S. 16 KULTUR
 
 Wüte keiner gegen den Bürger!
 Jüngers Lektüren, neunter Teil der JF-Serie: Jacob Burckhardt kann ein Führer 
sein auf dem Weg zurück zur Religion
 Wolfgang Saur 

Besuchern, die staunten ob der Interessenfülle und Universalität seiner 
Kenntnisse, antwortete der alte Ernst Jünger gern mit der Metapher vom 
„Palast“. Trage man sein Leben lang täglich einen Ziegel herbei, studiere und 
meditiere man also kontinuierlich, könne man schließlich einen Palast bewohnen. 
Die konstruktive Arbeit des Geistes im Architekturbild kehrt wieder 1981, in 
Jüngers Dank für den Preis der Humboldt-Gesellschaft, diesmal jedoch Gleichnis 
des kulturellen Erbes als einer objektiven Größe: Die moderne Welt droht 
allenthalben auseinanderzufallen. Deshalb danken wir den Genies ihren Elan zur 
Synthese. Gewaltige Beiträge lieferten die Brüder Humboldt und Goethe, die mit 
ihrer „kosmischen Schau“ den Bau Europas bereichert haben. Jünger freilich 
bewegte sich nicht bloß spielend in diesen „Sälen“, sondern logierte auch gern 
in den ihm werten „Seitenkapellen“. Als eine solche erwähnt er hier 
ausdrücklich Jacob Burckhardt. 

Folgt man den Spuren Burckhardts in Jüngers Leben und Denken, ergibt sich eine 
Linie – direkte Zeichen und ferne Wirkung – aus den 1930er Jahren bis ins hohe 
Alter. Doch nicht beiläufig bleibt das Geistergespräch über ästhetische und 
politische Fragen. Deutlich markiert die Gestalt des Weisen Jüngers Abkehr von 
seiner politischen Periode, die Neuorientierung: vom unbekannten Soldaten, dann 
dem „Arbeiter“, hin zum „Waldgänger“ und Anarchen als der ihm nun gemäßen 
mythischen Figur. Burckhardt chiffriert hier gleichermaßen den 
individualistischen Identitätswandel wie auch den universalen Impuls des 
Geistes, den Jünger in den folgenden Jahrzehnten seines biblischen Daseins 
aufgreifend ein Gutteil erfüllt hat. 

Ein Bezug zum geistigen Basel durch die innere Emigration 

Jacob Burckhardt (1818–1897) kann uns im Rückblick heute als Summe 
alteuropäischer Existenz gelten. Der Schweizer aus Basler Patrizier- und 
Pastorengeschlecht studierte bei Droysen, Kugler, Boeckh, vor allem aber bei 
Ranke, habilitierte sich 1843 in seiner Heimatstadt, wo er zunächst 
journalistisch und lehrend tätig wurde. Das literarische Debüt kam 1852 mit der 
„Zeit Konstantins des Gr.“, zwei Jahre darauf folgte der „Cicerone“, ein 
Handbuch der Kunstschätze Italiens, sein großer Erfolg, dessen klassische 
Haltung säkular wirkte. 1858 bezog er den geschichtlichen Lehrstuhl Basels, um 
seit 1883 auch Kunstgeschichte dort zu lehren. Trotz ehrenvoller 
Auslandsberufungen blieb er seiner ehrwürdigen Alma Mater treu, erschien ihm 
die alte Stadtrepublik doch als humanistische Enklave einer rasant 
modernisierten Umwelt. 

Die großen Tendenzen im Zeitalter der Massen – Politik, Meinungskampf, Verkehr 
und Kommerz – nahmen den Menschen in Arbeit, zerbröselten die altbürgerlichen 
Werte und Bildungsideale. Aus dieser Perspektive entwickelte Burckhardt seine 
universalhistorische Anschauung, zwischen den Polen von Politik und Kunst. 
Realistisch, ja kaltblütig analysierte er die Ereignisse, sah der Gegenwart ins 
Auge und belauerte die demokratische Pandorenbüchse, die Europa die permanente 
Revolution bescherte. Seine Stellung, teils behaglich, teils asketisch, stets 
diskret, ließ ihn zum Zeitkritiker werden, zum hellsichtigen Propheten gar, was 
freilich erst die Nachwelt faßte durch die postum edierten Briefwechsel und 
legendären „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ (1905). 

Prominent zu Lebzeiten wurde indes seine „Kultur der Renaissance in Italien“ 
(1860): als großes Modell integraler Kulturgeschichte, alternativ zur 
Polit-historie. Burckhardt lebte – sieht man vom unentwegt Kunstreisenden ab – 
ganz seinen Studenten und der Baseler Bürgerschaft. Überzeugt vom Geist Europas 
und dem Wert der Tradition, verlieh er der Basler Uni gar metaphysischen Rang. 
Als heimlichem Platoniker galt ihm die ideale Sphäre von Kunst und Wissenschaft 
der Zeit entrückt. So lebte er, ein luzider Pessimist, „rückwärts gewandt zur 
Rettung der Bildung früherer Zeiten, vorwärts gewandt zu heiterer und 
unverdrossener Vertretung des Geistes in einer Zeit, die sonst gänzlich dem 
Stoffe anheimfallen könnte“. 

