On 10.03.2018 11:38, Moritz Bartl wrote: >>> Die Plattform wird von einer gemeinnützigen Organisation betrieben und >>> läuft auf freier Software. >> Beides sind wir mich tendenziell eher kleine Nachteile, weil langfristig >> lebensfähige Organisationen wirtschaftlich arbeiten müssen und das >> ehrenamtliche Engagement hat da erhöhte Risiken birgt, > "Gemeinnützig" heißt nicht Ehrenamt. > Freie Software heißt nicht "kein Geschäftsmodell".
Dazu hatte ich jetzt noch eine nette Diskussion off-list. Ich möchte euch einen Teil meiner Antwort nicht vorenthalten. Meiner Meinung nach passt das sehr gut hier hin, das Thema Gemeinnützigkeit, insbesondere mit Bezug auf die Entwicklung von Freier Software. >> "Gemeinnützig" heißt nicht Ehrenamt. > Eigentlich schon. Ausnahmen sind nur insoweit möglich, wie die Satzung > des Vereins es explizit vorsieht. :-) Nein. Erstmal, "Gemeinnützig" heißt nicht gleich Verein. Im ursprünglichen Text war sogar von einer "non-profit" die Rede, das dann einfach 1:1 auf "gemeinnützig" UND dann noch "Verein" zu mappen ist falsch. Im englischen Sprachraum spricht man oft zur Unterscheidung von "charity" vs "non-profit". Das Beispiel der gemeinnützigen GmbH habe ich gegeben, da gibt es keine vorgeschriebenen Ehrenämter. Genausowenig z.B. in der gemeinnützigen AG. Zweitens: Die Vorstandsämter in gemeinnützigen _Vereinen_ dürfen üblicherweise nicht vergütet werden, das ist richtig. Wenn man das anders handhaben will braucht es eine Satzungsänderung -- die ja aber auch kein großes Thema sein sollte. Aber: Auch ohne besondere Regelung ist das Bezahlen von Arbeit ganz regulär möglich, sogar wenn es die selben Personen sind. Wir haben das bei einem Verein so, da ist jemand ehrenamtlich Vorstand und gleichzeitig auch (bezahlt) Projektleiter. In der _Rolle_ des Vorstands darf er nicht vergütet werden. Für andere Tätigkeiten eben schon. Neben der "ganz normalen" Bezahlung von Mitarbeitern, die _nicht_ eingeschränkt ist, gibt es bei gemeinnützigen Organisationen noch steuerlich begünstigte Aufwandsentschädigungen und Ehrenamtsfreibeträge. http://www.vereinsbesteuerung.info/leitfaden_lst.htm http://www.iww.de/vb/archiv/vereinsvorstand-die-hauptamtliche-vereinsfuehrung-beratungs-und-gestaltungshinweise-fuer-die-vereins-praxis-f18290 Um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen: Da würde es ja um z.B. die Bezahlung von (Programmier-)Arbeit an Open Source gehen, was sich ganz klar von den Vorstandsämtern unterscheidet, und somit völlig unproblematisch auch mit der Standardregelung in Satzungen machbar ist. Selbst wenn der Vorstandsvorsitzende Hans Meier die selbe Person wie der Programmierer Hans Meier ist. > Genau da sehe ich das Problem: Nenne mir mal bitte einen zur > Gemeinnützigkeit fähigen (Vereins)Zweck nach § 42 AO, der ´ > Auftragsprogrammierung als reguläre Tätigkeit der > Organisation (nicht nur zu administrativen Hilfszwecken) zulässt. Denn > nur dafür ("…ausschließlich satzungsgemäße Zwecke…") darf die > gemeinnützige Organisation ja Mittel aufwenden. Es gibt verschiedene Trägerorganisationen von Open Source-Projekten, die auch Entwicklertätigkeit vergüten, im Rahmen ihrer ideellen Tätigkeiten oder im Zweckbetrieb. Allein schon die reine Hilfsarbeit für administrative Zwecke hebelt dein Argument "alles bei gemeinnützigen Organisationen passiert ehrenamtlich" aus. Weil dann bezahlt man halt so mal jemanden für seine ganze Arbeit, die ja nicht unbeträchtlich sein kann. Bei Vereinen wird das ja üblicherweise noch nichtmal nach "Hilfstätigkeit" groß aufgeschlüsselt. Ich