DB: In dem Projekt *CEOs* haben Toni Kleinlercher und du sechs fuehrende VertreterInnen der Wirtschaft portraetiert. Wieso? Wird Wirtschaftsbossen wie Hannes Androsch nicht ausreichend Aufmerksamkeit in den Medien geschenkt?
GN: Uns ging es darum, subtilere Dinge herauszuarbeiten, die in Zeitungsinterviews oder Fernsehdarstellungen nicht herauskommen: Gesten, Haltungen, Ausdrucksweisen, Sprachausuebungen. Außerdem kennt man zwar fuehrende Politiker, aber selten wirtschaftliche Entscheidungstraeger, die bleiben, bis auf wenige Stars, im Hintergrund, hinter den von ihnen gefuehrten Unternehmen und Brands. Sie besitzen meiner Ansicht nach jedoch mindestens ebenso viel Macht oder spielen ihre Macht direkter aus. Gleichzeitig geht es aber auch um die Frage: was kann das Portraet als Kunstform heute? DB: Aber warum schenkt ihr CEOs noch mehr Aufmerksamkeit, als diesen so oder so zu Teil wird? GN: Weil Aufmerksamkeit immer gerichtet ist und die Aufmerksamkeit, die wir ihnen schenken, eine andere Moeglichkeit anbietet und der ueblichen Gerichtetheit widerspricht. DB: Wie hat die Portraetreihe, die ihr fuer die Ausstellung *Re-Act* (2005) im Nikolaj Contemporary Art Center* in Kopenhagen weiterentwickelt habt, funktioniert? GN: Sehr gut, wie ich finde. Was auch sehr an der Unterstuetzung durch Elisabeth Delin Hansen vom Nikolaj Contemporary Art Center und Marco Evaristti lag. Es war fuer uns eine wunderbare Gelegenheit, die Arbeit weiterzufuehren und ich denke, dass sie sich dadurch sehr entwickelt hat. Das zeigt sich besonders, wenn man die Interviews parallel, gleichzeitig nebeneinander betrachtet. DB: Lauft ihr bei einer Zusammenarbeit mit CEOs nicht Gefahr von diesen im Sinne ihrer wirtschaftlichen Interessen instrumentalisiert zu werden? Oder anders gefragt: repraesentiert ihr die Reichsten der Reichen mit eurer Kunst? GN: Da muss man zuerst einmal die Frage stellen, ob CEOs die Reichsten der Reichen sind? Das glaube ich nicht einmal. Doch gerade wie wir das Setting gemacht haben und wie die Aufnahmen funktionieren, ist die Gefahr sehr gering, weil es ja auch darum geht, genau das zu dekonstruieren. Durch die Selbst-Repraesentation der Teilnehmer wird die Repraesentation von ihnen selbst konterkariert. Ich erachte die Instrumentalisierung, die in vielen Ausstellungen über Sponsoren laeuft oder auch jene in unternehmenseigenen Kunsthallen als viel bedenklicher. In China mit seinem wirklich gigantischen und globalen Kunstmarkt sind Museen einfach Unternehmen. Und Punkt! Ich glaube, dass unser Projekt genau gegenteilig wirkt und eine Antiinstrumentalisierungsmöglichkeit darstellt. DB: Du arbeitest meist im Team. Was bedeutet der Begriff des Autors für dich? GN: Wie bereits angesprochen geht es mir vor allem darum, Rahmen zu bauen, in denen agiert wird; ob das nun eine Person ist oder etwas anderes. Die Frage nach dem Autor ist für mich nicht sehr aktuell, da wir in einer Situation sind, in der es sehr stark um Fluktuationen und Bewegungen, um Prozesse und Kooperationen geht. Das geht natürlich auch in Fragen um Copyright, Creative Commons und Formen der Kooperation hinein. DB: In deinen *Zeichnungen* *drawing options* (2005), die du in Einzelausstellungen im Kunstraum Innsbruck und Plattform Raum für Kunst in Wien kontextualisiert hast, unterlaeufst du geschickt den Begriff des Originals. Was bedeutet Reproduktion, Kopie und Sampling für dich im Verhaeltnis zum Originalitaetsbegriff? GN: In *drawing options* geht es um Begriffe und ihre kulturelle Bedeutung, spezifisch im Vergleich Oekonomie * Kunst. Was bedeutet *Option*, *Zeichnung*, wie unterlaufen, ueberschneiden sich Begriffe in zwei verschiedenen Feldern, die zumindest das eine verbindet, dass sie veroeffentlicht sind? Kann man daraus etwas ziehen, ein Verhaeltnis aufzeigen und kulturelle Interpretationsformen aufzeigen? Was bedeutet *Konzept* aus oekonomischer Sicht bzw. kuenstlerischer? Man kann es so ausdruecken, dass in *drawing options* zwei Moeglichkeiten gezeichnet werden, um sie ineinander zu transformieren. Mich interessieren Derivate als kulturelle Form, auch im Vergleich zu Kopie und Sampling. Für die Ausstellung hat der Klangkuenstler Peter Szely eine 4-Kanal Komposition beigesteuert und ich habe mit Renata Poljak und Julian Wong ein Video gemacht. Zusaetzlich wird das in der Arbeit auch dadurch gespiegelt, dass