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Sent: Monday, April 20, 2020 4:52 PM

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Subject: [CONTRASTE-liste] vivihouse / TU Wien :: via keimform / streifzüge

 

Vivihouse

 

Von Stefan Meretz

 

[Kolumne Immaterial World <http://www.streifzuege.org/tag/immaterial-world>  in 
der Wiener Zeitschrift Streifzüge <http://www.streifzuege.org/> ]

 

Ich möchte das Commons-Projekt Vivihouse vorstellen, und alle, die in Wien 
unterwegs sind, hätten eigentlich schon vorbeigehen können, um es sich 
anzuschauen. Hätten - leider steht der zweite Prototyp noch nicht. Dazu gleich 
mehr.

 

Das Projekt Vivihouse baut Häuser, doch komplett anders, als wir es kennen. Es 
geht nicht nur um Häuser, die aus ökologisch-nachhaltigen Materialien aufgebaut 
werden, sondern die auch komplett wieder abgebaut werden können, um sie 
entweder woanders wieder aufzubauen oder umweltfreundlich zu recyclen. Die 
lehmverputzten und strohballengedämmten Holzhäuser sind nicht primär für den 
ländlichen Raum gedacht, sondern die modularen Bausätze eignen sich vor allem 
für den mehrgeschossigen Wohnungsbau in der Stadt. Und es handelt sich nicht 
nur um ein Do-it-yourself-, sondern vor allem um ein Do-it-together-Projekt - 
Interessierte sind regelmäßig zu Bauworkshops eingeladen.

 

Mit ihrem Ansatz stellt das Projekt neue Fragen. Muss Hausbau in den Händen 
einer kleinen Gruppe von Spezialist*innen liegen? Kann der Selbstbau Menschen 
ermächtigen, die Gestaltung ihrer Lebenswelt mehr in die eigenen Hände zu 
bekommen? Kann der Einsatz erneuerbarer Materialien wie Holz und Stroh das 
Betondenken (Sand ist eine schwindende Ressource, Zementherstellung ist 
CO2-intensiv) im Städtebau aufweichen und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten?

 

Das Projekt wurde von einer Gruppe von Architekt*innen gegründet, die sich von 
den Commons inspirieren ließen und diese Erkenntnisse auf ihre Domäne 
übertrugen. Die Commons-Sommerschule und das Netzwerk des Commons-Instituts 
waren wichtige Orte für die Entfaltung der Ideen. So war klar, dass die 
Zugangshürden möglichst niedrig sein sollten, um die Kooperation von Profis und 
Laien zu befördern. Die Pläne werden unter einer freien Lizenz als Open Source 
zur Verfügung gestellt, damit andere Projekte daran anknüpfen können. Nicht 
zuletzt sollen die Kosten u.a. durch den Eigenbauanteil gering gehalten werden, 
um allen den Zugang zu qualitativ gutem Wohnraum zu ermöglichen - anstatt nur 
ein sozial-elitäres Projekt für Gutverdienende zu sein.

 

Das Projekt Vivihouse wurde von der Initiative for Convivial Practices 
initiiert und ist an der TU Wien angesiedelt. Es finanziert sich durch 
unterschiedliche Beiträge von öffentlicher Hand und privaten Firmen, die das 
ökologische Bauen voranbringen wollen. Das klingt gut, aber letztlich ist die 
Finanzbasis prekär. Springt ein Sponsor ab, was schon mehrfach geschah, gerät 
der Zeitplan oder gar die ganze Projektrealisierung durcheinander.

 

So konnte zwar in Pernitz südlich von Wien ein kleiner Prototyp realisiert 
werden, aber der Aufbau eines mehrgeschossigen Baus in Wien scheiterte, weil 
ein Immobilienkonzern seine avisierte Flächenbereitstellung samt Anschluss 
nicht einhielt. Die vorproduzierten 17 Wände und 7 Deckenelemente mussten nun 
aufwändig (ein Bauteil wiegt bis zu 2 Tonnen) aus der von einem weiteren 
Sponsor temporär zur Verfügung gestellten Bauhalle in eine kostenträchtig 
angemietete Lagerhalle zur Zwischenlagerung transportiert werden. Jetzt muss 
erst wieder eine geeignete Fläche gefunden werden, bevor das mehrgeschossige 
Vivihouse kommen kann. Die Stadt Wien könnte sich hier durchaus mehr 
engagieren, wurde das Projekt doch als Modellprojekt zur Internationalen 
Bauausstellung in Wien 2022 nominiert.

