herzliche grüße rundum, tw

8. Juli 2006, Neue Zürcher Zeitung

        
                
                
        
Europäische Höflichkeiten

Ernst Jünger und Gottfried Benn im Briefwechsel

Gottfried Benn (1886-1956) und Ernst Jünger (1895-1998) waren kaum Verwandte im 
Geiste - zu sehr unterschieden sie sich in Biografie und künstlerischer 
Absicht. Gleichwohl lässt ihr Briefwechsel den Respekt und das Interesse für 
die Arbeit des anderen zu Wort kommen. Am 7. Juli jährte sich Benns Todestag 
zum fünfzigsten Mal.
        
        


Von Martin Meyer

Als die Welt noch Briefe schrieb, klang auch die Sprache anders - nicht immer 
höflicher, doch näher an Rhythmus, Atem, Kultur. Zweimal denken, einmal 
schreiben, das hatte Vorteile für beide Seiten und für ein späteres Publikum 
von Lesern ohnehin. Kein elektronisches System verdarb den Satz; was schief 
war, lag im Ungenügen des Verfassers. Damit ist es seit längerem vorbei, mehr 
noch: Manches, was nun aus den Tiefen der Archive ans Licht gelangt, wirkt uns 
vielleicht wie Runenschrift - Botschaft aus älteren Schichten, da Papier 
knisterte und Tinte schöne oder heftig bewegte Bahnen zog. Für Ernst Jünger 
etwa zeigte jede Epistel eine Aura von Inhalt und Form, worüber sich ein 
Empfänger gelegentlich mokierte - so viel «Gestaltung», meinte einmal Carl 
Schmitt, verrate einen Hang zur Selbstverliebtheit.

So hätte auch Gottfried Benn kommentieren mögen, der zwar gleichfalls ein 
brillanter Autor seiner Briefe war, doch den Charme wie das Gift der 
Korrespondenz aus einer gewissen Nonchalance gewann. Der Dichter der «Morgue» 
und des «Ptolemäers» kultivierte die Tristesse des Ermüdeten, dessen Feder 
manchmal nachgiebig, manchmal ironisch sich gab, was bei den Damen auf Gefallen 
stiess. Für Benn verkörperte Jünger zu viel Monumentales; eine Vorgabe von 
«Bescheid wissen», die den Pessimisten und Skeptiker in der Berliner Hautpraxis 
selten überzeugte. Als er im Juli 1954 mit seinem Verleger Max Niedermayer über 
einen möglichen Beitrag zu einer Jünger-Festschrift korrespondierte, meinte er 
leidend, in Jüngers Werk sei «doch viel gepflegter Schmus dabei, furchtbar 
altmodisch . . .» Er verzichtete und wandte sich wieder Eigenem zu.
SPIEL DER MANIEREN

Im Briefwechsel zwischen den beiden Schriftstellern, der im November 1949 
begann und bis zum Mai 1956 anhielt, sollte davon nichts herauszuhören sein. 
Gottfried Benn hielt sich bedeckt, und wo er Zugesandtes lobte - den Essay 
«Über die Linie», den Reisebericht «Am Sarazenenturm» -, war wohl tatsächlich 
Bewunderung im Spiel. Umgekehrt schätzte Jünger grössere Teile von Benns Lyrik, 
zumal die frühen Gedichte aus der Zeit expressionistischer Ausdrucksmusik, wie 
er überhaupt kaum Neigung zum Kritiker besass: Hierin hielt er's mit einer 
sekundären Naivität des Sehens, die ihn für andere merkwürdig alterslos 
erscheinen liess. Der Stilist und unentwegte Arbeiter an seiner Prosa bewahrte 
«nach aussen» eine kindliche Seite. Sie schützte ihn zugleich vor Angriffen wie 
vor Zweifeln an sich selbst.

Den Auftakt zum Gespräch macht Jünger. Er sendet ein Widmungsexemplar seines 
Romans «Heliopolis» nach Berlin. Der Empfänger dankt, wie es sich ziemt, mit 
freundlichen Worten. Seinen Geschmack kann das Buch indessen niemals treffen - 
während Jünger hier und anderswo Sinnsuche betreibt und mit «Heliopolis» sogar 
ausdrücklich das Transzendente beschwört, ist Benn davon überzeugt, dass die 
Geschichte zu Ende ist und dem Künstler allein die Artistik der Form verbleibt, 
den Nihilismus an den Oberflächen zu ertasten. Dem Freunde Oelze bekennt er 
denn zur gleichen Zeit, dass ihm der Roman «gestelzt, frisiert, 
altmodisch-archaisch» vorkomme.

Drei Jahre später sorgt Jüngers Ziehsohn Gerhard Nebel - ohne davon zu wissen - 
für Ausgleich. In einem Brief an den Meister rügt er sowohl Benns «destruktiven 
Humanismus» wie dessen Artistik. Indem er die berühmte Sentenz des Lyrikers, 
ein Gedicht werde «gemacht» und nicht empfunden oder gar erlebt, polemisch 
aufgreift, schreibt Nebel heldisch vorgewölbt: «Es kommt darauf an, sich zu dem 
Widerfahrnis der Transzendenz, zum Objektiven durchreissen zu lassen - ein Gott 
kommt immer nur, skandalös, paradox, unauflösbar, entgegen, er wird nie 
gemacht. So ein Würstchen wie Benn will Götter machen . . .»

