Liebe Jünger-Freunde,

morgen erscheint in der FAZ der unten zitierte Artikel zum 60. Geburtstag von 
Helmuth Kiesel, dessen Jünger-Biographie im Herbst erscheint. 
Schöne Grüsse rundum,
Ihr / Euer
tw



Text: F.A.Z., 01.08.2007, Nr. 176 / Seite 34

Moderne total
Schneisenschläger: Der Germanist Helmuth Kiesel wird sechzig

Wer über die Moderne forscht, die literarische zumal, der tut besser daran, 
keine Vorurteile zu haben. Denn Vorurteile sind ein bestimmender Wesenszug der 
Moderne selbst, auch weil ihr selbst von Seiten der Traditionalisten so viele 
entgegenschlugen. Das folgenschwerste Vorurteil der Moderne war die Forderung, 
dass alles Alte unbesehen auf den Schrotthaufen der Geschichte zu wandern habe: 
"Il faut être absolument moderne" - Rimbauds Devise gab den Kommandoton vor. 
Die Geschichte der Avantgarden ist voll von Appellen, Manifesten und 
Programmen, ein gewaltiger Katalog von Bestimmungen, wie man heute malen, 
bauen, musizieren oder eben schreiben müsse - und was eben "nicht mehr" möglich 
sei, wenn man sich nicht des Hochverrats an seiner Epoche schuldig machen 
wolle. Und vieles davon bestimmt das Bild der Moderne bis heute.

Nehmen wir etwa die gängige Vorstellung, Moderne und Großstadt seien Synonyme. 
Helmuth Kiesels umfassende "Geschichte der literarischen Moderne", die 2004 
erschien, enthält auch ein kleines, aufschlussreiches Unterkapitel über 
"Modernität und Regionalität". Natürlich schmälert der in Tübingen 
wissenschaftlich geprägte und seit 1990 in Heidelberg lehrende Germanist darin 
nicht die große Bedeutung von Metropolen wie Berlin, München, Wien für die 
Moderne in Deutschland. Er weist aber darauf hin, was auch sie der Provinz 
verdankten: sei es, dass Autoren ihre Herkunft im Licht der Großstadt 
reflektieren (etwa Marieluise Fleißer, aber auch Brecht und Benn oder später 
Uwe Johnson), sei es, dass das Leben in der Provinz gerade in der Dauerspannung 
zur fernen Metropole stoff- und formgebend wird. Nach 1945 gilt das etwa für 
Arno Schmidt oder Martin Walser, dessen Werk sich Kiesel immer wieder gewidmet 
hat.

Rein weltanschaulich motivierte Epochenbegriffe drohen ihren Gegenstand zum 
Verschwinden zu bringen. So merkt Kiesel zum Versuch einer strikten Scheidung 
von Moderne und Religiosität an: "Was dann übrigbliebe, könnte allerdings so 
wenig sein, dass die literarische Moderne neben der literarischen Nicht-Moderne 
erschreckend verblassen würde." Ohne ideologische Verzerrungen wird die Moderne 
bei Kiesel als unabgeschlossener - und prinzipiell unabschließbarer - Prozess 
formaler Komplexitätssteigerung lesbar, als steter Zugewinn an "Literarizität".

Mit zahlreichen Arbeiten hat Kiesel sein wissenschaftliches Hauptwerk 
vorbereitet. Er habilitierte sich über das Spätwerk Alfred Döblins, arbeitete 
zu Erich Kästner und Thomas Mann, Max Weber und Ernst Jünger (dessen 
Briefwechsel mit Carl Schmitt er herausgab), über Kafka, Brecht, Benn, Botho 
Strauß und Peter Handke und schrieb immer wieder, auch für diese Zeitung, über 
Gegenwartsliteratur. In diesem Herbst erscheint im Siedler-Verlag seine 
Monographie über Ernst Jünger. Es gibt wenige Germanisten, die sich so 
furchtlos in das dichte Gestrüpp zwischen ästhetischer und politischer Moderne 
wagen und darin mit klarem Stil solch breite, öffentlich begehbare Schneisen 
schlagen können. Heute feiert Helmuth Kiesel seinen sechzigsten Geburtstag.  rik



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