... zum Jünger-Vortrag ein Text der Referentin und Kommentare (das übliche...) 
im ORF-Forum:

http://science.orf.at/science/news/144291



        Ernst Jünger und biographische Konstruktionen    
                Der deutsche Schriftsteller Ernst Jünger (1895-1998) ist nicht 
nur wegen seines literarischen Werks bekannt, sondern auch wegen seiner 
Teilnahme an der faschistischen Mobilisierung gegen die Weimarer Republik. 
Diese Ambivalenz macht ihn allerdings zu einem interessanten Studienobjekt für 
die Biographie-Forschung, wie die Politikwissenschaftlerin Esther Marian in 
einem Gastbeitrag beschreibt. Darin nimmt sie unter anderem Retuschen in den 
bestehenden Jünger-Biographien unter die Lupe.         
                        
        Das Interessante an der Ernst Jünger-Biographik         
                
        
                Von Esther Marian

Wer sich kritisch mit Ernst Jünger befasst, wird früher oder später die 
Erfahrung machen, dass Hinweise auf die dubiose Vergangenheit dieses 
Schriftstellers dort, wo sie nicht auf Unglauben oder Widerspruch stoßen, meist 
mit einem Achselzucken quittiert werden.

Es sei doch bekannt, lautet ein gängiger Einwand, dass Jünger an der 
faschistischen Mobilisierung gegen die Weimarer Republik teilgenommen und sich 
später nie davon distanziert habe, dass er im nationalsozialistischen 
Deutschland Bestsellerautor und loyaler Wehrmachtsoffizier war und dass er bis 
zuletzt der Demokratie ablehnend gegenüberstand.

All dies sei nichts Neues. Nur besage es eben nichts über sein Werk.
        ...             
        Konstruktionen biographischer Wahrheit
Das Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie 
veranstaltet in Kooperation mit der Österreichischen Nationalbibliothek und der 
Österreichischen Gesellschaft für Literatur am 24. und 25. April 2006 das 
Symposium "Spiegel und Maske. Konstruktionen biographischer Wahrheit". Esther 
Marian wird dabei einen Vortrag mit dem Titel: "Ernst Jünger: 
Selbststilisierung und biographische Projektionen" halten.

Zeit/Ort: 24.4.2006, Beginn 9:30 Uhr, Oratorium der Österreichischen 
Nationalbibliothek, Josefsplatz 1, 1010 Wien
Zeit/Ort: 25.4.2006, Beginn: 9:30 Uhr, Österreichische Gesellschaft für 
Literatur, Herrengasse 5, 1010 Wien
Der Eintritt ist frei.  
        ->   Programm   
                ...     
                        
        Kritik an Person statt an Texten        
                
        
                Das Argument begleitet die gesamte Kontroverse über Jünger, die 
in Deutschland 1945 mit dem Verbot seiner Schriften durch die West-Alliierten 
begann.

Volker Katzmann beispielsweise beklagt, dass sich die meisten 
Veröffentlichungen über Jünger nicht mit dessen Texten, sondern mit seiner 
Person beschäftigten.

Die literarische Kritik habe weniger Jüngers Werke rezensiert, als den 
Verfasser zensiert, was befremden müsse "bei einem Schriftsteller, dessen Rang 
heute selbst seine Gegner nicht mehr bestreiten".
        ...             
        Katzmann, Volker (1975): Ernst Jüngers magischer Realismus. 
Hildesheim/New York.        
        ->   Olms Verlag        
                ...     
                        
        Politische Implikationen        
                
        
                Obwohl dieser Einwand angesichts dessen, dass die Jünger-Kritik 
den Texten meist äußerlich blieb, nicht ganz abwegig ist, läuft er letztlich 
darauf hinaus, Jüngers Schriften goutieren zu können, ohne zu den ihnen 
zugrunde liegenden politischen Ansichten Stellung nehmen zu müssen.

