Die Presse (Wien)
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"Unser Umweltschutz schadet der Umwelt"

Die Energiewende und die damit einhergehende starke Konzentration auf CO2
schadeten der Umwelt mehr, als sie nützten, sagt Öko-Pionier Friedrich
Schmidt-Bleek. Der Raubbau an anderen natürlichen Ressourcen werde komplett
ausgeblendet. Gerade viele „grüne Technologien“ seien zwar vielleicht gut
für das Klima, verbrauchten aber enorme Ressourcen, argumentiert der
Forscher. 

16.08.2014 | 18:15 | von Matthias Auer (Die Presse)

Die Presse: Sie gelten als Urvater des deutschen Umweltschutzes. In Ihrem
jüngsten Buch preisen Sie plötzlich Plastiksackerln und alte VW-Käfer,
verdammen die Energiewende und bezeichnen die Umweltpolitik als „grüne
Lügen“. Was ist da passiert?

Friedrich Schmidt-Bleek: Ich habe Ende der 1980er-Jahre mit dem
Wirtschaftsberater von Michail Gorbatschow geredet, ob er nicht auch über
Umweltpolitik nachdenken wolle. Er sagte: Njet! Die Sowjetunion sei nicht
reich genug, um sich unsere Art Umweltschutz zu leisten. Und er hatte recht.
Unser nachsorgender Umweltschutz ist eine aufgesetzte Wirtschaft, sehr teuer
und bringt wenig.

Dabei feiert sich Europa doch gerade heute als Umweltschutz-Vorreiter. Sehen
Sie sich doch nur die deutsche Energiewende an.

Das ist Augenauswischerei. Wenn die Energiewende wie geplant umgesetzt wird,
verbrauchen wir im Endeffekt mehr Ressourcen als vorher. Allein die „grüne“
Fotovoltaik verschlingt Unsummen an Natur. Die Energiewende schadet der
Umwelt mehr, als sie hilft. Natürlich ist es wichtig, zu versuchen, den
Klimawandel aufzuhalten. Aber wir konzentrieren uns zu sehr auf CO2 und
kümmern uns nicht um alles andere. Wir geben Milliardenbeträge aus, um ein
einzelnes Symptom zu beeinflussen. Das ist Unfug. Unsere Politik forciert
einen Umweltschutz, der der Umwelt schadet, weil er die Stabilität unserer
Ökosphäre vermindert.

Unter den Umweltministern hat sich das offenbar noch nicht herumgesprochen.
Die werben immer noch für ein CO2-freies Leben als ultimative Lösung.

Wenn der CO2-Fußabdruck so ein taugliches Maß für die Umweltverträglichkeit
wäre, dann wäre ein Atomkraftwerk so wunderbar wie eine Stradivari. Das
stimmt natürlich nicht. CO2 ist wichtig, aber bei Weitem nicht das einzige
Übel. Auch der Klimawandel wird nicht nur von CO2 verursacht. Methan ist
mindestens ebenso wichtig. Jede Kuh schadet dem Klima mit ihren natürlichen
Abgasen so sehr wie ein Auto. Und es gibt weit über eine Milliarde Kühe auf
der Welt. Mit CO2 liegt man fast immer vollkommen verkehrt.

Ist der Kampf gegen den Klimawandel, so wie wir ihn jetzt führen, schädlich?

Es ist schon legitim, dass man versucht, etwas dagegen zu tun. Aber was die
Regierungen vorschlagen, sind grüne Lügen. Nehmen Sie das Beispiel der
Wärmedämmung. In Deutschland gibt es jetzt die Verpflichtung, die Häuser
energetisch sanieren zu lassen. 40 Millionen Häuser werden mit 20 Zentimeter
Schaumstoff umhüllt. Wir geben also Unsummen an Geld und Material aus, um
vielleicht ein wenig Energie und damit CO2 einzusparen. Und selbst das ist
mittlerweile sehr fraglich. Stellen Sie sich vor, wir würden das für 250
Emissionen machen. CO2 umfasst vielleicht ein Fünftel unserer
Umweltprobleme. Wir bekämpfen nur Symptome.

Wo liegt dann Ihrer Meinung nach die Wurzel des Problems?

