liebe jünger-freunde, hatte ich den text schonmal "rumgeschickt"? oder nicht? 
je ne sais pas.... hm. schöne grüße tw



literaturkritik.de » Nr. 8, August 2004 » Philosophie und Soziologie  


"Wie kein anderer erfährt er den Weltkrieg sogleich metaphysisch."
Martin Heideggers Bemerkungen zu Ernst Jünger
Von Stephan Günzel


Unter den Bänden der Heidegger "Gesamtausgabe" ist - seit 1989 die "Beiträge 
zur Philosophie" erschienen - wohl keines mit derartiger Spannung erwartet 
worden wie Heideggers Notizen "Zu Ernst Jünger". Bis auf eine öffentliche Rede 
über "Der deutsche Student als Arbeiter", in dem Heidegger noch als Rektor der 
Freiburger Universität schlicht den Arbeitsdienst weltanschaulich zu 
legitimieren sucht, und das Schreiben "Zur Seinsfrage", das auf Jüngers Text 
"Über die Linie" zu Heideggers 60. Geburtstag antwortet und in dem die 
berüchtigte 'Durchstreichung' des (Wortes) Sein(s) erfolgt, gibt es nur 
vereinzelte Hinweise, die sich vor allem in Heideggers Texten zu Nietzsche 
wiederfinden.

Nietzsche ist denn auch die Brille, durch welche Heidegger Jüngers Denken 
betrachtet. Dabei spricht Heidegger Jünger gar ab, ein 'Denker' zu sein; er sei 
vielmehr - im Sinne der griechischen Bedeutung von theoria als Schau(en) - ein 
'Seher' (oder von Heidegger auch zeitgemäßer formuliert: ein "Späher"), der 
manches auch 'nicht sehe': "Jünger ist ein Erkennender, aber nirgends ein 
Denker." Das heißt, 'Denker' denken entweder - entsprechend Heideggers 
Einschätzung seiner hyperrationalen und -rationalisierten Gegenwart - nur 
rechnend, oder sie denken über die Gegenwart hinaus. Beides tut Jünger nicht, 
sondern 'sieht' das, was Nietzsche nur ahnte bzw. nur im Rahmen seiner 
(historischen) Möglichkeit zu begreifen in der Lage war: Dass nämlich der 
'Wille zur Macht' nicht nur eine gegenwärtige und kontingente, sondern schlicht 
die äußerste Bestimmungsmöglichkeit von Wirklichkeit ist. Dies ist nach 
Heidegger die Einschränkung der Perspektive beider 'Seher' zugleich, die nicht 
das 'Sein' (des Seienden) also solches zu fassen in der Lage sind. So verhält 
sich der Künder der Verflüssigung und des 'In-Bewegung-Setzens' aller Kräfte, 
Ressourcen und Informationseinheiten (die von Jünger so genannte "totale 
Mobilmachung") für Heidegger letztlich nur affirmativ gegenüber dem 
Maschinenzeitalter, anstatt dessen Wesen zu Ende zu denken, das darin besteht, 
den Menschen als denjenigen oder dasjenige zu entbergen, was oder wer er ist, 
nämlich: "das auf sich Gestellte" - Heideggers Wortprägung für das Lateinische 
"Subjectum".

