Liebe Wikimedia-interessierte

Gerne möchte ich euch kurz von meinem Besuch an einem Workshop der 
Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften [1] zum Thema 
e-Governance [2] berichten. Der Workshop fand am 6. und 7. November 2008 
im Schloss Münchenwiler [3] statt.

Angaben über Ablauf und Ziele der Veranstaltung finden sich auf der 
Homepage [4]. Kurz zusammengefasst ging es darum, dass eine bunt 
zusammengewürfelte Gruppe von Personen aus Verwaltung, Wirtschaft und 
Zivilgesellschaft über elektronische Regierungsführung diskutiert und 
Empfehlungen zuhanden des Bundes entwickelt, was zu tun ist.

== Donnerstag, 6. November ==
Ich treffe mit Andreas Ladner und Jean-Marc Comment per Zug in 
Münchenwiler ein. Andreas Ladner kenne ich aus früheren Workshops, er 
ist Politikwissenschafts-Professor und begleitet als solcher das Projekt 
Smartvote [5]. Jean-Marc Comment arbeitet beim Bundesarchiv.

=== Gruppengespräch ===
Nach einem ersten Begrüssungskaffee sitzen wir in mehr oder weniger 
zufälligen Gruppen zusammen. Die Mehrheit der Teilnehmer ist 
französischsprachig, wohl weil der Workshopleiter Raymond Morel Welscher 
ist. Wie in diesen Workshops üblich, einigen wir uns darauf, dass jeder 
in seiner Muttersprache spricht und ein einfaches Vokabular verwendet. 
Darüber bin ich erleichtert, fehlen mir in dieser Materie doch manchmal 
die französischen Worte.

Ladner hinterfragt die Ziele des Workshops, wir sollten uns besser 
darauf fokussieren, Empfehlungen zu erarbeiten, was konkret der Bund tun 
soll. Anmerkung: Die SATW ist eine Organisation des Bundes.

Also stelle ich die Forderung, dass staatlich erstellte oder aufbewahrte 
Werke frei verfügbar sein sollten. Théo Bondolfi sekundiert mich, vom 
Bund geförderte Werke wie der Film "Mais im Bundeshaus" sollten unter 
eine Freie Lizenz gestellt werden. Es fehle ferner den freien Lizenzen 
an Autorität, weil sie überhaupt nicht juristisch erprobt seien.

=== Vortrag Andreas Ladner ===
Ladner erzählt von den neuest geplanten Smartvote-Projekten. Schon 
installiert ist die Funktion, bei den nächsten Wahlen einen Stimmzettel 
zusammenzustellen zu können. Dabei kann kumuliert, panachiert und die 
Liste beliebig verändert werden. Ein anderes Projekt ist Smartinfo, eine 
Plattform, welche alle Wahlempfehlungen der Parteien sammelt und 
grafisch aufbereitet. Noch nicht fertig ist die Funktion, Parlamentarier 
überwachen zu können. Die Idee dahinter ist, dass man nach der Wahl 
schauen kann, ob die Politiker sich auch so verhalten, wie sie sich vor 
der Wahl in den Smartvote-Fragebögen positioniert haben.

=== Vortrag Robert P. Hilty ===
Robert P. Hilty hebt die Bedeutung von Essen, Wasser und IT für das Wohl 
der Menschheit hervor. Die Wirtschaftssanktionen der USA gegen Iran 
haben dazu geführt, dass Iran keine Glasfasern kaufen konnte und damit 
in einem zentralen Bereich ins Abseits zu geraten drohte. Iran löste das 
Problem, indem sie mit französischer Hilfe eine Fiberoptikfabrik bauten.

Zudem hebt Hilty die Bedeutung von Normierungsorganisationen hervor. Er 
glaubt, von der Industrie und Zivilgesellschaft erarbeitete Standards 
seien besser als Gesetze, wohl auch, weil bei ihnen Wettbewerb herrscht.

