Re: [Wikimediach-l] Copyright vs. Internet

2013-04-14 Diskussionsfäden Bruno Jehle


Hallo,

hier mein kurzer und subjektiver Bericht von der Tagung Copyright vs. 
Internet vom Freitag, 12. 4. 2013 in Bern. 

Die Tagung fand in einem Gebäudekomplex in der Nähe vom Gütebahnhof statt, es 
wurden zwei Säle im 1 und 4 Stock genutzt. Eintritt und Verpflegung war frei. 
Es haben ca. 145 Personen teilgenommen. Davon kamen geschätzte 85% von den fünf 
Verwertungsgesellschaften sowie Organisationen und Verbänden, welche ein 
ökonomisches Interesse an einer Aufrechterhaltung und am Ausbau der 
finanziellen Aspekte des Urheberrechtes hatten. 

Zu Beginn Bezug der obligaten Namens-Kleber, individuelle Begrüssungen und 
Kaffee. Dann Platz nehmen im Kreis. Die Stühle waren in Sektoren unterteilt in 
vier Reihen um ein Blumenbouquet mit farbigen Stoffen und reichlich Texttafeln 
angeordnet. 

Es folge offizielle Begrüssung, Erklärungen oder eine Entschuldigung (mit 
Hinweis auf die zahlreichen Anmeldungen) zum provozierenden Titel und 
Einführung in die geplante Arbeitsmethode Wisdom Council. Mehrfach wurden die 
Anwesenden aufgefordert, den Mind zu öffnen und gewohnte Denkstrukturen sowie 
Positionen hinter sich zu lassen. 

Für mich, der ich nach Studium der Telnehmerliste und trotz spürbarer Reduktion 
meiner Kräfte infolge einer hartnäckigen Grippe sicherheitshalber mit 
Kettenhemd und Zweihänder sowie dem festen Willen, den guten Geistern Raum zu 
geben, anreiste; eine frohe Botschaft. 

Hier einige Infos zum Wisdom Council als gruppendynamische Methode:
http://www.walkyourtalk.at/das-wisdom-council-8-perspektiven-zur-ganzheitlichen-problemloesung/leadership/

Dann folgte eine Vorstellungsrunde mit rotierendem Mikrofon. Ein erstaunlich 
effizientes Unterfangen. Jeder nannte Name und die Organisationen, die er 
vertritt. In der Folge wurde ich von einigen alten Bekannten (mit besserem 
Gedächtnis) angesprochen. Darunter der Produzent Lionel Baldenweg 
http://www.linkedin.com/pub/lionel-vincent-baldenweg/5/9a/869 und ein 
Schriftsteller und Facebook Freund Stefan Keller (Vizepräsident ProLitters), 
mit dem ich mich hin und wieder über Urheberrechte fetze.
Befund: 1 Pirat, 2 Wikipedia, Christian Laux, 4 Google Leute, etliche 
Rechtsanwälte und Berater, Produzenten, einige TV und Medienlaute, Bundesbeamte 
diverser Abteilungen und eine grosse Menge an Leuten aus den 
Verwertungsgesellschaften. Von der Direktion bis zur Rechts- und IT-Abteilung.

Es sassen da eine Menge gebildete Leute mit Affinität zur Kultur, ein 
erfreulicher Anblick, wenn auch etwas getrübt durch die Tatsache, dass es den 
Meisten um die Verteidigung bedrohter Pfründe ging.

Ich sass im ersten Kreis, neben Hans Läubli, dem Geschäftsleiter von 
Suisseculture. In einer Pause fragte ich ihn, ob er es begrüssen würde, wenn 
von Seiten der digitalen Allmend ein Beitrittsgesuch in seine Organisation 
gestellt wird. Er sagte, dass es sich das vorstellen könnte und dass er gut sei 
im Streiten (was keiner der ihn kennt bezweifeln würde).

