On 8 Feb 2005, at 22:04, Patrick Goltzsch wrote:

> > Aber was macht der durchschnittliche
> > Buerger? Er betreibt ein "outsourcing" aller Erinnerung an
> > fremdbestimmte Externe (Staat, Wirtschaft), die nachher
> > mehr ueber ihn wissen als er selbst. Und er kann noch
> > nicht einmal in diese "externen Archive" Einblick nehmen,
> > selbst wenn er das (spaeter mal) wollte.
> 
> Trotz der ergänzenden Ausführungen ist mir nach wie vor
> unklar, wie Du hier die Brücke vom privaten Archiv zum
> Datenschutz schlägst. Vielleicht ließe sich die Missachtung
> des Datenschutzes mit einer Geringschätzung der persönlichen
> Historie verknüpfen. Aber selbst das fiele mir schwer.

Ich habe nur angeregt, mal darueber nachzudenken.

> Im persönlichen Umfeld kenne ich einige Maniacs, die gut und
> gern als Archivare durchgehen können. Da kann man auch nach
> einer Rechnung fragen, die vor zehn Jahren bei einer
> Renovierung anfiel. Die haben sie nicht nur noch, sie finden
> sie auch wieder. Ob das aber mit einem Bewusstsein für die
> eigene Geschichte zusammenhängt, eine Form der
> Briefmarkensammelei darstellt oder schlicht eine penible
> Aktenführung, weiß ich nicht.

Das koennte mal erforscht werden, IMHO.
 
> Datenschutz sehe ich hier gar nicht. 

Es geht ja auch nicht unmittelbar um Datenschutz, sondern um die 
Frage, wie die Leute mit Daten und dem daraus ableitbaren Wissen 
umgehen.

> > Hier sieht man die
> > unmittelbare oekonomische Komponente der Archivierung:
> > Fuer - im wahrsten Sinne - "begueterte" Adelige war es
> > ganz selbstverstaendlich und auch praktisch moeglich, 700
> > Jahre lang Dokumente einfach irgendwo abzulegen, statt sie
> > zu vernichten. Warum haben sie das damals gemacht? Was
> > haben sie sich davon versprochen?
> 
> Der Adelsbrief, das verbriefte Recht eine Maut zu erheben,
> langfristige Pachtverträge, dazugehörige Korrespondenz
> usw. verlangen ein Archiv und ein anderes
> Geschichtsbewusstsein. Um für eventuelle Streitigkeiten
> gerüstet zu sein, hebt man das besser auf. 

Die Doenhoffs haben weit mehr als das aufbewahrt. Auch Abrechnungen 
usw. die man theoretisch nach paar Jahren haette wegwerfen koennen.  

> Diese Dinge haben
> eine höhere Halbwertzeit als der Mietvertrag für die
> 3-Zimmer-Wohnung, der Leasing-Vertrag für den VW Golf oder
> die Urlaubsgrüße der Verwandschaft. Interessant wird es bei
> der Durchsicht eines Nachlasses meist erst, wenn es um
> Tagebücher und Briefe geht. Und da wird auch jede Menge
> aufbewahrt, wie etwa Kempowski ("Echolot") zeigt.

Das mit "Echolot" und den daunterligenden Tagebuchschreibern war mal. 
Ist lange her. Wer jetzt noch ein Tagebuch aus der Zeit vor 45 hat, 
der koennte wissen, dass das ein 'Sammlerstueck' ist (das man u.U. 
sogar noch mal zu Kohle machen koennte). Es ging mir bei der 
Diskussion in der Tat auch weniger um Tagebuecher, sondern mehr um 
_heutige_ banale Dokumente im Range des "Leasing-Vertrages für den VW 
Golf" in einem Zeitrahmen weit jenseits der Vertragslaufzeit. Oder 
sogar noch darunter wie z.B. Briefen oder die "Rechnung, die vor zehn 
Jahren bei einer Renovierung anfiel". Was spaeter mal relevant wird, 
ist uebrigens zum Zeitpunkt der Entstehung von Dokumenten in den 
seltensten Faellen zuverlaessig abzusehen. Auch Urlaubsgruesse auf 
einer Postkarte koennen ab 50+ Jahren auf einmal ausserordentlich 
interesant werden.

Es kann selbstverstaendlich auch keinen privaten "Archivzwang" geben. 
Das in meinen Augen derzeit erkennbare voellige politische Scheitern 
des Datenschutzgedankens legt aber m.E. nahe, dass man mal ueber den 
Tellerrand sieht und analysiert, wie _viele_ ZeitgenossInnen heute 
mit Aufzeichnungen aller Art umgehen. Eine Frage nach "Food for 
thoughts" sollte das sein, mehr nicht.  

--AHH

-- 
To unsubscribe, e-mail: [EMAIL PROTECTED]
For additional commands, e-mail: [EMAIL PROTECTED]


Antwort per Email an