einen artikel zu publizieren um sich unbeliebt zu machen ? - es geht
nicht nur um journalismus und recherche.
es geht um die modernistische idee der kontrollfunktion der printmedien,
um werbeseitenverkauf und wertschöpfung, um groschenheft und schundroman.
sind journalisten medienkünstler?
spaß beiseite: sie bauen ihr argumantationsgebäude auf der behauptung
auf, medienkunst und kunst seien sich gegenseitig ausschließende begriffe.
im vergleich zum begriff des "new journalism", der im verständnis vieler
seiner protagonisten in der tat ein gegensatz zum journalismus
darstellte, ist medienkunst ein teilgebiet bzw auch eine erweiterung der
kunst.
es geht bei medienkunst nicht, wie unterstellt, um eine "modernistische
idee der avantgarde" oder um ein hinterherlaufen hinter das neue
(letzteres ist traditionell der job von journalisten), sondern um die
darstellung des flüchtigen. medienkunst meint medium nicht als mittel
(so wie malerfarbe oder druckerswärze) oder als "in der mitte liegend" (
wie z.b. "medium steak": zwischen durchgebraten und blutig), sondern als
die mitte, der mittelpunkt selbst.
insofern ein paradoxon, weil daraus zwingend folgt, dass medienkunst
selbst kein medium zur entfaltung benötigt.
viele grüße
christoph theiler
Stefan Heidenreich schrieb:
Auf die Gefahr hin, mich einmal mehr unbeliebt zu machen -
hier die unredigierte Version eines Artikels, der in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 27.1. erschien.
Viele Grüsse,
Stefan Heidenreich
_________________________
Medienkunst gibt es nicht
Mit der Transmediale beginnt morgen eines der größten Festivals für
'Kunst und digitale Kultur', nach wie vor als 'kultureller Leuchtturm'
gefördert. Die Leitung hat gewechselt, ebenso die Bezeichnung - von
Medienkunst keine Rede mehr. Denn kaum ein Künstler will sich noch
Medienkünstler nennen. Was ist geschehen?
Ist die Medienkunst am Ende? Die Schwierigkeiten beginnen schon beim
Begriff 'Medien'. Über die Jahre ist er so unscharf geworden, dass nur
noch wenige Dinge das Privileg besitzen, kein Medium zu sein. Und
Medienkunst? Es gibt viele Künstler, die mit vielerlei Medien
arbeiten. Wenn man Malerei als ein Medium ansieht, findet sich kein
Künstler, der nicht in einem Medium tätig sein würde.
Rückblickend stellt sich die Frage, wann und warum von Medienkunst
geredet wurde. Die Sach- und Interessenlage ist etwas kompliziert.
Denn es geht nicht nur um Kunst und Kunstwerke. Es geht um die
modernistische Idee der Avantgarde, um Fördermittel und
Innovationstöpfe, um Popkultur und Hochkultur.
Wie kommt es also dazu, dass niemand mehr Medienkünstler sein will?
Medienkunst ist kein einschließender, sondern ein ausschließender
Begriff. Wer sich nicht einfach als Künstler, sondern als
Medienkünstler bezeichnet, ordnet sich einer exklusiven Gruppe zu. Das
lohnt sich nur, solange diese kleine Exklusion einen Mehrwert abwirft.
Seit geraumer Zeit aber machen die sogenannten Medienkünstler die
traurige Erfahrung, in mehr oder weniger unattraktiven Nischen der
Kunstwelt zu enden. Anstatt auf den großen Messen und im
internationalen Zirkus der Biennalen zu reüssieren, versacken sie auf
Professorenstellen in der Provinz oder in der Obhut halbindustrieller
oder halbstaatlicher Institutionen.
Springen wir an den Anfang der Geschichte. Die meisten Dinge und
Geräte, die man als Medien bezeichnet, brachte das 19. Jahrhundert
hervor. Der Beginn der Moderne fällt in dieselbe Zeit wie die
Erfindung der Fotografie. Und zwar nicht ohne Grund. Denn damit
verbindet sich ein Ausschluss, der sich als wegweisend herausstellt
und für das eigenartige Verhältnis von Medien und Kunst verantwortlich
ist. Um 1860 gelingt es den Malern, das Museum als ihren angestammten
Ort zu verteidigen. Fotografie findet dort vorerst keinen Platz und
damit auch keinen Platz in der Kunst. Seitdem steht Kunst zu allen
Techniken der Reproduktion auf dem Kriegsfuß und kann deren
Erzeugnisse nur in limitierten Auflagen ertragen. Das führt dazu, dass
Preis für Kunst sich nicht auf einem Markt reproduzierbarer
kommerzieller Massenprodukte bildet, sondern in einem sehr diffizilen
Geflecht von Kennerschaft und Kunsthandel. Kunst ist damit weitgehend
unabhängig von neuen Technologien der Reproduktion und Distribution,
sprich von neuen Medien.
Warum und wann also kamen die Medien zur Kunst zurück, nachdem sie
einmal ausgeschlossen waren? Hier gibt es zwei verschiedene
Geschichten, eine der Sache und eine des Wortes. Einerseits kam es
immer wieder zu Einbrüchen neuer Technologien in die Kunst.
Andererseits geriet, und zwar verhältnismäßig spät, der Begriff Medien
in Gebrauch.
Dass die technischen Neuerungen der jüngeren Zeit die Kunst nicht im
Kern verändern, zeigt der fortgesetzte Erfolg der alten Medien
Malerei, Zeichnung oder Skulptur. Es gibt keine technischen Zwänge,
wie man sie aus anderen kulturellen Feldern wie Musik oder Film kennt.