Der Moderator - oder sollte man sagen Zeremonienmeister (ein sensibler Typ, 
dessen Namen mir entfallen ist) hatte einen harten Arbeitstag vor sich: Diesen 
kritischen Haufen zu Konstruktiver Arbeit bewegen…

Nach der Einführung wurden sich ca. 12 Diskussionsrunden zu verschiedenen 
Themen gebildet, wobei man zirkulieren konnte. Die Gespräche waren meist 
konstruktiv und erstaunlich offen. Es gab (soweit ich das mitbekommen habe) 
kaum Positionskämpfe. Scheinbar begann der vom Moderator anstrengend (mit 
Lächeln) herbeibeschworene positive Indianerzauber zu wirken.

Meine Anliegen fanden Raum und wurden in der Gruppe offen diskutiert: 
- Gefahr für das freie Internet durch Verjuristerei und den Versuch, 
untaugliche Geschäftsmodelle auszurollen (bis hin zum Abmahn-Wahn)
- das Problem der für das Internet untauglichen Werk-Definition
- Mangelnde Transparenz der Berechnungsgrundlagen der Verwertungsgesellschaften
- keine Hemmnisse und Quersubventionierung für freie Werke
Als interessant hat sich die Diskussion um den Werkbegriff erwiesen. Hier die 
Definition:
http://www.admin.ch/ch/d/sr/231_1/a2.html
Dabei wurde deutlich, dass der Werkbegriff sehr undeutlich ist. Zitat: 
Ebenfalls geschützt sind Entwürfe, Titel und Teile von Werken, sofern es sich 
um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.
-Teile von Werken- 
Was ist ein Werk und wie klein sind den solche geschützten Teile? Halten wir 
uns vor Augen: Die Weltbevölkerung umfasste beim Jahreswechsel 2012/13 rund 7,1 
Milliarden Menschen, wovon in absehbarer Zeit ca. 50% Zugang zum Internet haben 
oder bald haben werden. 
http://de.wikipedia.org/wiki/Weltbevölkerung

Das aktuelle Urheberrecht garantiert nun einen verfassungsmässigen Schutz 
kreativer Werke oder Teile davon bis 70 Jahre nach dem Tod des Kreativen. 
Suchmaschinen wiederum durchdringen diesen globalen Raum der undefinierten und 
nicht registrierten Werke und machen sowohl gesamte Werke wie deren Teile 
anhand von Patterns (komprimierten Codes zur Wiedererkennung von Werken 

Re: [Wikimediach-l] Copyright vs. Internet

2013-04-11 Diskussionsfäden Bruno Jehle


Hallo Emmanuel,

das sehe ich auch so wie Du. Im Kern ist das 
heutige Urheberrecht ein unhaltbares Konstrukt.

Leider sind mit diesem Konstrukt viele finanziellen 
Interessen verbunden und Existenzen sind davon abhängig.

Am Freitag werden wir an einer Veranstaltung teilnehmen, welche
nur Pro Forma offen ist für Diskussionen. Im Kern geht es darum, 
den Politikern Dampf zu machen, für eine Verschärfung des 
Urheberrechtes, der Kontrollmechanismen und der Strafen.

Wir werden also auf eine rege Lobby treffen, denen das Internet 
gerade mal gut genug ist, als Basis für ihr (im Wesentlichen auf
Pauschalabgaben abgestütztes) Geschäftsmodell. 

Das das Internet gerade durch die Andersartigkeit einen 
grossen Entwicklungsschub gebracht hat, interessiert diese 
Kreise wenig. 

Ich erlaube mir hier einen Vergleich: als das Telefonsystem 
eingeführt wurde, war jedem klar, dass der Anrufende die 
Kosten zu tragen hat. Die Kosten für sein Gerät (welches 
Senden und Empfangen kann) und den Netz-Anschluss. 
Man konnte anrufen und wenn jemand antwortete, war das
gelieferte Wort frei. Dann haben sich Bezahldienste etabliert,
man wusste nicht mehr, ob bei Annahme des Anrufes von der 
Gegenseite Geldforderungen (welche mit der Telefonrechnung 
erhoben wurden) fällig wurden. 
Mit diesen Forderungen wurde in der Folge Missbrauch getrieben,
bis der Staat sich berufen fühlte, den Adressierraum zu trennen,
so dass anhand der Telefonnummer 0900 ersichtlich ist, ob
mit Annahme des Gespräches Forderungen fällig werden. 

Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn der Staat nun Massnahmen 
zum Schutz des Internet ergreifen würde. Denn die immer lauter 
werdenden Ansprüche beginnen das freie Internet zu zerstören.
Bemerkenswert ist dabei, dass diese Forderungen mit grösster
Selbstverständlichkeit Huckepack auf dem nach wie vor von freien 
Inhalten geprägten Netzwerk erhoben werden. Das schlimmste, was 
diesem fragwürdigen Geschäftsmodell passieren könnte, ist eine
Trennung von freien und Kommerziellen Inhalten. 

Viel eher ist diese Lobby bereit, Infrastruktur zur lückenlosen Überwachung
einzuführen. Dass sie dabei letztendlich mit fragwürdigen Geheimdiensten 
zusammenspannen ist ihnen nicht bewusst oder interessiert sie
angesichts ihrer finanziellen Interessen kaum.

Am Freitag wird es darum gehen, dass unsere Stimme auch gehört wird.
Es geht leider heut viel eher um die Verteidigung des Internet, wie wir es
kennen, als um das Anbringen von Vorschlägen zum weiteren Ausbau 
in unserem Sinne. 

Aus diesem Grunde tendieren die aufgeführten Punkte in Richtung
in die Verantwortung nehmen der Verwertungsgesellschaften. 

Diese behaupten zum Beispiel, ihre Berechnungen zum Erheben der
Pauschalabgaben beruhten auf wissenschaftlich erhobenem Zahlenmaterial.
Auf Nachfrage ist dann zu erfahren, dass dieses Material nicht publiziert 
wird, da sie es selbst bezahlt haben...
Eine bemerkenswerte Interpretation von Wissenschaftlichkeit!

Kurzum: kein Externer hat Einsicht in die Zahlen. Dabei ist es von Interesse
ob und ggf. in welchem Umfang auch für freie Inhalte wie Wikipedia und 
Commons Abgaben eingefordert werden. 

Das sind unhaltbare Zustände, welche nur durch Einfordern von Transparenz
geändert werden können. Ich hoffe, dass dabei auch einigen Politikerinnen 
und Politiken bewusst wird, dass da einiges im Argen liegt und dringender 
Handlungsbedarf geboten ist. 

Ich bin der Überzeugung, dass wir auf zwei Ebenen vorgehen sollten:
- Bewusstseinsarbeit über das grundlegende Problem mit geistigem Eigentum
- konstruktive Vorschläge zur schrittweisen Verbesserung

Herzlicher Gruss,
Bruno

PS: Von Amerikanischer Seite wird zur Zeit massiv Druck auf die 
Schweiz aufgebaut, unser im Vergleich zu EU und USA liberale Urheberrecht
zu verschärfen und neue Strafnormen einzuführen. 

b.je...@bjinstitute.org / www.bjinstitute.org

Am 10.04.2013 um 19:56 schrieb Emmanuel Engelhart 
emmanuel.engelh...@wikimedia.ch:

 Hallo Bruno
 
 Danke für dieses Email, ich unterstütze alle Punkte. Meiner Ergenzung:
 globaler und radikaler...
 
 Urheberrechte sind ziemlich in-adaptiert zu der heutigen Situation. Man
 kann nicht weiter Etwas wie kopieren, direkt verbieten/versteuern dass
 so einfach wie atmen ist.
 
 Nicht-kommerziell austauschen müssen erlaubt werden (mit allen
 Inhalten). Alle, auch du und ich, sollten auch eine Chance haben für
 ihre Kreationen Geld zu bekommen - auf den einfachsten Weg.
 
 Ein von den Challenges der Verwertungsgesellschaften ist Systemen für so
 eine Zukunft zu nachdenken. Modellen wie https://flattr.com/ sollen
 diskutiert und inspirierend sein.
 
 Ich bin überzeugt dass ohne eine Reform der Urheberrechte können die
 Verwertungsgesellschaften einfach nicht ihre Arbeit richtig leisten -
 auch mit der besten Willen.
 
