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http://www.heise.de/tp/artikel/49/49710/

 

Hinkley Point muss gebaut werden - aus militärischen Gründen

 

Ralf Streck 15.10.2016

 

Eine Studie der Universität Sussex zeigt auf, dass hinter dem extrem teuren
Atomkraft-Neubau militärische Anforderungen stehen

 

Setzt man sich mit dem extrem teuren Neubau der beiden neuen Atommeiler im
britischen Hinkley Point auseinander, dann wird schnell klar, dass es eine
massive Vermischung von verschiedensten Interessen gibt, die dafür sorgen,
dass ein Projekt umgesetzt werden soll, das zweifellos "wirtschaftlicher
Wahnsinn" [1] ist und Verbraucher und Steuerzahler sehr teuer zu stehen
kommen wird. Dass die französische Atomindustrie auf eine Wiedergeburt und
die Rettung ihres Pleite-Sektors aus ist, liegt auf der Hand [2]. Die
Universität Sussex kommt in einer Studie zur Feststellung, dass das
militärische atomare Abschreckungsprogramm [3] letztlich den Ausschlag gab,
koste es was es wolle, unsinnige und teure zivile Atomprojekte zu
realisieren.

 

Die Universität Sussex in England hatte schon im September eine 97-seitige
Studie vorgelegt, die sich mit der britischen Atompolitik, auch mit dem
geplanten Neubau von zwei Meilern in Hinkley Point, auseinandersetzt. Schon
bevor der Vertrag zwischen der französischen EDF (zum größten Teil in
Staatshand), die federführend das Projekt realisieren soll, dem chinesischen
Staatsunternehmen General Nuclear Power Corporation (CGN), das zu einem
Drittel beteiligt ist, und der britischen Regierung unterschrieben [4]
wurde, hatten Forscher der Universität herausgestellt, dass das Programm der
atomaren Unterseeboote des Königreichs hinter dem Projekt steht, da sonst
das Abenteuer nicht erklärbar ist.

 

"Understanding the intensity of UK policy commitments to nuclear power: the
role of perceived imperatives to maintain military nuclear submarine
capabilities", lautet der Titel der Studie [5]. Die Autoren machen darin
darauf aufmerksam, dass weiter an den Plänen, 16 Gigawatt Leistung aus
Atomkraftwerken aufbauen zu wollen, festgehalten werde. Da es aber viele
durchführbare Alternativen für eine effiziente, sichere und klimafreundliche
Energieversorgung gäbe, sei es "es schwierig", dieses Vorhaben allein so zu
begründen, wie es offiziell versucht wird.

 

Bisher war diese Sussex-Studie praktisch unbeachtet geblieben. Sie wurde
gerade erst diese Woche breiter durch einen Artikel [6] in der New York
Times bekannt. Denn darin geht Peter Wynn Kirby, Atom- und Umweltexperte der
renommierten Universität von Oxford, auch auf das Thema ein und weist auf
die Studie hin. Schon der Titel des Artikels gibt eine Zusammenfassung:
"Britische Nuklear-Vertuschung". Der Autor spricht dabei schon zu Beginn vom
wohl "umstrittensten und aussichtslosesten" Plan. Dabei gehe nicht nur um
ein Energieprojekt: "Es ist auch eine verdeckte Initiative, um
Großbritanniens nukleare Abschreckung zu stärken."

 

Der erste Schritt dazu ist der Bau von zwei sogenannten "European
Pressurized Reactors" (EPR) in Hinkley Point. Nach Angaben der Regierung
sollen sie ab 2025 insgesamt 7% des gesamten nationalen Strombedarfs decken.
Das bedeutet, dass in nicht einmal neun Jahren die beiden Meiler am Netz
sein sollen, weshalb offiziell der Bau auch mit der Versorgungssicherheit
begründet wird.

 

Glauben muss und sollte man das natürlich nicht. Der EPR-Konstrukteur Areva
hat es auf den bisherigen vier EPR-Baustellen nicht beweisen können, dass
diese Reaktoren jemals Strom erzeugen werden. Besonders dramatisch ist
Projekt Olkiluoto, denn man hängt in Finnland schon fast zehn Jahre dem
Zeitplan her. Dabei wollen die Franzosen in Britannien den gesamten Bau von
sogar zwei Meilern in kürzerer Zeit abschließen. Und was die geplanten -
ohnehin enormen - Baukosten in Großbritannien von mehr als 22 Milliarden
Euro angeht, so hat man schlicht die derzeit geschätzten Kosten für den
Meiler in Olkiluoto verdoppelt.

 

Dabei wird es wohl nicht bleiben. Einst hatte Areva die Kosten mit 3,3
Milliarden Euro in Finnland beziffert. Die haben sich aber im Laufe der
Jahre schon mehr als verdreifacht. Es ist angesichts der Zerschlagung der
Areva inzwischen sogar fraglich, ob das Projekt jemals beendet wird. Denn es
sagt viel aus, dass die EDF diese heiße Kartoffel nicht übernehmen wollte,
als ihr mit der Pleite von Areva die Verantwortung von der französischen
Atom-Regierung aufgehalst wurde [7].

