Braunschweiger Zeitung
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18.02.2019

Spaltung bis in die Belegschaft

Bei einer Konferenz diskutieren Gewerkschaften über die Zukunft der 
Autoindustrie

Hannah Schmitz

BRAUNSCHWEIG. Gewerkschafter in der Auto-Industrie müssen offenbar große 
Widersprüche aushalten. Das wurde auf der Konferenz „Aus unseren Kämpfen 
lernen“ der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit 
den Gewerkschaften IG Metall, Verdi, NGG, GEW, DGB sowie der 
Kooperationsstelle Hochschulen-Gewerkschaften deutlich. Die Konferenz 
mit Teilnehmern aus ganz Deutschland und dem Ausland fand von Freitag 
bis Sonntag in Braunschweig statt.

In der Arbeitsgruppe 11 suchten Gewerkschaftsmitglieder eigentlich 
gewerkschaftliche Antworten auf die Krise der Automobilindustrie. Doch 
stattdessen diskutierten sie Grundsätzliches, einige Teilnehmer 
forderten die „Enteignung der Schlüsselindustrien“, die „Überwindung des 
Kapitalismus“ und schließlich auch eine „Weltrevolution“. Michael 
Clauss, Betriebsratsmitglied bei Daimler in Untertürkheim, sagte: „Das 
ist schön und gut, aber nicht Mainstream in den Betriebsräten.“ Er 
plädierte dafür, konkrete Antworten zu diskutierten, und stellte 
zugleich fest, dass er eine „Krise“ der Automobilindustrie nicht 
feststellen könne. Autobauer verkauften und verdienten gut und 
investierten massiv in E-Mobilität. „Elektro-Autos sind die Lösung, die 
das Kapital hat. Und dieser Zug läuft schon, und zwar geschwind.“

„Auto mit 1,9 Tonnen Totgewicht“

E-Autos sind offenbar aber nicht die Lösung auf ökologische Fragen, die 
die Gewerkschaften sehen. Winfried Wolf, ehemaliger Politiker und 
Verkehrsexperte, sprach sieben Thesen aus, die gegen das E-Mobil 
sprächen. Eine davon war etwa, dass das Auto zunächst einmal als solches 
diskutiert werden müsse. „1,9 Tonnen Totgewicht zur Beförderung von 80 
Kilogramm Mensch“, sei absurd, genauso wie die 
Durchschnittsgeschwindigkeit von Autos - in Los Angeles beispielsweise 
15 Stundenkilometer. Autos würden vier Mal so viel Fläche wie der ÖPNV 
einnehmen und für 20 Prozent der Klimagase verantwortlich sein. Eine 
andere These Wolfs: Es bestimmten immer noch die gleichen zwölf 
Autokonzerne 80 Prozent des Marktes, obwohl sich die regionale Produktion 
verschoben habe, etwa nach China.

Weiterhin würden in Kopenhagen zwei Drittel aller Wege mit dem Rad 
zurückgelegt. Die Stadt sei so groß wie Hannover - die Landeshauptstadt 
sei jedoch „Auto-Stadt“. Warum? „Wegen VW“, sagt Wolf. Und: „Jede 
Verkehrs-Investition führt zu Verkehr. Menschen orientieren sich am 
Angebot.“ Also müsse mehr in Radwege investiert werden. Eine weitere 
These: Um die Konversion - also eine Umkehr - der Automobilgesellschaft 
in Betrieb und Gesellschaft zu erreichen, müsse auch für 
Arbeitszeitverkürzung in den Betrieben gekämpft werden - schließlich 
hätten sich die Jobs in der Autoindustrie in Europa in den vergangenen 
20 Jahren fast halbiert.

Während im Plenum aber Einigkeit darüber herrscht, dass die E-Mobilität 
umweltpolitisch und sozial nicht das Gelbe vom Ei ist, wissen die 
Gewerkschaftsmitglieder sehr wohl, dass ihre Meinung nicht 
stellvertretend für die Belegschaft steht. Ein Betriebsratsmitglied von 
Aida Cruises sagt: „Ich kann den Mitarbeitern ja schlecht sagen, dass 
Kreuzfahrten scheiße sind.“ Und so können wohl auch Betriebsräte bei 
Autobauern schlecht sagen, dass Autos an sich ein Problem sind.

Die Belegschaft sei gespalten, berichtet Clauss: Während die einen 
dächten, das mit der E-Mobilität komme gar nicht erst, demonstrierten 
andere gegen Dieselfahrverbote. Eine Frau aus dem Plenum warnte davor, 
in eine Situation zu kommen wie im Braunkohlerevier. „Da haben Kumpels 
Umweltschützer als Verbrecher diffamiert.“

Aus dem VW-Standort Zwickau, der in Zukunft ausschließlich E-Autos bauen 
soll, berichtet ein Gewerkschaftsmitglied über die Verunsicherung der 
Kollegen. „Auf einmal ist alles falsch, was du gestern noch gemacht 
hast“, beschreibt er. Die Fabrik würde einmal umgekrempelt, viele hätten 
dabei Angst um ihren Arbeitsplatz.

Aus dem VW-Motorenwerk Salzgitter berichtet der Vertrauenskörperleiter 
Auke Tiekstra, dass die Dieselkrise sich drastisch auf das Werk und die 
Mitarbeiter ausgewirkt habe. Die Diesel-Schmiede musste plötzlich viel 
mehr Otto-Motoren bauen. Zudem habe sich jeder sechste Mitarbeiter 
„transformiert“, also umlernen müssen. Inzwischen werden in Salzgitter 
Rotoren und Statoren für E-Motoren gebaut. Ob auch Batterien künftig in 
Salzgitter gefertigt würden, stünde immer noch nicht fest, kritisiert 
Tiekstra.

„T-Roc Cabrio ist völliger Wahnsinn“

Während Tiekstra sich wünscht, dass das seiner Meinung nach gestiegene 
ökologische Bewusstsein in der Gesellschaft für Schwung sorgt, um 
Mobilität neu zu gestalten, beschreibt ein Vertrauenskörperleiter aus 
dem VW-Werk in Osnabrück das Vorgehen der Automobil-Vorstände als 
„Greenwashing“. In der Gewerkschaft selber breche wieder der Widerspruch 
zwischen Arbeit und Umwelt auf.

Ein wachsendes grünes Bewusstsein in der Gesellschaft sieht er nicht. 
„Leute kaufen SUV, wir bauen ein T-Roc Cabrio, das ist völliger 
Wahnsinn“, sagte er. Aber auch der Vertrauenskörperleiter lobte, dass 
wieder über Arbeitszeit diskutiert würde. „Nachhaltigkeit heißt weniger 
stofflicher Umsatz und das bedeutet auch weniger Arbeit.“

Trotz aller Diskussionen um eine sozial-ökologische Konversion der 
Automobilgesellschaft war sich das Plenum einig: Die Fabriken müssten 
gehalten werden. Einer warf schließlich den Gedanken auf: „Ich habe das 
Gefühl, die Arbeiter verstehen nicht mehr, was wir diskutieren.“


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