Ralf Neutag wrote:
> 
> Auch wenn diese Diskussion ein Nebenthema ist: ich finde das Thema sehr
> interessant. Hier einmal meine ersten Eindruecke zu den aufgestellten
> Thesen, die im Interview unter www.uni-jena.de/ms/tt1/html zu finden
> sind :

das Nebenthema: RL - VL, in Ordnung, und ich moechte noch hinzufuegen: 
Gegensatz oder Ergaenzung?

Die Zitate behalte ich bei, damit der Zusammenhang nicht zu sehr
auseinandergerissen wird. Ist fuer das weitere Vorgehen vielleicht nicht
so empfehlenswert?

> 
> Sandbothe :
> 
>  Natürlich ist nach Goffman und Gergen auch für die Sozialwissenschaften klar,
>    daß wir im wirklichen Leben ständig Theater spielen, d.h. verschiedene Rollen 
>übernehmen und hin
>    und wieder sogar unsere Identität wechseln.
> 
> - dass im wirklichen Leben Theater gespielt wird, ist wohl klar, genauso,
>   dass wir auch verschiedene Rollen uebernehmen. Ob wir allerdings dabei
>   unsere Identitaet wechseln, wage ich zu bezweifeln (faende ich auf jeden
>   Fall nicht erstrebenswert).
>   Und gerade dieser Identitaetswechsel ist es, den ich einer Person vorwerfen
>   wuerde, der sich unter einem Nickname ins Netz einloggt und im Chatroom
>   auf einmal eine voellig andere Persoenlichkeit wird...

Die Polarisierung zwischen Rolle und Identitaet ist nicht ohne Risiken,
und ich glaube auch nicht, dass sie von Turkle, Sandbothe u.a. so gemeint
ist. Ich verstehe die Grundthese eher in dem Sinne, dass es *real* eine
Vielfalt von Identitaeten gibt, dass sie *real* gelebt werden, und dass
sich diese Tatsache in der Netzkommunikation manifestiert. Also im Netz
etwas zum Ausdruck kommt, dass im wirklichen Leben lediglich verdeckt
existiert.

> 
> Sandbothe :
> 
>  Begreift er (der User) das Internet auschließlich als
>    Flucht- und Kompensationsraum, in dem er den Problemen zu entkommen versucht, die 
>er mit seiner
>    realen Identität hat, dann ist die Gefahr, daß er sich im Internet verliert, sehr 
>groß
> 
> - Kann ich mich nur anschliessen...

Ja natuerlich, aber sehen Sie dann auch auf die andere Moeglichkeit, die
Sandbothe benennt: durch kommunikative Netzerfahrungen, eigene
Identitaetsentwuerfe, die im *wirklichen* Leben keinen Platz haben, zu
erproben und - beispielsweise durch wiedergewonnen Sensibilitaet - ins
Alltagsleben zurueckzufuehren.

> 
> Sandbothe :
> 
>  Versteht der
>    Internet-Nutzer statt dessen jedoch die virtuellen Welten des Internet als 
>kreative Experimentierfelder,
>    in denen er Erfahrungen sammeln kann, die er dann auch für das wirkliche Leben 
>nutzen kann, sieht
>    die Sache ganz anders aus.
> 
> - Ich glaube ehrlich nicht, dass jemand im Internet sich soziale Kompetenz
>   erarbeiten kann, die ihm dann im real life nuetzlich sein koennten. Ich
>   denke eher, dass im Internet die eigene Person - oder eine Scheinperson, die
>   man gerne sein moechte - eingebracht werden.

Sie sehen es, aber Sie glauben nicht daran. 
 
> Sandbothe :
> 
>   Wenn jemand der virtuellen Person, die ich in einem MOO seit längerem darstelle,
>    Gewalt antut, dann fühle ich mich persönlich angegriffen. Und wenn ich 
>meinerseits als diese Person
>    einer anderen virtuellen Person Gewalt antue oder mich einfach schlecht verhalte, 
>dann empfinde ich
>    Scham und Reue.
> 
> - Also : Wenn ich mich persoenlich angegriffen fuehle, weil jemand in einem
>   (mit Verlaub gesagt) bloeden Computerspiel meine Spielfigur angreift, dann
>   habe ich nicht verstanden, dass es nur ein Spiel ist.
>   Und Scham und Reue zu empfinden, um in einer virtuellen Welt einer nicht
>   existierenden Person den Schaedel einzuschlagen, waere wohl genauso daneben.
>   Deshalb ist es doch ein Spiel! Wenn jemand meint, seine Agressionen in
>   dieser Form loswerden zu wollen, dann sei es ihm doch gegoennt.
>   Das problematische daran ist meiner Meinung nach, dass die Gefahr einer
>   Vermischung der beiden Realitaeten sehr gross ist. Und wenn dann irgendwann
>   jemand nicht mehr in der Lage ist, diese Grenze klar zu ziehen, na dann
>   gute Nacht...

Eine Besonderheit der Netzkommunikation stellt das Spielen in Muds und
Moos dar, aber das ist nur eine Form der virtuellen Kommunkation. Und
hierbei - wie bei allen Spielen - ist die Frage, wie ernst das Spiel fuer
den Spieler ist. Auf dieser Ebene hat es noch wenig mit VL - RL zu tun,
sondern es beginnt damit, ob ich mich ueber ein verlorenes Spiel aergere
oder es mit _ ist doch nur ein Spiel_ abtue. Natuerlich gibt es noch jede
Menge anderer Facetten dieser Thematik.


> 
> Sandbothe :
> 
>  Die Erfahrung der
>    Netzkommunikation kann dazu führen, daß wir die face-to-face- Kommunikation erst 
>wieder richtig
>    schätzen lernen.
> 
> - Wenn damit gemeint ist, dass wir merken, dass die Netzkommunikation eine
>   voellig rudimentaere und verstuemmelte Kommunikation ist und dazu uebergehen,
>   die face-to-face Kommunikation wieder schaetzen zu lernen, waere das ein sehr
>   positiver Aspekt des Internets.

_rudimentaer_ und _verstuemmelt_ sagen Sie, na ja, eingeschraenkt mit
Besonderheiten, wie andere Telekommunikationsformen eben auch. Wichtig
scheint mir, sich die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen
Kommunikationsformen bewusst zu machen und ebenso bewusst einzusetzen.

Eine Chance sehe ich in der Ueberwindung der Polarisierungen, um zu
"produktiven   Verflechtungen zwischen Virtualität und Realität"
(Sandbothe) zu gelangen. Aber ich habe auch den Eindruck, dass wir noch
weit davon entfernt sind.

 
-- 
mfg

albert k. petersheim 
http://www.erwachsenenbildung.uni-wuppertal.de/petersheim/

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