=== Vortrag Uwe Serdült ===
Ich bin langsam müde vom Zuhören. Es gibt Folien mit Tabellen, die so 
klein geschrieben sind, dass garantiert niemand sie lesen kann.

=== Abendprogramm ===
Das köstliche Nachtessen wird von einem mittelmässigen und wie mein 
Tischnachbar Hilty bemerkt wohl nicht allzu teuren Schlosswein 
begleitet. Hilty ist ein unterhaltsamer Gesprächspartner. Er ist 
ranghoher Militär und weiss, Leute per blosser Hand zu töten. Daneben 
begleitet er als KTI-Coach Jungunternehmen, zurzeit gerade Innomot [6], 
eine Firma, welche einen neuen Verbrennungs-Kugelmotor entwickelt. Links 
von mir sitzt Prof. Heinz Glutscher von der Uni Zürich. Er hatte 
seinerzeit die Kampagne für freiwillige Fahrgemeinschaften durch den 
Bareggtunnel organisiert. Glutscher nutzt ein Wiki als e-learning-Tool.

Nach dem Nachtessen werden die Resultate aus den Gruppen vom Nachmittag 
präsentiert. Es fällt mir schwer, dem Inhalt zu folgen, die Beiträge 
sind miserabel, d.h. entweder ohne visuelle Präsentation oder völlig 
überladene 1-Folien-Präsentationen. Eine löbliche Ausnahme ist die 
Zusammenfassung vom Protokollanten unserer Gruppe, Jean-François Jobin, 
der es schaffte, von allen Teilnehmern Inputs einzubringen. Jobin ist 
Lehrer am Frz. Gymnasium Biel.

Im Anschluss an die Veranstaltung diskutierte ich bis spät in die Nacht 
mit Markus Fischer über seine Mission bei der SATW, mit Thomas 
Brenzikofer über Netzwoche, Presse und Wirtschaftslage und mit Uwe 
Serdült über Gott und die Welt.

== Freitag, 7. ==

=== Vortrag Josef Malkom ===
Es ist spannend, dass es auch im österreichischen Finanzministerium 
Leute gibt, die sich mit Effizienz der Verwaltung befassen. Es fallen 
Paradigmen wie "let the data run not people" oder "from one stop shop zu 
no stop shop". Mit letzterem ist gemeint, die Ansprüche der Bürger durch 
die Behörden zu erkennen und automatisch zu erfüllen. Beispielsweise 
würde ich automatisch eine neue Autonummer erhalten, wenn ich den 
Behörden einen Umzug in einen anderen Kanton meldete.

=== Vortrag Nicolas Durand ===
Der Redner stellt eine Plattform zum erarbeiten (nicht abstimmen) von 
e-Initiativen vor und beklagt sich, dass sie nicht genutzt wird. Ein 
Teilnehmer echauffiert sich darüber, dass es keine gesicherten 
e-Identitäten gäbe und dass solche Systeme gefährlich seien. Ich finde 
die Einwände schlicht albern, leben wir in Wikipedia doch mittlerweile 
einige Jahre mit unseren angeblich unsicheren Identitäten.

=== Vortrag Théo Bondolfi ===
Hier geht es um Freie Lizenzen und Internet-Communities wie Debian, 
Wikipedia oder Slashdot. Das zentrale Thema ist die "méritocratie". 
Einige Zuhörer sind mit diesem "Regierungsmodell" nicht einverstanden.

=== Gruppengespräch ===
Ich sitze mit Théo zusammen und erhalte die Aufgabe, mit ihm zusammen 
zwei Forderungen an den Staat zu formulieren. Théo hat schon einen 
Vorschlag, allerdings in recht kompliziertem Französisch. Grundsätzlich 
geht es darum, freie Lizenzen oder Public Domain bei vom Bund und 
Kantonen finanzierten Projekten durchzusetzen. Die andere Empfehlung 
zielt in die Richtung, Forschung zum Thema Freie Lizenzen zu fördern, da 
es wenig (Rechts-)Sicherheit in deren Anwendung gibt.

