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Tagesspiegel - 25.04.2012 

Suche nach der Gruft 

Atomendlagergipfel bleibt ohne Einigung

Das Spitzentreffen zur Atommüll-Endlagerung ist am Dienstagabend ohne Ergebnis 
geblieben. Dennoch soll eine Einigung kurz bevor stehen. Welche Chancen haben 
die Gespräche darüber?

Von Dagmar Dehmer

Es hat so gut angefangen. Nachdem im vergangenen Sommer die Entscheidung zum 
Atomausstieg gefallen war - diesmal wohl endgültig -, tat sich die Chance auf, 
das Problem mit dem Atommüll in Angriff zu nehmen. Seit 35 Jahren wird der 
Salzstock in Gorleben als Standort untersucht, seit 35 Jahren steht er im 
Verdacht, eher aus politischen als geologischen Gründen erkundet zu werden, und 
seit 35 Jahren ist er umkämpft. Nach dem Wahlsieg in Baden-Württemberg bot 
Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) einen Neuanfang bei der 
Endlagersuche an, denn "irgendwo muss das Zeug ja hin", sagte er im November 
nach dem ersten Bund- Länder-Gespräch im Bundesumweltministerium.

Worüber genau verhandeln Bund und Länder?

Einen Endlagergipfel soll es noch geben. Dann soll der Konsens stehen - 
vermutlich nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Wäre es nach ihm 
gegangen, sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) am späten 
Dienstagabend nach dem Treffen, "wäre mehr drin gewesen". Seine Partei und die 
FDP "waren auf Open-End eingestellt". SPD und Grüne offenbar nicht. Aber auch 
die betonten, die Einigung sei nah. Winfried Kretschmann, der aber nicht weiter 
ins Detail gehen wollte, sagte: "Sie werden von mir heute nur noch Phrasen und 
Plattitüden hören." Dann verschwand er fast so schnell wie vor ihm schon 
SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Jürgen 
Trittin. Norbert Röttgen beteuerte jedoch: "Konsens ist machbar." Auch der 
etwas erschöpft wirkende niedersächsische Ministerpräsident David McAllister 
(CDU) übte sich in Zuversicht. Für die FDP saß Generalsekretär Patrick Döring 
mit am Tisch, für die CSU der Parlamentarische Staatssekretär im 
Verteidigungsministerium Christian Schmidt. Die Linken waren - wieder einmal - 
nicht eingeladen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, 
Dagmar Enkelmann, zeigte sich empört darüber und nannte das Verfahren 
undemokratisch.

Den verhandelnden Ländern wäre es wohl am liebsten gewesen, nur einmal mit den 
Bundestagsfraktionen, am besten gleich mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu 
verhandeln. Sie wollten einen Kompromiss aushandeln, der über die Parteigrenzen 
hinweg allen etwas abgefordert, aber allen die Chance gelassen hätte, wegen des 
staatsbürgerlichen Großen und Ganzen zuzustimmen. Es wäre für die Fraktionen 
dann wohl schwer geworden, an den Details herumzukritteln. Doch diese Strategie 
wurde durch die überraschende Wahl in Nordrhein-Westfalen durchkreuzt. Der 
Wille zur Einigung ist aus Sicht der niedersächsischen Europaabgeordneten 
Rebecca Harms (Grüne) sogar eher im Übermaß vorhanden. Sie kritisierte, es 
werde zu wenig darauf geachtet, "was in dem Gesetz tatsächlich drinsteht". Sie 
wolle sich einem Kompromiss nicht verschließen, aber "der Schritt muss auch 
einer sein", sagte sie dem Tagesspiegel.

Wie wird die Endlagersuche organisiert?

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass für die Endlagersuche ein neues 
Bundesinstitut für Endlagerung gegründet werden soll. Dieses Institut soll zum 
einen die wissenschaftliche Grundlage für die Endlagerung erarbeiten, soll aber 
auch die Standorte vorschlagen, die übertägig oder untertägig erkundet werden 
sollen und am Ende auch den Vorschlag für den Endlagerstandort machen. Das soll 
dann etwa 2040 ein funktionsfähiges Endlagerbergwerk sein. Umgesetzt werden 
soll das von einer bundeseigenen Firma. Jeder Schritt soll von Bundestag und 
Bundesrat entschieden werden. Die Bevölkerung soll in jeden Planungsschritt 
"eingebunden" werden, etwa durch Bürgerbüros, Dialoge und Versammlungen. 
Außerdem soll eine Begleitgruppe eingerichtet werden, die Einblick in alle 
"relevanten Unterlagen" bekommen soll. In einem gesetzlich noch festzulegenden 
Umfang sollen die Bürger auch berechtigt sein, sich unabhängige 
wissenschaftliche Expertise einzukaufen.

