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taz - 27.04.2012

Berliner Stromnetz in Bürgerhand

"Größenwahn? Den braucht man auch"

Eine Genossenschaft will das Berliner Stromnetz kaufen. Sie braucht ein paar 
Millionen Euro und viel Organisation. Bisher heißt der Netzbetreiber Vattenfall

Von Fiona Weber-Steinhaus

BERLIN taz | Luise Neumann-Cosel träumt von 34.943 Kilometern Kabeln, 934 
Kilometern Freileitungen und rund 2,2 Millionen Stromanschlüssen. Dabei ist sie 
kein Kabel-Nerd mit einem Hang zu Drähten und Voltzahlen.

Neumann-Cosel ist Ökoaktivistin, 26 Jahre alt, sie trägt einen Button mit der 
"Atomkraft nein danke"-Sonne, ihre blonden Haare hat sie zu einem Dutt 
zusammengewuschelt. Gerade hat sie ihr Diplom in Geoökologie gemacht, jetzt 
baut sie die Genossenschaft Bürgerenergie Berlin mit auf, um das örtliche 
Stromnetz zu kaufen.

Ende 2014 läuft nämlich der aktuelle Konzessionsvertrag mit Vattenfall ab. Bis 
dahin wird die Landesregierung einen neuen Netzbetreiber auswählen, als letzte 
Instanz entscheidet das Parlament, wer ab 2015 den Betrieb übernimmt. 
Neumann-Cosel will sich mit ihrer Genossenschaft bewerben: Die Stromnetze 
sollen zurück in Bürgerhand, erneuerbare Energien sollen Vorfahrt erhalten - 
und vor allem soll der Gewinn aus dem Betrieb des Stromnetzes nicht länger an 
den schwedischen Energiekonzern Vattenfall fließen.

An vielen Orten in Deutschland planen BürgerInnen oder Kommunen derzeit, die 
Stromnetze nach der Privatisierungswelle in den neunziger Jahren 
zurückzukaufen. In Hamburg kämpft die Initiative "Unser Hamburg - Unser Netz" 
für die Rekommunalisierung, im niedersächsischen Oldenburg und im 
baden-württembergischen Remstal fordern Energiegenossenschaften das Netz in 
Bürgerhand. Die Stadt Rüsselsheim hat 2008 ihre Stromnetze zurückgekauft, in 
der baden-württembergischen Stadt Titisee-Neustadt hat eine Genossenschaft 
mitgeholfen.

Neumann-Cosel steckt einen Großteil ihrer Zeit in das neue Projekt. Unter ihren 
Mails steht "von unterwegs gesendet", ihr orangefarbener Tourenrucksack beult 
sich vollgepackt, an der Seite steckt eine Wasserflasche, immer mal wieder lugt 
sie auf ihr Smartphone, um Termine nachzuschauen. Nur den Donnerstagabend hält 
sie sich für ihre Chorprobe frei - auf dem Rücken ihres Kapuzenpullovers steht 
"Cantus Domus", der Name ihres Chors. "Es gibt nichts Besseres als zu singen, 
um den Kopf freizukriegen", sagt sie.

Vom Wendland geprägt

Woher diese Begeisterung für das Stromnetz? Für Energie interessiert sich Luise 
Neumann-Cosel schon seit zehn Jahren. Mit sechzehn fuhr sie das erste Mal auf 
eine Anti-Castor-Demonstration ins Wendland: "Geplant war, nach der Demo nach 
Hause zu fahren. Ich war dann aber so umgeworfen von der Situation dort. Ich 
habe gedacht: Das kann doch nicht wahr sein, hier läuft etwas unglaublich 
schief, und keiner spricht darüber. Ich bin dann sprichwörtlich dabeigeblieben 
und habe mich auf die Straße gesetzt."

Sie wurde Pressesprecherin der Castorblockierer, diskutierte bei Maybrit Illner 
über den Atomausstieg und arbeitete zuletzt bei der Anti-Atom-Kampagne 
.ausgestrahlt - jetzt lebt sie von ihrem Ersparten und kümmert sich um die 
Genossenschaft.

Für sie ist das der nächste logische Schritt. "Wir sagen nicht: Wir wollen 
keine Atomkraftwerke. Jetzt sagen wir: Das wollen wir, nämlich dezentrale, 
erneuerbare Energieversorgung. Wenn die Politik das nicht umsetzt, dann müssen 
wir es selbst tun."

