Liebe Jünger-Freunde,

in der Samstagausgabe der WELT sind zwei Artikel zu Benn, einmal Benn/Jünger 
und einmal zu Helmut Lethens fabelhaftem Benn-Buch. Schönste Grüße rundum, 
Ihr/Euer TW

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Welt, Sa, 29. April 2006

Äußerlich verbunden: Benn-Jünger
von Tilman Krause

Halb zog er ihn, halb sank der hin? Mitnichten. Gottfried Benn war die 
Annäherung Ernst Jüngers im Grunde unangenehm. Und: "Diese ewige 
Zusammenstellung mit Jünger mag ich nicht, ich verstehe sie auch nicht ganz", 
vertraute er seinem Verleger Max Niedermayer 1949 an. Allein, der Macht des 
Faktischen beugte auch er sich dann. Sie bildeten nun mal beide, der große 
Lyriker und der mittelbedeutende Selbstdenker, in den Augen der Zeitgenossen 
als Nicht-Emigranten, als Konservative, als Altvordere, die nach 1945 
glanzvolle Comebacks erlebten, ein Gespann.

Das hinderte den "Phänotyp dieser Stunde" nicht daran, seine reservatio 
mentalis gegenüber Ernst Jünger beizubehalten, auch wenn sie nun in einen 
Austausch von Höflichkeiten eintraten, der bis zu Benns Lebensende anhalten 
sollte. Aber gegenüber dem Busenfreund Oelze äußerte Benn doch klipp und klar, 
nach der Lektüre von "Strahlungen": "Ich muß sagen: katastrophal! Weichlich, 
eingebildet, wichtigtuerisch u. stillos." Und noch fünf Jahre später, als 
diverse Postkarten hin und hergeflogen waren und es sogar zu einer Begegnung 
der beiden Nicht-Dioskuren in Benns Erdgeschoß-Wohnung in der Bozener Straße 
gekommen war, gab der Ältere zu bedenken, der um einen Beitrag zu einer 
Jünger-Festschrift gebeten worden war: "Ich habe mich in einiges vertieft, aber 
es ist doch viel gepflegter Schmus dabei, furchtbar altmodisch, u so viele 
,Hoch' (hohe Einsicht, hohe Erfassung, hohe Gaben, hohe Bilder u sw). 
Dazwischen aber dran wieder reizende Bemerkungen, Betrachtungen von Finesse - 
kurz, ich bin unschlüssig."

Kein Zweifel: Der Ästhet in Benn, der sprachliche Artist, der geschmacklich 
Sichere auch, er wehrte sich gegen den wolkigen Weltanschauungsbrei, den Ernst 
Jünger seinen Lesern so gern auftischte. Aber der "soldatische Mann" in ihm 
spürte doch eine innere Verwandtschaft.

Und geschmeichelt war er auch. Benn, der seine Rolle als Paria ja nicht nur 
freiwillig spielte, war denn doch nicht ganz unempfindlich gegenüber den 
Avancen seitens dieses Autors, der schon durch all die Trabanten, die ihn 
umschwirrten, eine Aura besaß, die den kleinen Kassenarzt aus Berlin-Schöneberg 
beeindrucken mußte. Schon in den siebziger Jahren hat der Tübinger Germanist 
Jürgen Schröder mit Recht (und im Hinblick auf Benns Trommeln für die Nazis 
1933/34) auf die "kleinbürgerliche Institutionengläubigkeit" als seine 
Achillesferse hingewiesen. Sie hat auch hier gewirkt. Nach Jüngers Besuch, den 
Benn ihm endlich gewährte, fragte er doch tatsächlich diesen Mann, der 
barbarisch Erdbeeren in Burgunder tunkte, ob er es ihm kulinarisch habe recht 
machen können!

Gottfried Benn - Ernst Jünger: Briefwechsel 1949 bis 1956. Klett-Cotta, 
Stuttgart. 154 S., 14, 50 EUR.

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Artikel erschienen am Sa, 29. April 2006   DIE WELT.de
        
                
Verhängte Augen
Helmut Lethen ist eine grandiose Biographie des Dichterdoktors Benn gelungen

von Hendrik Werner

Die Älteren werden sich an vergleichbare Szenarien erinnern: 
Deutsch-Leistungskurs, zwölfte Klasse. Die Lehrerin, eine ökologisch 
vorbildlich gewandete Spätmarxistin, liest ihren Schülern mit ruchbarem 
Widerwillen vor: "Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt. / 
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster / zwischen die Zähne geklemmt." 
Heiterkeitsbekundungen im Plenum. "Als ich von der Brust aus / unter der Haut / 
mit einem langen Messer / Zunge und Gaumen herausschnitt, / muß ich sie 
angestoßen haben, denn sie glitt / in das nebenliegende Gehirn." Gejohle unter 
den Jungmännern, Ekelbezeugungen in den Reihen der Mädchen. Es folgt ein 
ressentimentgesättigter Monolog der Lehrerin, die über Expressionismus 
(irgendwie wichtig), Haut- und Geschlechtskrankheiten (irgendwie widerlich), 
Wehrmachtsfaszination (irgendwie böse) und mangelnde Distanzierung vom 
Nationalsozialismus (irgendwie schändlich) schwadroniert. So oder ähnlich ging 
es in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu, als es unter 
Linken Schule machte, Gottfried Benn - notabene: irgendwie - verwerflich zu 
finden. Ruhe sanft, großer Dichter!

