10 Jahre indymedia-CMS

Nach zehn Jahren ist das Indymedia-Content-ManagementSystem (CMS), welches uns die Seiten täglich produziert in die Jahre gekommen. Am Anfang stand Indymedia mit "Free Speech" alleine da, heute droht es zwischen den unterschiedlichsten kostenlosen Angeboten für Blogs und Co unterzugehen. Der Spam und die Kritik an den Mods nimmt zu, die Beteiligung ab. Die Lösung: Die NutzerInnen der Seite mehr Möglichkeit der Betiligung einräumen! Nur wie? Ein neues CMS muss her...

Das Netzwerk Indymedia wurde dieses Jahr 10 Jahre alt. Im November 1999 ging begleitend zu den Protesten gegen die Tagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle das erste Mal ein IMC, ein Indymedia Center online. Es bildete eine Gegenöffentlichkeit zur restlichen sensationshungrigen etablierten Presse. Die Information über Repression und Gewalt von staatlicher Seite konnte nicht mehr verheimlicht und die Mär der gewaltbereiten DemonstrantInnen nicht mehr aufrechterhalten werden. Der technische Fortschritt wurde der Graswurzelbewegung zugänglich gemacht. Menschen ohne technischen Sachverstand konnten Artikel und Bilder veröffentlichen - AutorInnen sein.

Ermöglicht wurde dies durch die Entwicklung von offenen Content- Management-Systemen (CMS), welche das Erstellen eines Artikel so einfach gestaltet wie das Schreiben einer Email. Von den mittlerweile über 180 IMCs weltweit verwenden eine Vielzahl entweder "Mir" oder "SF- Active".

Die Situation 1999

Der Inhalt im Internet wurde noch überwiegend von verhältnismäßig wenigen kommerziellen Betreibern erstellt und kontrolliert. Wer Informationen ins Netz bringen wollte, musste technisch versiert sein, d.h. HTML-Kenntnisse besitzen. Der breiten Masse stand zwar die Bandbreite zur Verfügung, sie konnte jedoch nicht Inhalte öffentlich produzieren. In diesem Umfeld war Indymedia ein Wegbereiter.

Web 2.0

Durch die Weiterentwicklung und Verbesserung der Techniken im Netz steht nun allen eine großer Werkzeugkasten zur Verbreitung von Informationen zur Verfügung. Die Technik wurde grundsätzlich schon in der ersten DotCom-Phase entwickelt, für Laien einsetzbare Frameworks und Anwendungen entstanden aber erst in der zweiten DotCom-Welle. Ferner ist die verfügbare Bandbreite zur Übertragung von Daten gewachsen. Der Transfer auch von großen Videos und Streams stellen keine Hürde mehr dar. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil der InternetbenutzerInnen beteiligt sich ganz selbstverständlich an sozialen Netzwerken, zwitschert mit dem Handy und konsumiert sowie (und das ist viel wichtiger!) produziert Filme auf der Seite der größten Suchmaschine der Welt.

Und Indymedia?

Die beiden Indymedia-Content-Management-Systeme Mir und SF-Active wurden zu Beginn des Jahrtausends von AktivistInnen entwickelt, da es zu diesem Zeitpunkt keine Anwendungen gab, um das Ziel der MedienaktivistInnen zu verwirklichen: Die Menschen an der Medienlandschaft als ProduzentInnen zu beteiligen, in dem Leute anonym, ohne Kenntnis der Web-Sprache HTML und ohne Zensurinstanz wie etwa einer Redaktion Inhalte wie Texte oder Bilder veröffentlichen können. Die politisch Aktiven sollten lernen, sich nicht auf die kommerziellen bürgerlichen Medien zu verlassen, sondern aktive JournalistInnen zu werden, die Zensur zu umgehen und den "Free Speech"- Gedanken zu verwirklichen.

