Lieber Stefan,

schön, dass mal wieder jemand die Rohrpost als Plattform für Diskussionen benutzt.

Zu dem, was Du da schreibst. gibt es viel zu sagen, ich möchte nur einen Satz herausgreifen:
Künstler arbeiten mit beliebigen Medien, von der Zeichnung bis zum Internet.

Wenn es so wäre, dass die "richtigen" Künstler (also die vom Kunstbetrieb anerkannten und als verkäuflich eingestuften Künstler,die Du wohl meinst) gelegentlich tolle Arbeiten mit Internet, Computer, Handy, Second Life etc schaffen würden, könnte man die Transmedialen, Ars Electronicas, Medienkunstschulen etc. vielleicht wirklich abschaffen. Leider kenne ich solche Beispiele nicht.

Im "richtigen" Kunstbetrieb treibt ja gerade Regressionskunst a la Jonathan Meese und das Malerfürstentum neue Sumpfblüten. Aber auch die konzeptueller arbeitenden Künstler haben neue Medien meist nur für Dokumentationen aller Art benutzt, und nicht ihre anderen, wesentlichen Qualitäten herausgekitztelt. Das ist aber für meine Begriffe auch eine Aufgabe von Kunst: sich ihre Medien selbst vorzunehmen - ob das nun Ölfarbe oder html ist. Jede Kunst kann "Medienkunst" sein, wenn man mit Medien nicht nur technische Medien meint, sondern Medien als Kommunikationsmittel aller Art versteht, was auch die traditionellen Kunstmedien wie Stein, Holz, Farbe, Holzschnitt, Lithographie etc einschliesst.

Der Vorwurf, dass die Netzkunst nicht das Netz geprägt hat, heisst weiter gedacht, dass Kunst nur dann ihrer Aufgabe gerecht wird, wenn sie die Gesellschaft verändert, und das ist nun wirklich eine Avantgarde-Utopie reinsten Wassers. Was haben denn Picasso, Warhol, Beuys, Polke, Richter, Dan Graham, Sol Lewitt (bitte anderen Grosskünstlernamen hier einfügen) zur Verbesserung oder Veränderung der Gesellschaft beigetragen? Im übrigen könnte man durchaus argumentieren, dass Kunst-Projekte wie The Thing, Digitale Stad oder die Internationale Stadt Facebook und MySpace vorweg genommen haben, oder dass OrangOrang YouTube hätte werden können, Jodi in dem meisten Webdesign-Coffeetable-Books der 90er Jahre vertreten waren etc.

Das soll nicht heissen, dass ich mit der Mehrzahl der Arbeiten, die bei den einschlägigen Festivals (oder bei einer Ausstellung wie "Vom Funken zum Pixel") gezeigt werden, besonders glücklich wäre. Aber das gilt auch für die Mehrzahl der Arbeiten, die bei documenta et al gezeigt werden...

Gruesse,
Tilman

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Dr. Tilman Baumgärtel Film Institute, College of Mass Communication, University of the Philippines
www.tilmanbaumgaertel.net

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