 

Eine Zwangspause bietet immer auch Gelegenheit zum Luftholen und zur Reflexion. 
Wenn das Projekt erfolgreich realisiert werden sollte, welche Wirkung könnte es 
haben? Wenn die Klimakrise sehr bald tiefgreifend alle gesellschaftlichen 
Bereiche erfasst, wird auch das CO2-intensive Bauen in den Fokus einer 
Transformation gelangen. Nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Stroh könnten 
allein von der Materialseite das städtische Bauen völlig verändern. Die 
Holzindustrie freut’s, die Betonlobby wird allerdings alles daransetzen, den 
Wandel aufzuhalten.

 

Kann das Projekt thematisch benachbarte Commons-Initiativen ermächtigen, ihren 
Bereich auszuweiten? Könnten sie an Vivihouse andocken, Kooperationen eingehen, 
Netzwerke bilden und den Markt auskooperieren? Ein Wald-Commons, das seine 
Forste nicht monokulturell, sondern ökologisch-divers betreibt, könnte Holz 
liefern. Weitere Architektur-Commons könnten die Designs nutzen, um ihre 
eigenen Projekte vorzubringen - am besten in Kooperation mit zukünftigen 
Bewohner*innen, die an Planung und Bau beteiligt sind. Perspektivisch könnten 
daraus ganze Stadtteil-Commons entstehen, die ihr Quartier selbst gestalten.

 

Eine weitere spannende Frage ergibt sich aus dem Open-Source-Charakter von 
Vivihouse. Ein Haus tangiert mehrere rechtliche Domänen. Während Designs als 
kreative Wissensschöpfungen durch das Urheber*innenrecht exklusiviert 
(„geschützt“) werden, greift bei technischen Erfindungen das Patentrecht. Wie 
könnten hier passende Lizenzen aussehen, die sowohl Wissen wie Hardwarelösungen 
für andere zugänglich halten? Wie könnten gleichzeitig Commons-Projekte ihre 
Finanzierungsgrundlage sichern, wenn es wesentlich potentere Privatbetriebe 
gibt, die Designs und Erfindungen auf dem freien Markt verwerten? Private 
Firmen, die sich an dem Projekt beteiligen, könnten hingegen ihre eigenen 
technischen Lösungen und damit ihr Geschäftsmodell in Gefahr sehen, wenn sie 
zum Open-Source-Topf beitragen, aus dem sich auch die Konkurrenz bedienen kann. 
Ist das schlecht oder vielleicht sogar gut, weil dann Commons-Projekte im 
Vorteil sind?

 

Es zeigt sich, dass monothematische Commons-Projekte gut darin sind, für ihre 
Domäne eine maßgeschneiderte Lösung zu finden, um sich in der Geldlogik zu 
bewegen und sich gleichzeitig ihr nicht unterzuordnen. Sobald es jedoch um 
große Projekte geht, die mehrere Bereiche umfassen, wird es extrem schwierig. 
Diese Beobachtung haben Simon Sutterlütti und ich in unserem Buch „Kapitalismus 
aufheben“ zu der These verdichtet, dass wachsende Commons, die unterschiedliche 
Bereiche integrieren, zur Planwirtschaft tendieren, während lose Netzwerke aus 
autarken Commons eher wieder eine Tauschlogik herausbilden, die ihre Perfektion 
in der Marktwirtschaft findet. Ich würde mich freuen, wenn unsere These 
widerlegt wird, und vielleicht ist Vivihouse ein Projekt, mit dem das 
beispielhaft gelingen kann.

 

Online anschauen: vivihouse.cc <http://vivihouse.cc>  

 

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