Mittlerweile ist es hingegen kein Problem mehr, Inhalte ins Internet zu stellen. Kommerzielle Anbieter schaffen die Möglichkeit, dass jedeR kinderleicht eigene Seiten für Lau zusammenstellen kann. Die für Indymedia eingesetzten Systeme jedoch wurden über Jahre nicht mehr weiter entwickelt. Vieles daran ist selbst geschrieben, es werden nunmehr veraltete Frameworks verwendet und die EntwicklerInnen sind nicht mehr verfügbar. Moderne Techniken wie etwa Flash sind nicht realisiert. Ferner existieren eine Vielzahl von Beschränkungen wie etwa die mangelnde BenutzerInnenverwaltung, die Möglichkeit, eigene Texte noch einmal zu ändern oder die das Größenlimit für Mediendateien. Trotzdem besitzen sie aber immer noch eine immense Stärke und Alleinstellungsmerkmal, die von den ursprünglichen EnticklerInnen als zentrales Element enwickelt wurde: Nach der Eingabe des Artikels erstellt der Server (Producer) statische HTML-Seiten aus der Datenbank, die dann sehr leicht auf Spiegel-Server (Mirrors) kopiert werden können. Da die Anforderung an solche Mirrors sehr gering sind, ist es leichter, welche zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die Vergangenheit hat gezeigt, wie es wichtig ist, den Inhalt der Seiten auf viele Mirrors zu verteilen, denn so kann einerseits eine größere Zugriffszahl verarbeitet werden und zweitens Zensur und Repression erschwert werden. Dennoch: Die Situation heute ist skurril: Die Indymedia-BenutzerInnen sind mittlerweile teilweise auf sehr hohem journalistischen Niveau und durchaus gewohnt, wie Inhalte aufzubereiten sind. Jedoch ist das System, was ihnen dabei helfen soll dem nicht mehr gewachsen. Es können eweder Inhalte korrigiert noch Videos eingebunden werden. Benutzergruppen sind nicht vorgesehen und auch das Abstimmen über Inhalte ist nicht möglich. Alles Techniken, welche die BenutzerInnen gewohnt sind.

Brauchen wir wirklich ein neues System?

Die aktuelle strukturelle Situation des deutschen Indymedia-Ablegers (sicherlich vergleichbar mit anderen IMCs) hat Anne Roth kürzlich ganz gut auf den Punkt gebracht. Die Frage ist nun: Warum ist Indymedia so zeitintensiv? Und warum gibt es nicht genug Leute, die helfen? Ich denke - und ich stehe damit nicht alleine - , es gäbe genügend Aktive, die mithelfen würden, die sich aber nicht gleich in die Moderationsschichten einteilen lassen wollen und dafür auch noch Kritik für die immer falsche Entscheidung zu bekommen. Ich denke auch, dass sich eine Vielzahl der Arbeiten der ModaratorInnen auf derzeit "normale" NutzerInnen der Seite übertragen ließe, was die anfallende Arbeit nicht mehr auf ein bis drei sondern auf ganz viele Schultern verteilte und die Schwelle zum Mitmachen verringerte. Es gibt in einem Indymedia nun einmal mehr Gruppen als nur SchreiberIn, LeserIn und ModeratorIn.

Indymedia braucht ein neues CMS, um einerseits Unzulänglichkeiten aus den derzeitigen zu beheben und andererseits - und das ist viel wichtiger - mehr Menschen mit mehr und unterschiedlichen Befugnissen an einem emanzipatorischen, gleichberechtigten, unkommerziellen und interessanten Nachrichtenportal einzubinden und die Transparenz zu erhöhen. So etwas war vor 10 Jahren noch nicht möglich, heute aber schon. Es geht nicht mehr darum, möglichst einfach irgendwelche Informationen in die Welt zu setzen, sondern darum, wie Prozesse eine heterogenen Gruppe von MedienaktivistInnen basisdemokratisch und offen abgebildet werden und damit sich der Inhalt der Seite selbst reguliert. ModeratorInnen sind nur noch in seltenen Streitfällen benötigt.

Die Suche nach einem neuen CMS...

Im Jahre 2006 hat sich eine weltweite Arbeitsgruppe gegründet, die nach Alternativen zu den derzeitigen Systemen sucht. Es gab mehrere Techmeets und Diskussionen auf einer Mailingliste. Untersucht wurden zunächst eine Vielzahl von existierenden OpenSource-CMS's auf deren Tauglichkeit für Indymedia: Drupal, Joomla, Plone, Typo3, Wordpress und noch einige mehr. Das Ergebnis: Anonym Artikel veröffentlichen ist mit diesen Software-Systemen genau so möglich wie eine mehrstufige BenutzerInnenverwaltung für AutorInnen zur Änderung eigener Texte. Auch die Verwendung von multimedialen Formaten ist damit möglich. Ungeklärt blieb bei allen untersuchten Systemen, ob und wie sich die Artikel als statische Seiten produzieren und auf Mirrors verteilen lassen. Alternativ könnte man sich vorstellen, mehrere identische Server in einem Verbund ("Cluster", "Cloud"...) zu betreiben. Auch hier ist noch nicht klar, ob das mit den OpenSource-Systemen möglich ist. Entwickelt wurde von der Arbeitsgruppe ein Proof of Concept, in dem eine Neuentwicklung unter Einsatz von leistungsstarken Frameworks vorgeschlagen wird. Zwei andere Fraktionen der AG schlugen entweder die Erweiterung von Drupal oder den Einsatz von Plone vor.

