Netzpolitik.org

https://netzpolitik.org/2018/selbstfahrende-autos-koennten-bald-radfahrer-vo
n-der-strasse-draengen/ 

 

31.10.2018 

 

Selbstfahrende Autos könnten bald Radfahrer von der Straße drängen

 

Tech-Konzerne und die Autoindustrie investieren Milliarden in autonomes
Fahren. Aber werden Robo-Lenker jemals unfallfrei durch den Dschungel
europäischer Städte steuern können? Städteplaner müssen wohl bald
entscheiden: Smarte Autos oder doofe Radler

 

Alexander Fanta

 

Tech-Firmen und die Autoindustrie buttern Milliardenbeträge in die
Entwicklung selbstfahrender Autos. Schon in wenigen Jahren sollen von
Roboterhand gelenkte Fahrzeuge die Straßen dominieren. Doch was passiert,
wenn die Maschinen auf Radfahrer treffen? Autofahrer entscheiden jeden Tag
im Straßenverkehr über Menschenleben, meist unbewusst und in
Sekundenschnelle. Lenker wägen ihre eigene Sicherheit mit der von anderen
Autofahrern und schwächeren Verkehrsteilnehmern wie Radfahrern oder
Fußgängern ab. Solche Entscheidungen liegen künftig in Maschinenhand. Was
richtig und was falsch ist im Straßenverkehr, ist jedoch schwer zu
verallgemeinern, wie eine im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentliche
Studie <https://www.nature.com/articles/d41586-018-07135-0>  deutlich macht.

 

Tod den Bei-Rot-Gehern?

 

Die Wissenschaftler schilderten 13 Szenarien, bei denen im Straßenverkehr
der Tod eines Menschen unvermeidlich ist. Mehr als 2,3 Millionen Menschen in
Ländern rund um die Erde beantworteten die Fragen. Die Befragten mussten
abwägen, ob sie etwa ihr Auto gegen ein Hindernis steuern und damit alle
Insassen gefährden, um einen illegal die Straße kreuzenden Fußgänger zu
schützen. Das Fazit der Wissenschaftler: Überall werden solche
Entscheidungen anders getroffen. In Ländern mit starkem Rechtsstaat, etwa
Finnland und Japan, entschieden Befragte häufiger, das Anfahren eines
Fußgängers in Kauf zu nehmen, wenn dieser ordnungswidrig die Straße
überquert. In Staaten mit weniger Rechtsschutz wie Nigeria und Pakistan war
das nicht der Fall.

 

Das Beispiel machen deutlich: Eine weltweit einheitliche Ethik des
Straßenverkehrs gibt es nicht. Es ist daher schwer, für die Maschinenlogik
der selbstfahrenden Autos weltweit gleiche Regeln zu setzen. Versuche zur
Normierung gab es bereits, etwa durch eine Ethik-Kommission der
Bundesregierung
<https://netzpolitik.org/2017/vorschlaege-der-ethik-kommission-zu-autonomen-
fahrzeugen-wer-traegt-die-verantwortung-fuer-sicherheit-und-datenschutz/> .
De facto werden die ethischen Standards aber vor allem durch die streng
geheime Software
<https://www.newyorker.com/magazine/2018/10/22/did-uber-steal-googles-intell
ectual-property>  von Firmen wie Tesla, Uber oder der Google-Tochter Waymo
gesetzt. Sie und andere große Konzerne wollen bis 2021 selbstfahrende Autos
regulär auf die Straße bringen. Großbritannien hat das sogar rechtlich
bereits geregelt
<https://www.tagesschau.de/ausland/grossbritannien-autonomes-fahren-101.html
> .

 

Im Zweifel gegen Radler

 

Der Siegeszug autonomer Fahrzeuge könnte den Radverkehr direkt treffen. Denn
selbstfahrende Autos und Lenkassistenten
<https://www.autobild.de/artikel/autonomes-fahren-fuenf-stufen-12883819.html
>  werden vermutlich in einigen Situationen das Risiko im Verkehr von sich
auf andere umwälzen. „Denken Sie an ein autonomes Auto, das entscheidet, wie
es sich selbst durch eine Straße steuert – näher an einem LKW auf seiner
rechten, oder näher an einem Fahrradstreifen auf seiner linken“, sagte
Studien-Mitautor Azim Shariff von der Universität von British Columbia dem
Magazin Forbes
<https://www.forbes.com/sites/carltonreid/2018/10/28/driverless-cars-will-ki
ll-cyclists-warns-nature-magazine/#31251fed6133> . „Wenn Autos immer dazu
programmiert sind, enger am Fahrradstreifen zu fahren, können sie damit das
Risiko deutlich reduzieren, mit anderen Autos kollidieren. Zugleich erhöht
sich die Wahrscheinlichkeit leicht, einen Radfahrer anzufahren.“

 

Die Entscheidung der Software fällt aller Wahrscheinlichkeit nach eher
zugunsten der eigenen Fahrzeuginsassen denn Fremden im Verkehr aus. Klar,
auch menschliche Fahrer handeln im eigenen Interesse. Doch Software-Vorgaben
machen aus einer jeden Tag aufs neue getroffenen Einzelentscheidung ein
Serienverhalten - mit fatalen Folgen.

