herzliche grüße rundum, tw

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,412634,00.html

zugleich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von heute erschienen:



GOTTFRIED BENN

Schlafzimmerblick im Arbeitszimmer

Von Florian Illies

War nun Gottfried Benn oder Ernst Jünger der kälteste deutsche Dichter? 
Zwischen Selbstinszenierung und Widerborstigkeit blieb der Schriftsteller und 
Mediziner Benn stets ein Rätsel. 50 Jahre nach seinem Tod werden sein Leben und 
Werk nun gründlich seziert.

Was wollen Sie von mir, so scheint dieser Blick zu fragen. Merken Sie nicht, 
daß Sie stören? Zum Glück merkte der Fotograf Franz Hubmann, der Gottfried Benn 
am Nachmittag des 29. September 1955 in der Bozener Straße 20, Parterre, in 
Berlin-Schöneberg besuchte, auch noch etwas anderes: Wie Benn es genoß, die 
Pose des Aufgestörten zu mimen, wie dankbar er war, daß er so abfällig auf die 
Öffentlichkeit herabblicken konnte, die sich da so unangenehm in seine 
Dichterstube hineindrängte. Benn sitzt da wie ein knurrender Hund, den man 
überraschend beim Essen stört. Aber zugleich hängt die Zigarette so perfekt 
abfällig im Mundwinkel, als hätte Benn diese Geste ein paarmal vor dem Spiegel 
geübt, bevor er den Fotografen zu sich ins Zimmer bat.

Arzt und Schriftsteller Benn: Blick voll kalter Arroganz
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DPA
Arzt und Schriftsteller Benn: Blick voll kalter Arroganz
Das Foto, das Hubmann machte, ist mehr als ein Foto. Es wirkt wie eine 
Postkarte, abgesandt von Gottfried Benn im Jahre 1955, ein paar Monate vor 
seinem Tod, und adressiert: an die Nachwelt, an uns. Es schreibt Ihnen der 
vielleicht größte deutsche Dichter der letzten hundert Jahre. Mein Schreibtisch 
ist sowenig aufgeräumt wie das ganze Jahrhundert. Gruß, Benn. Mit schnoddriger 
Geste hat er die Zuneigungen und Abneigungen seiner Zeitgenossen abgewehrt und 
sich in den elf Lebensjahren, die ihm nach 1945 blieben, statt dessen fast ganz 
der Nachruhmsteuerung gewidmet.

Der Blick voll kalter Arroganz war es auch, den er 1933 auf die Emigranten 
richtete, als sie, hellsichtig, Deutschland verließen, während er, geblendet, 
sich als Profi der geschichtlichen Prozesse begriff. Er nannte die Emigranten 
"Amateure der Zivilisation" und rief ihnen verächtlich zu: "Leben Sie wohl." So 
verstörte er erst die Intellektuellen und wenig später, als die Nazis 
angefangen hatten, seine frühen Gedichte zu lesen, auch sie. Er vergrub sich in 
seine Höhlen, als Militärarzt in Hannover, dann irgendwo hinter der Front, 
einsam, durfte nicht mehr publizieren, nur die Frauen blieben ihm. Und seine 
Verse. Dann war der Krieg aus. Die ganze Welt hatte sich gedreht. Nur Gottfried 
Benn saß wieder in der Bozener Straße 20, Parterre. Müde, vergessen, verfemt, 
ein mediokrer Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten mit literarischer 
Vergangenheit und schlechtgehender Praxis.

Das ist die Vorgeschichte. Doch dann erhebt Benn sich aus den Trümmerwüsten 
Berlins und seiner Seele, reanimiert durch einen einzigen kurzen Brief. Am 22. 
Juli 1948 bat ihn der kaum dreißigjährige Max Niedermayer aus Wiesbaden, ein 
ehemaliger Sportlehrer, mit knappen Worten, seine Werke künftig in seinem 
neugegründeten Limes-Verlag zu drucken. Sofort kehren die Lebensgeister zurück, 
und bei Benn sind diese Geister immer: Abwehrgeister. Er schreibt: "Sollen Sie 
nur alle anfangen, mich zu vernichten. Ich bin ein gefährlicher K.O.-Schläger."

GEFUNDEN IN...
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Ausgabe vom 23.04.2006

    * www.faz.net

Die Jahre 1949 bis 1956 stehen im Zeichen dieses Kampfes: Gottfried Benn vs. 
Öffentlichkeit. Zwei erstmals komplett veröffentlichte Briefwechsel 
demonstrieren, wie Benn diesen Kampf führte. Wenn nicht alles täuscht, hat Benn 
ihn heute, fünfzig Jahre danach, nach Punkten gewonnen. Big Benn. 1886 wurde er 
in Mansfeld geboren (ein Stier, unverkennbar), 1956 starb er, in Schlangenbad - 
wir können also in diesem Frühjahr 120. Geburtstag und 50. Todestag feiern. Und 
weil der Klett-Cotta-Verlag nicht nur den Briefwechsel Benns mit dem 
Limes-Verleger Niedermayer, sondern auch seinen kuriosen, kurzen mit Ernst 
Jünger komplett vorlegt, gibt es pünktlich zum Jubiläum neues Exegese-Material. 
Außerdem versorgt eine Benn-Bibliographie die Süchtigen mit allen verfügbaren 
Sekundärquellen. Und Helmut Lethen hat mit "Der Sound der Väter" eine 
Biographie Benns geschrieben, die eine ideale Einstiegsdroge ist.