ein Verhaeltnis konstruiert wird, das die kuenstlerische Veroeffentlichungsform der Edition in Beziehung zu einer kapitalistischen Parallelform, dem Boersenkontrakt, und somit den Derivaten bringt. Original koennte in diesem Zusammenhang zum obsoleten Begriff werden, als Kunstwerk und als Person. Genau deshalb spielt Kunst und Wirtschaft in ihrer Verschmelzung heute wieder mit dieser Aura. Aber das System will sich natuerlich legitimieren, und was taugt besser als Kunst, um das Urteil dann historisch-kulturell-medial implementieren zu helfen? DB: Dein *projectfriend~ship* beschreibst du als *eine initiative, die zugleich globaler kuenstlerischer work-space für sound und visual art, prozessorientierte kooperation internationaler kuenstlerInnen - friend - und mobiles ausstellungsmedium - ship - ist.* Was war der Grundgedanke und woraus besteht die Hardware dieses Projekts? GN: Bei *friend~ship*, das ich gemeinsam mit Oliver Irschitz bis 2005 gemacht habe, hat mich besonders interessiert, mit Vermittlungsmoeglichkeiten zwischen virtuellen und realen Raeumen zu arbeiten. Es ging darum eine Entsprechung zwischen dem Virtuellen und Realen üeber das *ship* zu finden. Dieses war mobil, es konnte an fast jedem Ort andocken, sich nomadisch bewegen, unterschiedliche Menschen konnten sich einbringen, das war die Idee. DB: War *friend~ship* eine veritable Plattform für die Zusammenarbeit zwischen WissenschaftlerInnen, KuenstlerInnen, MusikerInnen und VertreterInnen der Wirtschaft? Ist das Konzept aufgegangen? GN: Ich hatte schon das Gefuehl. Bei c_bite zum Beispiel haben wir uns in die CeBIT eingeschleust und diesen Megaevent verarbeitet. Die Zusammenarbeit auf einem *Territorium*, in dem wir uns ja ohne Zugangserlaubnis aufhielten, war nicht nur Kernpunkt des Projekts, sondern auch das Spannende. Leute aus verschiedenen Situationen wie Kunst, Geisteswissenschaft, Naturwissenschaft usw. waren in einer gemeinsamen Struktur eingebunden, jeder konnte selbst agieren und es entstand trotzdem ein gemeinsames Ganzes. Es war ein Experiment. GN: Du hast 2004 nicht davor zurueckgeschreckt direkt in das Herz der oesterreichischen Wirtschaftspolitik, die oesterreichische Industriellenvereinigung, zu gehen und dein Projekt *Form 4 Enlitened Elevation* zu realisieren. Wie bist du mit diesem sowohl politisch, geistes- und ideengeschichtlich vorgepraegten Ort und den Menschen umgegangen? Ist dir der Bruch mit oder im System gelungen? GN: Auch hier fand ich interessant, wie man ein spezifisches System der Kommunikation und Interpretation * und eine politische Lobby ist genau das * innerhalb ihres eigenen Feldes mit realen Stimmen konfrontiert, die ein *Abseits* bedeuten, sei dies durch Ausgrenzung, Peripherisierung oder interne Systemfehler. Das Projekt fand zu einem wesentlichen Teil in einem Paternoster statt, der der Hauptzugang zu den Stockwerken im Gebäude ist. Die BesucherInnen konnten in den Loop dieses Liftes einsteigen und sich mit den performativen Stimmen der AkteurInnen auseinandersetzen oder von Außen eine Art Sampling dieser individuellen Positionen an sich akustisch und visuell vorbeiziehen lassen. Für mich hat das Ganze auch etwas Filmisches, wobei der Film in vertikalen Bewegungen ablief. Die Aufzeichnung erfolgte in der Vorstellung der Mitwirkenden, die auch die Handlungen gestalteten. Die *Filmprojektion* passierte somit vor der *Aufnahme*. Der Bruch liegt bereits im System, wobei es natuerlich Brueche sind. Somit musste er mir nicht gelingen. Es ging mehr darum, den geschlossenen, geschuetzten Raum zu oeffnen und Wahrnehmung von Bruechen zu ermoeglichen. Es hat mich sehr interessiert, inwieweit und in welcher Form man kuenstlerische Autonomie und Diskursivitaet innerhalb eines solchen Raumes für die Dauer einer Ausstellung entwickeln kann und mit den Menschen kommuniziert. Die oesterreichische Industriellenvereinigung ist nicht gerade berühmt für ihre Nähe zu Kunst. Andererseits wäre es absurd und gesellschaftlich dramatisch, wenn eine ökonomische Elite keinen Diskurs mit anderen gesellschaftlichen Positionen fuehren wuerde. Das Haus der Industrie ist z.B. einer der zentralen Orte für Vortraege von Personen internationalen Zuschnitts weit ueber oekonomische Meinungsmacher hinaus. Mit Kunst verhaelt es sich allerdings anders. Und prinzipiell herrschte in Österreich mit der