Das Grundübel unserer Wirtschaft ist, dass sie uns zwingt, die Umwelt kaputt
zu machen und nachher um teures Geld zu reparieren. Wir verbrauchen für
alles viel zu viele Ressourcen. Jede Jeans verbraucht 32 Kilogramm Natur -
noch ohne Wasser. Ein Auto braucht allein zur Herstellung 30 Tonnen
Material. Bei Hybridautos ist das noch schlimmer. Die meisten denken, dass
Hybridautos besonders ökologisch sind, weil sie Benzin sparen. Das stimmt
nicht. Denn das Hybridauto kostet im Bau mehr als doppelt so viel Ressourcen
wie ein alter Wagen. Der ökologische Rucksack der Hybridautos ist enorm. Das
kann ich beim Verbrauch nie wieder einsparen. Es ist also für die Umwelt
besser, den alten weiterzufahren.

Sie plädieren dafür, gar nichts Neues mehr zu kaufen?

Nein, aber nach den richtigen Gesichtspunkten. Das Konzept liegt seit
Jahrzehnten auf dem Tisch und ist wissenschaftlich unbestritten: der
materielle Fußabdruck. Man kann für alle Produkte, Dienstleistungen und
Maßnahmen den ökologischen Rucksack berechnen und danach entscheiden.
Blöderweise wird dieses Maß nicht angewandt. Da wehren sich Industrie und
Politik mit Händen und Füßen dagegen. Wir brauchen in den westlichen
Industrienationen eine Abmagerung um den Faktor zehn. Ziel wären sechs bis
acht Tonnen pro Person und Jahr bis 2050. Heute verbraucht jeder
Österreicher im Schnitt 70 Tonnen im Jahr.

Da ist es doch kein Wunder, dass sich die Industrie wehrt. Sie fürchtet wohl
um ihr Wachstum, wenn sie auf ein Zehntel abspecken muss.

Technisch ist es gar kein Problem, die Produkte mit weniger Materialeinsatz
zu bauen. Aber die notwendigen Innovationen können sich kleinere Firmen
einfach nicht leisten. Die Regierungen müssten steuernd eingreifen, damit
das funktioniert. Solange ein Unternehmer die Natur zu Nullkosten ausgraben
und dann teuer verkaufen kann, wäre er dumm, wenn er etwas ändert.

Die Antwort der Politiker heißt stattdessen „green economy“, also der Aufbau
einer Industrie, die der Umwelt helfen und damit Geld verdienen soll. Klingt
doch verlockend, oder?

Das ist die größte Lüge überhaupt. Alle reden von grüner Wirtschaft und
wissen genau, dass das nicht stimmt. Schauen Sie doch nur, wie viel Geld die
Regierungen in die Hand nehmen müssen, um diese Branchen aufzublasen. Allein
in der EU werden hundert Milliarden Euro an Subventionen im Jahr verteilt,
die zu einem erheblichen Teil der Umwelt schaden - etwa in Kohlekraftwerke.

Das heißt, als erster Schritt sollten die Subventionen gekürzt werden?

Alle Subventionen müssen komplett abgeschafft werden, und zwar so schnell
wie möglich. Ich weiß aber, wie schwierig das politisch ist. Es werden
nämlich alle subventioniert. Von der Industrie bis zum kleinsten Bauern.

Was könnte die Regierung sonst tun?

Sie könnte das Steuersystem umbauen. Wer sagt denn, dass der Großteil der
Einnahmen des Staates von der arbeitenden Bevölkerung bezahlt werden muss?
Man könnte auch viel weniger Steuern auf Arbeit verlangen und dafür Steuern
auf die raren natürlichen Ressourcen einheben. Auch das ist natürlich eine
gewaltige Umstellung. Es gibt simplere Wege: Auch Ihre Regierung in Wien
kauft zwanzig Prozent des Endmarktes. Wenn sie sagt, dass sie bei
Anschaffungen ab 2018 auch auf den materiellen Fußabdruck achtet, wird sich
die Industrie natürlich darum kümmern. Da brauchen wir gar keinen anderen
Anreiz. Diese Art ressourcenorientierte Umweltpolitik ist das Wichtigste
überhaupt. Bei Finanz- und Wirtschaftskrisen kann man immer etwas machen.
Aber wenn wir laufend mehr und mehr Ressourcen verbrauchen, bauen wir die
Basis unseres Lebens, unseren eigenen Planeten, endgültig ab.

FRIEDRICH SCHMIDT-BLEEK (* 1932) ist deutscher Chemiker und Umweltforscher.
Er gilt als Pionier der Ressourcenwende und Erfinder des Faktor-10-Konzepts.
In den 1970er-Jahren war er maßgeblich an der Entstehung des ersten
deutschen Chemikaliengesetzes beteiligt. Später gründete er das Wuppertal
Institut und arbeitete in der OECD und im IIASA. Sein Buch „Grüne Lügen“ ist
eine Abrechnung mit der Umweltpolitik unserer Zeit. Es erschien 2014 im
Ludwig Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)




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