Burckhardts kontemplative Existenz und exklusiver Individualismus konnten Ernst 
Jünger in den zwanziger Jahren kaum interessieren. Fronterlebnis, 
Weltanschauungskampf und kollektivistische Mythen im Zeichen des 
„faschistischen Stils“ führten von den Kriegsschriften zur technokratischen 
Utopie des „Arbeiters“ 1932 mit seinem bolschewistischen Fluch über die 
bürgerliche Welt. 

Einen Bezug zum geistigen Basel brachte erst die innere Emigration nach 1933 
und eine Entwicklung, die zur kulturkritischen „Perfektion der Technik“ (1946) 
des Bruders Friedrich-Georg führt. Hatte der „Arbeiter“ verkündet, man müsse 
sich der totalen Mobilmachung unterwerfen oder untergehen, rehabilitiert nun 
Jünger in den „Strahlungen“ das Widerstandsmotiv: „Der Mensch als Techniker, 
als geistig-abstraktes Wesen ist notwendig der Feind und Ausbeuter des Natur- 
und Kulturmenschen. Der Mensch muß sich also gegen sich selbst sichern.“ 

Inmitten düsterer Reflexionen zum modernen Kannibalismus signalisiert 
Burckhardt unterm Stichwort „Schnellfäulnis“ die Gefahr rapiden moralischen 
Zerfalls. Dessen Wertschätzung als Diagnostiker der Moderne hält sich bei 
Jünger angesichts einer Gegenwart, die die schlimmsten Befürchtungen des Basler 
Unzeitgemäßen erfüllt – mal exklusiv notiert, mal in Kompanie mit den 
Unsterblichen, jenen „Auguren der Malstromtiefen, in die wir abgesunken sind“: 
Poe, Melville, Hölderlin, Tocqueville, Rimbaud, Conrad, Kierkegaard und Bloy. 

Nietzsche, ein Spezialfall, ist selbst Symptom der Krise. So findet Jüngers 
Entwicklung auch statt im Zeichen der vielschichtigen Spannung von Burckhardt 
und Nietzsche, ihrer Nähe wie Abstoßung. Das „Erste Pariser Tagebuch“ verwirft 
dessen brutalisierende Umdeutung Burckhardts zum zynischen Renaissance-Kult und 
revidiert so eigene Positionen, deren Nihilismus nicht zuletzt Nietzsche 
geschuldet war. Nachdenklich fragt Jünger, was es wohl sei, daß „reine Schau in 
Willen, in leidenschaftliche Aktion“ umschlage. Stoische Ethik und 
„brahmanische Lauterkeit“, die Schopenhauer Burckhardt vererbt hat, erscheinen 
nun als neue Regulative. 

Zum mythischen Umriß des neuen Weltbilds gesteigert, erscheint Burckhardt 
anonym im „geschichtsphilosophischen Credo Jüngers“ (Meyer), in der zweiten 
Fassung von „Das Abenteuerliche Herz“ (1938). Unterm Stichwort „Ergänzung“ 
schließt die „Historia in nuce“ sich dem deutschen Idealismus an. Konflikt und 
Polarisierung, politischer Aktionismus werden abgelöst durch die geistige Schau 
einer unendlichen Integration, des zum Ursprung strebenden Weltprozesses: die 
Wirklichkeit ein Wahrheitsgeschehen und wir seine Momente. Als Erkennende 
schreiten wir so, einem Spiralgang gleich, ins Weite. „Besonders schön tritt 
das in der Erscheinung des großen Historikers hervor: unsere Geschichte, die 
eine Geschichte der Parteiungen ist, wird durch ein göttliches Auge ergänzt. 
Architektonisch gesprochen zeichnet der Historiker in den babylonischen Plan 
unserer Anstrengungen die Bögen ein, deren Wahrnehmung sich den handelnden 
Mächten, die den tragenden Pfeilern gleichen, notwendig entzieht.“ 

Erlösende Kraft kommt also nicht vom Täter, vielmehr durch Dichter und Denker, 
die das zersprengte Leben transzendierend aufheben in seine geistige Gestalt. 
Dieser „dynamische Platonismus“, der die Phänomene als Zeichen einer höheren 
Einheit nimmt, erhellt im Widerstreit der Welt die innere Harmonie. Hinter der 
Mannigfaltigkeit der Erscheinungen stehen zeitlose Figuren, ein „kosmischer 
Bestand an Ewigkeiten“. 

Jüngers Relationen zu Burckhardt gründen sich auf vier Seiten von dessen 
Produktivität: die Kenntnis der „Renaissancekultur“, der „Weltgeschichtlichen 
Betrachtungen“, der griechischen Kulturgeschichte und der Briefe. Neben der 
philosophisch-humanistischen Grundhaltung bleibt Burckhardt wichtig: als 
Zeitdiagnostiker, als bewußter Europäer, als Kunstkritiker. 