Gegen diesen Vorschlag regt sich zum einen Widerstand bei den Grünen und der 
SPD. Sowohl Trittin als auch Gabriel wollen das Bundesamt für Strahlenschutz 
(BfS) nicht entmachten und verlangen, dass das BfS die Endlagersuche in die 
Hand nimmt. Schließlich hat das BfS es geschafft, die gefährlich missglückten 
Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Morsleben und in Asse 
halbwegs in den Griff zu bekommen und akzeptable Konzepte für die Lösung der 
Probleme vorzulegen. Ein "ominöses Bundesinstitut", wie Trittin es nennt, löse 
bei der Bevölkerung doch sofort Misstrauen aus.

Noch mehr Misstrauen löst allerdings das Vorhaben aus, das sonst übliche 
Planfeststellungsverfahren durch ein Genehmigungsverfahren zu ersetzen. Im 
Auftrag von Greenpeace hat Rechtsanwalt Ulrich Wollenteit in einem Gutachten 
geschrieben, dass die "Rechtsschutzmöglichkeiten für den Bürger auf ein 
verfassungsrechtlich fragwürdiges Niveau" schrumpften, weil der Standort "per 
Gesetz fixiert wird". Andreas Graf Bernstorff und Eckard Kruse von der 
evangelischen Kirche Gartow, beide Grundeigentümer und Salzrechteinhaber über 
dem Salzstock in Gorleben, haben in einem offenen Brief gefordert, dass es 
weiterhin Klagerechte gegen die Endlagerpläne geben müsse. Rebecca Harms und 
Stefan Wenzel, Fraktionschef der Grünen im niedersächsischen Landtag, 
kritisieren, dass die Erkundung der Standorte, wie in Gorleben, nach Bergrecht 
stattfinden soll - also ohne umfassende Beteiligungsmöglichkeiten für die 
betroffenen Bürger vor Ort.

Was wird aus Gorleben?

Neben der Behördenstruktur ist der Umgang mit Gorleben der zweite große 
ungelöste Konfliktpunkt. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, das Anti-Atom- 
Netzwerk Ausgestrahlt sowie die Umweltverbände BUND und Greenpeace verlangen, 
dass Gorleben schon im Gesetz als Standort ausgeschlossen wird. Auch er 
SPD-Spitzenkandidat für die niedersächsische Landtagswahl im kommenden Jahr, 
Stephan Weil, sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Aus niedersächsischer Sicht 
muss Gorleben aus dem Topf möglicher Endlager herausgenommen werden." Das sehen 
viele bei den niedersächsischen Grünen nicht anders. Die Verhandlungsführerin 
der Grünen, die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke, hat 
dagegen wie der Energieminister in Baden-Württemberg, Franz Untersteller, stets 
betont, dass Gorleben "wie jeder andere mögliche Standort" behandelt werden 
müsse. Die atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Sylvia 
Kotting-Uhl, weist darauf hin, dass ein Ausschluss Gorlebens aus der Suche eine 
genauso politische Entscheidung wäre wie die, nur Gorleben zu erkunden aus dem 
Jahr 1977. Außerdem hat BfS-Präsident Wolfram König jahrelang darauf 
hingewiesen, dass es einen Standortvergleich geben müsse, damit das Verfahren 
vor den Gerichten bestehen könne.

Die CDU wiederum hat jahrzehntelang für Gorleben gekämpft. Und Ralf Güldner vom 
Deutschen Atomforum ist immer noch der Meinung, dass es "keine technisch 
begründeten Argumente" gegen den Salzstock in Gorleben gebe. Die Atomindustrie 
hat bereits gut 1,6 Milliarden Euro in das Endlagerbergwerk in Gorleben 
investiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es Schadenersatzforderungen geben 
würde, wenn Gorleben nun schon vor dem Neustart aussortiert wird.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) spricht seit fünf Monaten von einer 
"weißen Landkarte". In seiner "weißen Landkarte" ist Gorleben allerdings als 
Referenzstandort vermerkt, weshalb die SPD-Obfrau im 
Gorleben-Untersuchungsausschuss, Ute Vogt, das Gesetz auch als 
"Gorleben-Findungsgesetz" brandmarkt. Sie hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, 
das sogar bezweifelt, dass die Atomkonzerne für eine neue Endlagersuche 
aufkommen müssten. Das sehen einige Juristen jedoch anders. Schließlich sei die 
Endlagersuche ja die Voraussetzung für den Bau eines solchen, argumentiert 
beispielsweise der Berliner Rechtsanwalt Hartmut Gassner. (mit m.m.)

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