16. Januar 2006, Neue Zürcher Zeitung Biochemischer Schub für den gesellschaftlichen Aufbruch
Aufklärung oder Erleuchtung? - Rückschau zum 100. Geburtstag des LSD-Entdeckers Albert Hofmann Am internationalen Basler Symposium zu Ehren des LSD-Entdeckers Albert Hofmann waren Bewusstseinsforschung, Ethno-Botanik, Esoterik, Drogenpolitik einst und heute ebenso Thema wie die Rolle psychoaktiver Substanzen für Sub- und Gegenkulturen der sechziger Jahre. He. Gegen 80 Vortragende aus vielen Disziplinen und Ländern hatte die Gaia-Media-Stiftung zu dem dreitägigen Riesen-Event ins Kongresszentrum Basel geladen. Der Andrang zu Podien, Seminaren und Präsentationen in vier Sälen und im Foyer war mächtig. Outfit und Gehaben vieler Teilnehmer standen für eine Welt in der Welt, wie sie aus dem alltäglichen Strassenbild längst verschwunden ist: bunte, individuell gefertigte Gewänder, teilweise ergraute Rastafrisuren, bedächtig durch die Hallen schreitende Herren mit ausgedünntem langem Haar. Neben den Nostalgikern aller Länder, die Wiedererkennungs-Szenen zelebrierten, war auch die Jugend gut vertreten. Kinder fühlten sich sichtbar wohl unter dem farbenfrohen Volk, da und dort wurde auf dem Boden ein Baby gewickelt. Rauchverbot war ein Fremdwort, Hanf- und andere Düfte unterstützten die Wirkung der psychedelischen Videos im Foyer. Eine Fülle von Literatur zwischen Wissenschaft und Esoterik sowie Informationsstände zur Aufklärung über Drogen (www.know-drugs.ch; www.alice-projects.de) luden ein zur Auseinandersetzung mit traditionellen und neuen, mit illegalen und legalen psychoaktiven Substanzen. Fachleute und «Erfahrene» im Austausch Mit Grussbotschaften begann der Marathon, Bundespräsident Leuenberger hatte die seine schriftlich an den hundertjährigen Albert Hofmann gerichtet und ihm für seinen Beitrag dazu gedankt, dass künstlerische, philosophische und religiöse Fragen in der Wissenschafts-Diskussion lebendig bleiben. Rudolf Bauer, Pharmazeutik- Professor in Graz und Präsident der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung, Jochen Gartz, in der DDR ausgebildeter Chemiker und Erforscher psilocybinhaltiger Pilze in Südamerika wie in Europa, der Astrologe Reynold Nicole - alle gratulierten mit Beiträgen aus ihrem Fach. Der gutgelaunte Jubilar wurde von Lucius Wertmüller, dem Leiter der veranstaltenden Stiftung, im Gespräch vorgestellt. Der Verleger Thomas Klett - sein Haus hat früh Werke von Stanislav Gof, Rudolf Gelpke oder Ernst Jünger zum Thema Rausch publiziert - beleuchtete die Freundschaft von Hofmann und Jünger, die zusammen 1970 im Selbstversuch LSD einnahmen und diese «Symposien» dokumentierten. Gottfried Benn wurde zitiert: «Potente Hirne stärken sich nicht durch Milch, sondern durch Alkaloide.» Als Ernst Jünger viel später, mit 76 Jahren, wegen Experimentierens mit LSD und Mescalin mit der Staatsanwalt zu tun hat, erwirkt ein Gutachten Hofmanns die Einstellung des Verfahrens. Die Dekade, die alle andern überstrahlt Hatte Hofmann die Substanz bereits 1938 isoliert und ihre Wirkung 1943 entdeckt, so kam LSD in den sechziger Jahren in der alternativen Szene in Mode. Zeitzeugen erinnerten an die «Dekade, die allen andern die Schau gestohlen hat», wie es Tom Robins einmal ausdrückte, der die Meinung vertrat, ohne das «psychedelische Sakrament» hätte der Aufbruch nicht stattgefunden. Der Hamburger Sozialwissenschafter und Drogenfachmann Günter Amendt warnte davor, den damaligen «kollektiven Bewusstseinszustand» der Jugend auf die Wirkung einer chemischen Substanz zurückzuführen, und bestand auf der Vielzahl der Impulse zum Widerstand gegen eine verkrustete Nachkriegsgesellschaft. Wie andere erinnerte er daran, dass