Der Einwand hat die Leugnung eines an sich banalen Sachverhaltes zur 
Voraussetzung: Dass sich Jüngers Essays, Tagebücher und Romane - also die 
Schriften, die zusammengenommen das "Werk" bilden - nicht vom übrigen Denken 
ihres Autors trennen lassen und auch dann politische Implikationen besitzen 
können, wenn sie auf den ersten Blick mit Politik nichts zu tun zu haben 
scheinen.

Es ist möglich, diese Implikationen im Einzelnen aufzuzeigen - was ein wenig 
Mühe macht, weil sich Jünger nach 1945 einer Chiffrensprache bediente, die sich 
nur unter Bezugnahme auf frühere Schriften wie "Der Arbeiter" und "Das 
abenteuerliche Herz" entschlüsseln lässt.

Einer detaillierten Auseinandersetzung mit Jüngers Biographie bedarf es dafür 
allerdings noch nicht.
                        
        Kanonisierung   
                
        
                Ihre überragende Bedeutung erhielt Jüngers Lebensgeschichte 
erst dadurch, dass nach 1945 ein Kanonisierungsprozess einsetzte, in dessen 
Verlauf Jünger zum deutschen Nationalschriftsteller schlechthin avancierte.

Hierbei verwiesen gerade Jüngers Freunde und Bewunderer immer wieder auf seine 
Biographie. Jünger wurde zum exemplarischen Deutschen erklärt, dessen Schriften 
auch seiner außergewöhnlichen und zugleich repräsentativen Persönlichkeit wegen 
Beachtung finden sollten.
                        
        "Geistesgeschichte in Gleichnisform"    
                
        
                Nicht obwohl, sondern weil Jünger sich an der faschistischen 
Bewegung beteiligt hatte, ohne jemals der NSDAP beizutreten, konnte er nach dem 
Krieg zu einer Identifikationsfigur werden, deren "Wandlung" als Modell für 
alle Deutschen hochgehalten wurde.

Karl O. Paetel, ein ehemaliger Kampfgenosse, der dem Strasser-Flügel der NSDAP 
nahe stand und 1935 emigriert war, bezeichnete bereits 1943 in einer 
Exilzeitschrift Jüngers "Wandlung" als "ein Stück deutscher Geistesgeschichte 
in Gleichnisform".

In seiner ersten Jünger-Biographie, die die Jünger-Rezeption entscheidend 
beeinflusst hat, rühmte er ihn "als ein Beispiel für die Existenz eines 
'Anderen Deutschland'."
        ...             
        Zitate aus Paetel, Karl O. (1943): Ernst und Friedrich Georg Jüngers 
politische Wandlung. In: Deutsche Blätter, Jg. 1 (1943), H. 10, S. 22-27. Und: 
Paetel, Karl O. (1995):Ernst Jünger. Die Wandlung eines deutschen Dichters und 
Patrioten. Koblenz.  
                ...     
                        
        Jünger und der Nationalsozialismus      
                
        
                Paetel berief sich hauptsächlich auf den Roman "Auf den 
Marmorklippen", der - gegen Jüngers Willen - immer wieder als Stellungnahme 
gegen Hitler interpretiert wurde, und auf das Kriegstagebuch "Gärten und 
Straßen", das Verachtung für die Nationalsozialisten erkennen lässt.

Jünger stand dem Nationalsozialismus tatsächlich distanziert gegenüber, da er 
ihn nicht für die Verwirklichung der hierarchisch gegliederten, 
desubjektivierten Ordnung hielt, die er in "Der Arbeiter" als Telos der 
Geschichte bejaht hatte, sondern allenfalls für eine Übergangsstufe, die 
Hindernisse und Rückschläge mit sich brachte.

Er bezeichnete ihn als "plebiszitäre Demokratie" und rückte ihn in die Nähe des 
"Bürgers", der in "Der Arbeiter" gleichermaßen für Aufklärung und Spießertum 
steht und im schicksalshaften Verlauf der Geschichte vernichtet werden soll.
                        