Der Kunde wählt den Stromanbieter selbst

Das Problem: Der Netzbetreiber allein kann die Energiewende nicht einläuten. 
Denn jeder Kunde kann seinen Stromanbieter frei auswählen, der Betreiber muss 
den Strom dann durchleiten - egal ob Atomstrom oder Ökostrom. Die Preise für 
den Stromtransport reguliert die Bundesnetzagentur - auch hier also wenig 
Einfluss.

Außerdem ist jeder Betreiber, ob Genossenschaft oder Vattenfall, gesetzlich 
verpflichtet, Windkraftwerke, Solarpanels und Biogasanlagen ans Netz zu 
bringen. Zumindest dabei gibt es aber geringe Spielräume, die ein Betreiber so 
oder so nutzen kann. Dierk Bauknecht, Energieexperte beim Ökoinstitut, sagt: 
"Es gibt einen deutlichen Unterschied, ob jemand nur Dienst nach Pflicht macht 
oder ob der Netzbetreiber den Ausbau der Stromnetze für regenerative Energien 
fördert."

Neumann-Cosel plant, wie sie sagt, das Netz "proaktiv" zu gestalten. Das hieße: 
die Leitungen schon im voraus so auszubauen, dass der Anschluss von 
regenerativen Energien besser klappt, wenn es sie in Berlin in nennenswertem 
Umfang gibt.

Allerdings: "Die Musik spielt eindeutig auf der Seite von Vertrieb und 
Erzeugung", sagt der Aachener Gutachter Wolfgang Zander, der Gemeinden bei der 
Rekommunalisierung von Stromnetzen berät. Luise Neumann-Cosel gibt sich 
entspannt: "Eins nach dem anderen. Natürlich, wenn das Projekt erfolgreich ist, 
wäre der nächste logische Schritt, auch an die Stromerzeugung zu denken."

Das wichtigste Argument Neumann-Cosels für den Netzkauf ist aber: "Wir wollen, 
dass der Gewinn zu den Bürgern zurückfließt und nicht an Vattenfall." Genau 
genommen fließt das Geld allerdings nur an die BürgerInnen, die mindestens 500 
Euro in die Genossenschaft einzahlen. Die Eigenkapitalrendite liegt bei 
effizientem Betrieb bei 7 bis 9 Prozent. Für die GenossInnen kann dies also 
eine lohnenswerte Geldanlage sein.

Die erste Million

Doch zuvor muss genug Geld zusammenkommen. "Bisher haben wir eine Million Euro 
an verbindlichen Zusagen", sagt Neumann-Cosel. Wenn Berlin die Konzession an 
die Genossenschaft gibt, muss diese Vattenfall das Stromnetz abkaufen. Je nach 
Gutachten variieren die Kosten zwischen 300 Millionen Euro und 3 Milliarden 
Euro.

Wenn Neumann-Cosel mit ihrer unaufgeregten Stimme von dem Projekt erzählt, hört 
es sich an, als sei das Ganze eine klare Sache. Doch die entscheidenden 
Probleme, die bis zur offiziellen Bewerbung geklärt sein müssen, hat sie noch 
nicht gelöst. Woher soll die technische Expertise kommen? Dafür könne man sich 
ja einen Partner besorgen. Woher soll das ganze Geld kommen? Das sei das 
geringste Problem, sagt Neumann-Cosel. "Es gibt ja unglaublich viel Geld in 
Deutschland, die privaten Haushalte haben ein Geldvermögen von 4,9 Billionen 
Euro."

Aber wie realistisch ist es, dass alles klappt? "Klar, dieses Projekt hat etwas 
von Größenwahn - den braucht man aber auch", sagt Neumann-Cosel. Wie in 
Schönau: In der Schwarzwaldgemeinde wollten BürgerInnen nach Tschernobyl die 
Energiepolitik in die eigene Hand nehmen. 1997 kauften sie das örtliche 
Stromnetz, inzwischen ist ihr Unternehmen einer der vier konzernunabhängigen 
Öko-Stromanbieter in Deutschland.

Die Initiative im Netz: www.buergerenergie-berlin.net

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