schöne grüße rundum! tw Text: F.A.Z., 12.10.2005, Nr. 237 / Seite 48 Zur Intelligenz der deutschen Kritik Auch der scharfe Verriß ist eine Folge der Reformation: Carl Schmitt und Hugo Ball / Von Frank-Rutger Hausmann
Das ausführliche Interview, welches Joachim Schickel im Februar 1970 mit Carl Schmitt in Plettenberg über seine Bekanntschaft mit Hugo Ball führte und das am 3. März des gleichen Jahres im Norddeutschen Rundfunk Hamburg sowie im Sender Freies Berlin gesendet wurde, gipfelt in Schmitts Aussage, Ball habe eigentlich das Schönste gesagt, was er jemals an Lob und Anerkennung erfahren habe: "In der Gewissensform seiner Begabung erlebte er die Zeit." Immer wieder wurde seitdem die Frage gestellt, warum der freundschaftliche Austausch zwischen beiden nur kurz währte und mit einem enttäuschten Brief Balls vom 11. Februar 1925 abrupt endete, der zwar nicht abgeschickt, aber dreißig Jahre später von seiner Stieftochter publik gemacht wurde. Die vor zwei Jahren erschienene dreibändige Ausgabe der Werke und Briefe Balls im Göttinger Wallstein Verlag bietet die Gelegenheit, noch einmal Rückschau zu halten, denn Ball war neben Theodor Däubler und Konrad Weiß der dritte Dichter, von dem Schmitt wichtige Impulse für sein politisches Denken bezog. Das Schmitt so bewegende Urteil Balls findet sich in einer dreiundzwanzigseitigen Rezension seines Frühwerks "Politische Theologie" (1919) und erschien im Juniheft 1924 des "Hochland". Diese 1903 begründete Zeitschrift war längst das meinungsbildende Forum katholischer Kulturpolitik der Weimarer Republik geworden. Ihr Gründer und Herausgeber Carl Muth, der Schmitt gerne als Autor gewinnen wollte, hatte Ball zu dieser Sammelrezension eingeladen, die auch einige andere Werke streift. Ball, der 1920 den Weg zur katholischen Kirche zurückgefunden und 1922 in München eine Generalbeichte abgelegt hatte, zeichnete zielsicher Schmitts Kritik der deutschen Romantiker nach, die zwei dämonische irrationale Größen, die Gesellschaft und die Geschichte, in die politische Diskussion eingeführt hätten. Da die Romantiker sich nicht zwischen beiden hätten entscheiden können, hafte ihrem Denken etwas Unentschiedenes, Okkasionalistisches an. Erst Hegel habe die Gesellschaft im Staat und die Geschichte im Weltgeist aufgehoben und beide Kategorien versöhnt. Es gebe kein Recht außerhalb des Staates und keinen Staat außerhalb des Rechts, und Staat und Recht stammten von Gott. Allerdings wies Ball auch auf die fundamentale Widersprüchlichkeit Schmitts hin. Die theologische Form seines Systems sei nicht von Anfang an da, wurzele nicht in einem festgefügten Glauben, sondern entstehe aus "Konsequenzen" heraus. Schmitt verlegte seinen Sommerurlaub (19. August bis 9. September 1924) ins Tessin und logierte zunächst in Sorengo, dann auf dem Monte Bre. Dies bot Gelegenheit zu regelmäßigen Treffen mit Ball, der in Agnuzzo bei Lugano wohnte. Schmitt, Jahrgang 1888 und damit zwei Jahre jünger als Ball, hat später immer wieder auf die Ähnlichkeiten ihres Herkommens und Denkens hingewiesen. So schrieb er nach Balls plötzlichem Tod, der ihn aufrichtig erschütterte, am 15. November 1927 an Carl Muth: "Ich bleibe dabei, daß in der moralischen, intellektuellen und geistigen Sphäre, in der ein Mann als geistige Person lebt, niemand Hugo Ball existentiell so nahestand und verwandt war wie ich. Als rheinische Katholiken gleichen Typus, gleicher Bildung, in der gleichen Tiefe geschichtlichen Alters waren wir Brüder." Der wichtigste Grund seines Treffens mit Ball war die Vorbereitung der zweiten Auflage der "Politischen Romantik", deren neues Vorwort er mit seinem scharfsinnigen Rezensenten besprechen wollte. Dabei stellte er eine eigenartige Duplizität fest, denn Ball bereitete seinerseits eine zweite Auflage seines ebenfalls 1919 erschienenen Buchs "Zur Kritik der deutschen Intelligenz" vor, die bereits in Teilen gesetzt war. Vermutlich gab er Schmitt die Fahnen zu lesen, der alles versuchte, ihm die Veröffentlichung