Re: [Talk-de] Tagging von Bächen als waterway=ditch

2015-08-20 Diskussionsfäden Stephan Wolff

Moin,

kann jemand eine sinnvoll anwendbare Definition von künstlichen /
menschengemachten Wasserflächen geben?

Fast alle Flüsse in Europa sind vom Menschen deutlich verändert.
Bis zu welcher Abweichung vom Verlauf vor menschlichen Eingriffen ist 
der begradigte Flussabschnitt natürlich?
Auch Schifffahrtskanäle verlaufen zu großen Teilen auf alten 
Flussstrecken und übernehmen die Entwässerungsfunktion des Flusses. Sind 
diese Teile des Kanals natürlich?
Ist ein Stausee, an dessen Stelle sich vor der Stauung ein deutlich 
kleinerer See befand, natürlich? Oder ist die Fläche des ehemaligen Sees 
natürlich und der Außenbereich künstlich?
Ist ein See, der im 19.Jh zur Trinkwasserversorgung angelegt wurde, 
natürlich?
Sind ehemalige Kiesgruben, die sich durch Grundwasser und Regen in Seen 
wandeln, oder Löschteiche neben Bauernhöfen natürlich?

Sind Gartenteiche mit Folienboden natürlich?

Wie soll ein Mapper, der einen Stausee, einen Teich oder einen Graben 
sieht, entscheiden, ob es sich um ein verändertes, natürliches oder ein 
künstliches Gewässer handelt?


Ich würde die Unterscheidung in künstliche und natürliche Gewässer 
aufgeben und sie nur nach Größe und Funktion unterscheiden.


Gruß
Stephan

Am 19.08.2015 07:39, schrieb Michael Paulmann:

Es gibt Stauseen mit water=lake und natural=water,
Stauseen mit nur natural=water und Stauseen mit natural=water

 und water=reservoir.

 ... anscheinend taggt ja jeder auch menschengemachte Wasserflächen

 wie er/sie das will.


2015-08-04 16:00 GMT+02:00 Norbert Kück o...@nkbre.net:

Gewässer, die von Menschen NICHT GESCHAFFEN sondern VERÄNDERT wurden,
sind KEINE KÜNSTLICHEN Gewässer.



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Re: [Talk-de] Tagging von Bächen als waterway=ditch

2015-08-20 Diskussionsfäden Christoph Hormann
On Thursday 20 August 2015, Stephan Wolff wrote:
 Moin,

 kann jemand eine sinnvoll anwendbare Definition von künstlichen /
 menschengemachten Wasserflächen geben?

Für stehende Wasserflächen:

natürlich (also water=lake/pond): die Wasserfläche existierte schon vor 
dem Beginn menschlicher Eingriffe/würde ohne menschliche Eingriffe 
existieren.

Für durch Menschen modifizierte Wasserflächen müsste man hier eine 
quantitative Grenze einführen, Beispiele: Schluchsee, Victoriasee, also 
durch Aufstauung vergrößerte natürliche Seen.  So was wird im 
Allgemeinen immer noch als See betrachtet, aber es gibt natürlich 
Grenzen (Riesenstausee wo vorher nur ein Tümpel war).  In der Praxis 
ist das aber eher die Ausnahme.

Für Wasserläufe:

natürlich (also waterway=river/stream und ggf. waterway=riverbank bzw. 
water=river für das Polygon): es hat vor den menschlichen Eingriffen 
einen Wasserlauf gegeben, der im Verlauf und in seinem Einzugsgebiet 
dem jetzigen ähnelt.

'ähnelt' ist natürlich schwammig, in der Praxis ist das meist recht 
eindeutig, aber es gibt natürlich Problemfälle.  Beispiel: Oberrhein: 
der Rheinseitenkanal führt den größten Teil des Rheinwassers und ähnelt 
im Verlauf definitiv dem alten Rhein.  Da dieser aber noch parallel 
existiert ist dem üblichen Verständnis nach der Altrhein immer noch der 
Rhein und der parallele Rheinseitenkanal ein künstlicher Kanal.  Das 
liegt auch daran, dass der Altrhein in dem Bereich immer noch 
durchgehend Wasser führt während Altarme von Flüssen anderswo oft reine 
Stehgewässer sind.