Einige IMCs haben das schon einmal umgesetzt: Drupal wird mittlerweile beispielsweise von linksunten eingesetzt. Ferner gibt es auch schon eine funktionelle Nachbildung von Mir in Plone. Ich denke für nicht allzu große Indymedia-Seiten könnte dieser Weg eine Alternative sein.

Die Eigenentwicklung!

Vielleicht ist es töricht, erneut ein neues CMS zu entwickeln, wenn wir doch gerade zwei selbst entwickelte Systeme nicht mehr warten können. Jedoch heisst Indymedia selber machen. Deshalb betrachten wir doch einmal das Konzept für eine Neuentwicklung:Basierend auf zwei leistungsstarke Frameworks (ICE (Vernetzung der verschiedenen Module) und CakePHP (Web-Framework)) soll ein leicht zu erweiterbares, modulares, skalierbares und dynamisches System geschaffen werden. Das System besteht aus drei Schichten und vier Modulen:

• Eine dynamische Webschicht: (ehem. Posting-Server/Producer): Softwaremodul, über das man Artikel posten sowie suchen und Medien hochladen kann.

• Eine statische Webschicht (ehem. Mirrors): Produzierte statische HTML-Seiten werden auf schlanken HTML-Servern angeboten.

• Eine Gridmanagement-Schicht: Sie sorgt dafür, dass Anfragen in der dynamischen Webschicht den Weg zur Datenbank finden und umgekehrt. Dies übernimmt das ICE-Framework mittels Remote-Procedure-Calls (RPC,sinngemäß "Aufruf einer fernen Prozedur"). Ferner müssen beliebig viele Webserver mit beliebig vielen Datenbank-Servern vernetzt werden.

• Das Backend: Datenbanken, in der die Artikel gespeichert werden und die Medien abgelegt werden.
Vorteile

• Flexible Anforderungen: Es kann beliebig viele Posting-Server, statische Webserver und Datenbanken geben. Mirror-Betreibende können entweder nur statische Seiten anbieten oder/und einen Posting-Server stellen (hierfür wird nur noch PHP benötigt, jedoch keine Datenbank). Indymedia Seiten können auf viele verschiedene Server (Idealfall: Jede WG hat einen Mirror) aufgeteilt werden.

• Idealerweise können alle Mirrors für alle IMCs verwendet werden. Die Gridmanagement-Schicht übernimmt die Zuordnung.

• Durch CakePHP stehen viele Erweiterungen zur Verfügung, die jedes IMCs je nach Wunsch hinzufügen kann.

• Das ICE-Framework verbindet viele verschiedene Programmier- Sprachen, sodass jedeR in seineR Lieblingssprache entwickeln kann.

• Durch die modulare Struktur kann an verschiedenen Enden des Projekt unabhängig gearbeitet werden. Als Beweis, dass diese Struktur funktioniert, wurde ein Prototyp namens "Malandro" entwickelt, das man sich auch hier ansehen kann. Konkret: Die WunschlisteVor allem für das Frontend lässt sich resultierend aus der Arbeit mit den aktuellen Systemen folgende Liste an Features (CMSWhatWeWant (en)) zusammenstellen, die noch lange nicht vollständig, aber auch noch lange nicht zu Ende diskutiert sind. Eine Möglichkeit zur Diskussion wird in Kürze auf cms.indymedia.org zur Verfügung stehen.

• Userlogin: Möglichkeit Autorennamen zu reservieren. Es sollte möglich sein schnell andere Artikel des selben Autors aufzufinden sowie z.B. rss-Feeds mit Beiträgen einzelner Autoren zu abonnieren oder Twitter-Follower des Autors über Veröffentlichungen zu unterrichten. Ein einmal registrierter Autorenname sollte für alle Indyseiten gelten. Evtl. Integration von social networking Elementen wie Budylists o.ä. Möglichkeit Autoren zu kontaktieren ohne deren Mailadresse zu kennen.

• Userstatus: Möglichkeit registrierte Autoren als verifiziert zu kennzeichnen.

