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* 01.11.2014

Ein Ort namens Blockadia

"Die Klimaskeptiker haben recht", sagt Naomi Klein in ihrem neuen Buch:
Echten Klimaschutz gebe es nur, wenn der Kapitalismus grundlegend verändert
wird

VON BERNHARD PÖTTER

Es war nur ein kleines Zeitfenster für das Klima, und es verstrich
ungenutzt: 2009, im Jahr vor dem Klimagipfel in Kopenhagen, war in den USA
die neoliberale Ideologie durch die Finanzkrise entzaubert und Obama hatte
Geld und Macht, um in den Klimaschutz zu investieren. Warum wurde nichts
draus?

Naomi Klein hat eine Antwort: "Was Obama stoppte, war die mächtige
Ideologie, die ihn und alle anderen überzeugt hatte, dass es falsch ist,
Unternehmen zu sagen, wie sie handeln sollen, selbst wenn sie die Firma
gegen die Wand fahren. Und dass es etwas zutiefst Böses ist, wenn man einen
Plan dafür hat, wie die Wirtschaft aussähe, die wir brauchen, selbst in
einer existenziellen Krise."

Fünf Jahre hat sich die kanadische Journalistin und Ikone der
globalisierungskritischen Bewegung für ihr neues lesenswertes Buch Zeit
gelassen. Nach den Bestsellern "No Logo" und "Die Schock-Doktrin", in denen
sie die Wirkungsweisen von multinationalen Konzernen und neokonservativen
Ideologen skandalisierte, beschreibt Naomi Klein in "This Changes
Everything. Capitalism vs. The Climate", dass wirksamer Klimaschutz ohne
eine grundlegende Veränderung des Wirtschaftssystems nicht zu haben ist -
und dass der Kampf fürs Klima der gleiche ist wie für Arbeitnehmerrechte und
einen funktionierenden Staat. "Nur eine massenhafte soziale Bewegung kann
uns noch retten".

"Die Klimaskeptiker haben recht", provoziert Klein - nicht mit ihrer
realitätsblinden Verneinung des Klimawandels, sondern mit der Analyse, echte
Klimapolitik führe zu massiver Umverteilung und zum Ende des jetzigen
Kapitalismus. Ihr Buch fußt auf ähnlichen älteren Analysen und befreit die
Klimadebatte aus den Diskussionen über Emissionsreduzierungen und
UN-Konferenzen.

Für Klein ist klar: Eine Wirtschaft, die nicht noch das letzte Öl aus der
Tiefsee und der Arktis presst, müsste wieder für Menschen statt nur für
Profite gemacht werden, müsste Regierungen haben, die nicht durch
Großspenden der Industrie korrumpiert sind, sie bräuchte starke
Gewerkschaften und eine Bevölkerung, denen an öffentlichen Schulen und bei
allgemeiner Krankenversicherung die Angst vor Veränderung genommen wird.
"Eine kleine Kohlenstoffsteuer kann deshalb viel weniger bewirken als ein
Mindestlohn. Vor allem, so Klein, müsste eine Regierung in der Lage sein,
Nein zu sagen, wenn die nächsten Investoren anklopfen, um die letzten
Gasreserven zu fracken.

Das Buch ist sorgfältig recherchiert und sehr gut lesbar. Klein versteht es,
die Leser mit ihrem profunden Wissen über die Abläufe im internationalen
US-dominierten Rohstoffkapitalismus packend zu schildern und ihre weiten
Reisen als Reportage-Farbtupfer einzusetzen. Nebenbei räumt sie noch mit
einem "grünen Messias" nach dem anderen auf, angeblich grünen Milliardären
wie Richard Branson oder Microsoft-Gründer Bill Gates oder den großen
US-Umweltverbänden, die eng mit der Wirtschaft verflochten sind: für sie
Teile des Problems, nicht der Lösung. Die wiederum findet Klein in einem
fiktiven Bereich, den sie "Blockadia" nennt - einem Kunstwort, das alle
Formen des Widerstands gegen den Raubbau an den menschlichen und
ökologischen Resourcen einschließt: vom Widerstand gegen eine Goldmine in
Griechenland, der Occupy-Bewegung bis zu den juristischen Kämpfen der
Ureinwohner Nordamerikas oder der "Divestment"-Bewegung, die überall ihr
Geld aus den Rohstoffindustrien abzieht. Die Klimaschützer müssten das
"unerledigte Geschäft der Freiheitsbewegungen" aufnehmen, um ein Katalysator
zu werden für den "Aufbau einer Welt, die uns allen Sicherheit bietet. Es
steht einfach zu viel auf dem Spiel und die Zeit ist zu kurz, um sich mit
weniger zufriedenzugeben."

"This Changes Everything" hat auch seine blinden Flecken. Klein sieht das
Thema trotz aller Reisen vor allem aus nordamerikanischer Sicht. Schuld
tragen für sie vor allem die gierigen privaten Konzerne - doch ein Großteil
der fossilen Reserven und der Emissionen kommen inzwischen aus den
staatlichen und halbstaatlichen Energiekombinaten in China, Indien,
Südafrika oder Russland. Klein lässt die Fortschritte bei der Bekämpfung der
Armut unter den Tisch fallen, die durch die Ausbeutung der Rohstoffe überall
erreicht werden, und sie ignoriert die Rolle, die die Schwellenländer
inzwischen in der Welt spielen.

Dennoch: Naomi Klein hat ein Buch geschrieben, das den Finger in die Wunde
legt. Wer beim Klimawandel mitreden will, wird um ihr Buch nicht
herumkommen.

Naomi Klein: "This Changes Everything. Capitalism vs. The Climate". Simon &
Schuster, New York 2014, 576 Seiten, 10,30 Euro
www.thischangeseverything.org




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