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Dienstag, 15. April 2014 Energiewende Abbruch statt Durchbruch Die Energiewende ist auf die schiefe Bahn geraten - doch die Regierung verpasst den erneuerbaren Energien nur einen noch festeren Deckel. Die Lage ist ernst: Mit Geld und Kontakten hat die alte Lobby ihren Einfluss zurückgewonnen. Nicht nur Politiker und Medien spielen mit, auch viele Umweltverbände haben sich zu lange einlullen lassen Ein Standpunkt von Marco Bülow Wenn man ein gutes Projekt in Misskredit bringen möchte, dann muss man es zerreden. Man muss die Probleme überdimensioniert darstellen, Chancen und Vorteile aber verschweigen. Wenn man sich die Bundestagsdebatten zur Energiewende anhört, dann entwickelt sich die Regierung zu einem heißen Anwärter auf den Oscar für Eigenlob und Schönreden. Statt einen neuen Aufbruch zu verkünden, uns die Vorteile vor Augen zu führen und große, überfällige Reformen einzuleiten, werden Horrorszenarien vom Niedergang der Industrie an die Wand gemalt und die angeblich so hohen Kosten der erneuerbaren Energien verteufelt. Die Worthülsen und Überschriften erinnern an die Anfangszeiten von Rot-Grün, als eine breite Lobby den Start der Energiewende verhindern wollte. Traurig, dass der jetzt stattfindende Rollback sich bis tief in die SPD hereinfrisst - die Partei, die einst mit Hermann Scheer, Michael Müller und Ernst Ulrich von Weizsäcker die Energiewende erst möglich gemacht hat. Die alte Energielobby ist wieder da Dabei gäbe es so viel zu tun, weil der Umbau unseres Energiesystems schon längst ins Stocken geraten ist: Steigende [1] CO2-Emissionen in Deutschland! Emissionshandel am Boden [2]! Effizienzoffensive: Fehlanzeige [3]! Ausweitung der erneuerbaren Energien auf den Wärmebereich: gescheitert [4]! Ausbauziele für die Kraft-Wärme-Kopplung: verfehlt [5]! Netzintegration: stockt [6]! Statt all diese Probleme anzugehen, sieht die Regierung ihre Hauptaufgabe beim Deckeln der erneuerbaren Energien. Mit viel Geld und den richtigen Kontakten hat die alte Lobby offensichtlich die Einflusshoheit zurückgewonnen [7]. Eine Reihe von Medien und ein Großteil der Politik spielen mit. Keine Frage: Würde die Regierung mit einer breiten politischen Offensive all die genannten Fehlentwicklungen aufgreifen, dann wäre es glaubwürdig, innerhalb eines großen Gesamtpakets auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zu modernisieren. Natürlich sollte es dann auch ein Hauptanliegen sein, die Verbraucher zu entlasten - etwa durch Einschränkung der Industrierabatte [8] -, ohne die Ausbauziele zu gefährden. Doch inzwischen ist es zu einer Umkehrung der Argumentationskette gekommen. Noch vor einigen Jahren gehörte es zum Allgemeinwissen, dass die erneuerbaren Energien der Grundpfeiler der Energiewende sind. Heute werden sie so heftig bekämpft, dass man meinen könnte, vor allem ihr Ausbau müsse gebremst werden, um Energie wieder billig zu machen. Jetzt muss die Lobby nur noch daran arbeiten, die Atomenergie wieder hoffähig zu machen [9]. Wir brauchen eine ehrliche Kostendebatte Im Wesentlichen geht es also bei der EEG-Reform [10] nur um die Deckelung des weiteren Erneuerbaren-Ausbaus mit dem Argument, die Kosten zu senken. Für den größten Anteil [11] an der Kostensteigerung bei der EEG-Umlage sind aber nicht die Neuanlagen, sondern der gesunkene Börsenstrompreis und die Industrierabatte verantwortlich. Was jetzt verkündet wurde, wird keine Kostensenkung bringen. Es fehlt der Mut, die Industrierabatte bei den Unternehmen zurückzufahren, die sich nicht im internationalen Wettbewerb befinden. Stattdessen werden die Subventionen für die Industrie - über fünf Milliarden Euro - nach den neuesten Plänen sogar noch ausgebaut [12]. Die Zeche müssen die kleinen und mittelständischen Unternehmen und alle privaten Verbraucher bezahlen. Selbst wenn hier wirklich Arbeitsplätze in der Industrie gefährdet wären, stehen auf der anderen Seite die Arbeitsplätze in den Unternehmen, die nicht entlastet werden. Hier sollte doch auch mal laut darüber gesprochen werden, dass die Preise für normale Verbraucher steigen, die Energiekosten der Industrie dagegen länger stabil waren und seit drei Jahren sogar sinken. Gesagt werden müsste auch, dass beispielsweise die Windkraft schon heute mithilft, die Energiekosten - Stichwort Merit-Order-Effekt [13] - zu senken. Davon profitiert die deutsche Industrie schon längst. Mittelfristig wird unsere Volkswirtschaft, werden wir alle durch den Ausbau der Erneuerbaren entlastet - durch direkte Entlastung bei den Kosten, aber vor allem durch die Vermeidung von Folge- und Gesundheitskosten [14]. Die Volkswirtschaft, die am schnellsten und effizientesten ihr Energiesystem umbaut, wird den größten Gewinn einstreichen können. Schauen wir uns die letzten zehn bis 15 Jahre an, dann fällt auf, dass die Preise für Wärme [15] und Benzin deutlich stärker angestiegen sind als beim Strom. Dabei macht Strom im Durchschnitt nur 2,5 Prozent der Haushaltsausgaben aus - Warmwasser, Heizung und Auto müssen dreimal höher veranschlagt werden. Es geht um mehr als "nur" um Strom! Strom macht 39 Prozent des Primärenergiebedarfs aus, aber nur 14 Prozent der Primärenergiekosten. Es fehlt