es auch jene gab, denen im Trip kein Licht aufging. Aufklärung und Erleuchtung, das Intellektuelle und das Spirituelle, hätten sich gefunden im Staunen über die Welt. Wir seien heute emotional unterentwickelt und rational überzüchtet, klagte Rick Doblin, Präsident des multidisziplinären Verbandes für psychedelische Studien (Maps) in Florida, der eine bei Timothy Leary verfasste Diplomarbeit über mystisches Erleben am Karfreitag recherchierte. Das Verbot von LSD schreibt er nicht Learys Experimenten mit Studenten zu, sondern der Angst der US-Behörden vor einer Substanz, die - in der Zeit des Vietnamkrieges - die Menschen friedlich und einfühlsam machte. Der Pharmakologe Felix Hasler (s. Kasten) wies Mystisches in Verbindung mit halluzinogenen Substanzen zurück. Er erinnerte daran, dass weltweit bei Zehntausenden von Patienten in den fünfziger und sechziger Jahren Psychotherapie erfolgreich mit LSD unterstützt wurde. In den Niederlanden waren darunter auch traumatisierte KZ-Überlebende. In der Schweiz praktizierte die Ärztegesellschaft für psycholytische Therapie diese Methode. Deren Mitbegründer, der Psychiater Juraj Styk, war 1968 aus der Tschechoslowakei in die Schweiz geflohen. Er berichtete, wie er und weitere Ärzte, etwa Stanislav Gof, im sozialistischen Land von 1963 bis 1968 LSD, bezogen bei der Sandoz-Vertretung in Prag, im klinischen Versuch einsetzten. Künstler, Musiker, Schauspieler nahmen an den Experimenten teil, die Wachstum der Persönlichkeit und Expressivität förderten. Zwischen Politik und Spiritualität Eine Männerrunde - charakteristisch für jene Zeit - zeichnete die eigene Existenz und Befindlichkeit im Stichjahr 1966 nach. Urban Gwerder, Zürcher Poet und Ein-Mann-Produzent der Zeitschrift «Hotscha!» - damals europaweit die beste Untergrundpublikation, wie ihm attestiert wurde -, war gerade 22 Jahre alt und lebte wie viele damals vom Postsack-Verladen. Ronald Steckel, heute Komponist und Regisseur in Berlin, war dem dumpfen Nachkriegsdeutschland nach London, diesem Mekka der amerikanischen Kriegsdienstverweigerer, entflohen. Bernd Brummbär, heute Künstler in Kalifornien, hatte sich der Bundeswehr entzogen und war ebenfalls in London gelandet, wo er sich als Pflastermaler über Wasser hielt und später als Zen-Mönch durch die Welt zog. Alle waren sich einig, dass früher Nischen zum Überleben leichter zu finden waren als heute. Auch Werner Pieper, seit 35 Jahren Verleger in Heidelberg und Übersetzer amerikanischer Autoren in der «Edition Rauschkunde», landete 1967 in London, wo er mit 18 Jahren LSD kennen und mit ihm dealen lernte. Bereits 36 Jahre alt war damals Sergius Golowin, der in Burgdorf aufgewachsene Geschichten- Sammler und -Erzähler. Er erlebte die sechziger Jahre in Paris. Der Amsterdamer Poet Simon Vinkenoog, Weltbürger in der Selbstdefinition, hatte als Kind die deutsche Okkupation erlebt und nahm später an einer klinischen Studie mit LSD teil. Mitte der sechziger Jahre erlebte er in London, wie amerikanische Dienstverweigerer ihren Pass zerrissen. Viele Jugendliche aus Europa gingen auf Distanz zu ihren Heimatländern, da diese ihre Mitschuld am Krieg von sich wiesen. Antiautoritäre Impulse kamen aus den USA: die Civil-Rights- und die Flower-Power-Bewegung. Die Konfliktlinie zwischen «Polit-Freaks» und «Drogen-Freaks», die die Jugendkulturen durchzog, kam auch zur Sprache. 