Am 2015-07-08 um 18:10 schrieb Michael Reichert:
Ob man Landnutzungsflächen an Straßen "kleben" soll oder nicht – wie
oft wurde darüber schon gestritten, egal ob Forum oder Mailinglisten
oder Stammtische. Beide Seiten haben ihre Argumente vorgebracht. Mich
interessiert, wie ihr denkt.
Und Du meinst, solche "Streitereien" bekommst man durch solche
Abstimmungen am besten gelöst?
Das Problem ist doch ganz offensichtlich, dass es in der Community keine
einheitliche Vorstellung davon gibt, was eine landuse ist.
Ich sehe zwei Interpretationen: Die erste ist 'überwiegende Nutzung'.
'Überwiegend' bedeutet, dass die Hauptnutzung mindestens bei 70% bis 90%
der Fläche liegt (irgend eine Grenze, nagelt mich nicht darauf fest),
und auf dem Rest der Fläche dürfen dann auch andere Nutzungen vorkommen.
Dieses Konzept lässt Platz für Erschließungswege- und -straßen,
Eisenbahnen, Hochspannungsleitungen, Flüsse, Bäche, Seen. Im
landuse=forest darf dabei eine Lichtung mit einer Wiese und einem
Forsthaus liegen, im landuse=residential darf ein kleiner Acker und ein
Wäldchen liegen. Wenn zwei landuses nach diesem Konzept durch ein Straße
getrennt werden, dann klebt man die Knoten auf der Straße zusammen. Das
Hauptargument gegen das Kleben sind Probleme bei späteren Änderungen. Da
die Straße aber per Konzept zum landuse dazugehört, gibt es keinen Grund
in Zukunft irgend einen weiteren landuse zwischen die beiden existieren
einzufügen und somit was zu ändern.
Die zweite Interpretation ist 'homogene Nutzung'. Dabei soll eine Fläche
möglichst gleichförmig genutzt werden. Hier gehören Erschließungswege
und -straßen natürlich nicht zur Nutzung dazu. Ein landuse=farmland
besteht nur aus der Fläche, die der Bauer pflügt und wo die Nutzpflanzen
wachsen. Ein landuse=forest ausschließlich aus Bäumen und bei
landuse=residential gehören Flächen zum Einkaufen, Arbeiten, Lernen,
Erholen oder Spielen nicht mit dazu. Hier klebt man keine Flächen
zusammen, denn es wird sich in Zukunft immer noch ein Mapper finden, der
zwischen Straße und Ackerrand noch ein Bankett, einen Grasstreifen,
einen Entwässerungsgraben, ein Gehölz und eine Gehölz-Feld-Übergangszone
eintragen wird. Alles natürlich mit eigenem landuse.
In diesen beiden Interpretationen gibt es also insbesondere
unterschiedliche Vorstellungen davon, ob ein Weg oder eine Straße zur
Nutzung dazugehört.
Die Entscheidung "Kleben, ja oder nein?" würde man also wie folgt
treffen: Folgen beide landuses einer Interpretation 'Die Straße gehört
zur Nutzung'? Wenn Ja, dann kleben, wenn nein, dann eben nicht.
Dummerweise funktioniert das dann nicht mehr, wenn ein Mapper die
Interpretation eines landuses einfach ändert. Um diesen Konflikt zu
löschen braucht man Endzustände von landuses, die sich nicht mehr ändern
(siehe unten).
Meine Meinung ist, dass landuse ursprünglich mal mit der ersten
Interpretation im Hinterkopf eingeführt wurde. Und mit dem Trend immer
detaillierter zu mappen, wurden die landuses immer kleiner und die
Interpretation ging immer weiter Richtung 'homogene Nutzung'. Nach der
Diskussion würde ich bei engeren Auslegungen eine Mehrheit sehen. Das
dumme in Openstreetmap ist, dass es viele solche Trends gibt (Beispiele:
natural=tree war mal ein exponierter Baum, jetzt ist es ein beliebiger
Baum; railway=rail war mal die Trasse als ganzes und für die Anzahl der
Geleise gab es tracks, jetzt gibt es nur noch railway=rail mit tracks=1;
amenity=parking war mal ein großer Parkplatz, jetzt wird es auch für
Parkstreifen entlang von Straßen benutzt). OSM ist offensichtlich nicht
in der Lage eine Diskussion zu führen, die besagt: landuse beschränken
wir in Zukunft auf die Interpretation 'Überwiegende Nutzung' (und führen
vielleicht eine Mindestgröße ein) und wer detaillierter mappen will
benutzt ein neues Tag, das man z.B. detailed_landuse nennen könnte.