Dort treten neue Medien an die Stelle der alten,
Reproduktionsverfahren und Distributionswege müssen vollkommen neu
erfunden werden. Nicht so in der Kunst. Neue Medien sind ihr gegenüber
akzidentell. Man kann mit ihnen arbeiten, muss aber nicht. Der Grund
für den Einbruch neuer Technologien in die Kunst liegt also nicht im
Technischen. Wo dann?
Kurz gesagt: im Neuen. Für die Kunst war das Neue als eigenständiger
Wert nicht immer so wichtig wie im Zeitalter der modernen Avantgarden.
Doch in jüngster Zeit ist der avantgardistische Impuls weitgehend
versiegt. Die Medienkunst war in gewisser Weise ein ebenso verspäteter
wie vergeblicher Weg, das Phantom der Avantgarde zu reaktivieren. Den
ersten und durchaus erfolgreichen Versuch, neue Techniken in der Kunst
zu übernehmen, machen die italienischen Futuristen. Vieles davon
findet Widerhall in den Avantgarden der 20er Jahre, vom
Konstruktivismus zum Bauhaus. Doch die neuen Technologien fassen in
der Kunst nicht wirklich Fuß. Nach dem Weltkrieg dominiert wie eh und
je Malerei.
Ein zweite Welle technischer Neuerungen kommt parallel zu den
sogenannten Massenmedien. Das Verhältnis von Konzeptkunst zu
Technologien hat Sabeth Buchmann jüngst in ihrem Buch "Denken gegen
das Denken" detailreich untersucht. Fotografie erreicht die
Galerieräume als Mittel, Performances oder Land-Art außerhalb der
Ausstellungsräume zu dokumentieren. Die Kombination verschiedenster
Medien macht der Fluxus-Künstler David Higgins 1966 in seinem Essay
'Intermedia' zum Thema. 1967 kommt unter dem Namen Portapak die erste
portable Videokamera auf den Markt. Gerry Shums Fernsehgalerie aus dem
Jahr 1968 gibt der Videokunst Raum. Einige Jahre zuvor lenkt Marshall
McLuhan mit seinem Buch 'Understanding Media' eine größere öffentliche
Aufmerksamkeit auf die Medien.
Aber noch erlangt der Begriff keine Macht im Umfeld der Kunst. Statt
dessen spricht man von Video, Technologie, Information oder dem
Elektronischen, das 1979 der Ars Electronica ihren Namen verleiht.
Erst Mitte der 80er Jahre tritt der Begriff Medien in den Vordergrund.
Digitale Medien ersetzen die alten analogen Technologien, allerorten
ist von der Ankunft der Neuen Medien der Rede. Mit dem Attribut neu
verbindet sich eine alte Hoffnung. Es birgt das Versprechen einer
Avantgarde. Neu sind nicht länger nur die Wilden Maler der 80er,
sondern auch die Technologien. Aber im Gegensatz zu den gut überlegten
Positionen der Konzeptkunst führt das neuerliche Vertrauen in die
Technologien zu einer Inflation von Banalitäten. Medienkünstler
plappern technophile Slogans von der Simulation bis zum Virtuellen
nach und verlieren sich in haltlosen Experimenten an Schnittstellen
und Computer-Kitsch.
Früchte trägt der dritte Einbruch des Medialen auf institutioneller
Ebene. 1990 wird die Kunsthochschule für Medien in Köln gegründet,
1999 folgt das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe.
Damit gehen akademische Versuche einher, einen Kanon zu formulieren
und Medienkunst als Genre zu etablieren. An den scheinbaren Erfolg der
Medienkunst will wenig später die Netzkunst anknüpfen. Aber spätestens
hier wird das Dilemma offensichtlich. Den entscheidenden
technisch-kulturellen Innovationen hinkt die Kunst hinterher. Das
Internet wächst an Forschungseinrichtungen und Universitäten, durch
Standardisierungen und Programmiersprachen und nicht zuletzt mit dem
kalifornischen Schulterschluss von Investoren und Entrepreneuren. So
verliert die Medienkunst an beiden Seiten. Weder prägt sie die Kultur
der Medien und noch erlangt sie innerhalb der Kunstwelt eine Position
von Bedeutung. Um es drastisch zu sagen: viel kreative Energie wurde
dafür verschwendet, Kunst mit den Medien zu versöhnen, während man
anderswo das Netz als Programm und Ökonomie real verwirklichte.
Heute ändert sich die Lage der Medien dramatisch. Was sich im Verlauf
des letzten Jahrhunderts als Foto, Film, Video, Fernsehen,
Schallplatte, Radio und so weiter nebeneinander entwickelt hat, wird
von einer übergreifenden digitalen Kultur vereinheitlicht. Man
unterscheidet noch zwischen Formaten und Schnittstellen, aber die
Grenzen zwischen einzelnen Medien verschwinden. Im Netz konvergiert,
was zuvor getrennt war. Jedes Handy ist ein kleiner Computer mit
Online-Anschluss, der sämtliche Sinne bedient. Medien sind passé.
Was bleibt zu sagen? Medienkunst war eine Episode. Da ihre
Institutionen nicht vergehen, lebt sie als Dinosaurier der 80er und
90er Jahre weiter. Auf der anderen Seite hat Kunst technologisch
längst die meisten Grenzen überwunden. Künstler arbeiten mit
beliebigen Medien, von der Zeichnung bis zum Internet. Als
Gegenkultur zu den kommerziellen Produkten der Netze und Medien nimmt
Kunst nach wie vor eine wichtige Position ein. Aber allein technisch
lässt sie sich auf den Begriff bringen. Es gibt genug gute Kunst, die
ganz selbstverständlich Medien einsetzt. Aber es gibt keine Medienkunst.
--
rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze
Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost
http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/
Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/