Lieber Claus, das freut mich, dass du dich nun doch noch äußerst, und wir beide wissen ja wohl, dass es immer einen Ort gibt, von dem aus man eine Aussage oder eine Theorie dekonstruieren kann. Das bleibt ja so wie so klar, nicht?
Darum bin ich auch gar nicht dafür, diese Dekonstruktionsorgien immer weiterzuvollziehen: Das wird notwendigerweise l'art pour l'art. Aber wenn nun mal ein Ball hoch aufgeschlagen ist und man am Netz steht, kann man der Versuchung eben nicht widerstehen. Diese gegenseitigen Ontologievorwürfe sind ja auch Teil eines Sportes, der auf die Dauer etwas trostlos erscheint, obwohl er ja mitunter nicht schlecht entlohnt wird. Aber wenn es über die Dekonstruktion hinausgehen soll, dann kann eine Theorie auf der Ebene der ersten Beobachtung, auf der Sachebene, ja immer nur durch das Einmischen eines ontologischen Elements bestehen. Ex post kann man dann natürlich Selbstdekonstruktion betreiben (find ich ja auch gut). Ach, und um im Bild vom Tennisspiel zu bleiben: Es gehört sich dann schon, den Ball zurückzuspielen und sich dafür nicht zu fein zu sein. Und nicht nur dort zu reagieren, wo es sich um einen „relevanten" Beobachter handelt (also um jemanden, von dem man beruflich und reputationsmäßig abhängt) ... Zu einem gewissen Grad, denke ich, könnte man ja wissenschaftliche Theorie als Effekt des Wissenschaftssystem lesen. Und dieses Buch von Winkler kann, denk ich, dazu animieren, dies so zu sehen. Von daher hat es ja am Ende doch einen heuristischen Nebeneffekt. Einen Modebegriff als Merkmalsbegriff anzulegen, ohne zu erklären, was man damit erklären will, und ohne eine Setzung zu vollziehen ist Strategie pur. Die ist mit Deleuze vielleicht nicht mal mehr einer Person, sondern eher der Kontrolle an sich zuzurechnen. Ich denke einfach, wenn man sich in der privilegierten Stellung befindet, den lieben langen Tag nix anderes zu tun als den Professor zu geben und über Dinge nachzudenken, dann sollte man methodisch ein wenig reflektierter arbeiten. Also Setzung: Klar! (z.B.:Ernst: Medium ist der physikalische Ort... blabla, Krämer: Medien schaffen Ordnung durch Ungleichheit, Hagen: „Medium" sage ich nicht, weil das eine Ontologisierung wäre, wie blöd so was sein kann, zeige ich euch mal an den Äthertheorien vor 1905, Mersch, der irgendwie die negative Theologie mit dem Medienbegriff fortschreibt und in seinem Denkstil für Übersehenes und deshalb auch Ästhetik eine Lanze bricht... usw. usf.) . - traurig allerdings, wenn die Position, auf die man sich einmal versteift hat, nicht hält, was sie verspricht, wie es ja bei einer nicht näher zu bezeichnenden Person der Fall ist, die wir, denke ich, durchaus schätzen... ...aber lieber auf verlorenem Posten eine schwachsinnige Setzung verteidigen als Merkmale aufzählen und den Konsens anrufen! > Daß Relevanz und Konsens sich auf einen Kontext beziehen, der nicht > expliziert wird (und wohl auch nie expliziert werden kann), sondern > pragmatisch unterstellt werden muß, ist bei diesem Format doch klar. (vielleicht nicht klar genug um in einem Buch das Punkte vergibt unerwähnt zu bleiben!) Na ja, wenn wir jetzt ernsthaft sprechen wollen: Es gibt zunächst vielleicht zwei Kontexte (idealtypisch gesprochen): erstens den problemkonzentrierten (den pragmatischen) und die von Lehre und Forschung. Herauszufinden, was in welchem problemorientierten Kontext relevant ist, ist ja eigentlich schon problematisch genug. Vielleicht kann man auf der anderen Seite eine weitere Unterscheidung treffen, der sich in Lehre/Forschung schon andeutet. Wenn es um Wissensvermittlung geht, ist nur das sozial redundante Wissen relevant, wenn es dagegen um WissensPRODUKTION geht, dann ist das Bekannte natürlich genau das, wovon sich das Relevante als Neues abstößt. Das Neue nun ist die Einheit der Differenz von Fehler und Innovation. (War doch mal so ein bisschen entfernt und modistisch aufgeputzt Thema bei einer transmediale - „misstakeologie" o.s.ä. warst du auch auf dem Podium) Man muss in solchen Zusammenhängen (Forschung) das, was als Blödsinn erscheint, also erst mal stehen lassen. > btw.: ich hab's nicht als alphabetische Liste von Ontologisierungen > gelesen, sondern als Hatmut Winkler'sche Medientheorie, die sich in > der Auswahl der Begriffe, dem Arrangement und den Bezügen abzeichnet. Weißt du eigentlich, warum sich Schriftsteller immer beschimpfen und Theoretiker sich immer gegenseitig in den A. kriechen? Eigentlich müsste es doch genau umgekehrt sein: Schriftsteller kommen sich ja gar nicht in die Quere, jeder Schriftsteller hat seine eigene Welt, während Wissenschaftler sich ja die Interpretation der Welt teilen müssten. - Das hängt natürlich mit dem unterschiedlichen Temperament zusammen: Künstler versus Wissenschafter! - Vonwegen! das hängt damit zusammen, dass Schriftsteller ausschließlich Konkurrenten sind, während man in der wissenschaftlichen community nie weiß, wer noch mal wichtig für einen werden kann und einen mal zu einem Vortrag oder einem Sammelbändchen einlädt. Also meine These: Für das Neue braucht es zunächst Mut. Interessant werden Gedanken da, wo das Nette aufhört. Die Strukturen des Wissenschaftssystems sind nicht dazu angetan, das grundlegende Wissen hervorzubringen, das man vielleicht wird brauchen können. Normalwissenschaft bläht sich auf. Die DFG braucht einen Innovationstopf, ohne dass bei der Vergabe Reputation auf Personen zugerechnet wird. HIER MÜSSTEN NEUE FORMATE DER WISSENSPRODUKTION IN EINER PRAXIS ERFORSCHT WERDEN. [trompeten, hörner (fff)] Glück zu allen! till nikolaus von heiseler - http://www.formatlabor.net/blog http://www.formatlabor.net
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