auszureden. Er bot ihm sogar an, dem Verlag Duncker & Humblot das Honorar zurückzuzahlen und für die Satzkosten aufzukommen. Ball lehnte ab, im Spätherbst erschien die Neuauflage, war aber nicht als solche gekennzeichnet und trug den Titel "Die Folgen der Reformation". Schmitt gab für seinen ablehnenden Rat im eingangs zitierten Interview mehrere Gründe an, allen voran seine freundschaftlichen Gefühle. Das 1917/18 entstandene Buch, das zum Ziel habe, "dieses lutherische, preußisch-deutsche, philosophisch idealistisch gesteuerte, militaristische Deutsche Reich" zum alleinigen Kriegsschuldigen zu deklarieren, sei bereits bei seinem Erscheinen obsolet gewesen. Preußen-Deutschland sei längst besiegt gewesen, und der deutsche Katholizismus habe durch die Zentrumspartei Teilhabe an der politischen Macht gewonnen. Im Nachwort lese man zudem, völlig unmotiviert, nicht nur der Protestantismus, wie ihn Luther, Hegel und Bismarck verkörperten, sei eine Irrlehre, sondern auch der Katholizismus, und der Papst trage am Ersten Weltkrieg nicht weniger Verantwortung als die Mittelmächte. In der Neuauflage sei dieser Schluß sang- und klanglos fortgelassen worden, das Buch auch sonst verstümmelt, weshalb Balls Frau Emmy Hennings ihren Mann nicht minder eindringlich beschworen habe, es nicht erscheinen zu lassen, als er selber. Wenn Ball ihm später vorgeworfen habe, er habe den inneren Zusammenhang mit seiner Konversion nicht gesehen, habe nicht verstanden, daß er dieses alte Buch mit seiner neuen Haltung habe in Einklang bringen müssen, so nahm Schmitt ihm seine Konversion nicht wirklich ab. Ball sei nicht nur einmal Konvertit gewesen, sein Leben habe aus lauter Konversionen und Rekonversionen bestanden. Erst kriegsbegeistert, sei er zum Pazifisten mutiert und in die Schweiz geflohen, habe Dada mitbegründet, sei dann jedoch wieder weggelaufen. Er sei ein Refraktär, ein Deserteur, der immer wieder alles stehen und liegen lasse. Im "Glossarium" wird Schmitt am 16. Juni 1948 von seiner eigenen katholischen Verschärfung "gegen die Neutralisierer, die ästhetischen Schlaraffen, gegen Fruchtabtreiber, Leichenverbrenner und Pazifisten" sprechen, einer Verschärfung, in der sich keiner von denen, die sich als überzeugte Katholiken bezeichnet hätten, mit ihm messen könne, "selbst Hugo Ball" nicht. Das sind jedoch alles nachgeschobene Erklärungen, denn an Balls Aufrichtigkeit waren nach der Rückkehr zur Römischen Kirche keinerlei Zweifel angebracht. Wenn man beachtet, daß der gerade sechsunddreißigjährige Schmitt nach einem kurzen Greifswalder Intermezzo gerade mal zwei Jahre als Ordinarius in Bonn amtierte, dann kommt man auf den Gedanken, es hätten ihn im Vorfeld der neuen Version von "Zur Kritik der deutschen Intelligenz" womöglich andere Bedenken geleitet. Das Buch, das 1919 wegen mangelnder Aktualität nur wenig Aufmerksamkeit erregt hatte, mußte den umstrittenen Schriftsteller wieder ins Blickfeld rücken und das schöne Lob im "Hochland" nachträglich vergiften. Ein aufstrebender Staatsrechtler wie Schmitt, der dabei war, sich als Befürworter "ordnungschaffender Entscheidungen" zu profilieren und die Diktatur des Reichspräsidenten gegen die Macht des Parlaments zu befürworten, konnte kein Interesse daran haben, von einem Ball gelobt zu werden, der im Umfeld des Versailler Vertrags die französische Demokratie verherrlicht und von der deutschen Intelligenz die Absage an die Geschichte und die Kapitulation vor der Entente gefordert hatte. Wenn Ball zudem immer noch Thomas Müntzer und die Bauernkriege über Luther, Franz von Baader über Hegel und Bakunin und Wilhelm Weitling über Marx stellte, konnte Schmitt nur den Kopf schütteln. Hier kam nun sein Schüler Waldemar Gurian ins Spiel. Obwohl Schmitt am 7. Dezember 1924 noch einzelne Stellen der "Folgen der Reformation" lobte, deutete sich bereits Unheil an: "Ein junger Russe, Dr. Gurian, schreibt ausführlich darüber, ich schicke Ihnen den Aufsatz zu." Die hier angekündigte Kritik erschien