Dies betrifft den Subtext oder das Umfeld der Korrespondenz; das Gegenläufige 
im Ideellen, das keiner Harmonisierung zugänglich wird. Deshalb besonders 
tauschen die Briefe viel mehr Alltägliches, gelegentlich auch Hinweise auf 
gemeinsame Gegner aus, als dass sie ins Grundsätzliche vorstiessen. Jünger 
berichtet Benn von seinen Aufenthalten an der Riviera, wo es sich «mit Sonne, 
Bädern, Fischsuppen und Früchten» angenehm leben lasse; Benn erzählt von dem 
grossen Berliner PEN-Kongress, zu dem er lediglich als Randgänger eingeladen 
worden sei: zweites Parkett, Reihe 12, «auf solche Plätze pflege ich nicht zu 
gehn». Als Jünger den Kollegen zu einem Salon nach Frankfurt einlädt, lehnt 
dieser dankend ab: «. . . bin kein Salonmatador, schweige meistens und gebe 
allen anderen recht.» Auch eine Séance mit Drogen kann den Doktor nicht locken; 
«ausser Café und Cigaretten» brauche er keine «Stimulantien».
HALTUNG ZEIGEN

Beide Partner demonstrieren, was man damals - und in der prekären Antwort auf 
die deutsche Katastrophe - «Haltung» nannte. Aber das Verbindende ist auch das 
Trennende. Einerseits ist Gottfried Benns literarischer Ruhm im Steigflug 
begriffen, anderseits haftet der Makel des kurzen Engagements auf Seiten der 
Nazis bis zuletzt. Jünger zählt sich mit bedeutend besserem Gewissen zur 
inneren Emigration und hat kaum Probleme mit der Reputation. Von der Höhe eines 
etwas eitlen Stolzes notiert er deshalb im Oktober 1948 an Nebel mit Blick auf 
Benn: «Wenn er mich 1933 konsultiert hätte, würde vielleicht manches vermieden 
worden sein.» Vertauschte Rollen - damals wäre Jünger der Arzt, Benn der 
Patient gewesen, wenn dieser nur kapiert und gewollt hätte. Freilich hütet sich 
Jünger, das heikle Thema direkt anzusprechen; er kann auch zwischen den Zeilen 
lesen, dass die Wunde geöffnet bleibt.

Ein einziges Mal findet die von Ernst Jünger wiederholt gewünschte Begegnung 
statt. Im Juni 1952 weilt der Wilflinger Eremit in Berlin und besucht dort den 
Arzt und seine Frau in der gemeinsamen Praxis. Aus den Briefen geht nicht 
hervor, was damals beredet und empfunden wurde. Benn dankt lediglich für die 
Visite und die «Jünger- Nelken» und bittet den Gast um Verständnis, dass der 
Tisch wohl nicht ganz dessen Erwartungen entsprochen habe. Tags zuvor hat er 
dem Verleger Niedermayer die Sorgen des Gastgebers mitgeteilt, «was ich diesem 
Schilderer von Weinen, Gläsern, Wohlleben u. Fischdelicatessen zum Abendbrod 
vorsetzen soll». Und weiter, mit kaustischem Einschlag: «‹Heliopolis› 
ist ja eine reine Folge von Vorstellungen eleganter Tafeln u. funkelnder 
Kristalle - nun, wahrscheinlich isst er selber Milch und trocken Brod.» Als 
Jünger seinerseits dankt, heisst es in lakonisch lehrhaftem Ton: «Warum wollen 
Sie sich entschuldigen? Es war alles vorzüglich . . .»

Im letzten Jahr der Korrespondenz und wenige Monate vor seinem Tod klagt Benn - 
auch mit medizinischem Vokabular - über die Gebresten des Alters. Da hat die 
Fragestellung jenes Essays, den der Autor bereits 1954 präsentierte, eine 
bittere Wendung ins Konkrete erfahren - «Altern als Problem für Künstler». 
Jünger reagiert verständnisvoll und interessiert, rät zu Reisen in den Süden, 
die für den Geplagten indes nicht mehr in Frage kommen können. Zugleich wird 
spürbar, wie fern dem Adressaten dies Thema liegt: Der Unbeugsame hat alles 
präpariert, die eigene Lebenszeit an den Hundertsten heranzuführen. Auch hier 
scheiden Welten die Briefpartner.
ZWEI SEITENZWEIGE

Wie es sich für Dichter gehört, verwandelt sich das Beste aus ihren Gesprächen 
in Literatur. Jünger schliesst den Kreis, als er in dem Buch «Annäherungen» von 
1970 in einigen Kapiteln der Berliner Begegnung gedenkt. Virtuos beschreibt er 
das Ambiente an der Bozener Strasse, die «europäische Höflichkeit», das 
angenehme Halbdunkel, dann die Praxis, das Menu, Diskussionen und zwei 
Missverständnisse im poetischen Bereich. Benn eröffnet diese, indem er eine 
Interpretation von Jüngers Novelle «Besuch auf Godenholm» riskiert, die den 
Höhenflug mystischer Spekulationen aufs Geschlechtliche zurückbewegt. Der 
Verfasser rächt sich, als er, wieder im Hotel, die Strophe eines Gedichts von 
Benn zu korrigieren hat: statt «Moor», so bemerkt er nun überrascht, habe er 
immer «Meer» gelesen. «Der Irrtum war nun behoben; ungern liess ich von ihm 
ab.» Schon im Dezember 1949 hatte Gottfried Benn den Kreis eröffnet - mit einer 
Widmung an Jünger, die unvergleichlich und in raschen Strichen von der 
Meisterschaft des Lyrikers ein Zeugnis gab: «Wir sind von Aussen oft verbunden, 
/ Wir sind von Innen meist getrennt, / Doch teilen wir den Strom, die Stunden, 
/ Den Ecce- Zug, den Wahn, die Wunden / Dess', das sich das Jahrhundert nennt.» 
Aus Berlin zugesandt «mit ergebenstem Gruss».

Gottfried Benn / Ernst Jünger: Briefwechsel 1949-1956. Hrsg. von Holger Hof. 
Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2006. 154 S., Fr. 25.70. 


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