Wer zunächst zurückschreckt vor Benns griechischen und lateinischen Anleihen, 
seinen irrlichternden mythologischen Bezügen, den nimmt Lethen fürsorglich an 
die Hand: "Wer kann das verstehen?" Er versucht sich dann aber doch im 
Entschlüsseln des Bennschen Soundsystems, konzentriert sich auf Benns 
Erfahrungen in den Weltkriegen und zeichnet ein eisgekühltes Bild des Dichters 
als Verhaltenslehrer der Distanz.

Schaut man sich die Fotografie aus dem Jahre 1955 an, hat man das Gefühl, als 
habe Benn nur auf uns gewartet. Als hätte er gelauert. Mit diesem unheimlichen 
Blick. Helmut Lethen zieht in seiner Biographie den Vergleich zu Benns Figur 
"Rönne": "Dünn sah er durch die Lider", heißt es dort, und dieser leicht 
blasierte, erschöpfte Offizierscasinoblick sei Benns Perspektive auf sein 
Jahrhundert. Zugleich setzte er ihn, wie wir aus seinen ungezählten Affären 
wissen, bei Frauen als Lockmittel ein. Wir sehen also: der Schlafzimmerblick im 
Arbeitszimmer. Nur durch diese dünnen Schlitze drang die Welt zu ihm vor. 
"Fragen, Fragen! Erinnerungen in einer Sommernacht / hingeblinzelt, 
hingestrichen, in meinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs, nun alles 
abgesunken / teils-teils das Ganze / Sela, Psalmenende", so heißt es am Schluß 
von Benns vielleicht größtem Gedicht, "Teils-Teils", das in denselben Tagen 
entstand wie das Foto von Franz Hubmann.

Gottfried Benn: "Sämtliche Gedichte/Künstlerische Prosa". Klett- Cotta, 1024 
Seiten, 29,90 Euro

Gottfried Benn: "Briefe VIII, Briefe an den Limes- Verlag 1948–1956". Klett- 
Cotta, 272 Seiten plus CD- Rom, 42 Euro

Gottfried Benn / Ernst Jünger: "Briefwechsel 1949–1956". Klett- Cotta, 155 
Seiten, 14,50 Euro

Christian M. Hanna: "Gottfried- Benn- Bibliographie. Sekundärliteratur 
1957–2003". Verlag de Gruyter, 300 Seiten, 98 Euro

Helmut Lethen: "Der Sound der Väter. Gottfried Benn und seine Zeit". Rowohlt 
Berlin, 316 Seiten, 22,90 Euro
Es steht in seinem letzten Gedichtband, den der Limes-Verlag kurz vor seinem 
Tod veröffentlichte. Ab 1949 erschienen mit ungeheurer Frequenz Prosa, Gedichte 
und Vorträge in dem kleinen Wiesbadener Verlag. Der neue Briefband erzählt, wie 
geschmeidig und unermüdlich Niedermayer seinen Autor um die Klippen von 
Depression und Diventum herumschiffte, wie einfühlsam und kongenial Marguerite 
Valerie Schlüter als Lektorin arbeitete. Es ist ein wunderbares Monument ihrer 
jahrzehntelangen Arbeit mit und für Benn, daß Schlüter selbst nun zum 50. 
Todestag diesen Briefwechsel selbst herausgeben konnte. Dieser Briefwechsel sei 
allen Verlegern als Einführungskurs zur Behandlung empfindsamer Autoren 
empfohlen. Benn ist entweder "down", "sehr down", "ungewöhnlich down" 
beziehungsweise "marode". Er verzweifelt an Rezensenten und Argwohn.

Und doch erscheint Buch um Buch. Niedermayer wird neben dem jahrzehntelangen 
Briefpartner Oelze zur zweiten zentralen männlichen Bezugsperson für Benn. Zwei 
Stellen sind besonders interessant. Zum einen Benns Selbstkritik zu seiner 
Verurteilung der Emigranten 1933, zu der ihn ein Brief Klaus Manns angeregt 
hatte. Benn schreibt dazu zwanzig Jahre später: "Dieser Brief ist so rührend 
schön, höflich, demütig, verehrungsvoll, daß meine Antwort dagegen schroff und 
kalt klingt."

