http://www.berliner-zeitung.de/10809148,14993508.html 

Berliner Zeitung - 26.04.2012

Energieversorgung

Berliner Bürger greifen nach dem Stromnetz

Die neue Genossenschaft "Bürger-Energie Berlin" (BEB) will Berliner 
Stromleitungen kaufen. Jeder Bürger kann Anteile erwerben. Die ersten haben es 
schon getan. Das Ziel: Das gesamte Stromnetz von Vattenfall soll aufgekauft 
werden, um dann den Energiewandel voranzutreiben

Von Thomas Rogalla

BERLIN - Wer unzufrieden ist mit der Ausrichtung der Berliner Energieversorgung 
und dem dominierenden Konzern Vattenfall AG, kann sich ab sofort selbst ins 
Stromgeschäft der Hauptstadt einmischen: Die neue Genossenschaft 
"Bürger-Energie Berlin" (BEB) hat sich nichts Geringeres zum Ziel gesetzt, als 
das komplette Stromnetz von Vattenfall zu kaufen und es dann gezielt für die 
Förderung erneuerbarer Energien umzubauen und einzusetzen.

Das Ziel: Hunderttausende Berliner sollen Anteile an der Genossenschaft 
erwerben, die damit 39 943 Kilometer Kabel, 934 Kilometer Freileitung und 2,2 
Millionen Stromanschlüsse in ihren Besitz bringen will. Noch betreibt 
Vattenfall das Netz, doch die staatliche Konzession dafür läuft am 31.12. 2014 
aus. Dann wird sie vom Land Berlin neu vergeben, voraussichtlich für 20 Jahre. 
Die BEB hat sich beworben - als direkter Konkurrent zu Vattenfall. Weitere 
Bewerber sind noch nicht bekannt.

Vorbild aus dem Schwarzwald

"Jetzt oder nie, diese seltene Chance wollen wir nutzen", sagt Hartmut Gaßner, 
Rechtsanwalt und Aufsichtsratsvorsitzender der in Gründung befindlichen 
Genossenschaft. Gaßner gehört wie die anderen Vorstände dem grün-ökologisch 
orientierten Bürgertum an. Er führte im Wahlkampf eine Unterstützerinitiative 
für die grüne Kandidatin Renate Künast an; zum Vorstand gehören auch der 
ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Lukas Beckmann und Cornelia Ziehm von der 
Deutschen Umwelthilfe, einem Öko-Lobbyverband.

Als Sponsoren fungieren Ökostromanbieter wie Greenpeace Energy, der Bund 
Umwelt- und Naturschutz (BUND) Berlin und die Elektrizitätswerke Schönau. 
Letztere entstanden aus einer Bürgerinitiative und führten im 
Schwarzwald-Städtchen Schönau im kleinen Maßstab vor, was die neue Berliner 
Genossenschaft in der 3,5-Millionen-Metropole noch en gros vorhat: Ein 
Stromnetz aufzukaufen und so umzubauen, dass es für die überwiegend dezentrale 
Stromproduktion mit erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Geothermie 
brauchbar ist.

Vattenfall habe an einer solchen Neuausrichtung "kein gesteigertes Interesse", 
sagt Luise-Neumann Cosel vom Vorstand der Berliner Genossenschaft. Denn 
Vattenfall setze weiterhin auf seine zentralen, überwiegend mit 
klimaschädlicher Kohle befeuerten Großkraftwerke und verdiene damit und mit den 
Erträgen aus dem Netz viel Geld. Diese Millionen flössen an Aktionäre im In- 
und Ausland, während Erträge aus Genossenschaftsanteilen den Berlinern zugute 
kämen. Das Netz werfe Renditen zwischen sechs und neun Prozent ab, von denen 
ein Teil allerdings reinvestiert werden soll. Das ist neben der Frage, wie 
viele Bürger ihr Geld in Kabel und Leitungen investieren wollen, eines der 
Fragezeichen des Projekts. Denn wie hoch der Investitionsbedarf ist, weiß die 
BEB mangels Daten von Vattenfall nicht.

Immerhin könnten die Genossen über ihr Stimmrecht direkten Einfluss auf 
Entscheidungen nehmen. Mindestanteil sind 500 Euro, für sozial Schwache auch 
weniger. Jeder Genosse hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe seiner Einlage. 
Das Vattenfall-Fachpersonal soll bei einem Kauf weitgehend übernommen werden, 
um die Netzsicherheit zu gewährleisten. Laut Gaßner wurden bereits Anteile für 
eine Million Euro gezeichnet.

