Empfehlung:
Sebastian J.F. und sein Film "The War on Drugs"
ab 12.10. im Top Kino (6, Rahlgasse 1, 01/ 208 3000)

   fra

link:
http://www.the-war-on-drugs.com/


Doris Kittler schreibt über den Film:

THE WAR ON DRUGS

Leicht hat es sich sebastian j.f. nie gemacht. Für
seinen aktuellen Dokumentarfilm The War on Drugs
(Krieg gegen Drogen) fuhr er trotz aller Warnungen in
eines der, auch für Einheimische, gefährlichsten
Gebiete Kolumbiens, um dort direkten Kontakt mit
Kokabauern zu suchen. Sein Interesse war, die
vermeintlichen VerursacherInnen allen Drogenübels als
Opfer einer drakonischen und menschenverachtenden
Politik der US-Drogenbehörde DEA aufzuzeigen.
Entstanden ist ein berührender Film über Schicksale
einzelner, die von der selbst ernannten „Weltpolizei“
seit nunmehr drei Jahrzehnten zu Sündenböcken gemacht
und deren Existenzen zerstört werden, während der
Drogenkonsum weltweit blüht und gedeiht. 

Das Thema, das sebastian j.f. in seiner neuesten
Arbeit aufgreift, ist ebenso bedeutend wie weithin
unbemerkt. Was in den 70er-Jahren als Richard Nixons
„Krieg gegen Drogen“ begann, um Marihuana, Kokain,
Heroin oder Amphetamine von ihrer Erzeugung bis hin zu
deren Konsum zu bekämpfen, ist heute zur Investition
unüberschaubarer Summen und Aktionen herangewachsen.
Um etwa Koka- und Mohnpflanzen in Kolumbien schon beim
Wachsen zu vernichten, hat man sich die makabere
Maßnahme ausgedacht, riesige Landstriche von
Flugzeugen aus mit Pflanzenvernichtungsmitteln zu
besprühen. Seit Jahren zerstört man damit auch
Sämtliches, das rundherum wächst und verletzt dabei
gleichzeitig unschuldige Zivilbevölkerung. Das einzige
Gewächs, das die Giftattacken halbwegs unbeschadet
überlebt, ist zynischerweise die Kokapflanze.
„Was mich in erster Linie interessiert hat, ist, die
Spannung zwischen dem erklärten Vorhaben hier, das
Drogenproblem in den Griff zu bekommen, versus dem
tatsächlichen Ergebnis, nämlich dem seltsamen Effekt,
dass die meisten Maßnahmen genau das Gegenteil
erreichen - das Drogenproblem verschlimmern,“
erläutert sebastian j.f. seinen Zugang. "Alle
Involvierten wissen, dass die Maßnahmen das Problem
nur verschärfen und doch machen sie so weiter als
wär's das normalste überhaupt. Das ist die klassische
Definition von Wahnsinn: denselben Vorgang immer
wieder zu wiederholen und ein anderes Ergebnis zu
erwarten..."
Diese Aussage bezieht der Regisseur ebenfalls auf den
Umstand, dass in den USA derzeit 2,2 Millionen
Menschen hinter Gittern sitzen (in keiner Demokratie
wurde je ein so hoher Prozentsatz der Bevölkerung
eingesperrt), während der Drogenhandel mit 7% (!) des
Welthandels heute stärker als je zuvor ist. Das liegt
zu einem wesentlichen Teil an der Illegalisierung,
welche die Drogen unbestritten besonders anziehend
machen; besonders für Jugendliche, für deren
Identitätsfindung das Rebellieren gegen Autoritäten
bekanntlich wichtig ist.
Wie drakonisch und wie zutiefst ungerecht und
menschenverachtend die Strafen vollzogen werden, zeigt
der Film symptomatisch anhand von Beispielen
Einzelner. 
Selbst Menschen, die niemals im Leben Drogen gedealt
oder konsumiert haben, sitzen jahrelang,
jahrzehntelang, lebenslang im Gefängnis. Die Justiz
siegt über die Wahrheit und lässt sich und ihre
Erfolgszahlen siegestrunken feiern.

Wie schafft man es als Filmteam, emotional distanziert
zu bleiben, wenn man Interviews mit Leuten führt, die
trotz ihrer Unschuld keine Chance auf Freilassung
haben? „Gar nicht,“ so der Regisseur. "Sharanda Jones
(einer der Häftlinge, Anm. d. Autorin) ist Teil meines
Lebens geworden, ich kann sie nicht aus meinen Kopf
verbannen, daher: solange ich lebe, wird mir bewusst
sein, dass sie in einer Betonzelle sitzt, aus der sie
nach menschlichem Ermessen nicht mehr lebendig
rauskommen wird."

Das europäische Publikum läuft freilich Gefahr, die
Schuld allein in den USA zu sehen und sie so von
Europa und persönlich abzuschieben. Dazu der
Regisseur: „Wir sind da nicht wirklich besser, der
einzige echte Unterschied ist da vielleicht eine sehr
verschiedene Rechtstradition, wenn es um Delinquenz
geht und wie damit umgegangen wird, wie drakonisch die
Strafen sind - siehe auch Todesstrafe in den USA.
Ansonsten nehmen wir Europäer an diesem Krieg genauso
Teil, machen dieselben Fehler etc.“.

sebastian j.f. liefert einen in mehrfacher Hinsicht
erstaunlichen Film. Man spürt nach Erleben dieser
eineinhalb Stunden fast physisch, dass man es hier
lediglich mit signifikanten Beispielen zahlloser
Menschenrechtsverletzungen zu tun hat, die global
jeden Tag passieren. Die Arbeit schafft aber auch eine
gewisse Leichtigkeit, die es schafft, einen mit
ansonsten spröden Zahlen und Fakten in ihren Bann zu
ziehen, ganz so, als wäre man Teil der Geschichte. Wo
wir politische Entscheidungsträger erleben, die sich
in Interviews eitel selbst entblößen, werden in der
nächsten Sekunde deren Ordnungsrufe und
Rechtfertigungen ad absurdum geführt, wenn
Ex-Polizisten sich für die Legalisierung von Drogen
aussprechen. The War on Drugs versucht trotz (oder
wegen) der Härte des Themas auch einen humorvollen
Umgang mit diesem dunklen Kapitel Zeitgeschichte. Etwa
so wie Odysseus, der sich über die Götter lustig
macht, um sie auf diese Weise vom Thron
herunterzuholen. Bleibt zu hoffen, dass es dem Film
gelingt und er zu mehr Gerechtigkeit verhilft.
Not to be missed!

Doris Kittler für den Augustin

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