Zum anderen, wie sehr Benn schon damals nicht nur seinen Nachruhm, sondern auch 
die literarischen Debatten unserer Zeit erahnte. Das zeigt sein vor Lichtjahren 
geschriebenes, emphatisches Plädoyer gegen alle, die sich als "Gnostiker" der 
Kultur empfinden: "Hauptsache, es hat Erfolg und nützt dem Buch, was die 
deutsche Innerlichkeit dazu sagt, ist allmählich völlig gleichgültig, die will 
ihren Schlafrock und ihre Ruh und will ihre Kinder dusselig halten und 
verkriecht sich hinter Salbadern u. Gepflegtheit und möchte das Geistige in den 
Formen eines Bridgeclubs halten - dagegen muß man angehn."

Der zweite Briefwechsel, der nun erstmals komplett vorliegt, ist viel kürzer. 
Gerade darin liegt seine Brisanz. Es ist auch eigentlich kein rechter 
Briefwechsel. Eher ein gegenseitiges Abtasten. Man schickt sich Sonderdrucke 
und Postkarten von Urlaubsreisen. Ernst Jünger und Gottfried Benn werden immer 
wieder zueinander gedrängt und stoßen sich doch ab, wie zwei negativ geladene 
Magneten. Immer wieder versucht Jünger zu antichambrieren, schickt Bücher, lädt 
Benn zu Kokain-Sitzungen ein, doch der blockt ab, höflich zwar, aber eindeutig: 
"Wir sind von Aussen oft verbunden, wir sind von Innen meist getrennt." 
Gegenüber seinem Verleger wird Benn deutlicher: "Diese ewige Zusammenstellung 
mit Jünger hängt mir zum Halse raus." Beide waren in beiden Weltkriegen, beide 
haben Deutschland nicht verlassen, beide wurden sogar als Kandidaten für den 
Literaturnobelpreis genannt.

Holger Hof beschreibt in seinem Nachwort zum Briefwechsel mit Jünger, daß Benn 
ein Jahr nach Jüngers einzigem Besuch in der Bozener Straße in sein Tagebuch 
einen aktuellen Boxkampf im Halbschwergewicht benennt und daneben "vor 1 Jahr 
Jünger". Und in der Tat wirkt der ganze Briefwechsel, als umkreisten sich zwei 
Kämpfer. Keiner wagt den ersten Schlag, aus Angst, sich eine Blöße zu geben. Es 
geht um die Krone des kältesten deutschen Dichters des zwanzigsten 
Jahrhunderts. Als Benn stirbt, scheint Jünger Angst vor dem Urteil der Nachwelt 
zu haben. Er lebt einfach immer weiter. Jetzt, mit der Veröffentlichung des 
Briefwechsels, geht der Kampf in eine neue Runde.

Sein erstes "Comeback" gestaltete Benn noch aktiv mit. Nicht nur, daß er das 
Wort selbst in seinen Briefen immer wieder benutzt. Er weiß auch, daß er seine 
Rolle als einsamer Wolf inszenieren muß. In Briefen nimmt er Bezug auf seine 
Zurückgezogenheit, seine Spießbürgerlichkeit. War das nur eine subtile Form der 
Auraproduktion? Oder Offenherzigkeit? Als ihm Richard Alewyn den akademischen 
Ritterschlag erteilen will und ihn an die Universität Bonn zu einer 
Creative-Writing-Sitzung zum Thema "Wie entsteht ein Gedicht?" einladen will, 
lehnt er ab. Höflich, aber bestimmt: "Das Gedicht ist schon fertig, ehe es 
begonnen hat, der Dichter weiß nur seinen Text noch nicht."

Was Benn schon weiß, das ist sein Text für die Nachwelt. Er wirft sich für uns 
in diesem Briefwechsel in Positur. Und doch: Es ist unendlich schwer, bei Benn 
zwischen Selbstverständnis und Selbstinszenierung zu unterscheiden, zwischen 
bewußt und unbewußt. War er am Ende einfach der, der er zu sein vorgab? Was 
wird aus Einsamkeit, die Benn so existentiell erlebte und die er vorantrieb in 
diesem ständigen, brutalen Prozessieren gegen sich selbst, wenn man merkt, daß 
sie für die Umwelt zu einem Markenzeichen geworden ist? "Organismen, die Perlen 
hervorbringen, sind verschlossen" - wie kann man, in seiner Verschlossenheit, 
solche Verse erdenken und dabei vermeiden, an sich selbst zu denken? Aber hätte 
er deshalb solche Verse nicht schreiben dürfen? Konnte er sie vielleicht nur 
schreiben, weil er dabei auch an sich dachte, mit halbgesenkten Lidern, müde, 
down, sehr down?


SPIEGEL ONLINE hat den Text mit freundlicher Genehmigung der "Frankfurter 
Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) übernommen. Die von der FAS gepflegte alte 
Rechtschreibung haben wir beibehalten.


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