 

Zweifel an der Funktionsfähigkeit der EPR-Technik

 

Auch der Atomexperte aus Oxford weist in der New York Times darauf hin, dass
"nicht klar ist, ob die EPR-Technik funktionsfähig ist", da bisher keine
funktionierende Reaktor-Version existiert. Die beiden am weitesten
fortgeschrittenen Projekt in Olkiluoto und dem französischen Flammanville
"haben mit wichtigen Sicherheitsproblemen zu kämpfen", spricht Wynn Kirby
auch die Tatsache an, dass in Frankreich vermutlich sogar der Druckbehälter
ausgetauscht werden müsste [8].

 

Doch er geht noch einen Schritt weiter und verweist darauf, dass sich auch
beim ersten Guss des Druckbehälters für Hinkley Point ernsthafte
metallurgische Fehler an dem Teil gezeigt hätten, das den gefährlichen
Reaktorkern beherbergt. Und er bezieht sich in seiner Analyse überdies auf
den Atomingenieur Tony Roulstone von der Universität Cambridge. Der
Atomkraft-Befürworter hält das gesamte Design der EPR-Reaktoren für "nicht
konstruierbar" [9].

 

Bei seinen Ausführungen verweist auch er auf den Rücktritt von
EDF-Finanzchef Thomas Piquemal im vergangenen März. Denn der glaubt, dass
eben das Projekt in Hinkley Point dem französischen Konzern das Genick
brechen und es in "eine ähnliche Situation" wie den Kraftwerksbauer Areva
bringen könnte. "Wer würde mit 60 bis 70% seines Vermögens auf eine
Technologie wetten, von der man nicht weiß, ob sie funktioniert, obwohl man
seit zehn Jahren versucht, sie zu konstruieren", erklärte [10] Piquemal
genervt und zog die Konsequenzen.

 

Frankreich verspricht sich mit Hinkley Point, aus der extrem teuren
Pleite-Sackgasse herauszukommen, in die das Land seit Jahrzehnten mit einer
verfehlten Energiepolitik steuert. Doch ganz ähnlich handelt auch die
britische Regierung, die nach Ansicht des Oxforder Experten weiterhin das
Projekt "um fast jeden Preis vorantreiben wolle".

 

Um es nicht alleine schultern zu müssen, hatte man die Chinesen mit einem
Drittel ins Boot geholt. Denn China will seinen Namen als
Atomkraftwerksbauer aufpolieren und Know-how über das Projekt absaugen.
Vorsorglich wurde zudem festgelegt, dass China Großbritannien als
Testgelände für einen weiteren Reaktor nutzen darf. Der soll in
Bradwell-on-Sea, nordöstlich von London, später noch gebaut werden. Damit
ist die Interessenslage von China ebenfalls in dieser Gemengelage klar. Es
erhält nicht nur Zugriff auf die Stromversorgung in Großbritannien, sondern
will seine Rolle als Global Player im Kraftwerksbau stärken.

 

Angesprochen, aber noch nicht erklärt ist, warum sich die Großbritannien den
extrem teuren Spaß leistet, denn schließlich sollen die Kosten für den
Wahnsinn über extreme Strompreise für die Verbraucher an die Betreiber
zurückfließen, falls die EPR-Reaktoren jemals ans Netz gehen. Angesichts der
derzeitigen Wechselkurse und Strompreise wurden EDF und CGN ein
Phantasiepreis für 35 Jahre garantiert.

 

Umgerechnet etwa 110 Euro pro Megawattstunde soll der Strom aus den beiden
Atommeilern kosten und zudem noch an die jährliche Inflation angepasst
werden. Derzeit liegt der durchschnittliche Strompreis an der Börse aber nur
bei 25 Euro pro Megawattstunde. Für die Verbraucher und Steuerzahler wird es
also extrem teuer. So weist auch Wynn Kirby darauf hin, dass der Preis damit
"über den Preisen der meisten erneuerbaren Energiequellen" liegt und zudem
die Internationale Agentur purzelnde Preise für erneuerbare Quellen
vorhersagt.

 

Mit einem dummen Atomenergie-Projekt sollen die Kosten für das
Atomwaffenprogramm verschleiert werden

 

So ist auch der Atomexperte davon überzeugt, dass Hinkley Point nur in
"Verbindung zu britischen Militärprojekten" einen Sinn ergibt. Er führt
dafür vor allem die atomgetriebenen Unterseeboote an, die mit Atomraketen
bestückt sind [11]. "Die liberalen Falken und insbesondere die Konservativen
halten das Trident-Programm für entscheidend, um Großbritanniens
internationale Schlagkraft zu erhalten", schreibt er in der New York Times
und verweist auf die "akribische Studie obskurer britischer
Militärpolitik-Dokumente" durch die Forscher an der Universität Sussex, die
zum Teil auch hier in deutscher Sprache hör- und sichtbar [12] aufgearbeitet
und ausgewertet wurden.