 Bis Freitag
 
 Gruß
 Emmanuel
 
 Le 07/04/2013 13:27, boje a écrit :
 
 Hallo,
 
 am kommenden Freitag findet die Veranstaltung der Verwertungsgesellschaften 
 mit dem merkwürdigen Titel:
 Copyright vs. Internet statt. 

[Wikimediach-l] Copyright vs. Internet

2013-04-07 Diskussionsfäden boje

Hallo,

am kommenden Freitag findet die Veranstaltung der Verwertungsgesellschaften mit 
dem merkwürdigen Titel:
Copyright vs. Internet statt. Ein Stelldichein all derjenigen, welche an 
einer Ausweitung und Verschärfung der Urheberrechte und weiterer Schutzrechte 
interessiert sind. Solche Forderungen werden wesentliche Auswirkungen auf die 
Gesetzgebung und das Internet haben.

http://www.swisscopyright.ch/fileadmin/user_upload/news/Publikationen/copyright_vs._internet/COPYRIGHT_VS_INTERNET-GERMAN-FINAL-FOR-PRINT.pdf

Von Wikimedia Schweiz und der digitalen Allmend sind gemäss Teilnehmerliste 
bisher Emmanuel Engelhart und Bruno Jehle angemeldet. 
Um Euch bei den zu erwartenden und in diesem Umfeld wohl schwierigen 
Diskussionen im Rücken zu wissen, bitte ich um Input in Bezug auf unsere 
gemeinsamen Anliegen.

Verdankenswerterweise hat Daniel Boos einen Anfang gemacht und seine Anliegen 
formuliert:


1.) Transparenz im Sinne von Open Data/ Open Government- Wir wollen mehr 
Wissen. Gerade auch über die Finanzströme, Verteilungsreglemente, 
Tariferstellung

2.) Einfachheit und Zugänglichkeit. In einer Gesellschaft bei der jeder mit URG 
und VWG konfrontiert ist, muss auch jeder das System schnell und einfach 
verstehen können. Man muss die komplizierten Systeme (mit 100 von Tarifen) 
vereinfachen und für jeden zugänglich machen. Es dürfen keine künstlichen 
Eintrittsbarrieren erstellt werden. 

3.) Evidenzbasierte, effizente und effektive Verwertungsgesellschaften - 
Zielerreichung soll von unabhängiger Stelle und wissenschaftlich analysiert 
werden (eg. wird das Ziel von Bezahlung von Urhebern und Förderung von Kultur 
erreicht oder profitieren nur wenige Industrien).

4.) Alternative Lizenzen müssen möglich sein. Mehr Rechte für die Urheber 
(unsere CC Debatte)

5.) Freie Werke sollen nicht geschützte Werke quersubventionieren 

6.) Internet ist nicht nur Urheberrecht sondern mehr. Das Urheberrecht darf 
nicht die Chancen des Internets zerstören. (Siehe Chancen von smart cities, 
m2m,  ehealth,  ganze persönliche oder social media Kommunikation. Sorry die 
URG relevanten Materialien die zum VERKAUF angeboten werden sind nur ein 
Bruchteil...)

7.) Trennung Geldverteilung und soziale Aspekte der Verwertungsgesellschaft - 
Sie spielen alle mit dem Doppelmandat, dass sie den Künstler helfen und dass 
sie Verwertungsgesellschaften sind. Ich finde dazu braucht es zwei getrennte 
Organisationen. Die Leute schätzen SUISA nicht wegen dem Geld (das die meisten 
nicht bekommen), sondern wegen der anderen Unterstützung. Das ist aber nicht 
ihre Aufgabe.
___

Nun möchte ich Euch bitten, mir mitzuteilen, welche Positionen ich Eurer 
Meinung nach im Sinne unserer gemeinsamen Anliegen vertreten soll. Ich könnt 
mich auch gerne per Telefon anrufen.
 
Herzliche Grüsse
Bruno

___
Bruno Jehle
Gässli 42
5728 Gontenschwil
062 836 40 41
b...@boje.ch

 


___
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