[Juenger-list] Fingieren

2004-08-15 Diskussionsfäden HENRY MALON
Juenger Freunde: 

Wenige schreiben mit Talent. Gibt es aber gar so viele die mit Talent lesen?  
Ernst Juenger. Ges. Werke. Fassungen II. Essays VII. Band 13.  Seite 378.

Man lese nicht viel und nur das Beste, langsam, und befrage sich alle 
Schritte.  Georg Christoph Lichtenberg. (1742-1799). Sudelbuecher I. Seite 
120. 

Bestseller Leser: Sie lesen nur und sehen nicht, - und trinken Huehnerbruehe. 
Ibid. 390.

In der Antwort zu einem Brief Michael Kreffts Eine Spitze gegen Autoren , 
betrachtet John King Ernst Juengers Tagebucheintraege alle mehr oder weniger 
fingiert . Obwohl fingieren'' gewoehnlich als ein vulgaerer Ausruf 
verstanden wird - 'man fingiert die duftende , aphrodisische Lotusbluete' oder 
'man fingiert die Nasenloecher'  - , trifft John King - ohne Zweifel ein 
aufmerksamer , langsamer, nietzscheanischer Leser -  dessenungeachtet den Nagel 
auf den Kopf. Wie ich schon in meinem letzten Brief ueber die beruechtigte 
Burgunderszene erwaehnte,  Ernst Juenger kam es in der Hauptsache auf die 
Sprache und die Dichtung an. So schreibt er in Siebzig Verweht I Seite 548. 
Die deutsche Literatur wird heute als Nebenzweig der Politik behandelt. oder 
als Terrain der Soziologie. Mir dagegen ist es um die Sprache zu tun - das ist 
mein Dialog. Auf Diskussionen lasse ich mich nicht ein. 
  Da der Duden Fingierung auch als Dichtung auslegt , schrieb Juenger schon 
desbezueglich  in Strahlungen II am 24. November 1944: Gespraech mit 
Alexander: Wie man eine Tagebuch fuehrt. Ueber das gleiche Thema schrieb ich 
dann einen Hauptmann Mueller, der mir Aufzeichnungen zusandte. Die Durchsicht 
meiner Reisetagebuecher macht mir den Anteil deutlich, in dem die Zeit 
mitwirkte. Sie aendert den Inhalt wie die Gaerung und die Reife den Wein, der 
in der Tiefe des Kellers liegt. Nun muss man noch einmal vorsichtig umfuellen,  
(Fingieren! )  von der Hefe abgiessen. Hierueber hatte ich bei Armance ein 
langes Gespraech mit Leautaud, der diese Praxis durchaus missbilligt und das 
Wort, wie es im ersten Wurf gefallen ist, fuer unverletzlich, fuer sakrosankt 
erklaert. Die Vorschrift ist fuer mich schon technisch undurchfuehrbar, weil 
ich vieles andeutungsweise,. gewissermassen als Siegel der Erinnerung 
einstreue. Die beste Erfassung des ersten Eindrucks ist die Frucht wiederholter 
Anstrengungen. 
Somit sage ich: Bravo, John King! und verbleibe mit herzlichen Gruessen vom 
abenakischen Rittergut - Henry T. Malon. 


Re: [Juenger-list] Fingieren

2004-08-15 Diskussionsfäden T. Wimbauer
 'man fingiert die Nasenloecher'  

fingieren hat nichts mit dem In-der-Nase-herum-Fingern zu tun. Es bedeutet: 
etwas vortäuschen oder eben dichterisch erfinden. Vulgär ist es nicht. 

Siehe Grimmsches Wörterbuch:

FINGIEREN, erdichten: namen auf lechisch und zechisch (polnisch und böhmisch) 
fingieren, wie die poeten des winds und sonnenpferds namen. FISCHART groszm. 47.

gruß, wimbauer

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