blau-schwarzen Regierung ein sehr problematisches Klima. So gesehen ist es vielleicht schon ein Erfolg, dass dieses Projekt stattfinden konnte. DB: Bist du der Virus der Wirtschaft? GN: Vielleicht gibt es noch eine etwas kleinere Entitaet, da ich finde, dass die Wirtschaft oft wie ein Virus agiert. Ich gehe in die Struktur hinein, um von innen zu schauen, wie es nach außen funktioniert, wie man in dem System agieren kann und welche Aufbrueche man dort machen kann. Eine Virussequenzierung sozusagen. DB: In *nowhere - ein welt raum spiel* setzen du, Sylvia Eckermann, Christof Cargnelli und Oliver Irschitz euch in einem modifizierten Ego-Shooter-Spiel mit wissenschaftlichen Fragestellungen auseinander. Kannst du euren Ansatz etwas naeher erlaeutern? GN: *nowhere* ist ein virtueller Wissensraum, der sich mit der *Glaesernen Kette*, einer Gruppe von Kuenstlern und Architekten, beschaeftigt, die um 1920 utopische Potentiale erforschten. Das hat uns sehr interessiert, auch weil manche ihrer Vorstellungen in unser Heute projiziert waren. Wir schauen zurueck und koennen uns gleichzeitig fragen, welche Potentiale utopischen Denkens sind verloren gegangen und sollten wieder staerker ins Blickfeld kommen? Und was hat sich aus ihren Vorstellungen entwickelt? Vieles ist heute existent, aber in ganz anderer Form. Ueberhaupt ist das Thema Utopie für uns wieder spannend, wenn nicht sogar zwingend, um Alternativen und Lebenswelten selbstbestimmt zu kreieren. Auch, um prekaeren Arbeitsverhältnissen, globalen Entwicklungen begegnen zu koennen und zu versuchen, andere Strukturen entgegenzusetzen. *nowhere* ist eine interaktive, digitale 3D-Collage aus Bildern und Klaengen und spiegelt eine Art gesellschaftlicher Collage, in der Personen verschiedener Bereiche und Felder neue Zusammenhaenge gemeinsam entwickeln und die BesucherInnen zu AkteurInnen werden, die durch den 3D-Raum navigieren. DB: Ist Interdiziplinaritaet heute eine große Chance der zeitgenoessischen Kunst? GN: Interdiziplinaritaet ist für mich eine ganz uebliche Art und Weise zu arbeiten. Kunst war meinem Erachten nach immer schon grenzueberschreitend, und gerade spannende Projekte arbeiten mit unterschiedlichen Mitteln und überschreiten die Grenzen. Natuerlich liegt darin eine große Chance. In meiner Praxis ist es meist gar nicht anders moeglich, als mit unterschiedlichen Menschen zu kooperieren. Für mich ist Kunst nicht persoenlich, vom Autor her betrachtet. Sie ist komplex, mehrdimensional in ihren Inhalten und Techniken und kooperativ. Sie verortet sich - auch im Virtuellen - und kann dadurch Menschen erreichen und persoenlich werden. DB: Die Grenze und oder der Ueberschneidungsbereich zwischen Kunst und Nicht-Kunst spielt in deinen Werken eine wichtige Rolle. Hat es für dich eine Bedeutung, die Inszenierung einer kunstspezifischen Situation zu vermitteln? GN: Mein Zentrum ist das Kunstsystem, das zugleich ein Mittel ist, weil es die groeßten Moeglichkeiten bietet. Du kannst in diesem System vieles machen, was in anderen stringenteren Systemen nicht moeglich ist. Ich habe wie gesagt auch ein starkes Interesse, in die Wirtschaft hineinzugehen, die heute viele Funktionen des Oeffentlichen uebernimmt. Ich finde, man sollte viele privatisierte Bereiche heute wieder als oeffentlich re-definieren und bearbeiten. Und da geht es nicht darum, dass das als Kunst unbedingt erkennbar ist, sondern Moeglichkeiten bietet, Angebote gibt, eine andere Sichtweise aufmacht und die Leute prozessual mit hinein nimmt. Im Kunstkontext geht es schon darum, Realisierungen zu finden, die eine Idee, ein Projekt, ein Konzept mit Kunstmitteln erlebbar und verstaendlich machen. Dieter Buchhart: Wie wichtig ist Aesthetik in deinen Arbeiten? Gerald Nestler: Aesthetik entwickelt sich bei mir aus der Arbeit heraus. Da ich haeufig Rahmen und Situationen entwickle, in denen sich das jeweilige Projekt abspielt, entwickelt sich die Aesthetik innerhalb dessen. Aesthetik ist aus dem Begriff der *Aisthesis* als bewusste Wahrnehmung eine Grundbedingung der Kunst, wenn man will als *Aisthetisierung* ein Feld in dem Welt erzeugende - und das heißt heute meist immer auch Wert erzeugende - Strukturen und Prozesse durch neue Zusammenhänge wahrnehmbar, bewusst, hinterfragbar, verortbar und neu zusammensetzbar werden.
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