Auch bei kleineren Bächen im Flachland kann das ein Problem sein, wenn 
zum Beispiel ein Bach im Bereich landwirtschaftlicher Nutzflächen recht 
weiträumig umgeleitet und das ursprüngliche Bachbett komplett 
zugeschüttet wird.  Meines Erachtens kann man sowas recht weitreichend 
noch als natürlich interpretieren, solange das eindeutig ist (also 
nicht ein ganzes Grabennetzwerk als waterway=stream nur weil irgendwo 
dadurch früher mal ein Bach floss).

Die Bezugnahme auf die Vergangenheit vor den menschlichen Eingriffen ist 
natürlich im Sinne der Überprüfbarkeit etwas heikel.  Das macht die 
Unterscheidung aber noch nicht generell sinnlos.

Wer die Unterscheidung beibehalten möchte, sich aber auf natürlich im 
Sinne von 'in unverändertem natürlichen Zustand' beziehen möchte endet 
unweigerlich dort, wo wir bei forest/wood sind, was sicher nicht 
erstrebenswert ist.  Wer die ganze Unterscheidung komplett abschaffen 
möchte sollte bedenken, dass dies den Nutzen der Daten insbesondere in 
wasserbaulich stark erschlossenen Gebieten enorm einschränken würde.

In jedem Fall: der Ausgangspunkt dieses Threads waren Fälle, in denen 
die Situation recht eindeutig ist.

-- 
Christoph Hormann
http://www.imagico.de/

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Re: [Talk-de] Tagging von Bächen als waterway=ditch

2015-08-20 Diskussionsfäden Stephan Wolff

Am 20.08.2015 14:20, schrieb Christoph Hormann:

On Thursday 20 August 2015, Stephan Wolff wrote:



kann jemand eine sinnvoll anwendbare Definition von künstlichen /
menschengemachten Wasserflächen geben?


Für stehende Wasserflächen:

natürlich (also water=lake/pond): die Wasserfläche existierte schon vor
dem Beginn menschlicher Eingriffe/würde ohne menschliche Eingriffe
existieren.

Für Wasserläufe:

natürlich (also waterway=river/stream und ggf. waterway=riverbank bzw.
water=river für das Polygon): es hat vor den menschlichen Eingriffen
einen Wasserlauf gegeben, der im Verlauf und in seinem Einzugsgebiet
dem jetzigen ähnelt.


Bei großen Flüssen und Seen ist offensichtlich oder zumindest leicht zu 
ermitteln, ob sie vom Menschen geschaffen wurden. Aber gerade bei den 
kleinen Gewässern, um die es hier geht, ist die Unterscheidung nach 
diesen Kriterien sehr schwer. Wer hat schon Karten aus der Zeit der 
ersten Kultivierung?

Welche kleinen Wasserläufe dieses Gebiets sind natürlich?
http://www.openstreetmap.org/#map=13/54.3349/9.4072


Die Bezugnahme auf die Vergangenheit vor den menschlichen Eingriffen ist
natürlich im Sinne der Überprüfbarkeit etwas heikel.  Das macht die
Unterscheidung aber noch nicht generell sinnlos.


Der historische Ansatz passt nicht zu OSM. In OSM wird generell der 
aktuelle Zustand erfasst. Soll man zwei aktuell gleiche Wasserläufe mit 
unterschiedlichen Tags erfassen, wenn einer einen natürlichen Vorgänger 
hatte?



Wer die ganze Unterscheidung komplett abschaffen
möchte sollte bedenken, dass dies den Nutzen der Daten insbesondere in
wasserbaulich stark erschlossenen Gebieten enorm einschränken würde.


Welche Anwendungen braucht die Unterscheidung nach der Entstehung des 
Gewässers?

Für welche Anwendungen würde es eine enorme Einschränkung bedeuten?

Um auf Übersichtskarten nur Große Flüsse darzustellen fehlt dagegen eine 
Unterteilung in kleiner Fluss, großer Fluss und Strom wie im 
ersten Diagramm im Wikipediaartikel Fließgewässer.

https://de.wikipedia.org/wiki/Flie%C3%9Fgew%C3%A4sser

Aktuell werden kleine Wasserläufe ohne erkennbares System als ditch, 
drain oder stream bezeichnet. Schlimmer kann es nicht werden.


