Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Oktober 2005

Frankfurter Buchmesse
Einen Knoten aus dem Wind der Worte knüpfen
Von Nils Minkmar und Eberhard Rathgeb

(...)

Zu alt für Fiktionen

Die reiferen Männer dagegen berichten Inselanekdoten aus der Weltliteratur: 
Eines Tages, erzählt der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom an einem 
der ersten Messeabende, sei er Ernst Jünger im Prado in Madrid begegnet. Jünger 
sei damals 101 Jahre alt gewesen. Er, Nooteboom, sei auf den berühmten Kollegen 
zugeschritten und habe angehoben: Darf ich Sie ansprechen, Herr Jünger. Jünger 
habe mit einem schnarrenden „Jawolll!” geantwortet. Das Ende des Gesprächs sei 
gewesen, daß er, Nooteboom, seinen Verlag bat, Jünger sein Buch über Spanien zu 
schicken.

Nun habe aber der Verlag aus unerfindlichen Gründen nicht dieses, sondern sein 
letztes Buch geschickt, das ein Roman sei. Jünger habe ihm, Nooteboom, darauf 
einen Dankesbrief geschickt und darin mitgeteilt: Er, Jünger, sei zu alt für 
Fiktionen. Zu alt für Fiktionen! Der Buchmarkt hat auf diese Anekdote noch 
nicht reagiert. Fand nicht der koreanische Dichter Ko Un, der Jahre seines 
Lebens in einem buddhistischen Kloster verbracht hat, in seinem Gedicht „Sterne 
über dem Land der Väter” folgenden Vers: „O ihr Menschen alle auf der Erde, 
seid jung!” Während der Messe konnte man immer wieder koreanischen Dichtern bei 
einem solchen Erahnen des Elementaren einer Existentialökologie zuhören.

Heiner Müller als Jünger-Leser

Die Geschichte von Nooteboom und Jünger wurde an einem der nächsten Abende auch 
dem Schriftsteller Reinhard Jirgl erzählt, der beim Jüngerschen „Jawolll!” 
herzhaft zu lachen anfing. Darauf erzählte er, daß ihm in den achtziger Jahren 
der verstorbene Dramatiker Heiner Müller das Buch „Der Waldgang” von Jünger 
ausgeliehen habe, in dem der „Anarch” auftritt, eine Figur, die Jirgl in der 
DDR-Diktatur sofort mochte (eben: „Unter den Menschen ist eine Insel”). Müller 
hatte von seinen Reisen in den Westen Jünger in den Osten mitgehen lassen. Der 
Autor der „Stahlgewitter” gehörte in der DDR ja nicht zu den gerngesehenen 
Klassikern. Durch den „Waldgang”, also durch Müller, sei er, Jirgl, zu einem 
Jünger-Leser geworden.

Jünger gehöre zu den Schriftstellern, die er in seinem Alter - Jirgl wurde 1953 
in Berlin geboren - immer wieder lese, sagte Jirgl, trank sein Bier aus und 
resümierte: Jünger sei ein noch im hohen Alter jugendlicher Mensch („O ihr 
Menschen . . . seid jung!”). Er kam in seiner Jünger-Exegese aber nicht weiter, 
weil sich ein anderer wichtiger Mensch des Verlagslebens neben ihn setzte und 
ihn in ein Gespräch zog. Jirgl konnte nur noch raunen, daß er die Buchmesse 
wegen solcher Gesprächsunterbrechungen nicht möge. Kaum sei man in ein 
interessantes Gespräch verwickelt, werde man aus diesem herausgerissen. Wir 
nickten mit Ko Un: „Indem man sich versammelt, wird der Gedanke geboren. / Wir 
treffen uns, / da entsteht er zwischen dir und mir. / Der Gedanke ist eine 
andere Tat.”


schöne grüße rundum, tw
-- 
Tobias Wimbauer / Wimbauer Buchversand
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Tiefendorfer Str. 66
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