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Berliner Zeitung - 26.04.2012 Energieversorgung Berliner Bürger greifen nach dem Stromnetz Die neue Genossenschaft "Bürger-Energie Berlin" (BEB) will Berliner Stromleitungen kaufen. Jeder Bürger kann Anteile erwerben. Die ersten haben es schon getan. Das Ziel: Das gesamte Stromnetz von Vattenfall soll aufgekauft werden, um dann den Energiewandel voranzutreiben Von Thomas Rogalla BERLIN - Wer unzufrieden ist mit der Ausrichtung der Berliner Energieversorgung und dem dominierenden Konzern Vattenfall AG, kann sich ab sofort selbst ins Stromgeschäft der Hauptstadt einmischen: Die neue Genossenschaft "Bürger-Energie Berlin" (BEB) hat sich nichts Geringeres zum Ziel gesetzt, als das komplette Stromnetz von Vattenfall zu kaufen und es dann gezielt für die Förderung erneuerbarer Energien umzubauen und einzusetzen. Das Ziel: Hunderttausende Berliner sollen Anteile an der Genossenschaft erwerben, die damit 39 943 Kilometer Kabel, 934 Kilometer Freileitung und 2,2 Millionen Stromanschlüsse in ihren Besitz bringen will. Noch betreibt Vattenfall das Netz, doch die staatliche Konzession dafür läuft am 31.12. 2014 aus. Dann wird sie vom Land Berlin neu vergeben, voraussichtlich für 20 Jahre. Die BEB hat sich beworben - als direkter Konkurrent zu Vattenfall. Weitere Bewerber sind noch nicht bekannt. Vorbild aus dem Schwarzwald "Jetzt oder nie, diese seltene Chance wollen wir nutzen", sagt Hartmut Gaßner, Rechtsanwalt und Aufsichtsratsvorsitzender der in Gründung befindlichen Genossenschaft. Gaßner gehört wie die anderen Vorstände dem grün-ökologisch orientierten Bürgertum an. Er führte im Wahlkampf eine Unterstützerinitiative für die grüne Kandidatin Renate Künast an; zum Vorstand gehören auch der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Lukas Beckmann und Cornelia Ziehm von der Deutschen Umwelthilfe, einem Öko-Lobbyverband. Als Sponsoren fungieren Ökostromanbieter wie Greenpeace Energy, der Bund Umwelt- und Naturschutz (BUND) Berlin und die Elektrizitätswerke Schönau. Letztere entstanden aus einer Bürgerinitiative und führten im Schwarzwald-Städtchen Schönau im kleinen Maßstab vor, was die neue Berliner Genossenschaft in der 3,5-Millionen-Metropole noch en gros vorhat: Ein Stromnetz aufzukaufen und so umzubauen, dass es für die überwiegend dezentrale Stromproduktion mit erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Geothermie brauchbar ist. Vattenfall habe an einer solchen Neuausrichtung "kein gesteigertes Interesse", sagt Luise-Neumann Cosel vom Vorstand der Berliner Genossenschaft. Denn Vattenfall setze weiterhin auf seine zentralen, überwiegend mit klimaschädlicher Kohle befeuerten Großkraftwerke und verdiene damit und mit den Erträgen aus dem Netz viel Geld. Diese Millionen flössen an Aktionäre im In- und Ausland, während Erträge aus Genossenschaftsanteilen den Berlinern zugute kämen. Das Netz werfe Renditen zwischen sechs und neun Prozent ab, von denen ein Teil allerdings reinvestiert werden soll. Das ist neben der Frage, wie viele Bürger ihr Geld in Kabel und Leitungen investieren wollen, eines der Fragezeichen des Projekts. Denn wie hoch der Investitionsbedarf ist, weiß die BEB mangels Daten von Vattenfall nicht. Immerhin könnten die Genossen über ihr Stimmrecht direkten Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Mindestanteil sind 500 Euro, für sozial Schwache auch weniger. Jeder Genosse hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe seiner Einlage. Das Vattenfall-Fachpersonal soll bei einem Kauf weitgehend übernommen werden, um die Netzsicherheit zu gewährleisten. Laut Gaßner wurden bereits Anteile für eine Million Euro gezeichnet. Die entscheidende Frage, wie viel das Vattenfall-Netz kosten wird, kann die