Diese Einschätzung überrascht, insofern die doch deutliche Distanznahme dem 
bisher Gekannten eine neue Akzentuierung verleiht - und hierin liegt sicher der 
Wert dieses Bandes für die Forschung. Heideggers Einschätzung Jüngers 
überrascht aber zugleich auch nicht, insofern alles, was er in den Jahren nach 
dem Überfall auf Polen in die Hand nahm, sich an Nietzsche messen musste und 
zur Not auch (zu) 'Nietzsche' wurde. Für diesen Vorgang ist Heidegger selbst 
wiederum nicht blind, sondern rechtfertigt ihn dadurch, das eben nur Nietzsche 
annähernd an diese Gegenwart herandachte. So nimmt Heidegger dankbar jene 
Stichworte auf, die er bereits aus Nietzsches Texten heraus versuchte, in einen 
Begriff zu überführen, stets darauf bedacht, dem Begriff als Wort sein nahe 
liegendes Denotat zu nehmen: 'Wille zur Macht' sei nicht psychologisch, 'Rasse' 
nicht biologisch und 'Heroismus' nicht militärisch zu verstehen - alles sei als 
Begriff vielmehr 'metaphysisch' zu verstehen. Eben in diesem Sinne 'sieht' 
Jünger nach Heidegger durch die Phänomene seiner Gegenwart hindurch die 
(metaphysische) Situation, ohne sie jedoch 'denken' zu können. Was jedoch diese 
Verschiebung ins 'Metaphysische' angeht, so ist diese Wendung weniger 
geheimnisvoll als sie zunächst erscheinen mag: Es ist der (aus der 
Innenperspektive wiederum 'metaphysisch' gedachte) aristokratische Affekt, mit 
dem Hitlerismus und ideologische Kämpfe als Vulgarität in der Ausführung 
erscheinen, nicht aber in deren 'Bestimmung'. Letztlich wird damit von 
Heidegger die Weise der Ausführung als Grund der sich abzeichnenden Folgen 
angesehen, nicht aber die ideologische Zielsetzung selbst.

Die Edition gehört in die Vierte Abteilung der "Gesamtausgabe", welche die 
"Hinweise und Aufzeichnungen" Heideggers enthält. Der Band ist in zwei Teile 
und einen Anhang unterteilt, wobei den ersten Teil zu lesen eher müßig ist bzw. 
Kleinarbeit erfordert, die durch Heideggers Hang zur vorwegeilenden Beurteilung 
nicht immer belohnt wird. Der zweite und wesentlich kürzere Teil umfasst die 
"Aussprache", die Heidegger im Kreis von Kollegen im Januar 1940 an der 
Freiburger Universität führte und maßgeblich durch seine Reflexionen zu Jüngers 
frühen Texten "Das Wäldchen 125", "Auf den Marmorklippen", "In Stahlgewittern", 
"Die totale Mobilmachung", "Über den Schmerz", "Stahl und Blut" und "Blätter 
und Steine" sowie Jüngers 'theoretische' Schrift "Der Arbeiter" von 1932 
bestimmt sind. Der Anhang gibt die ausführlichen Anstreichungen und Randnotizen 
Heideggers zu den beiden letztgenannten Werken wieder, die Faksimilierung von 
zwei aussagekräftigen Seiten aus der "Arbeiter", von denen eines in Farbe einen 
Einblick in Heideggers Bundstiftanstreichungssystem erlaubt, sowie darüber 
hinaus Heideggers Kommentare zu Jüngers Festschriftbeitrag. Auch enthält der 
Anhang Aufzeichnungen aus den späten 50er Jahren, in denen Heidegger ein 
Treffen mit Jünger und Heisenberg zur Aussprache über Technik erwägt - ein 
Gespräch, das nie stattfand.

Der Herausgeber Peter Trawny, der bereits durch eine Einführung zu Heidegger im 
Verlag Junius, als Herausgeber des Bandes 69 der Gesamtausgabe, mit zwei 
unveröffentlichten Abhandlungen, die im Gedankenkreis der "Beiträge" stehen, 
sowie zwei weiteren monographischen Untersuchungen zu Heidegger hervorgetreten 
ist, hat in nur 18 Monaten bezahlter Arbeit kein editorisches Leichtgewicht 
gestemmt und sich in den Kommentaren - repräsentativ für die "Gesamtausgabe" - 
zudem erfreulich zurückgenommen. Mit der kombinierten Edition von 
Aufzeichnungen und Randbemerkungen ist zudem ein sinnvoller Weg beschritten 
worden, der zeigt, dass thematisches Arrangement und chronologische Edition 
nicht im Widerspruch stehen müssen.

Peter Trawny (Hg.): Martin Heidegger Gesamtausgabe. Band 90 Zu Ernst Jünger.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2004.
472 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN 3465033248


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