1969 sei es in Berlin nicht um Bewusstseinserweiterung gegangen, sondern um die Bewaffnung der Bewegung, die in die Rote-Armee-Fraktion mündete. Andreas Bader habe LSD eingesetzt, «um das Gewissen der Leute zu knacken». Der Mythos sechziger Jahre erfuhr hier eine scharfe Korrektur. Rehabilitation des Psychovitamins? Im Foyer wurde der LSD-Entdecker auch mit einer Fotoausstellung gewürdigt. Auszüge seiner Korrespondenz lagen aus: mit dem Schriftsteller Aldous Huxley oder dem in Amerika lehrenden Orientalisten Rudolf Gelpke, der ebenfalls Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen sammelte, was sich im Buch «Rausch in Orient und Okzident» niederschlug. Nachzulesen sind auch Schreiben an und über den amerikanischen Psychologen Timothy Leary, dessen Experimente mit LSD sich zu immer umfangreicheren Drogen- Parties geweitet hatten, was ihn seinen Lehrstuhl und die Substanz ihre Legalität kosten sollte. Albert Hofmann, der überzeugt ist, dass ein guter Naturwissenschafter zum Mystiker wird, sagte am Basler Kongress, er möchte es noch erleben, dass LSD seinen Platz in der Gesellschaft findet. Zumindest für Forschungszwecke sollte die therapeutische Substanz wieder zugelassen werden. Gesuche sind bei den Gesundheitsbehörden verschiedener Länder - auch in den USA und der Schweiz - hängig. Doch sieht Hofmann als Kenner der Ethno-Botanik ein kulturelles Problem: LSD sei ein Geschenk der Pflanzenwelt an die Menschheit, ein «Psychovitamin», doch fehlten in der westlichen Welt die sakralen Räume, in denen die Substanz unter der Kontrolle von Heilerinnen und Heilern eingenommen wird. Kasten: Die Wirkung von LSD im Gehirn Die Wirkung von LSD im Gehirn kus. Alle Halluzinogene - also auch das LSD - wirken laut dem Pharmazeuten Felix Hasler von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, der auf diesem Gebiet forscht, in erster Linie auf sogenannte Serotonin-Rezeptoren im Gehirn. Insgesamt sind fünfzehn verschiedene Rezeptoren für Serotonin, einen der wichtigsten Nervenbotenstoffe im Gehirn, bekannt. Man geht jedoch davon aus, dass für die halluzinogene Wirkung von Substanzen die Aktivierung des sogenannten Serotonin-2A-Rezeptors essenziell ist. LSD binde sich daneben aber noch an weitere Serotonin-Rezeptoren und auch an solche für Dopamin, einen weiteren Nervenbotenstoff, erklärt Hasler. Das Serotonin- und das Dopaminsystem sind laut dem Forscher auch an der Feinregulierung bestimmter Regelkreise, der sogenannten CSTC-Loops, beteiligt. Diese verbinden verschiedene Hirnbereiche - frontalen Kortex (Stirnhirn), Striatum und Thalamus - miteinander und dienen dem Sammeln, der Weiterleitung und Verarbeitung von internen und externen Informationen. Die Störung des Botenstoffhaushalts durch halluzinogene Substanzen lasse die CSTC- Loops entgleisen und führe hierüber zur Überflutung des Stirnhirns mit einem weiteren hirneigenen Botenstoff, dem Glutamat, erläutert Hasler. Der Thalamus, das «Tor zur Wahrnehmung», sei auch für die Filterung von Informationen zuständig. Seine Störung, so nehme man an, führe zu einer ungefilterten Flut von Wahrnehmungen aus allen Sinnesbereichen und trage wesentlich zur Wirkung von Halluzinogenen bei. Die Substanzen lösten also quasi eine Informationsverarbeitungs-Störung aus und führten so zur verzerrten Wahrnehmung. -- Tobias Wimbauer / Wimbauer Buchversand Waldhof Tiefendorf Tiefendorfer Str. 66 58093 Hagen-Berchum http://www.waldgaenger.de/tiefendorf.JPG unsere Angebote (Amazon und Booklooker) finden Sie hier: http://www.waldgaenger.de/wimbauerbuchversand.html einen Büchergruß an TW senden: http://www.amazon.de/exec/obidos/registry/IBSBOT1B05VN/ref=wl_em_to _______________________________________________________________ SMS schreiben mit WEB.DE FreeMail - einfach, schnell und kostenguenstig. Jetzt gleich testen! http://f.web.de/?mc=021192 _______________________________________________ Juenger-list mailing list Juenger-list@juenger.org http://www.pairlist.net/mailman/listinfo/juenger-list