        Biografische Retuschen  
                
        
                Die Erhöhung Jüngers zum exemplarischen Deutschen und die durch 
die biographische Erzählung vermittelte Empfehlung seiner Schriften erforderten 
einige Retuschen. Sie sind ihrerseits exemplarisch für den Umgang mit der 
Vergangenheit, der in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit üblich war.

Vor allem durch Paetel und Armin Mohler - einen Freund Jüngers, der 1949 bis 
1953 als Privatsekretär für ihn arbeitete - erfuhr Jüngers Lebensgeschichte 
eine Bearbeitung, wobei vieles, was ihn hätte kompromittieren können, 
verschwiegen oder irreführend dargestellt wurde.

Die Briefwechsel, die sich in Jüngers Nachlass im Deutschen Literaturarchiv in 
Marbach befinden, geben Aufschluss über das Verhältnis der Biographen zum 
Biographierten.

Sie zeigen, daß Mohler und Paetel ihre Darstellungen bewusst auf eine 
imagefördernde Wirkung hin entwarfen und sie im Detail mit Jünger abstimmten.
                        
        Klischees sind bis heute präsent        
                
        
                Heute gilt Jünger nicht mehr als Vorbild, und auch sein Ruhm 
als Nationaldichter ist blasser geworden.

Doch viele der Klischees, die von seinen frühen Biographen formuliert und in 
der Sekundärliteratur tradiert worden sind, sind präsent geblieben - wie 
beispielsweise das vom aristokratisch fühlenden Ästheten, der stets weitgehend 
unbeteiligt über dem politischen Geschehen gestanden habe.

Solange Jünger als einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller der Moderne 
gilt, wird seine Nähe zum Faschismus Thema bleiben.

[21.4.06]
        ...             
        Über die Autorin
Esther Marian ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig Boltzmann Institut 
für Geschichte und Theorie der Biographie. Sie studierte Politikwissenschaft, 
Philosophie und Geschichte an der Universität Marburg. Ihre Magisterarbeit 
schrieb sie zum Thema "Ernst Jüngers 'Der Arbeiter'. Ideologiekritische 
Untersuchungen".        
        ->   Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der 
Biographie        
                ...     
        ->   Deutsches Literaturarchiv in Marbach
 
 
        
        ORF ON Science :        News :          Gesellschaft    
         
                
        montaigne | 23.04, 20:51
Pour le merite
hieß der höchste Orden Deutschlands im ersten Weltkrieg. Diesen Orden hat 
Jünger im Krieg gegen Frankreich bekommen.

Jünger stammt aus dieser Welt/Zeit und sollte auch danach beurteilt werden.
         
        
        marlenew | 24.04, 09:48
Er gehörtze zumindest zu dem Substrat, aus dem die Sumpfblüten des 
Nationalsozialismus entsprangen.
Ich hab nur zwei Bücher von ihm gelesen: 'Gläserne Bienen' und 'Strahlungen'.
Letzteres ist ein Bericht über seine Versuche mit bewusstseinsverändernden 
Substanzen. Obwohl ich zu der Zeit nicht an seiner politischen Einstellung 
interessiert war, sticht in seinen Berichten aus der Zeit des ersten 
Weltkrieges, seine zumindest faschistoide Lebenseinstellung geradezu penetrant 
hervor. Auf diesem bürgerlich-intellektuellem Untergrund ist dann der 
Nationalsozialismus zur politischen Gefahr geworden. Ich schätze er gehörte zu 
jener Sorte pseudokritischer Intellektueller, die dann auf ihre eigenen Lügen 
reingefallen sind aber 'danach' immer schon gewusst haben wohin das führt.
Natürlich muss man dann seine Biographie durch geeignete Lügen korrigieren. Zu 
stark darf aber die Korrektur auch nicht ausfallen um die Bruderschaft der 
alten Kämpen nicht zu vergrämen - gerade so viel, dass die dummen Demokraten 
einen für harmlos halten, aber wenn die Zeit kommt, wissen die wichtigen Leute 
schon, an wen sie sich halten können.