 

Sie zeige, dass die Regierung und einige ihrer Partner in der
Rüstungsindustrie, wie Rolls-Royce und BAE Systems, "eine robuste zivile
Nuklearindustrie für unerlässlich halten, um das britische
Atom-U-Boot-Programm aufzupolieren". So böten die zivilen Atomprojekte wie
in Hinkley Point die Möglichkeit, "die hohen Entwicklungskosten für eine
neue Atom-U-Boot-Flotte" zu verbergen: "Das Zusammenführen von Programmen
zur Forschung und Entwicklung oder der Ausbildung von Fachkräften über den
zivilen und den militärischen Sektor hilft, die Militärausgaben zu senken."

 

Geschaffen werde damit auch ein Pool von kompetenten Nuklearspezialisten.
"Und durch die vorgegebenen langen Vorlaufzeiten und Lebensdauern der
meisten Atomprojekte würden diese Verbindungen zwischen den zivilen und
militärischen Programmen den Unternehmen mehr Anreize schaffen, die
erforderlichen, großen Investitionen zu tätigen", erklärt der
Atomspezialist. Er meint sogar, dass die britische Regierung auch Geld aus
China beim Bau von Hinkley Point dafür nutzen wolle, um heimlich neue
U-Boote zu bauen, die wiederum dazu dienen sollen, China atomar
abzuschrecken. Er resümiert, dass London "ein unkluges ziviles
Atomenergie-Projekt als undurchschaubares Hilfsmittel nutzt, um ein
U-Boot-Programm zu finanzieren".

 

Damit werden Militärausgaben also weiter aufgehübscht, dabei belaufen sich
die Kosten für die Erneuerung der atomaren Trident-Abschreckung auch
offiziell schon auf 38,5 Milliarden Dollar. Das jährliche Defizit des
nationalen Gesundheitswesens lag zuletzt im Vergleich dazu bei eher
bescheidenen 3 Milliarden. Somit ist für den Atomexperten klar, dass die
noch deutlich höheren Kosten für das Abschreckungsprojekt durch die
verdeckte Milliardenförderung eines fragwürdigen und ruinösen Projekts wie
Hinkley Point verzerrt werden. "Wenn es bei der britischen Energiepolitik
nur um Energie und nicht auch um die Verteidigung ginge, würde der
Nuklearsektor gezwungen, auf eigenen Füßen zu stehen." Dann müssten die
wachsenden Vorteile erneuerbarer Energien anerkannt und knallharte
Vergleiche über Kosten, Umsetzung, Nutzen für die Umwelt und zur Sicherheit
gemacht werden.

 

Und dann würden Hinkley Point und andere AKW-Pläne tief in Schubladen
verschwinden, wie gerade in der Schweiz zu beobachten ist. Dort haben die
Energiekonzerne ihre Pläne für neue AKW definitiv beerdigt [13]. Die
Energiekonzerne und Betreiber von Atomkraftwerken haben nun ihre
Rahmenbewilligungsgesuche für neue Kraftwerke auch formell zurückgezogen.
Seit der Einreichung der Gesuche für Ersatzkernkraftwerke im Jahr 2008 habe
sich die Energiewelt fundamental verändert. Der Markt sei heute ein ganz
anderer und die Politik habe in der Zwischenzeit die Weichen für eine
Zukunft ohne Kernkraft gestellt, hieß es in einer Mitteilung der drei
Energiekonzerne Axpo, Alpiq und BKW vom Mittwoch.

 

Links

 

[1]
http://www.heise.de/tp/news/Oekonomischer-Wahnsinn-soll-in-Hinkley-Point-umg
esetzt-werden-3325975.html 

[2] http://www.heise.de/tp/artikel/49/49584/

[3] http://www.heise.de/tp/artikel/48/48510/

[4] http://www.heise.de/tp/artikel/49/49584/

[5]
http://www.sussex.ac.uk/webteam/gateway/file.php?name=2016-16-swps-cox-et-al
.pdf&site=25

[6] http://www.nytimes.com/2016/10/11/opinion/britains-nuclear-cover-up.html

[7]
http://www.heise.de/tp/news/Olkiluoto-3-Ende-des-ambitionierten-AKWs-in-Finn
land-3241107.html

[8] http://www.heise.de/tp/artikel/44/44670/

[9]
http://www.theguardian.com/environment/2015/sep/18/we-are-pro-nuclear-but-hi
nkley-c-must-be-scrapped

[10]
http://www.liberation.fr/futurs/2016/09/15/hinkley-point-un-feu-vert-a-edf-e
t-toujours-autant-de-questions_1498341

[11] http://www.heise.de/tp/artikel/49/49024/

[12] http://www.youtube.com/watch?v=Gtg_EuMDAkc

[13]
http://www.nzz.ch/schweiz/nach-fukushima-energiekonzerne-versenken-plaene-fu
er-neue-akw-definitiv-ld.121671

 

 

 

 

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