Es gelingt mir, die Formulierung so abzuändern, dass sie kürzer und 
einfacher verständlich wird. Zudem ändern wir den Text so ab, dass nicht 
nur Werke des Bundesrates, sondern der Bundes- und Kantonsbehörden unter 
eine freie Lizenz gestellt werden sollen.

Im Anschluss an die 2er Runde gibt es wieder ein Gruppengespräch. Hier 
wird unsere Empfehlung nochmals umgearbeitet: Die Forderung wird 
aufgeteilt auf von Bundes- und Kantonsbehörden geschaffene Werke und 
solche, die aus mehrheitlich durch Bund und Kantone geförderten 
Projekten entstehen.

Jobin protokolliert wieder sorgfältig. Dies ist besonders wichtig, weil 
dieses Protokoll im Anschluss an die Veranstaltung an die 
Workshopleitung geht, die daraus das Abschlussdokument stiefelt. Wenn 
die Protokolle gut sind, d.h. konkret und zum Thema passend, dann hat 
man gute Chancen, im Schlussdokument aufgenommen zu werden.

In dieser Gruppenrunde droht mein Anliegen glatt zu entgleisen. 
Plötzlich wird der Text so abgeändert, dass die Werke nur noch 
"zugänglich gemacht" werden sollen. Damit ist eine Publikation auf einem 
Webserver "alle Rechte vorbehalten" gemeint. Théo und ich steigen sofort 
auf die Barrikaden. Etwas plakativ versuche ich zu erklären, dass der 
Unterschied zwischen "zugänglich gemacht" und "unter Freier Lizenz" 
bedeute, ob man die Texte und Bilder in Wikipedia verwenden dürfe. Wir 
können die Gruppe überzeugen, wieder den Ausdruck "freie Lizenz" 
aufzunehmen.

== Fazit ==
Dies war mein dritter SATW-Workshop. Während bei den ersten zweien rein 
gar nichts für uns herausgekommen ist, stehen die Chancen diesmal sehr 
gut, dass ein Kernanliegen von Wikimedia - die Freien Lizenzen - Eingang 
in ein offizielles SATW-Dokument finden und so dem Bundesrat und dem 
Parlament zugänglich gemacht werden.

Es ist toll, die Möglichkeit zu erhalten, frisch von der Leber 
Forderungen an den Bund stellen zu können. Allerdings stellt man auch 
fest, wie schwierig es ist, Prioritäten zu setzen und realisierbare 
Forderungen zu stellen. Ist uns jetzt wirklich am meisten gedient, wenn 
wir auf Freie Lizenzen pochen oder wäre uns eine kürzere 
Urheberrechts-Schutzdauer lieber? Bringt es überhaupt etwas, Forderungen 
an den Bund zu stellen, oder liegt die Anwendung Freier Lizenzen eher in 
der Kompetenz der Kantone?

Nebenbei habe ich wieder viele Kontakte pflegen können. Wenn man Leute 
schon aus vorhergehenden Workshops vom Sehen her kennt, erleichtert dies 
die Beziehungspflege deutlich. Wikimedia wird an eine Veranstaltung in 
die Haslerstiftung eingeladen.

Insofern hat sich der diesjährige Besuch sicher so gut gelohnt wie 
keiner bisher. Ich gratuliere allen, die bis hierher gelesen haben und 
hoffe, ihr hattet etwas Spass beim Lesen.

Liebe Grüsse, euer

Robin

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/SATW
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Governance
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_M%C3%BCnchenwiler
[4] http://www.ict-21.ch/com-ict/spip.php?article43
[5] http://www.smartvote.ch/
[6] http://www.innomot.ch/

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Wikimediach-l mailing list
https://lists.wikimedia.org/mailman/listinfo/wikimediach-l

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