Die entscheidende Frage, wie viel das Vattenfall-Netz kosten wird, kann die 
Initiative allerdings noch nicht beantworten. Die Angaben reichen von 400 
Millionen Euro nach einer früheren Schätzung der Wirtschaftsverwaltung bis zu 
fast 3 Milliarden Euro, die Vattenfall angibt. Das sei aber ein 
"Abschreckungspreis", sagt Gaßner. Auf jeden Fall werde ein dreistelliger 
Millionenbetrag fällig. Dafür sei es eine "einmalige Gelegenheit", das größte 
Stromnetz Deutschlands "in Bürgerhand" zu überführen.

--

Ein Anteil, eine Stimme

Die Genossenschaft Bürger-Energie Berlin (*) kann jeder mit Anteilen 
unterstützen. Diese verschaffen ein Mitspracherecht und Aussicht auf Rendite, 
allerdings kann die Mitgliederversammlung auch beschließen, dass Anteile zur 
Deckung von Verlusten verwendet werden. Wer das Risiko jetzt scheut, kann auch 
über ein Treuhändermodell Geld zur Verfügung stellen, das erst bei erfolgtem 
Kauf des Netzes in Genossenschaftsanteile umgewandelt wird. Kommt es nicht zum 
Netzkauf, bekommt man das Geld zurück - ohne Zinsen. Angelegtes Geld sei 
sicher, versprechen die Initiatoren. Es werde bei der ökologisch orientierten 
GLS-Bank angelegt und sei über den Einlagensicherungsfonds der Volks- und 
Raiffeisenkassen abgesichert. Reicht die Zahl der Anleger nicht, denkt die BEB 
auch an eine Kaufpartnerschaft mit dem Land Berlin. In der SPD gibt viele 
Freunde der "Rekommunalisierung".

Vorbild "Stromrebellen" 

Anti-Atom-Aktivisten gründeten 1994 in Schönau die Elektrizitätswerke Schönau 
(EWS). Das Ziel war eine "atomstromfreie und unabhängige Energieversorgung". 
1997 übernahmen die EWS das Stromnetz der 2.400-Einwohner-Gemeinde, sie bietet 
bundesweit Öko-Strom an. Seit 2009 organisiert sich die EWS als Genossenschaft 
.Die EWS beliefern 115.000 Kunden. 2011 machten die EWS 100 Millionen Euro 
Umsatz und schütteten sechs Prozent Dividende an die Genossen aus.

Das Modell

Das Prinzip von Genossenschaften basiert auf wirtschaftlicher Kooperation - 
ohne Aufgabe der Eigenständigkeit. Zweck ist die wirtschaftliche Förderung, 
nicht der Profit. Trotzdem machen Genossenschaften im besten Fall Gewinn, den 
sie an die Mitglieder weitergeben oder investieren. Entscheidungen werden in 
einer Generalversammlung getroffen. Geht die Genossenschaft pleite, haften die 
Mitglieder entsprechend ihrer Einlagen. Außerdem legen Genossenschaften fest, 
ob es eine mögliche "Nachschusspflicht" gibt. Wenn ja, müssen die Mitglieder im 
Konkursfall über ihre Stammanteile hinaus für eine festgelegte Summe haften.

(*) www.buerger-energie-berlin.de


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http://www.tagesspiegel.de/6556876.html 

Der Tagesspiegel - 26.04.2012

Stromversorgung 

Stromnetz soll in öffentliche Hand

Eine Genossenschaft sammelt Geld und bewirbt sich um die Konzession zur 
Verteilung des Stroms in der Stadt. Die SPD favorisiert eine Landesbeteiligung 
zwischen 25 und 100 Prozent

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Bürger sollen das Berliner Stromnetz kaufen. Im Streit [1] um die Frage, 
wer ab 2015 eine neue Konzession zur Verteilung des Stroms in der Stadt erhält, 
ist das eine neue Variante. Die Genossenschaft "Bürger-Energie Berlin" (*) will 
in den nächsten Monaten einen dreistelligen Millionenbetrag einsammeln, um den 
Netzbetrieb für 20 Jahre zu übernehmen. Eventuell gemeinsam mit Unternehmen, 
die für die Produktion und den Vertrieb erneuerbarer Energien stehen [2].