Gruß
Stephan




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[Talk-de] Wochennotiz Nr. 265 11.8.–17.8.2015

2015-08-20 Diskussionsfäden wn reader

Hallo,

die Wochennotiz Nr. 265 mit allen wichtigen Neuigkeiten aus der 
OpenStreetMap Welt ist da:


http://blog.openstreetmap.de/blog/2015/08/wochennotiz-nr-265/

Viel Spaß beim Lesen!


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Re: [Talk-de] Tagging von Bächen als waterway=ditch

2015-08-20 Diskussionsfäden Christoph Hormann
On Thursday 20 August 2015, Stephan Wolff wrote:
 http://www.openstreetmap.org/#map=13/54.3349/9.4072

Dort ist das eigentlich relativ einfach, denn die meisten natürlichen 
Wasserläufe sind hier kaum begradigt, so dass man sie gut an der Form 
erkennen kann.  Schwieriger ist hier für den Mapper ohne Ortskenntnis  
eher die Richtung.


  Die Bezugnahme auf die Vergangenheit vor den menschlichen
  Eingriffen ist natürlich im Sinne der Überprüfbarkeit etwas heikel.
   Das macht die Unterscheidung aber noch nicht generell sinnlos.

 Der historische Ansatz passt nicht zu OSM. In OSM wird generell der
 aktuelle Zustand erfasst.

Das Problem ist hier nicht die Erfassung historischer Zustände, sondern 
die Bewertung der Gegenwart aufgrund von Erkenntnissen über die 
Vergangenheit.  Das ist an sich ein ganz normaler Vorgang, ein anderes 
Beispiel hierfür wäre die Erfassung geologischer Phänomene (was in OSM 
recht unüblich ist aber ohne Zweifel möglich).  Hier werden in der 
Gegenwart beobachtbare Phänomene aufgrund von Wissen über ihre 
Entstehung eingeordnet.  Das ist bei Gewässern nicht so viel anders.


  Wer die ganze Unterscheidung komplett abschaffen
  möchte sollte bedenken, dass dies den Nutzen der Daten insbesondere
  in wasserbaulich stark erschlossenen Gebieten enorm einschränken
  würde.

 Welche Anwendungen braucht die Unterscheidung nach der Entstehung des
 Gewässers?

Alle Anwendungen, bei denen in irgendeiner Form eine Analyse der 
Struktur des Gewässernetzwerkes stattfindet.

Der zentrale Punkt ist, dass natürliche Fließgewässer generell den 
steilsten Weg bergab fließen.  Dies in Kombination mit der 
Kontinuitätsbedingung (also dass Wasser nirgendwo einfach so auftaucht 
oder verschwindet) ist die wichtigste Rahmenbedingung dafür wie sich 
das Wasser natürlicherweise auf der Erdoberfläche bewegt.  Man kann auf 
Grundlage dieser Regeln und der elementaren Geometrien der Wasserläufe 
im Grunde sehr viele zusätzliche Informationen herleiten, ohne dass man 
sie aufwändig in der Natur messen muss.

Für künstliche Wasserläufe gilt beides nicht (Kontinuität im engeren 
Sinne natürlich schon, jedoch nicht nach außen wenn man Tunnel und 
Druckstollen mit einbezieht).  Wenn man künstlichen Wasserfluss mit in 
eine solche Analyse einbeziehen möchte, bräuchte man hierfür eine Menge 
Daten über die Struktur der künstlichen Gewässer und die Eigenschaften 
und den Betrieb wasserbaulicher Einrichtungen die zum größten Teil OSM 
nicht zugänglich sind.  Der einzig praktikable Weg ist also die 
künstlichen Strukturen aus solchen Analysen weitestgehend 
herauszunehmen und das kann man natürlich nur dann, wenn man sie in den 
Daten von den natürlichen unterscheiden kann.  Natürlich erzeugt eine 
solche Vorgehensweise zusätzliche Fehler, denn man vernachlässigt ja 
die künstlichen Strukturen, jedoch sind ungenaue Informationen meist 
immer noch besser als gar keine Informationen.


-- 
Christoph Hormann
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