auch die Ehrlichkeit, die Subventionen, Steuervergünstigungen und Folgekosten der konventionellen Energien, also der fossilen und nuklearen Kraftwerke, in der Debatte zu berücksichtigen: Zwischen 1970 und 2012 sind es laut einer Studie [16] des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft 311 Milliarden Euro für Steinkohle, 213 Milliarden Euro für Atomenergie und 87 Milliarden für Braunkohle. Dabei sind die Gesundheitsfolgekosten14 noch nicht einmal eingerechnet. Auf unserer Stromrechnung stehen ganz transparent die Förderkosten der Erneuerbaren. Dass jeder für die konventionellen Energien mehr bezahlt, wird nicht so transparent aufgelistet. Würde man diese versteckten Kosten auf den Strompreis umlegen, käme man auf rund zehn Cent pro Kilowattstunde. EEG-Reform stoppen - Energiewende vorantreiben Die meisten Klimawandel-Vorhersagen - die viele für übertrieben hielten - wurden nun noch nach oben korrigiert [17]. Kaum jemand glaubt noch, dass wir das Zwei-Grad-Ziel einhalten können, auch unsere europäischen Ziele (die wir immer weiter nach unten schrauben [18]) werden wir so nicht erreichen. Je später der Kurswechsel, desto teurer - aber wir diskutieren vor allem über die Kosten der Ökostrom-Förderung und die Regierung legt ein Gesetz vor, das die Energiewende nicht rettet, sondern abbremst. Es ist nicht der Untergang der erneuerbaren Energien, aber es wird viele Investoren und Initiativen abschrecken, viele Handwerker und mittelständische Unternehmen in große Schwierigkeiten bringen, wie die Kurzstudie [19] des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung zeigt. Wenn es stimmt, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie es reinkommt, dann wäre es jetzt höchste Zeit für die Volksvertreter, mal Mut zu zeigen und das "EEG 2.0" zu stoppen. Aber der Fehdehandschuh liegt nicht nur bei den Politikern. Viele Umweltverbände und Energiewende-Unterstützer haben sich zu lange einlullen lassen und geglaubt, dass schon alles laufen wird. Ihr Druck ist aber notwendig, um wieder in die Offensive zu kommen und der alten Lobby nicht komplett das Feld zu überlassen. Was wirklich notwendig wäre, ist bekannt: ein Klimaschutzgesetz [20] und die Belebung des Emissionshandels, die Anpassung des Strommarktes [21] an den wachsenden Anteil der Erneuerbaren, einen angemessenen [22] Stromnetzausbau, eine Effizienz- und Suffizienzoffensive [23], die Einhaltung der Kraft-Wärme-Kopplungs-Ziele, ein Gesetz für die erneuerbare Wärme, eine breite Diskussion über den Umgang mit der Verknappung des Öls und ein Ausgleich [24] für Verbraucher, vor allem mit geringem Einkommen, für die Steigerung der gesamten Energiekosten. Bei der Sprache muss angefangen werden. Nur wenn wir den Menschen auch die Vorteile, die Chancen einer nachhaltigen Energieversorgung immer wieder deutlich machen, kann solch ein Riesenprojekt auch wirklich gelingen. Der Energie- und Umweltpolitiker Marco Bülow [25] ist seit 1992 SPD-Bundestagsabgeordneter. Der Dortmunder Publizist vom linken Parteiflügel wurde in den vergangenen Legislaturperioden als umwelt- und energiepolitischer Fraktionssprecher bekannt [26]. Unter anderem engagiert er sich gegen Lobbyismus im Bundestag [27] und die "Selbstentmachtung" der Abgeordneten. Im Text verwendete Links: 1. http://www.klimaretter.info/wirtschaft/nachricht/15015 2. http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/15558 3. http://www.klimaretter.info/energie/hintergrund/16094 4. http://www.klimaretter.info/wohnen/nachricht/14701 5. http://www.klimaretter.info/politik/nachricht/11108 6. http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/15646 7. http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/16133 8. http://www.klimaretter.info/wirtschaft/nachricht/16120 9. http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/15168 10. http://www.klimaretter.info/politik/nachricht/15870 11. http://www.klimaretter.info/energie/hintergrund/14493 12. http://www.klimaretter.info/politik/nachricht/16153 13. http://de.wikipedia.org/wiki/Merit-Order 14. http://www.klimaretter.info/energie/hintergrund/13526 15. http://www.klimaretter.info/wohnen/hintergrund/13057 16. http://www.heise.de/tp/artikel/37/37513/1.html 17. http://www.ipcc14.de/berichte-1/ipcc-arbeitsgruppe-2 18. http://www.klimaretter.info/politik/nachricht/15557 19. http://www.klimaretter.info/forschung/nachricht/16130 20. http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/5896 21. http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/13175 22. http://www.klimaretter.info/energie/hintergrund/15981 23. http://www.klimaretter.info/forschung/nachricht/15018 24. http://www.klimaretter.info/wohnen/hintergrund/13958 25. http://www.marco-buelow.de/ 26. http://www.klimaretter.info/standpunkte/4084 27. http://www.klimaretter.info/energie/hintergrund/6922 ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° Ende der weitergeleiteten Nachricht ° Alle Rechte bei den AutorInnen Unverlangte und doppelte Zusendungen bitten wir zu entschuldigen Abbestellen: mailto:greenho...@jpberlin.de?subject=unsubscribe ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° ° Greenhouse Infopool baut um! 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