Was seine Schriften betrifft: Ich glaube, man kann bei keinem Schriftsteller 
Weltbild und Schriften trennen, schliesslich soll sein Schreiben ja sein 
Weltbid transportiern.
        
        
        marlenew | 24.04, 10:18
Noch eine Frage: Wieso sagt man zu Lügen 'biografische Konstruktion'?
        
        
        montaigne | 23.04, 20:45
"Wenn ein Werk
wegen seiner Schönheit erfreut, so folgt nicht daraus, daß der Mann, der es 
verfertigte, unsere Hochachtung verdient."
Plutarch

Das ist keine Wertung Jüngers!           
        
        montaigne | 23.04, 20:20
In Stahlgwittern
war der Roman Jüngers, der mir am besten gefallen hat. Hat mich irgendwie an 
Blaise Cendrars erinnert.
Wirklich gut sind für mich seine Tagebücher. Der Entomologenblick des Ästheten 
auf seine Umwelt kombiniert mit seiner spachlichen Brillanz bringt (mir) wahres 
Lesevergnügen.
Politisch kann man zu ihm stehen, wie man will. Jedenfalls hat er sich -aus 
welchen Gründen auch immer- offenbar nie mit den Nazis gemein gemacht.       
        
        gundel | 22.04, 11:16
jünger, der "ambivalente"
ein medienbericht im zuge diverser zusammenhänge mit raves rechter 
gruppierungen haben mich anfang der neunziger auf jünger aufmerksam gemacht. 
davor hab ich ihn, zu meiner schande, nicht gekannt. die bücher, die ich dann 
von ihm gelesen habe, waren allerdings durchwegs interssant: z.b. "die zwille" 
oder "auf den marmorklippen". hab sogar das vielgeschmähte bzw. vielzitierte 
"in stahlgewittern" gelesen. das zieht sich zwar auf die dauer ziemlich und 
wird dann öde, aber es vermittelt trotzdem einen eindruck, was abläuft. durch 
irgendwelche "pariser tagebücher" (?) hab ich mich auch durchgekämpft. da hab 
ich schon allein beim lesen den eindruck gehabt, dass er sich um viele dinge 
herumschwindelt und sie beschönigend darstellt. aber generell würde ich gern 
festhalten: wenn du bücher nach der politischen correctness der autor/inn/en 
auswählst, dann dürftest vermutlich vieles net lesen    
        
        montaigne | 23.04, 20:46
Wenn ein Werk
wegen seiner Schönheit erfreut, so folgt nicht daraus, daß der Mann, der es 
verfertigte, unsere Hochachtung verdient."
Plutarch

Das ist keine Wertung Jüngers!

(Hat hierher gehört)    
        
        andersdenkender | 22.04, 02:16
hmmm
[x] interessant
[] lustig
[] ich kenn mich damit aus
[x] mir ist langweilig
[x] ich bin voll übermüdet
[x] es interessiert eh keinen
[x] :o)
[] schon gelesen
[] habs nun vor zu lesen.
[x] ich wünsch euch eine gute nacht
[x] ja genau- ich leg mich nun nieder
[x] hab keine ahnung warum ich hier immer mehr schreibe
[x] ich werde bald aufhören
[] ich mache ewig weiter
[x] ich bin gerade selber über mich amüsiert
[x] bin nun weg          
        
        linkerpharisäer | 21.04, 19:36
"Auf den Marmorklippen"
Trotz seiner Berühmtheit habe ich "Auf den Marmorklippen" inzwischen mit großer 
Lust weggeschmissen, und zwar nicht aus irgendwelchen politischen Gründen, 
sondern weil es grottenschlecht ist - sprachlich und inhaltlich,

frauenfeindlich, schwülstig, flach, nichtssagend - ein Schmonzes, wo Jünglinge 
dauernd irgendwohin schreiten

8 )


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