Initiative allerdings noch nicht beantworten. Die Angaben reichen von 400 Millionen Euro nach einer früheren Schätzung der Wirtschaftsverwaltung bis zu fast 3 Milliarden Euro, die Vattenfall angibt. Das sei aber ein "Abschreckungspreis", sagt Gaßner. Auf jeden Fall werde ein dreistelliger Millionenbetrag fällig. Dafür sei es eine "einmalige Gelegenheit", das größte Stromnetz Deutschlands "in Bürgerhand" zu überführen. -- Ein Anteil, eine Stimme Die Genossenschaft Bürger-Energie Berlin (*) kann jeder mit Anteilen unterstützen. Diese verschaffen ein Mitspracherecht und Aussicht auf Rendite, allerdings kann die Mitgliederversammlung auch beschließen, dass Anteile zur Deckung von Verlusten verwendet werden. Wer das Risiko jetzt scheut, kann auch über ein Treuhändermodell Geld zur Verfügung stellen, das erst bei erfolgtem Kauf des Netzes in Genossenschaftsanteile umgewandelt wird. Kommt es nicht zum Netzkauf, bekommt man das Geld zurück - ohne Zinsen. Angelegtes Geld sei sicher, versprechen die Initiatoren. Es werde bei der ökologisch orientierten GLS-Bank angelegt und sei über den Einlagensicherungsfonds der Volks- und Raiffeisenkassen abgesichert. Reicht die Zahl der Anleger nicht, denkt die BEB auch an eine Kaufpartnerschaft mit dem Land Berlin. In der SPD gibt viele Freunde der "Rekommunalisierung". Vorbild "Stromrebellen" Anti-Atom-Aktivisten gründeten 1994 in Schönau die Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Das Ziel war eine "atomstromfreie und unabhängige Energieversorgung". 1997 übernahmen die EWS das Stromnetz der 2.400-Einwohner-Gemeinde, sie bietet bundesweit Öko-Strom an. Seit 2009 organisiert sich die EWS als Genossenschaft .Die EWS beliefern 115.000 Kunden. 2011 machten die EWS 100 Millionen Euro Umsatz und schütteten sechs Prozent Dividende an die Genossen aus. Das Modell Das Prinzip von Genossenschaften basiert auf wirtschaftlicher Kooperation - ohne Aufgabe der Eigenständigkeit. Zweck ist die wirtschaftliche Förderung, nicht der Profit. Trotzdem machen Genossenschaften im besten Fall Gewinn, den sie an die Mitglieder weitergeben oder investieren. Entscheidungen werden in einer Generalversammlung getroffen. Geht die Genossenschaft pleite, haften die Mitglieder entsprechend ihrer Einlagen. Außerdem legen Genossenschaften fest, ob es eine mögliche "Nachschusspflicht" gibt. Wenn ja, müssen die Mitglieder im Konkursfall über ihre Stammanteile hinaus für eine festgelegte Summe haften. (*) www.buerger-energie-berlin.de ----------------------------------------------------------------------- http://www.tagesspiegel.de/6556876.html Der Tagesspiegel - 26.04.2012 Stromversorgung Stromnetz soll in öffentliche Hand Eine Genossenschaft sammelt Geld und bewirbt sich um die Konzession zur Verteilung des Stroms in der Stadt. Die SPD favorisiert eine Landesbeteiligung zwischen 25 und 100 Prozent Von Ulrich Zawatka-Gerlach Die Bürger sollen das Berliner Stromnetz kaufen. Im Streit [1] um die Frage, wer ab 2015 eine neue Konzession zur Verteilung des Stroms in der Stadt erhält, ist das eine neue Variante. Die Genossenschaft "Bürger-Energie Berlin" (*) will in den nächsten Monaten einen dreistelligen Millionenbetrag einsammeln, um den Netzbetrieb für 20 Jahre zu übernehmen. Eventuell gemeinsam mit Unternehmen, die für die Produktion und den Vertrieb erneuerbarer Energien stehen [2]. "Ein sehr ambitioniertes Vorhaben", gibt Rechtsanwalt Hartmut Gaßner zu, der dem Aufsichtsrat der Genossenschaft vorsitzt. Nicht nur wegen des vielen Geldes, das nötig ist, um das Stromnetz zu kaufen, in die Anlagen zu investieren und trotzdem noch Gewinne zu erzielen. Sondern auch wegen der wirtschaftlich mächtigen Konkurrenz. Der Energieriese Vattenfall Europe [3] bekundet sehr offensiv sein Interesse, das