"Ein sehr ambitioniertes Vorhaben", gibt Rechtsanwalt Hartmut Gaßner zu, der 
dem Aufsichtsrat der Genossenschaft vorsitzt. Nicht nur wegen des vielen 
Geldes, das nötig ist, um das Stromnetz zu kaufen, in die Anlagen zu 
investieren und trotzdem noch Gewinne zu erzielen. Sondern auch wegen der 
wirtschaftlich mächtigen Konkurrenz. Der Energieriese Vattenfall Europe [3] 
bekundet sehr offensiv sein Interesse, das Berliner Netz weiterzubetreiben, das 
2,3 Millionen Kunden an 35.508 Kilometer Stromleitungen anbindet.

Vor einer Woche wurde das Interessenbekundungsverfahren für die Neuvergabe der 
Konzession beendet. Es gibt ein knappes Dutzend Bewerber. Herr des Verfahrens 
ist die Finanzverwaltung des Senats, aber das Thema ist politisch so brisant, 
dass die Regierungsfraktionen SPD und CDU ein gewichtiges Wort mitzureden 
haben. Die Union hat vorgelegt. Sie favorisiert die Vergabe des Stromnetzes an 
einen privaten Betreiber. Mit strengen, vertraglich garantierten Bedingungen 
will die CDU den staatlichen Einfluss auf das Netz sichern. Gefordert wird 
unter anderem ein "intelligenter Energiemix", klimaschonende technische 
Standards, die Förderung dezentraler Energieerzeugung und die Bevorzugung 
regionaler Betriebe bei der Auftragsvergabe.

"Hoch sympathisch, aber konzessionsrechtlich problematisch", sagt der 
SPD-Umweltexperte Daniel Buchholz dazu. Er leitet die Arbeitsgruppe 
"Daseinsvorsorge" der SPD-Fraktion, die im Laufe des Sommers ein Konzept für 
die Neuvergabe der Strom- und Gasnetze in Berlin vorlegen will. Buchholz 
verweist mit seiner freundlichen Kritik am Koalitionspartner auf das 
gesetzliche Nebenleistungsverbot. Das Land Berlin dürfe die Ausschreibung der 
Versorgungsnetze nicht an alle möglichen, wenn auch schönen Bedingungen 
knüpfen. Die Kartellbehörden und Gerichte hätten ein waches Auge auf die 
Vergabe von Konzessionen.

Deshalb sagt Buchholz: "Wir kommen um eine kommunale Beteiligung nicht herum, 
wenn wir nachhaltig Einfluss auf die Netze nehmen wollen." Die SPD-Experten 
prüfen derzeit alle Optionen für eine öffentliche Beteiligungsquote zwischen 
25,1 (wie in Hamburg) und 100 Prozent. Nur so ließe sich ernsthaft Einfluss auf 
die Geschäfte des Netzbetreibers nehmen. Buchholz kann sich sogar vorstellen, 
dass die neue Genossenschaft, die das Stromnetz in Bürgerhand legen will, in 
ein solches Modell eingebunden wird. "Das wäre so eine Art Volksaktie."

Für die Bürgerinitiative "Energietisch" (**), die mit einem Volksentscheid im 
Herbst die Gründung eines kommunalen Stadtwerks und einer 
öffentlich-rechtlichen Netzanstalt erzwingen will, wird es allerdings eng. Bis 
Ende Juni braucht sie 20.000 gültige Unterschriften, damit ein Volksbegehren 
zustande kommt. Bisher wurden aber erst 9.000 Unterschriften eingesammelt. 
Ebenfalls im Herbst wird der Konzessionsvertrag für das Stromnetz europaweit 
ausgeschrieben. Dann muss klar sein, was Rot-Schwarz eigentlich will.

[1] http://tagesspiegel.de/berliner-cdu-auf-gegenkurs/6537090.html 
[2] http://tagesspiegel.de/gruene-wollen-netzgesellschaft/6369532.html 
[3] http://tagesspiegel.de/vattenfalls-neuer-stoerfall/6304716.html 

--

LINKS [Red.]

(*) http://www.buerger-energie-berlin.de/ 
(**) http://www.berliner-energietisch.net/ 


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Interview
Deutschlandradio, 25.04.2012: Genossenschaft will Berliner Stromnetz übernehmen
Aufsichtsrätin der Bürger-Energie Berlin über die Pläne: Cornelia Ziehm im 
Gespräch mit Susanne Führer
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1739292/

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