• Access Control: Abgestuftes System von Access Rechten, z.B. für Moderatoren, erfahrende und gut bewertete User. Möglichkeit des nachträglichen editierens eigener Beiträge.

• Version Control: Möglichkeit früher Versionen eines Artikels einzusehen, falls dieser verändert wurde. Möglichkeit der Deaktivierung dieses Features bei einzelnen Texten durch die Moderation (z.B. um private Daten zu schützen).

• User Moderation: Möglichkeit Inhalte auf der Seite zu bewerten mit Auswirkung auf die Darstellung der Inhalte (Uprgade, Downgrade, evtl. auch Verstecken) und auf die Bewertung des Autors (bei vielen gut bewerteten eigenen Berichten könnte z.B. die eigene Stimme stärker gewichtet werden, bzw. evtl. könnten sehr viele gute Bewertungen auch zu direkten Moderationsrechten führen).

• Notify Moderator Button: Einfache Möglichkeit die Moderation mit einem Klick auf problematische Inhalte hinzuweisen.

• Anpassungsmöglichkeit der Seitendarstellung: Auf de.indymedia.org existiert derzeit die Möglichkeit zwischen verschiedenen Stylesheets zu wählen. Darüber hinaus evtl. die Möglichkeit bestimmte Inhalte prominenter, weniger prominent oder auch gar nicht darzustellen.

• RSS Reader: Für den Blogwire wieder mit der Mögichkeit die Inhalte zu bewerten, so das schlechte Feeds ohne Zutun der Moderatoren nicht mehr dargestellt werden.

• Accessability: Auch Menschen mit älteren Rechnern (oder auch Handies?) soll der Zugriff auf die Seite ermöglicht werden.

• xhtml Validation: Fehlerhaft gesetztes (x)HTML sollte korrigiert und zumindest validiert werden

• Geographic Information System: Möglichkeit Artikel mit genauen Kartendaten zu ergänzen.

• Fotogalerien: Ansprechende Darstellung von Bildern wie dies etwa mit Lightbox realisert wurde

        • Optionen zur Lizenzierung: Auf de.indymedia.org bereits umgesetzt.

        • wysiwyg: Online Editor mit Formatierungsoptionen

        • Anti-Bot System wie CAPTCHA

        • Einfache Installation

• Benutzerfreundliche Videointegration: äußerlich sollte es laufen wie YouTube, aber Flash ist natürlich doof, Untertitelsupport

• Unterstützung der Mehrsprachigkeit: a) Wörterbücher integrieren, b) Übersetzungen sollte ohne Umweg über Mailinglisten möglich sein. c) Automatische Verlinkung übersetzter Inhalte unter den ursprünglichen Artikel mit richtigen Sprach-Tag

• Notifying Optionen: Automatische Mails o.ä. z.B. bei Ergänzungen eines Beitrages oder neuen Beiträgen bestimmter Autoren

        • Hilfe / Dokumentation: Im Frontend integrierte Hilfefunktionen

• Direkte Moderation: Moderieren von Beiträgen aus der normalen Seitenansicht heraus, ohne erst in die Admin Oberfläche wechseln zu müssen.

        • API: Simple Schnittstellen zur Weiternutzung von Inhalten. (RSS, etc)

• Einfache Administration: Aussehen und Funktionalität des Frontends sollten ohne großes technisches Know-How anpassbar sein. (einzeln installierbare Module)

• Bidirektionaler Text: Vollständige Unterstützung von bidirektionalem Text (in Formularen und im Seitenlayout) und ungewöhnlichen Schriftzeichen (auch nicht in Unicode enthaltene)

• Automatisiertes Versenden gesperrter Inhalte: Bei Aufruf der URL eines gesperrten Artikels, sollte die Möglichkeit bestehen, sich diesen automatisiert zusenden zu lassen. Diese Option muss deaktivierbar sein um persönliche Daten wirksam schützen zu können.

• Bildbearbeitung: Möglichkeit notfalls Gesichter unkenntlich zu machen etc.

• P2P-Unterstützung: Möglichkeit, Medien über Peer-to-peer Netzwerke zu übertragen (bitorrent etc.)

        • Cross-Site Search: Suche über alle IMC

        • VoIP

        • Posibility of Multi-node, like estrecho.indymedia.org

Wie weiter?

Nun braucht's entschlossener EntwicklerInnen, die beispielsweise lokale Entwicklergruppen bilden und an Modulen arbeiten.


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rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze
Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost 
http://post.in-mind.de/pipermail/rohrpost/
Ent/Subskribieren: http://post.in-mind.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/

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