Die Frage ist auch, wo man als Endzustand hin will:
Dazu findet sich im Wiki gar nicht. Während zu Anfangszeiten im WIki
noch ziemlich genau erkläre wurde, wie man Straßen mappt (z.B. einen
Tunnel oder eine Kreuzung nie direkt an eine Kreuzung anbinden, immer
eine Stück normale Straße dazwischen
http://wiki.openstreetmap.org/wiki/File:Tunnel-Junction-Connection.png),
gibt es für detailliertes Landschaftsmapping keine Vorgaben oder
Hilfestellungen. Das führt dann zu genau solchen Problemen. Jede Mapper
muss seinen Weg finden und alle Konflikte selber lösen.
Der Ansatz 'Überwiegende Nutzung' würde in ein hierarchisches Modell mit
vermutlich drei, vielleicht auch vier Ebenen führen, bei dem man von
oben nach unten verfeinert (so wie man es jetzt schon bei
landuse=military oder amenity=school macht) und mit jeder Ebene den Grad
der Fremdnutzung verringert. Der grobe Umriss des Waldes und der Name
kommt in die obere Ebene. In der zweiten Ebene werden dann neue Flächen
gezeichnet, die Bundestraßen, Hochspannungsleitungen, Flüsse und große
Lichtungen ausgelassen (wenn man hier natural=wood benutzen würde, dann
wäre ganz nebenbei der alte Widerspruch/endlose Streit zwischen
landuse=forest und natural=wood gelöst ;-)) ). In dieser Ebene kann man
auch die Nadel- oder Laubwald taggen. Die dritte Ebene könnte dann eine
homogene Nutzung sein, die dann auch Wald- und Rückewege ausspart und an
die man Baumarten oder Jagden-Nummer taggen kann. Und Flächen der beiden
unteren Ebenen kann man natürlich auch in landuse=farmland und
landuse=residential eintragen, wenn dort kleine Wäldchen vorhanden sind.
Bei diesem Konzept gibt es nie einen Widerspruch zwischen den einzelnen
Ebene, den die oberste Ebene lässt per Definition z.B. 20% Raum für
andere Nutzungen, die zweite Ebene noch 5% und die dritte vielleicht
noch 1%. [Diese Abschnitt erläutert eine grobes Konzept, bitte keine
Diskussionen über Details].
Bei diesem Konzept wäre der Detaillierungsgrad je Ebene relativ genau
vorgegeben und jeder Mapper entscheidet bei jeder Fläche, in welcher
Ebene er mappt, denn es gibt keine Widersprüche. Ein Wald, der nur aus
Ebene drei besteht wäre auch vollständig. Flächen würde man nur
aneinander kleben, wenn sie auf der gleichen Ebene aneinander stoßen.
Jede Ebene wäre für sich selbstständig und von den anderen getrennt. Es
gibt sogar jetzt schon Mappingstile, die in diese Richtung gehen: In
einen Ackergebiet wird ein großes Multipolygon landuse=scrap oder
landuse=grass angelegt und dann werden alle Äcker mit landuse=farmland
ausgestanzt. Für landuse=scrap bleiben dann nur noch die ganzen
Restflächen zwischen den Feldern übrig. Im obigen Ansatz wäre das die
Schnittmenge von oberer Ebene und den beiden unteren Ebenen. Das
Ausstanzprinzip des Multipolygon ist dabei implizit vorhanden.
Den Endzustand von 'homogene Nutzung' möchte ich mir nicht vorstellen.
Nur wenige größere Flächen und viele kleinste Flächen, weil man ja alles
noch irgendwie ein wenig detaillierter mappen kann.
Die Frage des Endzustands sehe ich auch deswegen als wichtig an, weil
das Hauptargument gegen das Kleben die Probleme beim Ändern sind. Wenn
man einen Endzustand hat, bei dem man nichts mehr Ändern muss, dann
erübrigen sich die Probleme.
Diese Fragen, welcher Interpretation landuse folgen sollte oder wie man
sich eine detailliert gemappt Landschaft vorstellt sind aus meiner Sicht
deutlich besser für Abstimmungen geeignet als die vorgeschlagene, weil
das Detailproblem des "Kleben" die Sicht auf das Kernproblem vollständig
verdeckt.
Adjuva
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