erlebe das oft, dass diese pauschale Aussage "nur Ehrenamt" verhindert, dass jemand z.B. für seine "Devops" nicht bezahlt wird, weil man gar nicht daran denkt dass der ja einfach mal ne Rechnung stellen könnte. Hier die Satzung unserer gGmbH: https://gitlab.techcultivation.org/techcultivation/bylaws Die ist noch zu frisch, um mein Argument zu zementieren, aber immerhin nicht nur vorläufig anerkannt (Gründung 2016) und expliziter Bezug auf Freie Software. Wir nehmen u.a. an einem Horizon 2020-Forschungsprojekt teil, was sich allein schon recht klar auf "Wissenschaft und Forschung" nach AO §52(2)1 mappen lässt. In unserem anderen Verein lassen wir schon lange Open Source Software entwickeln, dort mappen wir das (erfolgreich; schon einige Jahre, inkl Betriebsprüfung etc alles durch) auf AO §52(2)24 "allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens". Generisch oft erfolgreich argumentieren lässt sich schon alleine der typische AO §52(2)7 der Volksbildung. Wir bauen ja nicht nur "Open Source Software", sondern es geht um die Veröffentlichung von Quellcode und zugehörige Bildungsveranstaltungen. Diese Bildungsveranstaltungen müssen mit der entsprechenden Softwareentwicklung nicht nur vorbereitet und somit ermöglicht werden, sondern es wird Quellcode zur Wiederverwendung und zur Erlernung von Programmierfähigkeiten online gestellt und durch Bug Tracker, Mailinglisten und IRC-Channels ja auch noch öffentliche Foren zur Diskussion bereitgestellt, die sozusagen dauerhafte Präsenz von Bildungsveranstaltungen im digitalen Äquivalent zu einem Vereinsheim. Und dann hat man natürlich noch einen Hebel über die Software selbst, also dessen Einsatzzweck. Darüber lässt sich in vielen Fällen alleine schon eine Argumentation aufbauen, dass durch die Entwicklung dieser gemeinnützige Zwecke erfüllt werden. Zum Beispiel die "Förderung demokratischen Staatswesens", so wie wir das mit Krypto- und Anonymisierungstools machen. Das kann aber auch "Förderung von Kunst und Kultur" (§52(2)7) und jede andere Kategorie der Abgabenordnung sein, je nachdem wo das Projekt eben reinpasst. Daraus ergibt sich eine interessante Möglichkeit, die meiner Meinung nach noch viel zu selten genutzt wird: Die Vergabe von (steuerfreien) Stipendien zur Entwicklung von freien Technologien. Ein anderes Beispiel ist der Open Knowledge Foundation Deutschland e.V., die sowohl Entwickler bezahlt als auch Träger des Prototype Fund ist, der, zwar indirekt aber dennoch, auch Arbeit an Freier Software bezahlt (und seine Mitarbeiter). Da wir nicht auf den deutschen Sprachraum limitiert sind (LiberaPay ist in Frankreich), sind die "großen bekannten Beispiele" vermutlich Wikipedia (Wikimedia Foundation) und Firefox+Thunderbird (Mozilla Foundation). Für mich zumindest ist das ein spannendes Thema, und ich freue mich über jeden mit dem man sich darüber austauschen kann. :-) Spannend wirds spätestens dann wenn man im Schritt weiter darüber nachdenkt, wie denn Geld dann in einem typischen Projekt überhaupt ausgegeben werden soll. Wer hat die Berechtigung? Wer entscheidet? Will man etwas "klassisch hierarchisches", oder (wie) kann man die freie Zusammenarbeit vieler unabhängiger Akteure überhaupt in die Geldwelt übersetzen? Das ist ein Thema, zu dem ich viel zu wenig finde. Siehe dazu auch mein Vortrag auf dem 34c3: https://fahrplan.events.ccc.de/congress/2017/Fahrplan/events/9087.html . -- Moritz _______________________________________________ FSFE-de mailing list FSFE-de@lists.fsfe.org https://lists.fsfe.org/mailman/listinfo/fsfe-de