Berliner Netz weiterzubetreiben, das 2,3 Millionen Kunden an 35.508 Kilometer Stromleitungen anbindet. Vor einer Woche wurde das Interessenbekundungsverfahren für die Neuvergabe der Konzession beendet. Es gibt ein knappes Dutzend Bewerber. Herr des Verfahrens ist die Finanzverwaltung des Senats, aber das Thema ist politisch so brisant, dass die Regierungsfraktionen SPD und CDU ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Die Union hat vorgelegt. Sie favorisiert die Vergabe des Stromnetzes an einen privaten Betreiber. Mit strengen, vertraglich garantierten Bedingungen will die CDU den staatlichen Einfluss auf das Netz sichern. Gefordert wird unter anderem ein "intelligenter Energiemix", klimaschonende technische Standards, die Förderung dezentraler Energieerzeugung und die Bevorzugung regionaler Betriebe bei der Auftragsvergabe. "Hoch sympathisch, aber konzessionsrechtlich problematisch", sagt der SPD-Umweltexperte Daniel Buchholz dazu. Er leitet die Arbeitsgruppe "Daseinsvorsorge" der SPD-Fraktion, die im Laufe des Sommers ein Konzept für die Neuvergabe der Strom- und Gasnetze in Berlin vorlegen will. Buchholz verweist mit seiner freundlichen Kritik am Koalitionspartner auf das gesetzliche Nebenleistungsverbot. Das Land Berlin dürfe die Ausschreibung der Versorgungsnetze nicht an alle möglichen, wenn auch schönen Bedingungen knüpfen. Die Kartellbehörden und Gerichte hätten ein waches Auge auf die Vergabe von Konzessionen. Deshalb sagt Buchholz: "Wir kommen um eine kommunale Beteiligung nicht herum, wenn wir nachhaltig Einfluss auf die Netze nehmen wollen." Die SPD-Experten prüfen derzeit alle Optionen für eine öffentliche Beteiligungsquote zwischen 25,1 (wie in Hamburg) und 100 Prozent. Nur so ließe sich ernsthaft Einfluss auf die Geschäfte des Netzbetreibers nehmen. Buchholz kann sich sogar vorstellen, dass die neue Genossenschaft, die das Stromnetz in Bürgerhand legen will, in ein solches Modell eingebunden wird. "Das wäre so eine Art Volksaktie." Für die Bürgerinitiative "Energietisch" (**), die mit einem Volksentscheid im Herbst die Gründung eines kommunalen Stadtwerks und einer öffentlich-rechtlichen Netzanstalt erzwingen will, wird es allerdings eng. Bis Ende Juni braucht sie 20.000 gültige Unterschriften, damit ein Volksbegehren zustande kommt. Bisher wurden aber erst 9.000 Unterschriften eingesammelt. Ebenfalls im Herbst wird der Konzessionsvertrag für das Stromnetz europaweit ausgeschrieben. Dann muss klar sein, was Rot-Schwarz eigentlich will. [1] http://tagesspiegel.de/berliner-cdu-auf-gegenkurs/6537090.html [2] http://tagesspiegel.de/gruene-wollen-netzgesellschaft/6369532.html [3] http://tagesspiegel.de/vattenfalls-neuer-stoerfall/6304716.html -- LINKS [Red.] (*) http://www.buerger-energie-berlin.de/ (**) http://www.berliner-energietisch.net/ ----------------------------------------------------------------------- Interview Deutschlandradio, 25.04.2012: Genossenschaft will Berliner Stromnetz übernehmen Aufsichtsrätin der Bürger-Energie Berlin über die Pläne: Cornelia Ziehm im Gespräch mit Susanne Führer http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1739292/ _______________________________________________________________________ ++ Weitergeleitet durch DNR Redaktionsbüro Fachverteiler für Mitgliedsverbände ++ Veröffentlichungsrechte bei den AutorInnen ++ Bitte insbesondere nicht auf Webseiten stellen ++ Bitte nur in eigener Organisation weiterleiten ++ Fachverteiler abbestellen: mailto:info-ber...@dnr.de?subject=keine-mails ++ Weitere Umwelt-Infodienste: www.dnr.de/umweltinfo ++ Umweltpolitische Monatszeitschrift: www.dnr.de/umwelt-aktuell ++ Bitte prüfen Sie, ob diese E-Mail wirklich ausgedruckt werden muss. 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