („Ich verstehe Auschwitz trotzdem nicht!“) abgesteckt – fast kann man 
sich ihr Werk jetzt sparen.

-- 
Tobias Wimbauer / Wimbauer Buchversand
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