Es war wohl nicht so sehr die politische Schwerverortbarkeit, sondern allererst 
Benns klinischer Blick auf die Dinge und die Menschen, der empfindsamere 
Gemüter verstörte. So präzise, so kalt, so diagnostisch schrieb kein anderer 
jener Männer, deren Vita und deren Kunst den Beruf des Arztes und die Berufung 
des Schriftstellers verschmolzen. Nicht Büchner, nicht Döblin, nicht 
Schnitzler. Und schon gar nicht Schiller, Tschechow und Bulgakow. Allenfalls 
Céline und neuerdings der gleichfalls eisig operierende Uwe Tellkamp 
kultivierten Schreibweisen, die anatomische Gesetze zu Prinzipien des Stils und 
der Figurenzeichnung erheben und eine Königsdisziplin namens Vivisektion formal 
literaturfähig machen.

Daß der ungeheure Benn-Hype der fünfziger und sechziger Jahre in den Neunzigern 
eine Wiederauflage erfuhr, verdankte sich dem, nun ja, medizynischen 
Gedichtband "Schädelbasislektion", der Durs Grünbein 1991 zum Durchbruch 
verhalf. Mit Grünbeins bio-nihilistischen Benn-Reprisen hebt sinnigerweise auch 
Helmut Lethens belesene und lehrreiche Reverenz an den Dichterarzt an. 
Eigentlich aber ist diese Bezugnahme eine Selbstreferenz des Biographen, der 
keiner sein will. Denn in dem von Lethen zitierten Grünbein-Interview "Benn 
schmort in der Hölle" ordnet der jüngere Dichter den älteren explizit den 
"Verhaltenslehrern der Kälte" zu.

Tatsächlich scheint kaum jemand so prädestiniert für eine 
Benn-Lebensgeschichtsschreibung zum 120. Geburtstag und 50. Todestag wie der 
2004 an der Universität Rostock emeritierte Literaturwissenschaftler Lethen, 
dessen linksradikale Frühsozialisation ihn gottlob nicht in den Schuldienst 
(s.o.) getrieben hatte. Ist doch seine 1994 veröffentlichte Analyse des 
Kältekults, dem sich Intellektuelle jeglicher weltanschaulicher Couleur von 
Carl Schmitt über Jünger bis hin zu Brecht und Benjamin zwischen den 
Weltkriegen unter dem Deckmantel der Neuen Sachlichkeit hingaben, eine der 
größten kulturwissenschaftlichen Hervorbringungen der vergangenen 20 Jahre. 
Benn, der sich gern zum unnahbaren Einzelgänger stilisierte, paßt da gut ins 
Bild: "Ich bin kein Menschenfeind. Aber wenn Sie mich besuchen wollen, bitte 
kommen Sie pünktlich und bleiben Sie nicht zu lange." Ausgehend von solchen 
Selbstinszenierungsstrategien spürt Lethen dem Sound und den 
Verdunkelungsversuchen des Vaters der modernen deutschen Lyrik nach. Und 
entwirft in zwölf elegant geschriebenen und verbandelten Kapiteln, die auf 
biographischen Episoden fußen, das Bild eines lebenslänglich unzeitgemäßen 
Beobachters, dessen praktiziertes Credo "Intellektualismus ist die kalte 
Betrachtung der Erde" die Leser zugleich emotionales Frösteln und heiligen 
Schauder lehrt.

Zumal Rönne, jener "junge Arzt, der früher viel seziert hatte". Eine in 
mehreren Prosaarbeiten etablierte Figur, die das Begehren nach Panzerung, nach 
Wappnung gegen die Zumutungen des Gefühls und der Gemeinschaft paradigmatisch 
verkörpert. Lethen zeichnet ihn mit leichtem Strich und dennoch überaus scharf 
konturiert als Vexierbild Benns, als großen Einsamen, der aus seiner 
Unfähigkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, jene distanzierte, von 
jeder Empathie gereinigte Perspektive entwickelt, die er auch beim Aufbrechen 
von Gehirnen einnimmt. Rönne, schreibt der in Verhaltenslehre geschulte Lethen, 
"ist stolz auf die Fähigkeit, Krankheit und Sterben ohne Mitleid wahrzunehmen". 
Benn, schreibt der in Ausdruckstheorie geschulte Lethen, habe in Rönne seine 
eigene Sichtweise reproduziert - im Wortsinne: Beiden gemein seien verhängte 
Augen - oder wie es über Rönne heißt: "Dünn sah er durch die Lider". Aus diesem 
Doppelbefund schließt Lethen, daß der geistige Abschottungswille von beiden 
buchstäblich verkörpert wird: als "Symptom des Ausklinkens aus der Interaktion 
der Gruppe".

Die frappierende Hellsichtigkeit, mit der Lethen aus nur vermeintlich 
randständigen Beobachtungen wie diesen ein gestochen scharfes Bewegungsbild des 
Dr. Benn entwickelt, bereitet auch deshalb so viel Freude, weil sie zugleich an 
den Ehrgeiz des detektivisch gestimmten Lesers appelliert, den Dichterdoktor 
auf die Couch zu legen. Nicht in denunziatorischer Absicht, aber doch von jener 
unterkühlten Analysehaltung beseelt, die für Benn selbst zu veranschlagen ist. 
Mit Abstrichen übrigens auch für Lethen, der selbst dann objektiv, lies: fair 
bleibt, wenn er den Interimskollaborateur Benn als "nützlichen Idioten" des 
nationalsozialistischen Regimes beschreibt - und seine Reueverweigerung nach 
dem Krieg als Fortsetzung seines eisigen Panzerungsprojekts mit anderen Mitteln.

Lethen ist ein grandioses Buch gelungen, das zur Pflichtlektüre nicht nur für 
spätmarxistische Deutschlehrerinnen werden sollte.

Helmut Lethen: Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit. Rowohlt, 
Berlin. 316 S., 22,90 EUR.


        

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Tobias Wimbauer / Wimbauer Buchversand
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