 

Autofirmen haben Radler schon länger als Hürde für ihre Technologie
identifiziert. „Eines der größten Probleme sind Menschen mit Fahrrädern“,
sagte Renault-Chef Carlos Ghosn im Jahr 2016
<https://www.cnbc.com/2016/01/08/driverless-cars-confused-by-cyclists.html>
. „Das Auto wird von ihnen verwirrt, denn manchmal verhalten sie sich wie
Fußgänger und manchmal wie Autos.“ Der Firmenboss kritisierte, Radfahrer
hielten sich meist nicht an Verkehrsregeln.

 

Unberechenbare Robolenker

 

In den USA laufen schon länger Straßentests von selbstfahrenden Autos. Die
Unfallberichte zeigen, dass die Lenkroboter sich oft unberechenbar
verhalten. Ein Bericht des Magazins Wired stellt die Gretchenfrage
<https://www.wired.com/story/self-driving-car-crashes-rear-endings-why-chart
s-statistics/> : „Was ist der beste Weg, mit etwas umzugehen, das ein
landesweites Experiment in Robotik und KI werden könnte, bei dem die
öffentlichen Teilnehmer aber nicht willentlich zugestimmt haben und dessen
Worst-Case-Szenario ihr Tod ist?“ Der Bericht beklagt, die Unternehmen
machten zu wenig Daten über Unfälle und Beinahe-Unfälle öffentlich.

 

Die Unfälle streuen Zweifel an der Technologie. Sind automatisierte
Fahrsysteme einer modernen Stadt überhaupt gewachsen? Nach dem tödlichen
Zusammenstoß eines Testautos mit einer ihr Fahrrad schiebenden Passantin
stoppte Uber seine (ohnehin von menschlichen Lenkern begleiteten)
Probefahrten in mehreren US-Städten
<https://www.nytimes.com/2018/08/19/technology/uber-self-driving-cars.html>
. Waymo testet seine selbstfahrenden Taxis in den übersichtlichen
Straßenverläufen der US-Stadt Chandler in Arizona. Selbst dort läuft es
nicht unfallfrei
<https://www.cbsnews.com/news/waymo-self-driving-suv-involved-crash-chandler
-arizona-2018-05-04/>  ab. Wie sieht das erst in der Altstadt von Rom aus,
oder im Gassengewirr Wiens?

 

Umbau auf Konzernwunsch

 

Unsere Städte müssten nach den Bedürfnissen der Fahrzeuge umgebaut werden,
folgert ein Artikel im Wall Street Journal
<https://www.wsj.com/articles/driverless-hype-collides-with-merciless-realit
y-1536831005> . Dann klappe es auch mit den autonomen Autos. Gefragt sind
schnurgerade Straßen, ein Verbot des Mischverkehrs und durchgehende
Bodenmarkierungen
<https://theweek.com/articles/670958/silicon-valleys-selfserving-vision-self
driving-cars> . „Ihr müsst hier die verdammten Straßen anmalen“, rief
Volvo-Nordamerika-Chef Lex Kerssemakers bei einer Messe in Los Angeles
<https://www.reuters.com/article/us-autos-autonomous-infrastructure-insig-id
USKCN0WX131> . Die marode Infrastruktur der USA
<https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-02/usa-infrastruktur-donald-trump-
investitionen-haushalt>  muss an vielen Orten für die Maschinen erst fit
gemacht werden. Die Investitionen übernimmt nach Vorstellung der Konzerne
der Staat.

 

Der Idealzustand für selbstfahrende Autos ist daher vermutlich eine Stadt
nach amerikanischem Vorbild. Das entspricht aber so gar nicht europäischen
Vorstellungen lebenswerter urbaner Räume, die viel Platz für Fußgänger und
Radfahrer vorsehen. Hilfreich wäre laut dem Wall Street Journal auch, alle
Verkehrsteilnehmer zu vernetzen und ihre Daten auszutauschen, um
Zusammenstöße zu vermeiden. Autonomes Fahren öffnet die Tür zu mobiler
Komplettüberwachung.

 

Das Ringen um den urbanen Raum ist bereits im vollen Gange. Nicht nur
US-Konzerne, sondern auch europäische Autogiganten arbeiten längst an
autonomen Fahrzeugkonzepten. Der starke Lobbyarm der Konzerne drängt wohl
bald auch in Europa mit Macht darauf, unsere Städte für selbstfahrende Autos
bereit zu machen. Fahrradverbände warnen seit längerem vor Gesetzen, die
selbstfahrende Autos gegenüber Radfahrern bevorzugen
<https://ecf.com/news-and-events/news/smarter-cycling-series-watch-out-laws-
demand-cyclists-get-out-way-driverless> . Und tatsächlich, im EU-Parlament
wird bereits der Entwurf eines Berichts diskutiert
<http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL
+PE-623.787+01+DOC+PDF+V0//DE&language=DE> , der Europa als „weltweiten
Vorreiter beim Einsatz vernetzter und automatisierter Mobilität“ sehen
möchte. Der Kampf Mensch gegen Maschine wird vermutlich bald ein stückweit
auf unseren Straßen entschieden.

 

 

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