Burckhardts europäische Identität schließt hart ab gegen den Orient, ästhetisch 
und politisch. Beide Momente motivieren seine Geringschätzung der Türkei und 
des Islam überhaupt, die Jünger vielfach beschäftigten. 

Ästhetisch ist Jünger beim klassizistischen Vorurteil nicht stehengeblieben. Er 
ist Burckhardts Entwicklung auch auf den diskreten Pfaden der privaten Äußerung 
gefolgt und hat dessen Altersenthusiasmus für den Barock adaptiert. Stil als 
dynamische Ausdruckssprache erscheint hier als Analogon eigener 
Naturbeobachtung; Natürliches und Künstliches vernetzt sich in kosmologischer 
Schau („Siebzig verweht II“, 13. Mai 1977). 

So erwies sich, je länger je mehr, Burckhardt als Mann für wechselnde 
Lebenslagen, ja für alle Zeit – wie ein Ariadnefaden der Freiheit durch 
Monotonie und Bedrängnis. Im Gegensatz zum herumwildernden Outcast Nietzsche 
hat Burckhardt in Basel beharrlich als Pädagoge amtiert und seine humanistische 
Freiheit diskret gewahrt. Wie seine Existenzformel lauten daher die Worte 
Laotses, auf die Jünger 1988 stieß: „Der vollkommene Mensch paßt sich dem 
Gehabe der Gesellschaft an, ohne sein Selbst zu verlieren.“ – „Also ein 
Anarch“, notierte der Meister aus Wilflingen unter dem 21. Januar 1988 in 
„Siebzig verweht IV“. 

Die Idee der Tradition gefaßt, die der Übertradition geahnt 

„Wir müssen“, so heißt es in „Jahre der Okkupation“ am 1. Mai 1945, „den Weg, 
den Comte vorgezeichnet hat, zurückfinden, von der Wissenschaft über die 
Metaphysik zur Religion.“ 

So ist es. Jünger selbst hat ihn gebahnt. Burckhardt vermag diese Perspektive 
nicht voll auszuschöpfen, doch kann er ein Führer des Weges sein. Als 
Historiker con amore hat er nicht nur die Fakten traktiert, sondern Leben als 
Überlieferungsgeschehen erkannt. 

Das historische Bewußtsein wird so zur Instanz der Traditionsbildung, ja mehr 
noch: „Diese Kontinuität ist aber ein wesentliches Interesse unseres 
Menschendaseins und ein metaphysischer Beweis (...) seiner Dauer.“ Was für „ein 
wunderbares Schauspiel“ ist es also, „dem Geist der Menschheit erkennend 
nachzugehen, der über all diesen Erscheinungen schwebend und doch mit allen 
verflochten, sich eine neue Wohnung baut. Wer hievon eine Ahnung hätte, würde 
des Glückes und Unglückes völlig vergessen und in lauter Sehnsucht nach dieser 
Erkenntnis dahinleben.“ 

Wüte keiner gegen den Bürger! Der Bürger Jacob Burckhardt hat zu Zeiten von 
Positivismus und Materialismus die Idee der Tradition gefaßt und die der 
Übertradition tief geahnt. Damit blieb er für uns gegenwärtig und wurde 
anschlußfähig für einen universalen Geist wie Ernst Jünger – jenseits des 
ephemeren Zwists zwischen Arbeitern und Bürgern. 

Zeit seines Lebens war der Schrift-
 steller Ernst Jünger (1895–1998) ein großer Leser. Mehr noch: Lektüre stellte 
einen Teil seiner Existenz dar. Spuren dieses Lesens durchziehen sein Werk – 
von den „Stahlgewittern“ bis zu „Siebzig verweht V“. Um Jünger zu verstehen, 
muß man diesen Spuren folgen, leiten sie doch zu Bedeutungsräumen, die hinter 
dem Text verborgen liegen. Jünger lesen heißt also „Spuren-Lesen“. Diese 
JF-Serie versucht, einige Fährten aufzunehmen und ansatzweise zu entziffern. 
Und sie will natürlich auch zur Lektüre von Jüngers Lektüren anregen. 

  

Wolfgang Saur studierte Germanistik, Philosophie, Neuere Geschichte und 
Soziologie in Marburg und Eichstätt. Derzeit absolviert er in Berlin ein 
Aufbaustudium Religionswissenschaft und Kunstgeschichte und ist als freier 
Autor tätig. 

Im Rahmen dieser JF-Serie erschienen bisher Beiträge von Alexander Pschera über 
Ernst Jünger und Hermann Löns (JF 05/05), Léon Bloy (JF 09/05), Franz Kafka (JF 
14/05), Aldous Huxley (JF 18/05) und Otto Weininger (JF 28/05), von Harald 
Harzheim über Maurice Barrès (JF 23/05) und Marquis de Sade (JF 37/05) sowie 
ein Text von Alexander Michajlovskij über Dostojewski (33/05). 

  

   

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Tobias Wimbauer / Wimbauer Buchversand
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