am 30. Januar 1925 in der Sonntagsbeilage der "Augsburger Postzeitung". Gurian, 1902 in Sankt Petersburg als Sohn jüdischer Eltern geboren, war noch vor Kriegsausbruch mit seiner Mutter und seinen Schwestern nach Berlin gekommen und wie die Mutter zum katholischen Glauben übergetreten. Mit dreiundzwanzig Jahren promovierte er bei Max Scheler und wurde Redakteur bei der "Kölnischen Volkszeitung", einem einflußreichen Zentrumsblatt. Er hörte auch bei Schmitt in Bonn, und obgleich er im Katholizismus seinen Lebensmittelpunkt fand, sind seine zahlreichen Rezensionen durchaus sachbezogen. Allerdings wird die Ball-Besprechung von scharfen moralischen Vorwürfen umrahmt. Der Autor habe gegen Kriegsende voll blindem Haß auf Deutschland an dem Zürcher Emigrantenblatt "Freie Zeitung" mitgearbeitet, das man als Organ bezahlter Verräter bezeichnen müsse. Mit seiner unausgegorenen Distanznahme von der "Kritik der deutschen Intelligenz" habe er verantwortungslos gehandelt und dem Protestantismus in die Hände gespielt. Ball hat Schmitt in dem nicht abgesandten Brief vom 11. Februar 1925 unterstellt, Gurian habe in seinem Auftrag geschrieben. Seine Rezension könne keinerlei Anspruch auf Selbständigkeit erheben und enthalte Fakten und Meinungen, die auf ihrer beider Gespräche in Lugano zurückgingen. Das trifft wohl zu, denn auch Gurian moniert, daß die Teile über das Papsttum und den Katholizismus gestrichen wurden und Ball ganz unsystematisch nur einzelne Aussprüche und Sätze glossiere. Durch seine ungenügend fundierten Angriffe werde er zum besten Apologeten seiner Gegner. Ob Schmitt diese Rezension arrangiert hat, läßt sich allerdings nicht mehr feststellen. Sicherlich hat er davon gewußt, und sicherlich war sie in seinem Sinn. Nach Balls Tod warnte Carl Muth Schmitt brieflich vor Gurian, der mit den "angeblichen Urteilen und Verhaltungsweisen" seines Lehrers" hausieren" gehe. Er berufe sich "in einer so auffällig nachdrücklichen Weise" auf ihn, daß er sich ernstlich frage, ob Schmitt wirklich Freude daran empfinden könne, "für das Tun des Herrn Dr. Gurian als Autorität und Kronzeuge herhalten zu müssen". Schmitts Antwort vom 15. November 1927, die bisher meist im Entwurf zitiert wurde, belegt sein schlechtes Gewissen: "Wegen Herrn Dr. Gurian möchte ich nicht viel schreiben. Es scheint sein Schicksal zu sein, zu trüben und zu verwirren. Ich habe viel Mitleid mit ihm; seine journalistische Intelligenz ist groß; Sie wissen, daß ich ihm gern helfen möchte, weil es ihm schlecht geht. Er macht es einem aber sehr schwer. Seitdem ich fürchten muß, daß er dazu beigetragen hat, daß Hugo Ball mich so schrecklich mißverstand, suche ich die persönlichen Beziehungen mit Gurian zu meiden, wobei ich glaube, daß weniger das, was er sagt und an Zwischenträgereien macht, als seine Art Sein diese Verwirrungen und irritierenden Mißverständnisse hervorruft." Spätestens 1934, als Gurian in der katholischen Emigrantenzeitschrift "Deutsche Briefe" Schmitt als "Kronjuristen des III. Reiches" tituliert hatte, wurde er für den Gescholtenen zur Unperson, die sich gut als Sündenbock eignete. Für Schmitt, dem die Nachwelt Glauben schenkte, trug Gurian hinfort die alleinige Schuld an Balls Empörung, und so konnte Schmitt sich noch 1965 Armin Mohler gegenüber auf eine angeblich ungetrübte Freundschaft berufen und schreiben, Hugo Balls Hochland-Rezension vom Juni 1924 behalte mehr Gewicht als das Geschrei aller seiner Verfolger. -- Tobias Wimbauer / Wimbauer Buchversand Waldhof Tiefendorf Tiefendorfer Str. 66 58093 Hagen-Berchum http://www.waldgaenger.de/tiefendorf.JPG unsere Angebote (Amazon und Booklooker) finden Sie hier: http://www.waldgaenger.de/wimbauerbuchversand.html einen Büchergruß an TW senden: http://www.amazon.de/exec/obidos/registry/IBSBOT1B05VN/ref=wl_em_to _______________________________________________________________ SMS schreiben mit WEB.DE FreeMail - einfach, schnell und kostenguenstig. 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